Zu sagen, dass damit eine Verschärfung des Jugendstrafrechts vorgeschlagen werde, geht wirklich zu weit. Es ist eine differenzierte Möglichkeit, die dem Jugendrichter in die Hand gegeben werden soll. Ihre Auffassung, dass wir die Möglichkeit der Arbeitsstunden haben, mag richtig sein, aber sie mag in manchen Fällen nicht ausreichen.
Noch einmal zum Warnschussarrest und was auch aus den jetzigen Fragen deutlich geworden ist. Mir geht es nicht um eine simple Verschärfung, sondern um die Erweiterung des Instrumentariums für den Jugendrichter.
Meine Damen und Herren! Der damalige sächsische Entwurf sah ferner vor, dass für heranwachsende Straftäter im Alter von 18 bis 21 Jahren grundsätzlich Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommen soll. Nur ausnahmsweise, wenn jugendspezifische Umstände erkennbar waren, wie zum Beispiel eine Tat aus Übermut oder um zu protzen, sozusagen als Imponiergehabe, oder wenn offenkundig eine Reifeverzögerung vorlag, dann kann Jugendstrafrecht angewandt werden.
Aber auch das ist keine Verschärfung des Jugendstrafrechts, sondern das ist seit 1953 geltendes Jugendstrafrecht. Heranwachsende werden grundsätzlich nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt, und nur ausnahmsweise kommt Jugendstrafrecht zur Anwendung. Dieser Grundsatz ist durch die jugendrichterliche Praxis im Laufe der Jahre ins Gegenteil verkehrt worden – und noch dazu in Deutschland in sehr unterschiedlicher Weise. Wurden nach der Einführung im Jahre 1954 nur 20 % der Heranwachsenden nach Jugendstrafrecht verurteilt, so stieg dieser Anteil in den darauffolgenden Jahren kontinuierlich an und erreichte im Jahre 2002 bei unterschiedlicher Verteilung über die Bundesrepublik hinweg einen Prozentsatz von durchschnittlich 64 %. In SchleswigHolstein, in Hamburg und im Saarland wird nahezu jeder Heranwachsende nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg liegt die Quote bei deutlich unter 50 %. Die sächsischen Richter, die im Jahre 2006 insgesamt 13 157 Jugendstrafverfahren bewältigt haben, verurteilten 47 % der Heranwachsenden nach Jugendstrafrecht und 53 % nach Erwachsenenstrafrecht.
Wir beobachten zudem, dass sich die Anwendung des Jugendstrafrechtes bei Heranwachsenden auch nach der Schwere des Deliktes ausrichtet, also, die Reifeverzögerung ist abhängig von der vorgeworfenen Tat. Das kann so auch nicht richtig sein. Je schwerer die Straftat, umso mehr werden jugendtümliches Verhalten oder Reiferückstände begründet, auch wenn der Täter schon über 20 Jahre alt ist. In 1 048 Urteilen, in denen in Sachsen im Jahre 2006 gegen Heranwachsende Freiheitsstrafen verhängt wurden, wurde in nur 155 Fällen, also in 17 %, Erwachsenenstrafrecht angewendet. Die weitaus größere Zahl fußte auf dem Jugendstrafrecht. Von diesen 83 % wurden 65 % der Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt.
Meine Damen und Herren! Ein Heranwachsender hat in Deutschland ab dem 18. Lebensjahr alle Rechte. Er darf wählen, er darf gewählt werden, er darf Verträge abschließen, er darf Firmen und eine Familie gründen. Bei all diesen Verpflichtungen wird nicht nach der geistigen und sittlichen Reife gefragt, nur im Strafrecht – und dabei noch unterschiedlich von Nord nach Süd – wird so getan, als ob er unmündig wäre. Auch hier steht nicht die Ver
schärfung des Jugendstrafrechtes an, sondern es sind nach meiner Überzeugung ungleiche Behandlungen in der Rechtsanwendung zu korrigieren, die ich persönlich nicht für befriedigend halte.
