Protokoll der Sitzung vom 07.03.2008

dazwischen wird sich die Zahl einpendeln; so viele Menschen sind in diesem Bereich tätig. Wahrscheinlich wird die Zahl der Beschäftigten in Leiharbeit in den kommenden Jahren weiter steigen, denn durch deren höhere Flexibilität ist sie für Arbeitgeber auch attraktiver geworden.

Für Arbeitslose kann diese Form der Beschäftigung eine stabile Brücke zurück in den ersten Arbeitsmarkt sein. Über den Klebeeffekt finden sie wieder Einstieg ins Erwerbsleben. So haben 15 % aller Leiharbeitnehmer eine Festeinstellung im entleihenden Betrieb gefunden und weitere 30 % fanden im Anschluss an eine Entleihtätigkeit einen festen Job in einem anderen Betrieb.

Die Ausnahme vom AÜG-Prinzip ermöglicht, dass vormals Arbeitslose für sechs Wochen in Höhe ihres Arbeitslosengeldanspruchs entlohnt werden können, und hat sich damit aus meiner Sicht bewährt. So weit, so gut.

Zunehmend, und das wurde hier auch schon thematisiert, ist jedoch zu beobachten, dass einige Ausnahmeregelungen der Arbeitnehmerüberlassung missbraucht werden. So werden immer wieder bisher Festangestellte der Stammbelegschaften durch Leiharbeitnehmer ersetzt. Damit einher gehen Lohndumping und verschlechterte Arbeitsbedingungen. Deswegen unterstützen wir die Bemühungen, in diesem Bereich etwas zu ändern. Missbrauch gibt es auch bei der Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernen, die bisher noch nicht der Erlaubnispflicht unterliegen. Tochtergesellschaften werden beispielsweise häufig nur zu dem Zweck gegründet, Beschäftigte auszulagern, um sie anschließend wieder zurückzuverleihen. Sie müssen dann dieselbe Arbeit zu deutlich schlechteren Konditionen erledigen.

Missbrauch und Lohndumping gibt es aber auch dort, wo Leiharbeitnehmer auf der Basis ungünstigerer Tarifverträge als für die Stammbelegschaft beschäftigt werden. Auch in diesem Fall besteht Handlungsbedarf. Es gilt, die undurchsichtigen Haustarifverträge abzuschaffen. Sie stellen keine akzeptable Lösung dar. An ihre Stelle müssen die zwischen dem DGB und den Zeitarbeitsfirmen vereinbarten Regelungen treten.

Meine Damen und Herren! Arbeitgeber der Zeitarbeitsbranche, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, unterstützen diese Forderung; denn es liegt auch in ihrem Interesse, das Ausbeuterimage der Branche abzuschütteln und fair mit ihren Beschäftigten umzugehen. Es steht also außer Frage, dass die gesetzlichen Regelungen der Arbeitnehmerüberlassung modifiziert werden müssen, insbesondere in Fragen des Lohns und der Arbeitsbedingungen. Anders als von der Linksfraktion vorgeschlagen, muss dabei jedoch Augenmaß und Fingerspitzengefühl walten, damit nicht gleichzeitig die Brücke aus der Arbeitslosigkeit eingerissen wird, die Zeitarbeit für viele Beschäftigte war und ist.

Um bestehenden Missständen zu Leibe zu rücken, schlagen wir darüber hinaus folgende Änderungen des Gesetzes zur Regelung der erwerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung vor:

Erstens. Arbeitnehmerüberlassungen zwischen Konzernen und Tochterunternehmen sollten künftig einer Erlaubnispflicht unterliegen. Die Bundesagentur für Arbeit kann die Erlaubnis bei Missbrauch versagen. So können Entlassungen und die Ersetzung der Belegschaft sowie Lohndumping verhindert werden. Dem sogenannten Drehtüreffekt wird damit ein Riegel vorgeschoben.

Zweitens. Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz auf der Basis eines Tarifvertrages müssen tatsächlich Ausnahmen bleiben. Nach drei Monaten muss der Leiharbeitnehmer nach dem für die Stammbelegschaft gültigen Tarifvertrag bezahlt werden. So kann Lohndumping mittels günstigerer Tarifverträge verhindert werden.

Drittens. Vereinbarungen, die gegen die neue Festlegung verstoßen, sind unwirksam und haben zur Folge, dass betroffene Leiharbeitnehmer fest eingestellt und zu korrekten Bedingungen entlohnt werden müssen.

