Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie, was die 311er-Einrichtungen sind?
Darüber reden wir nämlich heute. Es sind die eigentlich ursprünglich abgewickelten, dann aber weiter zugelassenen und heute per § 311 SGB V zugesicherten ehemaligen Polikliniken der DDR.
Die einzige Landesregierung, die sich kraft der energiestrotzenden Sozialministerin Regine Hildebrandt damals voll hinter die Polikliniken stellte, war Brandenburg. In Berlin gab es Unterstützung des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung. Obwohl das alles ganz anders war als in Sachsen, hat auch Brandenburg dasselbe Problem wie wir: Die Ärzte sind ungleich verteilt und erhalten immer weniger Nachwuchs.
Genau darum geht es der Linken heute, wenn sie uns mit den Nachkommen der Polikliniken, die heute MVZ, Medizinische Versorgungszentren, heißen, und der alten DDR-Serie, die schon genannt wurde – „Schwester Agnes“ –, beglücken. Es sind zwei Anträge, die schon bald ihren zweiten Geburtstag feiern.
Den Sinn des Unterfangens beschreibt DIE LINKE teilweise ganz frei und offen in ihrer Pressemitteilung von vorgestern: Wieder einmal die Ärztemangeldiskussion führen im Landtag. Das ist Ihr gutes Recht, auch wenn ich mich nicht erinnern kann, dass wir auch nur einen einzigen Teilaspekt bei bisherigen Diskussionen hier im Sächsischen Landtag ausgelassen hätten.
Was DIE LINKE nicht in die Pressemitteilung schreibt, ist, dass sie sich im Wahlkampf gegen die Sozialministerin Orosz befindet, die zurzeit in Dresden Wahlkampf macht. Die Plakate der Linken in Dresden sollen etwas Öffentlichkeitswirkung durch die Debatte hier bekommen.
Aber das haben auch schon andere bei anderen Themen und Anlässen gemacht. Nur wissen muss man es, wenn man inhaltlich darauf eingehen will. Ich beteilige mich nicht an dem Wahlkampfgetöse, sondern versuche auf Ihre Argumente von vor fast zwei Jahren einzugehen.
Zu den MVZ. Hier begehrt DIE LINKE einen umfassenden Bericht, den wir heute auch erhalten. Damit ist aus meiner Sicht dieser Punkt erledigt.
Im zweiten Punkt werden eine Menge Details begehrt, von denen aus unserer Sicht viele bereits möglich oder umgesetzt sind. Aber ich will einige Punkte herausgreifen.
Was ist denn zum Beispiel Schlimmes dabei, wenn die MVZ-Gründungen nicht mehr von den Kliniken ausgehen, sondern von anderen Institutionen? Weshalb sollen sie sich dort nicht angliedern dürfen? Was ist denn daran so falsch? Ich hoffe, Herr Wehner wird dann darauf antworten.
Die Forderung des Bürokratieabbaus ist ja schon so selbstverständlich wie das „Guten Morgen“ in der Kantine. Das muss man nicht extra fordern.
Was Sie eigentlich wollen, das ist doch nicht Bürokratieabbau – das heißt am Ende auch Kontrollabbau –, sondern Sie wollen wahrscheinlich die Ärzte von Schreibarbeiten entlasten. Ich habe kein Problem damit. Das geht aber nur zum Teil und wäre sicher schneller erreichbar, wenn lediglich die wirklich notwendigen, aber nicht überzogenen Datenschutzforderungen, die besonders oft auch von Ihrer Seite kommen, wieder aufgestellt würden.
Viel versprechen wir uns von der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte mit ihren angeschlossenen Datenverarbeitungsmöglichkeiten.
Nächster Punkt. Wem möchten Sie denn – wörtlich – „die betriebswirtschaftlichen Beratungs- und Weiterbildungsmaßnahmen“ aus dem Punkt 2 anbieten? Doch nicht etwa den Ärzten selbst, die im MVZ nur Angestellte sein sollen. Das hat sich mir aus Ihrem Antrag nicht erschlossen.
Seine Annahme würde auch keinen zusätzlichen Beitrag zu dem bringen, was Sie ebenfalls vorgestern öffentlich groß ankündigten: „einen Beitrag zur Eindämmung des Ärztemangels“.