Am häufigsten wird in der jüngsten Zeit gefordert, dass Jugendstraftäter schneller zur Rechenschaft gezogen werden sollen, weil nur die Strafe, die der Tat auf dem Fuße folgt, einen Jugendlichen beeindrucken könne. Das ist unbestritten, da eine Verurteilung mehrere Monate nach der Tat und ein Arrestantritt noch einmal Monate später keinen erkennbaren Bezug zwischen Tat und Sanktion ergeben. Oft haben wir einen ganz anderen Menschen als zum Zeitpunkt der Tat bzw. der Verhandlung vor uns.
Sachsen hat daher als eines der wenigen Bundesländer ein beschleunigtes Jugendstrafverfahren gegen sogenannte jugendliche Intensiv- oder Mehrfachtäter gemeinsam mit dem Innenministerium und dem Sozialministerium ins Leben gerufen. Dahinter stehen zwei Überlegungen. Nur eine kleine Gruppe von jugendlichen Straftätern, circa 10 %, ist nahezu für die Hälfte aller insoweit angezeigten Straftaten verantwortlich, dabei vor allem auch für die Gewaltstraftaten. Diesem Umstand will ich gezielt und vor allem rasch begegnen.
Im vergangenen Jahr sind bei den Staatsanwaltschaften in Dresden und in Zwickau 172 Verfahren als beschleunigte Verfahren gegen diese Zielgruppe jugendliche Mehrfach- und Intensivtäter geführt worden. Das Pilotprojekt war erfolgreich, sodass wir das Verfahren ab Beginn des Jahres 2008 auf ganz Sachsen ausgedehnt und ihm den schönen Namen „JunI“ gegeben haben. Nach der Vereinbarung „JunI“ werden Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, die binnen eines Jahres mindestens fünfmal wegen nicht unerheblicher Straftaten – Frau Herrmann, es sind also keine Bagatellen, sondern sie sind nicht unerheblich und es müssen mindestens fünf sein; aber darüber kann man sich auch noch streiten – oder mindestens zweimal wegen eines Gewaltdeliktes aufgefallen sind, von der Polizei ohne Rücksicht auf örtliche oder sonstige Zuständigkeiten von einem einzigen Ermittlungsbeamten betreut und vom selben Jugendstaatsanwalt angeklagt und binnen fünf Wochen nach der ersten Beschuldigtenvernehmung vor den Jugendrichter gebracht. Es sind nur fünf Wochen zwischen der Vernehmung und dem Urteil. Das erfordert ein hohes Maß von Kooperationsbereitschaft bei allen Beteiligten – Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendämtern – und die Fähigkeit, auch neue Wege zu gehen sowie besonderen Einsatz.
Sehr geehrter Herr Staatsminister! Halten Sie es für unbedenklich, dass die Anwendung dieser Regelungen und dieses Programms sozusagen als Eintrittskarte erst einmal fünf nicht unerhebliche Delikte zur Voraussetzung hat?
Herr Dr. Martens, wir probieren. Ob es greift, ob es passt, ob es praktikabel ist, wissen wir noch nicht. Sie kennen die praktischen Schwierigkeiten. Der Modellversuch ist gut angelaufen. Deswegen machen wir an dieser Stelle erst einmal weiter, evaluieren dann und schauen, ob wir nachjustieren müssen. Das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir haben die Weisheit jedenfalls nicht mit Löffeln gefressen, sondern wissen sehr genau, dass wir in diesem sensiblen Bereich nicht die absolute Wahrheit für uns beanspruchen können.
Fünf Wochen bis zum Urteil zeigen dem jugendlichen Straftäter – auch durch die Identität der Menschen, die ihm gegenübertreten –, dass es ernst gemeint ist, dass die Gesellschaft es ernst meint, es signalisiert seinen Freunden, dass sich ein Nachahmen nicht lohnt, und gibt dem Opfer eine rasche Genugtuung; und es stärkt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat. Auch hier kein schärferes Jugendstrafrecht, sondern die konsequente Nacherziehung eines delinquenten Jugendlichen.