Meine Damen und Herren! So wird die Gleichbehandlung wieder hergestellt. Herr Brangs, Sie können diese Vorschläge gern in Ihr Papier aufnehmen. Ich bin bereit, dabei mitzuarbeiten. Außerdem unterstützen wir die Forderung der Bündnisgrünen-Bundestagsfraktion, die Leiharbeitsbranche in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufzunehmen, um so dem Tarifvertrag zwischen DGB und der Interessengemeinschaft deutscher Zeitarbeitsunternehmen Geltung zu verschaffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund der großen und weiter wachsenden Zahl von Leiharbeitern ist dieses Thema zu wichtig, als dass es den Unstimmigkeiten innerhalb der Großen Koalition im Bundestag geopfert werden darf.

(Widerspruch des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Aber auch Änderungswünsche, die bisherige Erfolge gefährden, Herr Prof. Porsch, können und wollen wir nicht unterstützen.

Meine Damen und Herren! Ich bin sicher, ein maßvolles, aber unverzügliches Handeln entsprechend den hier vorgetragenen Vorschlägen verdient auch Ihre Unterstützung, denn damit bleibt Leiharbeit sinnvoll und kann nicht mehr missbraucht werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wird weiter von den Fraktionen das Wort gewünscht? – Von der Linksfraktion Herr Abg. Zais.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist vieles gesagt worden und eigentlich haben alle bis auf Herrn Rasch die Absicht, die Leiharbeit einzugrenzen. Bei Herrn Rasch kommt die Sozialministerkonferenz der EU zum Ausdruck, die mit dem Flexicurity Prinzipien aufgestellt hat, die Flexibilisierung und materielle Sicherstellung heißen. Das heißt weiter gar nichts, Herr Rasch – und das haben Sie hier vertreten – als dass die Bundesrepublik Vorbild

ist und es damit in Europa tatsächlich weiter um den Abbau des Kündigungsschutzes geht. Sie haben es erwähnt: Lieber zwei Jahre einen befristeten Arbeitsvertrag als generell einen unbefristeten. Das heißt: weiter Verschärfung der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, Verlängerung der Lebensarbeitszeit – das hat Deutschland auch bewiesen – und Kostendämpfung bei Renten. Das würde dann alle betreffen. Dabei steht Deutschland als Vorbild in Europa da.

Deswegen ist dieser Antrag heute wichtig. Von hier aus muss das Signal an den Bundestag kommen, dass es eine solche Runde, Herr Brangs, in Europa nach dem Vorbild von Deutschland nicht geben darf.

(Widerspruch des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Herr Brangs, Sie haben zwar viel und lange geredet, aber man kann nicht einfach an der Geschichte vorbeigehen. Wie sind wir überhaupt in die Situation gekommen, dass über 600 000 Menschen in Leiharbeit beschäftigt sind? Das war vor Jahren nicht so. Zum Ersten muss man ehrlich sein, dass das alles mit Hartz IV verbunden ist. Mit dieser Gesetzgebung wurde damals das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verändert und es wurden zwei kleine Ausnahmelücken zugelassen, um den Unternehmen die Chance zu geben, Lohndumping mit Leiharbeitern in Deutschland auszuweiten.

Auch die Staatsregierung gibt uns keine Argumente, dass die Begrenzung der Leiharbeit in Deutschland, wie wir sie vorschlagen, falsch wäre. Kommen wir auf die Studie, die auch Herr Brangs benannt hat, zurück. Welche Beschäftigung bietet die Möglichkeit, in Arbeit zu kommen? Herr Morlok, wie kommen Sie denn darauf, dass die Leiharbeit 400 000 Arbeitsplätze geschaffen habe? Welches Institut Sie mir jetzt auch nennen wollen, die Leiharbeit hat tatsächliche Arbeit ersetzt. Es kann doch nicht sein, dass Sie wirklich glauben, dass die Leiharbeit zusätzlich 400 000 Arbeitsplätze aufbringt!

(Sven Morlok, FDP, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Einen kleinen Moment, Herr Morlok.

Von 1996 bis 2006 ist die Arbeitnehmerzahl bei Leiharbeit auf 600 000 gestiegen. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch Einführung eines Gesetzesparagrafen, seit 2003, im Zuge der Hartz-IV-Gesetzgebung, der die Zeitarbeitsfirmen verpflichtet, ihren Beschäftigten die jeweils im entleihenden Unternehmen üblichen Konditionen zu gewähren. Diese Gesetzesänderung klang doch gut: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleicher Urlaub für alle. Doch Müntefering und die CDU haben als Gesetzgeber einen Ausweg offengelassen, Herr Brangs. Ein eigener Zeitarbeitstarif wurde nicht installiert. Das hat Herr Morlok richtig erkannt. Das Gesetz schreibt einen Tarif vor, der von allen 4 700 Zeitarbeitsfirmen in Deutschland genutzt wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Noch einen Satz, Herr Morlok, dann kommen Sie dran.

