Protokoll der Sitzung vom 05.03.2008

(Jürgen Gansel, NPD: Natürlich nicht!)

Die Versammlungsbehörden sollen vielmehr die Befugnis erhalten, durch den Erlass von Auflagen oder Verboten gegen Versammlungen an einzelnen Orten und Tagen vorzugehen, wenn und soweit solche Versammlungen eine besondere Bedeutung für die Opfer des nationalsozialistischen Regimes haben.

In den vergangenen Jahren sind öffentliche Demonstrationen mit neonazistischer Propaganda immer häufiger geworden. Seit Jahren versuchen Neonazis etwa, die zivilen Kriegsopfer und die Zerstörung Dresdens für die Zwecke der eigenen Ideologie zu vereinnahmen. Dies hat am 13. Februar 2007 ein würdevolles Gedenken an die Kriegsopfer in Dresden nahezu unmöglich gemacht.

(Zustimmung der Abg. Margit Weihnert und Stefan Brangs, SPD)

Auch sonst führen speziell rechtsextremistische Gruppen ihre Aufmärsche immer öfter bewusst an Orten und Tagen durch, die eine besondere symbolische Bedeutung für die Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes

(Holger Apfel, NPD: Am Völkerschlachtdenkmal!)

und die Opfer des von diesem entfesselten Zweiten Weltkrieges haben.

(Jürgen Gansel, NPD: Völkerschlachtdenkmal!)

Damit wollen sie die Opfer zusätzlich verhöhnen, historische Zusammenhänge verfälschen, fremde Traditionen für sich vereinnahmen, das Versammlungsrecht anderer beeinträchtigen und letztlich den Rechtsstaat als ohnmächtig darstellen.

(Jürgen Gansel, NPD: Und deswegen wird er kastriert!)

Die bisherige Rechtslage zwingt uns, dem fast tatenlos zuzusehen. Dabei besteht für mich kein vernünftiger Zweifel daran, dass derartige Versammlungen an Orten des Gedenkens an die Opfer deren Würde in einer Weise beeinträchtigen, die auch durch den hohen Stellenwert der Versammlungsfreiheit in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht zu rechtfertigen ist. Der Bund hat deshalb, vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, das Holocaust-Mahnmal in Berlin für rechtsextremistische Aufmärsche gesperrt.

(Gitta Schüßler, NPD: Das verfällt doch sowieso!)

Der Gesetzentwurf der Staatsregierung greift diesen Gedanken des Opferschutzes auf und überträgt ihn auf sächsische Verhältnisse. Er sieht, wie gesagt, vor, dass die Versammlungsbehörden die Befugnis erhalten, Versammlungen, die an Orten oder Tagen der Erinnerung speziell an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder von Kriegen, aber auch an den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft stattfinden sollen, von Auflagen abhängig zu machen oder zu verbieten, wenn zu befürchten ist, dass die Veranstaltung die Würde der Menschen verletzt, deren Schicksal mit diesem Ort oder diesem Tag verknüpft ist.

Als Erinnerungsorte werden unter anderem die Synagogen und die Plätze der ehemaligen Synagogen, die Gelände ehemaliger Konzentrationslager in Sachsen, der Platz um die Frauenkirche in Dresden und Kriegsgräberstätten geschützt. Tage der Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und die Personen, die Widerstand gegen das Regime geleistet haben, sind zum Beispiel der Holocaust-Gedenktag, der Tag des Attentats Graf von Stauffenbergs auf Hitler und der Tag des Reichspogroms.

Gegenüber dem geltenden Recht verbessert das Gesetz die Handlungsmöglichkeiten der Versammlungsbehörden. An den besonders geschützten Orten und Tagen müssen die Versammlungsbehörden eben nicht länger prüfen – wie bisher –, ob dort die Erinnerung an die Opfer präsent ist und welches Gewicht diese Erinnerung hat. Diese Einschätzung trifft das Gesetz selbst. Es kommt nur noch darauf an, ob die Versammlung nach Inhalt und Form mit der Erinnerungsfunktion vereinbar ist. Auf diese Weise wird es den Rechtsextremisten künftig unmöglich, mit ihren sogenannten Heldengedenken in Dresden um den 13. Februar oder auf Kriegsgräberstätten die Opfer weiter zu verhöhnen.

