Lange Zeit konnte sich die Staatsregierung hinter offiziellen Statistiken verstecken, die leider nicht die Wirklichkeit abbilden. Doch auch das ist nun nicht mehr möglich. Der Ärztemangel ist inzwischen nicht nur fühlbar, sondern auch statistisch sichtbar. Noch Ende letzten Jahres erklärte Frau Staatsministerin Orosz bei den Anträgen der FDP, dass es keinen Mangel, sondern nur ein Verteilungsproblem bei den Ärzten gibt. – Eine Bemerkung, die ich angesichts der Probleme für zynisch hielt.
Dabei weiß es Frau Staatsministerin Orosz doch eigentlich besser. Bei ihrer Rede im Bundesrat vor mehr als einem Jahr, als es um die Verabschiedung der Gesundheitsreform ging, warnte sie nachdrücklich vor dem bestehenden Ärztemangel. Ich frage Sie nun: Warum sagen Sie das nicht auch in der sächsischen Öffentlichkeit so? Hat Frau Orosz Angst um die Bilanz ihrer Amtszeit als Sozialministerin oder hat sie Angst vor der Gewissheit, dass die bisherigen Maßnahmen, zum Beispiel der Investitionszuschuss, nicht zum Ziel führen? Diese Angst mag berechtigt sein und hat, wie man lesen kann, nun auch die CDU-Fraktion infiziert. Ich denke nur an die Rundreise in der Region Torgau-Oschatz Anfang Februar, auf der sich Frau Orosz und Herr Milbradt ein Bild von der Situation vor Ort machen konnten.
Wann immer aber die Regierung und die CDU/SPDKoalition ein Problem nicht wahrhaben wollen, sind wir in der Opposition die Schlechtredner und Miesmacher. Dieses Mantra hat die CDU beim Thema Ärztemangel erst wieder vergangenen Montag heruntergebetet. Liebe Kollegen der Koalition, wer Probleme nicht wahrhaben will, kann sie auch nicht lösen.
Hören Sie deshalb auf, jede Kritik als Schlechtreden oder Populismus zu diffamieren. Wir haben ein Problem bei der ärztlichen Versorgung und wir müssen es endlich lösen.
Lassen Sie mich vorab eines klarstellen: Die von den Linken vorgeschlagenen Maßnahmen können die Folgen des Ärztemangels kurzfristig lindern, ihn aber nicht bekämpfen. Außerdem geht die Linksfraktion auch zu unkritisch mit möglichen Problemen bei den medizinischen Versorgungszentren und den sogenannten Gemeindeschwestern um.
Derzeit läuft ein Modellprojekt der Gemeindeschwestern in Sachsen. Es soll die Hausärzte entlasten und die Nähe zum Patienten herstellen. Die Effekte sind noch nicht wissenschaftlich zu belegen. Die Gemeindeschwester kann, muss aber nicht positive Effekte über lange Zeit haben. Außerdem müssen wir auch aufpassen, dass wir nicht eine neue Ebene schaffen und damit auch finanzieren, die mit anderen Bereichen in Konkurrenz tritt und das Gesundheitssystem weiter verteuert. Die Gefahr der Etablierung von Parallelstrukturen ist groß. Ich denke da nur an den ambulanten Pflegedienst.
Von einer flächendeckenden Einführung von „AGnES“ zum jetzigen Zeitpunkt würde ich persönlich abraten. Warten wir erst einmal die Ergebnisse ab. Außerdem braucht eine Gemeindeschwester auch Ärzte, an die sie angebunden ist. Den Mangel an Ärzten für den ländlichen Raum können wir so nicht eindämmen.
Auch den zweiten Vorschlag, die Etablierung von sogenannten Polikliniken, sieht meine Fraktion nicht unkritisch. Natürlich sind Medizinische Versorgungszentren in unterversorgten Regionen eine sinnvolle Maßnahme. Doch die Realität sieht meist anders aus. Viele Medizinische Versorgungszentren werden von Krankenhäusern gegründet und diesen angegliedert. Diese Formen dienen dann nicht immer der besseren Versorgung im ländlichen Raum, sie geben aber mitunter Anreize, beispielsweise die Auslastung von Geräten im Krankenhaus zu erhöhen.
Die besondere Stellung der niedergelassenen Ärzte, zum Beispiel bei Überweisungen und den Untersuchungen besonders ohne wirtschaftliches Interesse, muss weiter gewährleistet bleiben. Wenn wir den Arztberuf weiter aushöhlen, ist das nicht der Weg für den ländlichen Raum.
Daher muss klar sein, dass die Stellung des niedergelassenen Arztes nicht weiter geschwächt werden darf. Im Gegenteil. Die FDP setzt sich für eine Stärkung dieses Berufsbildes ein. Nur so kann langfristig der Nachwuchs vor allem bei den Hausärzten gesichert werden. Hierzu benötigen wir Medizinstudenten, die sich nach dem Studium auch dafür entscheiden, als niedergelassener Arzt überhaupt tätig sein zu wollen und eine entsprechende Weiterbildung zu machen. Wir brauchen Medizinstudenten, die bereit sind, sich den Herausforderungen im ländlichen Raum zu stellen. Die Verlagerung aller medizinischen Leistungen in – wie es die Linken nennen – Polikliniken ist meiner Meinung nach nicht zielführend. Medizinische Versorgungszentren sind eine sinnvolle Ergänzung in unterversorgten Gebieten, jedoch kein Allheilmittel.