60 % der Zeitarbeitsfirmen haben mit den Christen einen Tarifvertrag gemacht, Herr Rasch. Wie hoch ist der Einstiegslohn für die Leiharbeiter in diesem Tarifvertrag der christlichen Gewerkschaft? 5,60 Euro. Das haben Sie hier vertreten. Das ist die Tarifbindung, die angeblich so kühn und erfolgreich ist. Damit werden täglich Lohndumping und Billigtarif produziert. Das ist auch in Sachsen so.

Herr Morlok, bitte.

Herr Kollege Zais, geben Sie mir recht, dass es sich rein rechnerisch um eine Steigerung von knapp 400 000 handelt, wenn nach Aussage der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2004 385 000 Beschäftigte in der Zeitarbeitsbranche vorhanden waren und dies im Jahr 2007 771 000 sind?

(Widerspruch bei der SPD)

Aber Herr Morlok! Sie haben es nicht verstanden. Die Leiharbeit ist gestiegen. So ist es auch bei BMW in Leipzig. Glauben Sie als Leipziger, dass seit Ansiedlung von BMW in Leipzig dort ein Mehr an Arbeitsplätzen entstanden ist? Wir sprechen von zweierlei Dingen.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Herr Kollege Zais, wie vereinbart sich diese Behauptung mit der Tatsache, dass nach Angaben des Wirtschaftsministeriums 60 % der Zeitarbeitnehmer, die neu eingestellt wurden, aus der Arbeitslosigkeit kommen? Wenn Sie recht hätten, müssten die doch wohl von BMW oder sonst irgendwoher gekommen sein?

Nein. Für diese Vorlage danke ich Ihnen, Herr Morlok. Sie haben es genannt, Herr Brangs hat es genannt, die Antwort der Staatsregierung auch: 60 % sind aus der Arbeitslosigkeit in die Leiharbeit gekommen.

Wissen Sie, was das ist? Ein weiteres Argument dazu: In der Studie Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2006, Herausgeber ist die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, wird gesagt – jedoch nicht von Ihnen, Herr Staatsminister, wie auch nicht von Ihnen, Herr Morlok –, dass 50 %, also genau 45 % von den 60 % bis zu einem Jahr arbeitslos waren. Das heißt, sie haben als letzte Rettung vor dem Hartz-IV-Absturz gesagt: Jetzt übernehme ich die Leiharbeit. – Aber das sagt keiner. Deshalb sind die Arbeitslosen gezwungen – –

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Ist doch nicht schlimm!)

Doch, es ist schlimm. 5,60 Euro ist schlimm. Das können Sie ja einmal in Chemnitz verbreiten.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Verdienen doch nicht alle 5,60 Euro!)

Das heißt, sie sind gezwungenermaßen in diese Leiharbeit gegangen und dort, Herr Morlok, was dieses Lohndumping und diese moderne Sklavenhalterschaft ausmacht, werden sie wiederum in derselben Statistik nicht ausgewiesen; auch nicht in der Antwort des Staatsministers an uns auf diesen Antrag. Dort werden wiederum diese 50 % davon nur sechs Wochen beschäftigt. Sie sind fest angestellt in einer Leiharbeitsfirma, aber nur sechs Wochen beschäftigt und werden von einer Firma zur anderen geschickt. Und wissen Sie warum? Weil sie dann nur das Arbeitslosengeld für diese Wochen verlangen können, was sie vorher hatten; also wieder Niedriglohn. Wieder wird damit Lohndumping produziert in diesem Land.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Dann arbeiten sie bei BMW. Und Sie wollen mir erklären, dass das mehr Arbeitsplätze sind. Nein, sie werden ausgetauscht, weil sie billiger sind.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: So ist es!)

Verstehen Sie das?! Sie können es mir glauben.

(Zuruf des Staatsministers Thomas Jurk)

Herr Staatsminister, Sie können mir dann auch antworten.

Sie können es mir glauben, alle wissen vom Statistischen Landesamt, dass in Sachsen – und es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre – die Arbeitsplätze weniger werden, in der Industrie durch Rationalisierung weniger geworden sind. Es wäre schlimm, wenn es umgekehrt wäre.

Nein, Herr Morlok, diese Leiharbeit ist deshalb von uns berechtigt unter Beschuss, weil sie Armut durch Arbeit produziert.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Peter Klose, NPD – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Sehr richtig!)