Drucksache 4/9494, Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und die Antwort der Staatsregierung
Auch die Antwort der Staatsregierung liegt Ihnen vor. Ich gehe davon aus, dass das Thema in den kommenden Minuten noch einige Männer mehr in diesem Hause interessiert.
Ich erteile der einreichenden Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Es folgen danach CDU, Linksfraktion, SPD, NPD, FDP und die Staatsregierung. Frau Abg. Hermenau, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich weiß noch nicht so richtig, was ich davon zu halten habe, dass das Plenum den Männerproblemen ungefähr genauso viel Aufmerksamkeit widmet wie den Frauenproblemen. Das erkenne ich zumindest an der Anzahl der Personen im Plenum.
Ich weiß, für Sie kam diese Große Anfrage zur Lage der Männer in Sachsen außerordentlich unerwartet. Von den GRÜNEN haben Sie natürlich erwartet, dass wir irgendeine Frauenbejammerungsanfrage stellen. Aber darum geht es eben gerade nicht. Die Antworten auf unsere Große Anfrage haben deutlich gemacht, dass sie außerordentlich gerechtfertigt gewesen ist. Wenn Sie sich wundern, warum eine Partei, die sich besonders um Frauenfragen kümmert, diese Anfrage gestellt hat: Frauen haben ein gesteigertes Interesse daran, dass die Gesellschaft, in der sie leben, im Kleinen und im Großen funktioniert.
Wenn man die steigende Aggressivität in der Bevölkerung, besonders unter Männern, betrachtet, dann kann man nachvollziehen, woher diese Gedankengänge kommen.
Zwei Ergebnisse haben wir aus der Großen Anfrage als Überschrift herausziehen können. Das eine ist: Obwohl Männer überprivilegiert sind, was Arbeit, Macht und Geld betrifft, haben sie trotzdem die größeren Probleme im psychosozialen Bereich; denen muss man sich als Politik widmen. Die Modellversuche der Staatsregierung sind noch keine Agenda in diesem Bereich.
Das zweite Ergebnis haben wir jetzt endlich schwarz auf weiß in Zahlen und Fakten: Frauen werden in Sachsen massiv benachteiligt. – Für uns ist das nicht neu, aber Sie können es jetzt einmal nachlesen. 30 Seiten Fragen – diese zu erstellen war schon sehr aufwendig – wurden mit 600 Seiten Antwort bedacht, von denen allerdings nur 100 Seiten wirkliche Antworten der Staatsregierung waren und circa 500 Seiten Tabellen, die wir selbst ausgewertet haben. Beide Seiten haben, glaube ich, hart an dieser Sache gearbeitet.
Was kommt dabei heraus? Es kommt heraus, dass die Männer – gerade hier in Sachsen –, bei denen bestimmte Prozesse wie Globalisierung und Demografie beschleunigt und erdrückend verlaufen, Probleme haben mit ihrem Selbstwertgefühl, mit ihrer Identität als Mann, mit Problemlagen im Beruf, in der Vaterschaft oder in der Beziehung. Die Probleme der Identitätssuche von Männern in einer solchen komplexen Welt, die sehr schnell auch kompliziert werden kann, tragen die Männer meistens wie folgt aus: Entweder tun sie so, als ob es sie nichts angeht – wie die lachenden „Prachtexemplare“ hier in der Mitte –, oder aber sie folgen dem alten Grundsatz: Erstens, ein Mann hat keine Probleme, zweitens, wenn ein Mann Probleme hat, dann löst er sie allein. Das heißt dann meistens in inniger Umarmung mit der Flasche, der Droge, dem Fernsehgerät, den Chips oder wie auch immer.
Das Ergebnis ist: Ökonomisch geht es den Männern in Sachsen gut, zumindest im Vergleich zu den Frauen. Aber existenzsichernde Arbeit nimmt für beide Geschlechter gleichermaßen ab. Daraus ergeben sich neue psychosoziale Probleme. Es ist eine emotionale Belastung für einen Mann, wenn er als Familienvater nach Bayern oder Baden-Württemberg pendeln muss, um seine Familie zu ernähren. Das Modell des Haupternährers der Familie wird damit immer mehr erodiert, was ich persönlich richtig finde, aber auch Probleme aufwirft.