(Gelächter des Abg. René Despang, NPD)

Mit dem Gesetz dürfen wir allerdings nicht die Erwartung verbinden, dass künftig rechtsextremistische Versammlungen jederzeit und allerorts unterbunden werden können.

(Jürgen Gansel, NPD: Aber das hätten Sie schon ganz gerne, seien Sie doch mal ehrlich!)

Das wollen wir nicht und das lässt unsere Verfassung auch nicht zu. Der Gesetzentwurf steht auf dem Boden der Verfassung. Auch die Kritiker haben die verfassungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nicht bestritten, sondern lediglich politisch motiviertes Unbehagen geäußert.

Vorrangig an zwei Punkten entzündet sich die Kritik.

Erstens. Der Entwurf sei nicht hilfreich, nicht zielführend, weil ja Demonstranten drei Straßen weiter gehen könnten. Das ist richtig, aber es verkennt, dass wir Opfer und Orte schützen, nicht Demonstrationen verbieten wollen.

Zweitens. Der Gesetzentwurf richte sich allein gegen Rechtsextremisten. Auch dieses Argument zieht nicht. Wir schützen über die Orte und die Tage die Würde der Opfer. Wenn diese Würde verhöhnt wird, auch etwa durch solch widerliche Parolen wie „Dresdner, heult weiter“ oder „Do it again, Bomber Harris“, genau dann greift das Gesetz; egal von wem solche Parolen artikuliert werden.

Der Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, schützt die Menschenwürde und damit den höchsten Wert unserer Verfassung.

(Zuruf von der NPD: Hört, hört!)

Dass auch der Opferschutz Teil des Schutzes der Menschenwürde ist, hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach wiederholt. In seiner Entscheidung zum Verbot einer Versammlung am Holocaustmahnmal am 8. Mai hat das Gericht nicht den Hauch eines Zweifels daran gelassen, dass Opferschutz an Erinnerungsorten und -tagen Vorrang vor der Versammlungs- und Meinungsfreiheit genießen kann.

Nun ist die Frauenkirche in Dresden nicht das Holocaustmahnmal in Berlin. Aber beide Orte sind verbunden mit Erinnerung an die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes und des von ihm verantworteten Zweiten Weltkrieges. Beide Orte haben insoweit eine vergleichbare herausragende Symbolkraft.

Die Würde der Opfer wird beeinträchtigt, wenn durch Versammlungen oder Aufzüge an Gedenkorten oder zu Gedenktagen die historische Verantwortung des Nationalsozialismus für Verfolgungshandlungen, Kriegsverbrechen oder Kriegsopfer – von wem auch immer – geleugnet, verharmlost oder gegen die Verantwortung anderer aufgerechnet wird.

Worum es schließlich nicht geht: Dem Entwurf kann nicht vorgeworfen werden, eine Mehrheitsmeinung zu sanktionieren, staatlicherseits die Deutungshoheit über historische Geschehnisse, Orte und Jubiläen zu beanspruchen

und die Ausübung der Versammlungsfreiheit im Sinne dieser Deutung zu beschneiden.

Rechtsextremisten werden im Rahmen des geltenden Rechts für ihre Gesinnung an 358 Tagen im Jahr an fast allen Orten in Sachsen demonstrieren können, auch an Orten, die eine große Öffentlichkeitswirksamkeit versprechen. Nur an wenigen Tagen, an wenigen Orten gibt es Gründe, die noch schwerer als die Versammlungsfreiheit wiegen. Dies bringt der Gesetzentwurf zur Geltung.

Ansonsten gilt: Die geschützten Orte sind keine allgemeine Sperrzone für Demonstrationen jeder Art. Wenn die Versammlungen den Charakter des Ortes wahren oder ihm gerade in besonderer Weise Rechnung tragen – wie zum Beispiel die Zusammenkünfte der vielen Menschen in Dresden am 13. Februar an der Frauenkirche –, dann bleibt es selbstverständlich ungeschmälert bei dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht, sich friedlich versammeln zu dürfen.