Zum Gemeindeschwesterprogramm in Sachsen und zur Umsetzung der Erfahrungen aus dem Modellprojekt AGnES. Antragspunkt 1 ist überholt, weil wir in Sachsen auf eigene Erfahrungen mit dem Modell zurückgreifen können. Bei Antragstellung war es allerdings so, dass es nur Mecklenburg-Vorpommern war.
Im Antragspunkt 2 begehren Sie die umfassende Abstimmung mit allen möglichen Betroffenen, bevor das Programm eingeführt werde. Dazu folgende Gedanken: Sachsen hat sich am Modellprojekt beteiligt und positive Ergebnisse festgestellt. Die Stellungnahme zum Antrag geht davon aus, dass circa Ende 2008 eine Entscheidung über das weitere Vorgehen möglich sein wird. Die Ministerin, die heute vertreten wird, wird darüber sicher noch einige Aussagen in ihrem schriftlich vorbereiteten Beitrag bringen. Meine Vorrednerin ist bereits darauf eingegangen.
Durch die Teilnahme am Modellprojekt sind wir sogar weit über das hinausgegangen, was Sie hier fordern. Wir konnten Erfahrungen in eng abgegrenzten Gebieten sammeln, die natürlich mit den entsprechenden Fachleuten und Betroffenen ausgewertet werden. Beispielsweise steht die Staatsregierung in enger Verbindung mit der Uni Greifswald.
Was bleibt für die Programmeinführung noch zu tun? Um es in die Regelversorgung aufnehmen zu können, müssen Regelungen auf Bundesebene getroffen werden, zum Beispiel zu fehlenden Vergütungsregelungen, Klarstellung der Delegationsfähigkeit, bis Telemedizin flächendeckend in der Regelversorgung angewendet werden kann, usw.
Derzeit befindet sich die Steuerungsgruppe zu AGnES in der Diskussion mit der Bundesregierung, um die entsprechenden Änderungen in das Pflegeweiterentwicklungsgesetz einfügen zu können. Das SMS hat dazu bereits Initiativen unternommen und erfährt auf Bundesebene auch Unterstützung. Die entsprechenden Änderungsanträge sind bereits in das Gesetzgebungsverfahren eingespeist worden.
Zum Ausblick. Sollten die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, wird Sachsen nicht zögern, das Konzept in die Regelversorgung aufzunehmen. Unser Ziel und Ziel des Programms ist ein Beitrag zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung, besonders im ländlichen Raum, und das schaffen wir auch. Natürlich haben wir noch ein besonderes, eigenes Programm im SMWA angesiedelt, das in besonderer Weise mithilft. Um es ganz klar zu sagen: Die ärztliche Versorgung, besonders im ländlichen Raum, schaffen wir auch ohne Ihre Ladenhüter aus dem Jahr 2006.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor uns liegen zwei Anträge der Linksfraktion, die sich vermeintlich mit der Verbesserung der medizinischen Versorgung der sächsischen Bevölkerung befassen. Zugleich stehen die Anträge für das, was man unter dem Begriff Ostalgie verstehen könnte, also für einen durchaus nachvollziehbaren Reflex ehemaliger Bürger aus der DDR auf einen vielfach erzwungenen Identitätsverlust. Seien wir doch mal ehrlich: Nicht alles, was damals abgewickelt wurde, war überlebt oder hatte versagt.
Es mutet allerdings ein wenig kurios an, wenn man sich vergegenwärtigt, mit welcher rhetorischen Gewandtheit man in Mecklenburg-Vorpommern das Modellprojekt eines Gemeindeschwesterprogramms konstruierte, damit durch dessen Abkürzung beim Publikum eine liebgewonnene Erinnerung assoziiert wurde. Man nahm die Namen zusammen – arztentlastende, gemeindenahe, E-Healthgestützte, systemische Intervention – und machte daraus den Begriff AGnES.
Nun soll also der Prototyp der robusten, resoluten – sehr kreativ, Herr Hahn! – und alle Probleme des täglichen Lebens meisternden Gemeindeschwester Agnes endlich mit ihrer legendären Schwalbe auch wieder dort fahren und nach dem Rechten schauen können, wo sie Mitte der Siebzigerjahre im Fernsehen begonnen hatte.
Nun gut, wir Nationaldemokraten begrüßen es prinzipiell, wenn der Typus der ambulanten Gemeindeschwester zur
flächendeckenden medizinischen Versorgung in Gebieten beitragen kann, deren Ärztedichte ausgedünnt ist. Selbstverständlich müssen dabei die Diagnostik und die grundsätzlichen Therapieentscheidungen weiterhin ärztliches Aufgabengebiet bleiben. Die Therapieausführung wird jedoch in vielen Fällen – zumal dann, wenn diese mit Hausbesuchen verbunden ist – von fahrenden und entsprechend qualifizierten Krankenschwestern übernommen werden können.