Der Erfolg dieses Rollenmusters, dass der Mann Alleinverdiener oder Haupternährer der Familie ist, wird geringer werden. Es wird weniger Männer geben, die das in dieser globalisierten Arbeitsteilung erfolgreich leben können. Damit muss man sich befassen; denn das Rollenklischee, das in den Köpfen existiert, ist immer noch dasselbe: Der Mann soll das Geld verdienen, die Frau soll die Kinder hüten. Dabei gibt es kleine Abstufungen von Partei zu Partei, aber im Kopf kommt es meistens auf dasselbe heraus.
Wenn aber Männer nur eine Möglichkeit haben, ein erfolgreiches Leben vorzuweisen, nämlich das als Haupternährer ihrer Familie, und merken, dass das nicht funktioniert, verweigern sie entweder die Familiengründung – das machen sie übrigens zu 50 % in der jüngeren Generation – oder aber sie leiden unter erheblichem Stress und Überforderung. Das ist einfach so. Ich empfinde es im Übrigen als gesellschaftliche Perversion, wenn man sich vor Augen führt, dass zum Beispiel alleinerziehende Mütter zu 50 % während ihrer Schwangerschaft von Männern verlassen werden und dann alleinerziehend sind,
dass sie oft Hartz-IV-Empfänger sind und vaterlose Jungen damit keine Rollenvorbilder für Vaterschaft haben, wenn sie groß sind.
Sie sprechen immer ganz vollmundig vom demografischen Problem und dass zu wenige Kinder geboren werden. Ich sehe das, ehrlich gesagt, eher als eine Frage der vaterlosen Gesellschaft und der aufziehunwilligen Väter.
(Widerspruch bei der CDU, der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD – Stefan Brangs, SPD: Es geht um die Aufzucht! – Glocke der Präsidentin)
Damit Sie nicht denken, dass das irgendeiner grünen Feminismuspostille entnommen wäre: Das „Handelsblatt“ vom 27. Februar 2008 – es steht nun wirklich nicht unter dem Geruch einer postfeministischen Postille – hat festgestellt, dass Männer Angst vor der Familiengründung haben, dass der wachsende Wettbewerbsdruck und die Einstellung der Unternehmen zu Familienvätern immer deutlicher dazu führen, dass sich junge Männer überfordert fühlen und dass die Ursachen von Kinderlosigkeit in Deutschland zu einem großen Teil männlich sind. – Das sollten Sie sich alle einmal durch den Kopf gehen lassen.
Wenn man genau hinschaut, dann ist der massive Abbau von Arbeitsplätzen im Produktionsbereich etwas, das nicht nur die Frauen betroffen hat, sondern zunehmend auch Männer betrifft. Das ist das eigentlich Neue – ökonomisch gesehen – der Industrienationen: der Anstieg der männlichen Arbeitslosigkeit mit all den Konsequenzen, die daraus folgen. Es gibt inzwischen auch schon Überlappungen, dass Bildungsunterschiede an Bedeutung gewinnen und Geschlechterunterschiede dadurch geringer werden.
Es ist kein Geheimnis – das können Sie in der Antwort auf die Große Anfrage nachlesen –, dass Bildungsverlierer grob gesprochen in der Perspektive eher männlich und Bildungsgewinner in der Perspektive gesprochen eher weiblich sind. Übrigens ist das kein sächsisches Phänomen, sondern ein internationales.
Was machen die Frauen, die die Schule vielleicht besser als die Männer abgeschlossen haben? Sie erkennen, dass sie in dieser tradierten Industriegesellschaft in Sachsen keine ordentlichen Berufschancen haben, und wandern ab. Sie wundern sich dann, warum die jungen Frauen Ihr schönes Vorzeigeland nicht haben wollen.
