Protokoll der Sitzung vom 05.03.2008

Tagesordnungspunkt 10

1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Änderung des Sächsischen Integrationsgesetzes

Drucksache 4/11172, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Es ist keine allgemeine Aussprache vorgesehen. Ich bitte um die Einbringung des Gesetzentwurfes. Frau Abg. Herrmann, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legt Ihnen heute einen Gesetzentwurf zur Änderung des Sächsischen Integrationsgesetzes vor. Das Sächsische Integrationsgesetz ist im Jahre 2004 nach langer und – wie Sie alle wissen – sehr kontroverser Diskussion verabschiedet worden.

Es führt auf der Ebene der Bundesländer das fort, was im Jahre 2002 mit dem Bundesgleichstellungsgesetz begonnen wurde. Dieser Umsetzungsprozess stellte alle Länder vor die gleichen Aufgaben, aber die Lösungswege sind durchaus unterschiedlich. In Sachsen fallen zwei Dinge auf.

Wir haben seit dem Jahre 2004 dieses Integrationsgesetz; aber noch immer sind wesentliche Aufgaben, die im Gesetz formuliert sind, nicht oder nur teilweise erfüllt. Unser sächsisches Gesetz gilt verbindlich nur für Behörden und sonstige öffentliche Stellen auf Landesebene. Besonders dieser Punkt hat schon beim Gesetzgebungsverfahren im Jahre 2004 zu viel Kritik geführt, zum Beispiel aus den Reihen der SPD.

Bereits damals haben sich die Kommunen mit Verweis auf das Konnexitätsprinzip dagegen gewehrt, auch als Kommune zur Barrierefreiheit verpflichtet zu werden. Das Land war damals ebenso wenig bereit, den Kommunen Geld für barrierefrei zu gestaltende Verwaltungsverfahren zuzubilligen. Damit bleibt die Reichweite des Sächsischen Integrationsgesetzes beschränkt. Die Kom

munen werden lediglich auf das Benachteiligungsverbot nach Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz – „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ – verwiesen.

Warum schlagen wir Ihnen gerade jetzt eine Änderung des Sächsischen Integrationsgesetzes vor? Zum 1. August 2008 werden im Zuge der Verwaltungs- und Funktionalreform zahlreiche Aufgaben vom Land auf die Kommunen übertragen. Zu diesen Aufgaben gehören unter anderem Verwaltungsverfahren, die ausschließlich Menschen mit Behinderung betreffen, wie zum Beispiel die Feststellung des Grades der Behinderung und die Gewährung des Landesblindengeldes oder anderer Nachteilsausgleiche. Landesbehörden sind, wie ich ausgeführt habe, dank des Integrationsgesetzes angewiesen, Betroffenen auf Antrag kostenfrei einen Gebärdendolmetscher oder sonstige Kommunikationshilfen zur Verfügung zu stellen, wenn dies für die Wahrnehmung ihrer Rechte im Verwaltungsverfahren erforderlich ist. Dieses Recht für die Betroffenen wollen wir sichern, auch wenn die Aufgaben künftig von den Kommunen wahrgenommen werden,

(Beifall des Abg. Horst Wehner, Linksfraktion)

sonst, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre die Verwaltungsreform mit erheblichen Nachteilen für Menschen mit Handicap verbunden. Das kann niemand von uns wollen. Jedenfalls reden Sie im Plenum immer anders: Sie sprechen von Teilhabe und von Unterstützung für die Betroffenen, zu denen im Übrigen in zunehmendem Maße auch ältere Bürgerinnen und Bürger gehören – denken Sie an die Debatte heute Morgen –, weil sich im Alter eben auch Einschränkungen einstellen: Eine kleine Schrift ist

schlechter zu lesen, hohe Stufen können zum Hindernis werden usw. usf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade das Gefühl von Abhängigkeit, aufgrund einer Behinderung auch in der Kommunikation eingeschränkt zu werden, weil die notwendigen Voraussetzungen zur Kommunikation entweder nicht vorhanden oder gar nicht im Blick sind, behindert Menschen mit Handicap oft mehr als die Behinderung selbst.