Eine andere Frage, meine Damen und Herren, ist, ob das Gesetz auch die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft schützen sollte. Nach der Sächsischen Verfassung – ich verweise hier auf deren Präambel und Artikel 116 – ist die Antwort völlig klar: Selbstverständlich verdienen auch die Opfer der SED und der Stasi gesetzlichen Schutz. Auch ihre Würde darf durch öffentliche Versammlungen nicht verletzt werden. Andererseits fanden hierzu würdeverletzende Aufmärsche im Freistaat bislang nicht statt; zumindest nicht an Orten oder Tagen der Erinnerung an die Opfer des SED-Regimes. Es fehlt also der konkrete Regelungsbedarf, jedenfalls fehlt derzeit die Erfahrung, gegen welche Auswüchse ein Gesetz Vorsorge treffen müsste.

Meine Damen und Herren! Die Staatsregierung ist sich darüber im Klaren, dass der Rechtsextremismus im Freistaat nicht durch dieses Gesetz verschwinden wird, dass es dafür vielmehr weiterhin breiter gesellschaftlicher Anstrengungen bedarf, die wir unter anderem mit dem großen Forum in Riesa vor wenigen Wochen bereits kraftvoll angegangen sind. Die Staatsregierung kennt auch die grundsätzlichen Bedenken derer, die sich aus fester freiheitlicher demokratischer Überzeugung gegen Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit aussprechen.

Dennoch bitte ich Sie um Unterstützung für den Gesetzentwurf. Tun Sie das, was getan werden kann. Setzen Sie als Demokraten gemeinsam mit uns ein Zeichen und sprechen Sie sich für erweiterten Schutz der Opfer des Nationalsozialismus und des Krieges aus.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Simone Raatz, SPD)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den soeben eingebrachten Gesetzentwurf an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss – federführend – und an

den Innenausschuss zu überweisen. Wer gibt die Zustimmung? – Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Ich sehe Einstimmigkeit. Damit ist die Überweisung beschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 13

1. Lesung des Entwurfs Sächsisches Gesetz über Versammlungen und Demonstrationen (Versammlungsgesetz – SächsVersG)

Drucksache 4/11381, Gesetzentwurf der Fraktion der NPD

Ich bitte jetzt um Einbringung durch die Fraktion; Herr Apfel, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch die Föderalismusreform wurde die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht vom Bund auf die Länder übertragen.

Nach unserem Verständnis stehen dem Landtag folgende Möglichkeiten zur Verfügung, um auf die neue gesetzgebungsmäßige Verordnung des Versammlungsrechts zu reagieren.

Die erste Möglichkeit: Sachsen verzichtet auf ein eigenes Versammlungsgesetz, Artikel 125 a Abs. 1 Grundgesetz. Danach bliebe das Bundesversammlungsgesetz vorerst gültig. Bei künftigen Änderungen des Versammlungsrechtes müsste dann aber auf jeden Fall ein eigenes Landesgesetz beschlossen werden.

Die zweite Möglichkeit: Sachsen übernimmt das vollständige Bundesversammlungsgesetz. Auch in diesem Fall bliebe das Bundesgesetz inhaltlich gültig, künftige Änderungen könnten durch Novellierung des neuen Landesgesetzes berücksichtigt werden.

Die dritte Möglichkeit: Sachsen beschließt ein rudimentäres Versammlungsgesetz, das das Bundesgesetz zum Landesrecht erklärt und zusätzlich vermeintlich erforderliche sächsische Spezifika regelt.

Letzteres schließt die NPD-Fraktion aus. Denn es entstünde ein Provisorium, zumindest dann, wenn Sachsen die ihm durch die Föderalismusreform zugefallene neue Gesetzgebungskompetenz künftig wirklich wahrnehmen will. Denn sobald der Landesgesetzgeber eine Anpassung des kodifizierten Versammlungsrechts an die zwischenzeitliche Entwicklung vornehmen wollte – zum Beispiel an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes –, müsste er nämlich die Struktur des Gesetzes vollkommen überarbeiten. Dieser Weg wäre nur sinnvoll, wenn die Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz auf Landesebene nicht der künftigen Weiterentwicklung des Versammlungsrechts dienen würde, sondern nur der landesspezifischen Festlegung von Ausnahmebestimmungen zum Zwecke der selektiven Grundrechtseinschränkung.

Die NPD lehnt eine solche Vorgehensweise entschieden ab, denn sie wäre blankes Unrecht, die Perversion rechtspolitischen Denkens. Sie liefe auf die Zersplitterung einer

grundrechtsrelevanten Gesetzgebungskompetenz hinaus einzig und allein zur Festlegung regionaler Grundrechtseinschränkungen mit Sondergesetzcharakter.