Ein schärferes Jugendstrafrecht strebt Sachsen nicht an. Ich möchte die konsequente Anwendung des geltenden Jugendstrafrechts sicherstellen, das sich bewährt hat und das mit den vorgeschlagenen weiteren differenzierten Sanktionsmöglichkeiten, über die wir sprechen werden, die Entwicklung eines jugendlichen Delinquenten positiv beeinflussen soll und zugleich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Rechtsstaat wieder herstellt.
Meine Damen und Herren! Was ich erreichen möchte, ist, den Teufelskreis zu durchbrechen, der von der Opposition teilweise noch bemüht wurde. Er besteht aus sechs Abschnitten: Im ersten Abschnitt geschieht ein schweres Verbrechen, eine verabscheuungswürdige Tat. Der zweite Abschnitt stellt die Frage an die Politik, was denn bitte geschehen solle. Diese Frage ist legitim. Im dritten Abschnitt kommen konkrete Vorschläge. Im vierten Abschnitt werden mit Abscheu und Empörung Dinge zurückgewiesen, die niemand gefordert hat, wie zum Beispiel Bootcamps oder Kinderknast in Sachsen. Im fünften Abschnitt wird vor Überreaktionen gewarnt, und im sechsten Abschnitt kommt man dann zu dem Ergebnis, dass alles so bleiben soll, wie es ist.
Das wird weder dem Opfer noch den jungen kriminellen Tätern gerecht. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten, und das nicht nur zu Wahlkampfzeiten.
Das Schlusswort haben nun die Linksfraktion und danach die Fraktion der GRÜNEN. – Herr Bartl, bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister! Der große Unterschied ist, dass Sie, wenn Sie im Parlament Ihre Überlegungen darlegen – in aller Ruhe und mit den Abwägungen, die dahinter stecken –, überhaupt keine Not haben und sagen: Darüber muss man reden, dabei ist vieles, was man bedenken kann. Das Problem ist dabei immer wieder die Art und Weise, wie das stakkatomäßig in den Presseerklärungen veröffentlicht wird – einfach so mit Anstrichen: Wir sind für Verschärfung usw.
Wie wollen Sie erklären, wenn Sie sagen, Sie wollen etwas auf zehn oder 15 Jahre heraufsetzen, dass das keine Verschärfung ist? Was heißt denn „bei Heranwachsenden“? Entweder es wird im Gerichtsverfahren festgestellt, dass der betreffende 19-Jährige einem Jugendlichen, sprich: einem unter 18-Jährigen, wesentlich näher ist als ein Erwachsener; dann bekommt er das Jugendstrafrecht und muss letzten Endes auch denselben Strafrahmen wie der Jugendliche haben. Das geht doch überhaupt nicht. Das ist ein völliger Tabubruch im Jugendstrafrecht, wenn Sie das tun.
Sie sprechen von Warnschussarrest. Ich will jetzt überhaupt nicht die Debatte eröffnen, dass es im Großen und Ganzen derselbe Ansatz wie im § 74 im damaligen Strafgesetzbuch der DDR ist, der sich „Jugendhaft“ nannte; exakt das Gleiche, was nach 1990 in Bausch und Bogen stattfand. § 74 hat definitiv nur gesagt: Bei demjenigen, bei dem eine Haft auf längere Zeit nicht notwendig ist, der aber einer sofortigen Reaktion und Disziplinierung bedarf, damit man künftiges straffälliges Verhalten vermeidet, wird Jugendhaft angewandt, vier Wochen oder Ähnliches.
Der Unterschied ist jedoch folgender: Die kamen dann wieder heraus und waren wieder in der Lehrausbildung drin. Herr Staatsminister, das ist einfaches, pralles Menschenleben, wie es heute läuft. Sie haben einen jugendlichen Straftäter, der schon einmal eine Berufsausbildung hat. Nun gehen Sie mit ihm ins Jugendstrafverfahren und sagen ganz kühn: Jetzt bekommt er noch zwei Jahre Bewährung, danach leistet er gemeinnützige Arbeit. Nun gibt es sofort vier Wochen Warnschussarrest. Das war es dann mit der Ausbildung. Oder wollen Sie ins Gesetz hineinbasteln, dass der Arbeitgeber bzw. Ausbildungsbetrieb die Ausbildung nicht kündigen darf?