Dass dafür entsprechende rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, versteht sich von selbst. In all den dafür notwendigen Rahmenbedingungen sollte allerdings nicht vergessen werden, dass insbesondere für eine gute basismedizinische Versorgung ein ausreichender Zeitfaktor für den Patienten bleiben muss. Viele Probleme lassen sich schon dadurch klären oder zumindest mindern, wenn Arzt oder Schwester sich ausreichend Zeit nehmen, Sorgen und Probleme in Ruhe anzuhören und zu beraten.
Ein ganzheitlicher Medizinansatz ist eben nicht allein mit unserer heutigen Technikgläubigkeit realisierbar. Ich sage dies insbesondere deshalb, weil ein Wortbestandteil „EHealth“ ist, und außerdem auch im Hinblick auf Frau Strempels Appell zu Telemedizin und elektronischer Patientenkarte. Das allein wird uns nicht helfen. Frau Strempel, Sie kennen sicher die Presseerklärung der Sächsischen Landesärztekammer, die auch in Sachsen sehr skeptisch der Einführung der E-Patientenkarte gegenübersteht. – So viel zu dem einen Antrag.
Mehr Bauchschmerzen bereiten uns die heutigen Medizinische Versorgungszentren – MVZ – genannten Einrichtungen, die in der DDR die Bezeichnung „Poliklinik“ trugen. Für die NPD ist wichtig, dass hier nicht über die Hintertür eine Art Staatsmedizin verankert und das Freiberuflertum abgeschafft wird, und zwar mit allen Folgewirkungen staatlicher Zwänge für Ärzte und Patienten. Unseres Erachtens muss der Patient weiterhin das Recht auf die Möglichkeit zur freien Arztwahl haben. Wir sehen uns darin durch das Urteil des Bundessozialgerichts zum Thema Barmer Modellprojekt bestärkt.
Ebenso unerlässlich ist für uns das Recht des Arztes auf Therapiefreiheit, selbstverständlich im Rahmen der fachwissenschaftlichen Richtlinien. Die Antwort der Sächsischen Staatsregierung auf den Antrag der Linken vom 29.06.2006 lässt deutlich die Reserviertheit der Staatsregierung erkennen, die man dem Wiederaufleben der Polikliniken unter neuer Bezeichnung entgegenbringt.
Die NPD sieht, insbesondere auf fachärztlicher Ebene, durchaus Bündelungsmöglichkeiten und Einsparpotenziale, und zwar auch ohne Qualitätsverluste in – wie auch immer benannten – Medizinischen Versorgungszentren, zum Beispiel durch Bildung von Gerätegemeinschaften. Eine Umstellung des bisherigen freiberuflich organisierten, ambulanten ärztlichen Versorgungssystems auf ein staatsreguliertes Ärztewesen, möglichst im Angestelltenverhältnis, kann für uns allerdings nicht Ziel einer zukunftsorientierten Gesundheitspolitik sein.
Wegen dieser Zweiteiligkeit der Problematik werden wir uns bei dem MVZ-Antrag der Stimme enthalten. Dem Gemeindeschwesternantrag wird meine Fraktion zustimmen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die medizinische Versorgung in Sachsen ist immer mehr geprägt von überfüllten Wartezimmern und Praxen mit Schildern mit der Aufschrift „Nehme keine Patienten an“.
Doch was jetzt schon eine Zumutung für Patienten und Ärzte darstellt, ist erst der Anfang des bevorstehenden Ärztemangels in Sachsen. Es ist erst der Anfang einer der größten sozial- und gesundheitspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre.
Lange Zeit konnte sich die Staatsregierung hinter offiziellen Statistiken verstecken, die leider nicht die Wirklichkeit abbilden. Doch auch das ist nun nicht mehr möglich. Der Ärztemangel ist inzwischen nicht nur fühlbar, sondern auch statistisch sichtbar. Noch Ende letzten Jahres erklärte Frau Staatsministerin Orosz bei den Anträgen der FDP, dass es keinen Mangel, sondern nur ein Verteilungsproblem bei den Ärzten gibt. – Eine Bemerkung, die ich angesichts der Probleme für zynisch hielt.