Die globalisierte Arbeitswelt hat eine Nachfrage nach Qualifikation. Die Staatsregierung hat – ich habe das von Herrn Flath schon verschiedentlich gehört – immer mal wieder einen Modellversuch im Auge, wie man zum Beispiel den jungen Männern helfen will, die Schulzeit besser zu bewältigen. Aber Modellversuche ersetzen keine politische Agenda.
Wir sind der Auffassung, dass wir in Sachsen einen neuen Gesellschaftsvertrag brauchen, wenn man das Ganze ökonomisch mit dem gesamten Potenzial erfolgreich gestalten will. Wir verschwenden eine Menge ökonomischer Potenziale. Wenn man zum Beispiel vergleicht, dass ein Drittel der sächsischen Unternehmer weiblich ist, aber in den Chefetagen die Zweistelligkeit des prozentualen Anteils von Frauen oft nicht erreicht wird, erkennt man sehr wohl, dass es offensichtlich ein Nichtausnutzen ökonomischer Potenziale von Frauen gibt.
Wir werden Sie auch morgen noch einmal mit diesem Thema behelligen. Sie kommen also nicht davon. Wir bringen morgen einen Antrag ein, in dem es darum geht, die Quote von Professorinnen an den Hochschulen zu erhöhen. Es ist wichtig, dass Rollenmuster, zum Beispiel erfolgreiche Professorinnen, auch vorgelebt und junge Frauen ermutigt werden, hier zu bleiben und ihnen nachzueifern. Es ist wichtig, dass Netzwerke entstehen, die das befördern.
Ich muss Sie auch noch einmal an Ihren Koalitionsvertrag erinnern, meine Damen und Herren von der Koalition. Diesen haben Sie geflissentlich in den letzten Jahren ignoriert. Sie haben darin festgeschrieben, dass Sie in Zukunft leitende Posten mehr mit Frauen besetzen wollen, aber in den letzten vier Jahren haben Sie von den 86 neu zu besetzenden Posten 82 Stellen mit Männern besetzt.
Das ist nicht ganz ausgewogen, wenn ich dies einmal ironisch anmerken darf. Es ist wichtig, dass die Politik in diesen Fragen der ökonomischen Potenziale, die wir hier in Sachsen haben, mit der Wirtschaft ins Gespräch kommt, und es muss eigentlich die Normalität sein und nicht das berufliche Abstellgleis, wenn Menschen wegen der Kinder oder der Pflege Familienangehöriger, also eben wegen der Familie, zeitweise aus ihrem Beruf aussteigen.
Ich bin auch dafür, dass wir überlegen, wie wir eine Teilzeitinitiative für Führungspositionen für Eltern hinbekommen. Lieber wollen doch beide verkürzt arbeiten. Das wollen viele Menschen in diesem Land. Aber es werden oft Familien- und Kinderwünsche „verunmöglicht“, weil es diese tradierten Arbeitsmuster eben nicht möglich machen, so zu leben. Ich finde, wir müssen Schluss machen mit dem Haupternährer der Familie – männlich – und der Zuverdienerin in der Familie – weiblich –, sondern wir müssen die Arbeit für beide Geschlechter zulassen und beiden die Möglichkeit geben, das Familieneinkommen zusammen zu erwirtschaften. Das stabilisiert
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was soll man als junger Mann nach so einer schnodderigen Rede von Frau Hermenau sagen?
In dieser sind Sie derzeit zu Hause, Frau Hermenau, Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion der Bündnisgrünen.
Wenn die CDU – so wie Sie es gerade zu stilisieren versucht haben – eine so klassische Männerpartei ist, wie Sie behaupten, Frau Hermenau, dann frage ich Sie natürlich, warum die deutsche Bundeskanzlerin als erste Bundeskanzlerin aus der CDU kommt, und ich frage Sie natürlich auch: – –
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Weil sie in der DDR groß geworden ist! – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der Linksfraktion)
Warum, Frau Hermenau, stellt die CDU in Dresden mit Helma Orosz eben auch eine Frau für das Amt der Oberbürgermeisterin auf?