Vier Wochen Warnschussarrest am Stück, haben Sie gesagt. Wie soll denn das gehen? Wenn Sie das nicht meinen, sondern etwas anderes: Den Wochenendarrest haben wir schon, den brauchen wir nicht hineinzuschreiben. Das ist doch die Frage.
Unser Problem ist, wir wollen mit diesem Antrag eine jugendkriminalpolitische Konzeption ins Haus haben. Das ist aber doch nichts Überforderndes, Argwöhnisches oder Ähnliches, sondern wir möchten gern wissen: Wo wird durch die Staatsregierung unter dem Aspekt der komple
xen Verantwortung des Kabinetts zur Bekämpfung von Jugendkriminalität hingedacht? Deshalb möchte ich wissen: Wohin denken Ihre Kabinettskollegen? Das dürfen Sie uns nicht übel nehmen.
Ich lese in der „Freien Presse“ vom 22. Januar 2008 von einem Beispiel des Jugendamtes des Vogtlandkreises: „Gute Erfahrungen gesammelt haben wir mit erzieherischen Maßnahmen in Sibirien.“
Ein ähnliches Beispiel gab es wenige Tage vorher mit Bezug zu Hessen, nach dem Hessen nun kriminell gefährdete Jugendliche nach Sibirien schickt. Dazu wird berichtet, der betreffende Jugendliche müsse sich sein Brennholz selbst zusammensammeln, er müsse sein Essen selbst zusammentragen, und dies wäre von hoher erzieherischer Wirkung. Das Jugendamt des Vogtlandkreises schwärmt laut „Freie Presse“ davon – ich zitiere –: „Die Abgeschiedenheit eines russischen Dorfes in der Nähe von Omsk, ohne Konsum, ohne Medien und ohne die Möglichkeit, sich der Maßnahme zu entziehen, trägt dazu bei, erste Strukturen im Leben eines Jugendlichen aufzubauen.“
Dazu fällt mir nichts mehr ein. Wenn Sie uns 1990/91 hätten nachweisen können, dass in der DDR noch in den Siebziger- und Achtzigerjahren Jugendliche zur Erziehung nach Sibirien geschickt worden wären, dann wären drei Untersuchungsausschüsse eingesetzt worden.
Ja, mein Gott, ich will schon wissen, ob der Kultusminister tatsächlich in die Richtung denkt, dass Jugendliche in Sibirien erzogen werden. Das ist doch so etwas von hirnrissig! Wenn er aus Sibirien wiederkommt und nach Chemnitz oder Dresden kommt – was hat sich dann für ihn geändert?
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Dann sucht er sein Brennholz im Großen Garten! – Allgemeine Heiterkeit – Unruhe im Saal – Glocke der Präsidentin)
Wollten Sie mit Ihrer Zustandsbeschreibung aus dem Vogtland zum Ausdruck bringen, dass der Vogtländische Weg wohl doch nicht ganz der richtige ist?
Ich bin ja dafür, dass die Kreisfreie Stadt Plauen erhalten bleibt, aber ich wollte es nicht auf Omsk ausgedehnt haben. Auf Omsk ausgedehnt haben wollte ich den Kreis Plauen nicht. Also, ich hätte gern, dass die Jugendlichen ihre Strafe in Plauen verbüßen.
Herr Bartl, Sie haben mit Ihrer Antwort auf die Frage den Eindruck vermittelt, als ob niemals Menschen aus der DDR zu Strafmaßnahmen nach Sibirien gekommen sind,
auch keine Jugendlichen. Ich frage Sie: Ist Ihnen das nicht bekannt oder wollen Sie im Grunde genommen die Dinge verniedlichen?