Die Sicherung des Ärztenachwuchses findet schon im Studium statt. Dabei muss endlich auch die Staatsregie
rung ihre Hausaufgaben machen. Zahlreiche Lehrstühle in Dresden und Leipzig sind im medizinischen Bereich schon lange unbesetzt. Während andere Bundesländer gezielt in eine bessere Ausbildung der Mediziner investieren, behindert der niedrige Besoldungsschnitt, den die Koalition per Gesetz festgelegt hat, die Anwendung geeigneter Professuren. Das geht auch am Studium nicht spurlos vorüber.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Problem des Ärztemangels ist vielschichtig. Dabei gibt es viele einzelne Maßnahmen auf Landesebene, im Bund und bei der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, die uns bei der Problemlösung helfen. Sicher sind auch die Ansätze der Linken nicht falsch, jedoch sind sie zum einen nicht neu, werden bereits angewandt, und zum anderen übersehen wir auch noch nicht die Gefahren. Deshalb wird sich die FDP-Fraktion bei beiden Anträgen enthalten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beide Anträge der Linksfraktion, über die wir heute diskutieren, stammen aus dem Jahr 2006. Das ist von meinen Vorrednern schon gesagt worden.
Frau Lauterbach, Sie sagen, beide Anträge sind aktuell. Ich meine, die Themen sind wohl aktuell, die Anträge aber nicht. Der Antrag „Gemeindeschwester AGnES“ war im Sommer 2006 richtig. Da gab es das Modellprojekt in Sachsen noch nicht. Aber der Auftrag, den Sie mit diesem Antrag der Staatsregierung erteilen, ist mittlerweile eingelöst. Zu den Medizinischen Versorgungszentren wollen Sie im Wesentlichen einen Bericht der Staatsregierung. Aber nachdem zum 01.01.2007 das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz in Kraft getreten ist, hätten Sie sich die Mühe machen müssen, auch diesen Antrag zu überarbeiten,
denn einige der Dinge, die Sie unter Punkt 2 fordern, sind bereits erfüllt und damit heute mitnichten aktuell.
Aber offenbar ist Ihr Ziel ein anderes. Sie wollen die Anträge als Wahlkampfeinstieg benutzen. Gesundheitspolitik ist ein Thema, das alle Menschen betrifft. Da ist es nicht so wichtig, dass wir im Juni eigentlich Kommunalwahlen haben und die meisten Entscheidungen auf der Bundesebene liegen. Was mich an Ihren Anträgen außer dem Alter der Anträge stört, ist der verklärte Blick zurück in die DDR.
Dieser spricht auch aus Ihren Pressemitteilungen. Das ist ein einseitiger Blick. Das sage ich Ihnen aus meiner Berufserfahrung in der DDR.
Durch diesen einseitigen Blick versperren Sie sich leider auch den freien Blick auf die Möglichkeiten. Sie bewegen sich ausschließlich in einem vermeintlichen Spielraum. Wo bleiben denn neue Ideen? So lösen Sie keine Probleme.
Lassen Sie mich weiterreden, ich werde Vorschläge machen. Brauchen wir zum Beispiel eine andere Arbeitsteilung für eine zukunftsfähige, bezahlbare Gesundheitsversorgung? Der Sachverständigenrat für die Begutachtung und Entwicklung im Gesundheitswesen hat 2007 festgestellt, dass die Übertragung von Aufgaben und Tätigkeiten an die Pflege und eine größere Handlungsautonomie nicht zu umgehen sein werden, wenn die Versorgung aufrechterhalten und verbessert werden soll. Die Medizinischen Versorgungszentren sind ein Schritt in diese Richtung. Sie sind Einrichtungen, in denen Ärzte unterschiedlicher medizinischer Fachgebiete und mittlerweile nach dem Vertragsärzteänderungsgesetz auch unterschiedlicher Schwerpunktsetzung zusammenarbeiten. Darüber hinaus eignen sie sich besonders für die Kooperation mit anderen Leistungserbringern wie Pflegediensten oder Therapeuten.
Patienten bieten sie eine enge Zusammenarbeit aller an der Behandlung Beteiligten und eine gemeinsame Verständigung über den Behandlungsablauf, die Behandlungsziele und die Therapie. Sie sind im Übrigen keine DDR-Erfindung. Statt den Blick zurück auf die Polikliniken zu richten, sollten wir überlegen, welche Möglichkeiten die MVZs zum Beispiel im ländlichen Raum zusätzlich bieten könnten. Wie könnten die Menschen bei abnehmender Mobilität hinkommen und wie kann vielleicht kommunale Verwaltung Angebote nahe an den Gesundheitseinrichtungen machen? Welche Möglichkeiten der Begegnung lassen sich denn mit diesen medizinischen Versorgungszentren verbinden? Die Einsamkeit der älteren Menschen wird zunehmend ein Problem, das sich im Übrigen auch gesundheitlich auswirkt. Wir brauchen einfach mehr Mut, Neues zu denken.