Deshalb hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereits in der Debatte zur Verwaltungs- und Funktionalreform im Januar-Plenum einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht. Wir wollten, dass die Bestimmungen des Sächsischen Integrationsgesetzes auch für die neu auf die kommunale Ebene übertragenen Aufgaben gelten sollen. Dieser Antrag wurde im Sozial- und im Innenausschuss abgelehnt. Damit haben Sie dem eigenen Anliegen mit der Verwaltungs- und Funktionalreform, das Sie uns vorgetragen haben, nämlich mehr Bürgernähe, selbst widersprochen. Im Gegenteil, es ist so: Sie errichten neue Hürden für betroffene Bürger. Die Begründung Ihrer damaligen Ablehnung zeigt deutlich, dass einigen von Ihnen noch nicht einmal klar ist, dass Barrierefreiheit mehr bedeutet als der freie Zugang ohne bauliche Barrieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Haben Sie schon einmal etwas von unterstützter Kommunikation gehört? Besuchen Sie einmal die Schule „Schloss Schönefeld“ in Leipzig und lernen Sie die Bemühungen der Lehrerinnen und Lehrer kennen, verschiedene Möglichkeiten von unterstützter Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern zu erproben, weil das Grundrecht auf Kommunikation eines jeden Menschen ernst genommen werden muss.

(Beifall der Abg. Horst Wehner und Julia Bonk, Linksfraktion)

Sie aber, meine Damen und Herren von der Koalition, haben mit der Verwaltungs- und Funktionalreform zugleich einem Standardabbau zulasten von Menschen mit Behinderung in Sachsen zugestimmt. Mit unserem Gesetzentwurf geben wir Ihnen heute die Möglichkeit, diesen Fehler zu korrigieren.

Frau Orosz hat im Innenausschuss gesagt, dass die Mehrkosten für umfassende Barrierefreiheit, die auf die Kommunen im Zuge der Verwaltungs- und Funktionalreform zukämen, im kommunalen Mehrbelastungsausgleich

enthalten seien. Obwohl wir uns schon wundern, was in der Schatulle Mehrbelastungsausgleich alles drin sein soll, stellen wir fest: Am Geld kann unser Gesetzentwurf schon einmal nicht scheitern.

Noch ein Wort zur Höhe der Kosten. Unsere Kleine Anfrage zu den Kosten für Gebärdendolmetscher und andere Kommunikationshilfen im Zusammenhang mit dem Sächsischen Integrationsgesetz – das ist die Drucksache 4/10751 – zeigt, dass sich die damit verbundenen Kosten auf circa 15 000 bis 20 000 Euro für alle Verwaltungsverfahren auf Landesebene summieren. Damit kennen Sie zumindest die Größenordnung.

Ich habe bereits ausgeführt, dass das Sächsische Integrationsgesetz in einigen Punkten bisher nicht umgesetzt wurde. Derzeit gibt es keine Besuchskommission nach § 12. Der Landesbeirat für Menschen mit Behinderung nach § 11 wurde erst im Oktober letzten Jahres berufen. Auch der Beauftragte der Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung hat keinen eigenen Internetauftritt. Suchen Sie im Internet einmal nach „Behindertenbeauftragter Sachsen“. Diese Suche nach einem wichtigen Ansprechpartner ist alles andere als barrierefrei. Seien Sie gewiss, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch bei diesen Punkten werden wir dranbleiben und immer wieder nach dem Stand der Umsetzung fragen.

Heute schlagen wir Ihnen mit dem Gesetzentwurf unbedingt notwendige Änderungen des Sächsischen Integrationsgesetzes vor. Wir bitten um Überweisung des Gesetzentwurfes an den Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend – federführend – und an den Haushalts- und Finanzausschuss sowie an den Innenausschuss.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Horst Wehner, Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den soeben eingebrachten Gesetzentwurf an den Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss und an den Innenausschuss zu überweisen. Wer stimmt zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Ich sehe eine Stimmenthaltung. Damit ist der Gesetzentwurf überwiesen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 11

1. Lesung des Entwurfs Gesetz zum Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung des Sächsischen Privatrundfunkgesetzes

Drucksache 4/11379, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Ich bitte die Staatsregierung um Einbringung. Herr Minister Mackenroth, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit geraumer Zeit befindet sich die Medienwelt in einer rasanten Veränderung. Im Zentrum steht dabei die Digitalisierung des Rundfunks, die den Rundfunkteilnehmern viel mehr bieten wird, als sie es in der Vergangenheit von Fernsehen und Radio gewohnt waren, vor allem eine erheblich größere Programmvielfalt in besserer Bild- und Tonqualität.

Daneben steigt aber auch die individuelle Informations- und Unterhaltungsfreiheit. Einzelne Sendungen können zeitunabhängig abgerufen werden; intelligente Programmführer machen die Auswahl komfortabel. Ein wichtiger nächster Schritt wird die Einführung von Handy-TV sein. Neue technische Standards, die speziell auf Empfangsgeräte mit sehr kleinen Bildschirmen abgestimmt sind, ermöglichen den Rundfunkempfang. Das Handy wird gewissermaßen zum „Multimediazentrum in der Hosentasche“. Die Rundfunknutzung wird damit zeit- und ortsunabhängig und vor allen Dingen individuell. Dahinter steht der rasante Fortschritt in der Rundfunktechnik; aber gerade beim Handy-TV stehen dahinter ganz neue wirtschaftliche Geschäftsmodelle.

Nicht zuletzt müssen diese Entwicklungen auch rechtlich begleitet werden. Genau hierzu dient der Zehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag, den ich heute in den Sächsischen Landtag einbringen darf. Er regelt gewissermaßen den vollständigen Übergang des Rundfunks in die digitale Welt.

Zentrale Regelungsgegenstände sind dabei die Reform der Aufsicht über den privaten Rundfunk und die Regulierung von technischen Plattformen. Damit wird bundesweit zugelassenen Rundfunkveranstaltern wie auch den erstmals definierten Plattformanbietern Rechts- und Planungssicherheit gegeben. Für bundesweite medienrechtliche Sachverhalte, insbesondere die rechtlichen Zulassungen für Rundfunkveranstalter, die Zuweisungen von technischen Übertragungskapazitäten und die Behandlung von Plattformanbietern, wird ein verlässlicher Rechtsrahmen geschaffen, der einheitliche Entscheidungen sicherstellt.

Nach dem Vorbild bereits bestehender bundesweit handelnder Kommissionen soll eine weitere Kommission für Zulassung und Aufsicht gebildet werden, die für die Programmaufsicht und Lizenzierung von privaten Radio- und Fernsehsendern mit bundesweiter Verbreitung zuständig sein wird. Bestimmte Auswahlentscheidungen

werden darüber hinaus von der Gremienvorsitzendenkonferenz der Landesmedienanstalten getroffen.

Die im Medienkonzentrationsrecht bundesweit handelnde Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, kurz KEK, wird insoweit gestärkt, als zu den bislang tätigen sechs unabhängigen Sachverständigen weitere sechs Direktoren der Landesmedienanstalten hinzutreten. Im Gegenzug wird die Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten aufgelöst, die bislang die Entscheidungen der KEK mit einer Dreiviertelmehrheit ändern konnte. Nachteile dieses bisherigen Verfahrens haben sich bei der gescheiterten Übernahme von Pro7 und Sat1 durch den Axel-Springer-Verlag gezeigt.

Der Änderungsstaatsvertrag regelt auch die Zuordnung bzw. Zuweisung drahtloser Übertragungskapazitäten und die erstmals begrifflich eingeführten Plattformen. Neben den bekannten Plattformen wie Kabelnetz und Satelliten fallen darunter auch die Plattformen, über die das HandyFernsehen übertragen werden sollen oder über die Rundfunkprogramme via Internet Protocol zu empfangen sind. Auch die Anbieter dieser Plattformen müssen bestimmten rechtlichen Pflichten unterworfen werden. Dazu gehören beispielsweise die medienrechtlich bedeutsamen Kriterien des diskriminierungsfreien Zuganges der Mithilfe gegen rechtlich bedenkliche Angebote und die Beachtung von Belegungsregelungen, damit ein möglichst vielfältiges Angebot geschaffen werden kann.

Außerdem sollen einige kleinere Änderungen an den Bedingungen für Gewinnspielsendungen vorgenommen werden. Gewinnspiele im Rundfunk gelten nicht als Glücksspiele; es sind gleichwohl die Belange des Jugend- und Teilnehmerschutzes zu wahren, was dadurch geschieht, dass sie transparent ausgestaltet werden müssen und nur ein geringes Entgelt von bis zu 50 Cent für die Teilnahme verlangt werden kann.

Der Zehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist damit ein erheblicher erster Beitrag zur grundlegenden Reform der Rundfunkordnung in Deutschland. Ich bitte um wohlwollende Behandlung in den Ausschüssen.

Vielen Dank.

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den soeben eingebrachten Entwurf an den Ausschuss für Wissenschaft, Hochschule, Kultur und Medien – federführend – sowie an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss zu überweisen. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Keine Gegenstimmen, einstimmig überwiesen.

Ich beende damit diesen Tagesordnungspunkt. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 12

1. Lesung des Entwurfs Sächsisches Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Sächsisches Versammlungsgesetz – SächsVersG)

Drucksache 4/11380, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Auch hierzu bitte ich um Einbringung. Herr Staatsminister Mackenroth, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein Sächsisches Versammlungsgesetz verfolgt das Ziel, die Würde und Ehre der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft besser als bisher gegen Verunglimpfungen zu schützen. Er verfolgt nicht das Ziel, das verfassungsrechtlich geschützte Demonstrationsrecht abzuschaffen oder unverhältnismäßig zu beschneiden.

(Jürgen Gansel, NPD: Natürlich nicht!)