Das Gemeindeschwesterprojekt „AGnES“ ist ein gutes Modell, aber ich hätte mir eine innovativere Ausgestaltung des Projektes gewünscht, und zwar mit mehr Kompetenzen für die Gemeindeschwestern. Das heißt dann aber auch, dass wir über Ausbildung neu nachdenken müssen. Im angelsächsischen Raum haben Schwestern mehr Kompetenzen. In den USA gibt es ein sechssemestriges Studium für Schwestern, die danach auch mehr Verantwortung tragen. Das geht so in Deutschland nur, wenn wir uns wagen, über die Aufgabenteilung von Ärzten und anderem medizinischem Personal nachzudenken. Ich bin sehr dafür, dass wir uns keine Denkverbote auferlegen. Wenn wir die Pflege professionalisieren wollen, brauchen wir grundständige, primär qualifizierende Pflegestudiengänge. Wo gibt es diese in Sachsen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausbildung ist der Schlüssel für Veränderungen. Wie könnte „AGnES“ dann weiterentwickelt werden! An die Ministerinnen würde ich die Frage stellen, wenn sie hier wären: Wo sind denn die Modellstudiengänge für Mediziner in Sachsen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die starre Grenzziehung zwischen den Berufen im Gesundheitswesen in Deutschland ist ein Teil des Problems. Außerdem legen wir zu wenig Wert auf Prävention. Dabei spart Prävention nicht nur Geld, sondern kann das Lebensgefühl wesentlich verbessern. Wie Sie wissen, gab es bereits unter RotGrün einen ersten Gesetzentwurf für ein Präventionsgesetz, der am Votum der unionsregierten Länder damals im Bundesrat gescheitert ist. Trotzdem ist es Konsens, dass gesundheitliche Prävention eine eigene Rechtsgrundlage braucht, denn Vorbeugen ist besser als Heilen.
Deshalb brauchen wir ein Präventionsgesetz. Im Dezember ist eines im Bundestag eingebracht worden, aber daran wäre viel Kritik zu üben. Notwendig wäre ein Entscheidungsgremium auf Bundesebene mit Finanzverantwortung. Wir brauchen Investitionen in Prävention. Die von der Bundesregierung vorgesehenen 350 Millionen Euro reichen dafür nicht aus. Mindestens 500 Millionen Euro sind ein guter Ausgangspunkt für einen präventionspolitischen Start.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe deutlich zu machen versucht, dass sich die Probleme mit „mehr von demselben“ nicht lösen lassen.
Zu Ihren Anträgen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, werden wir uns enthalten, weil Sie sie nach meiner Meinung selbst nicht richtig ernst nehmen, denn sonst hätten Sie sie überarbeitet, bevor Sie sie uns zur Diskussion vorlegen.
Danke. – Die zweite Runde wird eröffnet durch den Vertreter der Linksfraktion, Herrn Kollegen Wehner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann die Aufregung hier im Saal nicht verstehen, das muss ich Ihnen ehrlich gestehen.
Sie ereifern sich und interpretieren in den Antrag etwas hinein, was eigentlich überhaupt nicht drinsteht.
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Die gehen von allein! – Karin Strempel, CDU: Das habe ich nicht gesagt!)
Doch, das haben Sie so zum Ausdruck gebracht. Ich bin schon der Meinung, dass es der Anträge bedarf, die hier in Rede stehen.
Es gibt ein Wort, das schon sehr alt ist: „Es muss immer die Sorge der Gesellschaft sein, die Kranken durch eine Kur nicht arm zu machen.“ Diese Worte hat Christoph Wilhelm Hufeland gesagt – Arzt und Wissenschaftler –, der im Jahre 1810 die erste Poliklinik in Berlin einrichtete, sehr zum Nutzen der armen Kranken. In der Poliklinik wurde unentgeltlich behandelt.
Es geht hier überhaupt nicht darum, irgendeine DDRNostalgie zu betreiben, meine Damen und Herren; aber Sie werden mir recht geben – und die Bundespolitik gibt mir insoweit auch recht –, dass es ein verdammter Fehler war, als es um den Einigungsvertrag ging, diese wichtige Leistung der Polikliniken nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen zu haben! Diesen Fehler hat man erkannt!
Lassen Sie mich dennoch etwas zu dem Antrag „Medizinische Versorgungszentren in Sachsen“ in der Drucksache 4/5785 sagen. Es geht einzig und allein darum, meine Damen und Herren, eine erste Evaluierung der Medizinischen Versorgungszentren zu erhalten. Mit dem seit 2004 geltenden Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung wurde die Möglichkeit zur Bildung sogenannter Medizinischer Versorgungszentren geschaffen, die als fachübergreifende Einrichtungen ambulante medizinische Leistungen erbringen können. Hier sind die §§ 95 ff. des V. Sozialgesetzbuches einschlägig.
Nach den theoretischen Vorgaben sollen Medizinische Versorgungszentren für Patienten folgende Vorteile bringen: