Protokoll der Sitzung vom 07.03.2008

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Linksfraktion)

Danke. – Ich bitte die Linksfraktion, das Wort zu nehmen. Herr Abg. Kosel, bitte.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! …wšo dobre za dźĕło załołby. Auf Deutsch: Alles Gute für die Arbeit der Stiftung. Mit diesem in sorbischer Sprache niedergeschriebenen Satz beendete die Vertreterin der Bundesregierung am 19. Oktober 1991 ihre Rede auf dem Gründungsakt der Stiftung für das sorbische Volk. Der Zufall wollte es, dass der seinerzeit eigentlich zuständige Bundesinnenminister erkrankt war. Den Auftrag, ihn zu vertreten, erhielt ein junges Kabinettsmitglied ostdeutscher Provenienz, die damalige Bundesministerin für Frauen und Jugend, Dr. Angela Merkel, heute, wie bekannt, Bundeskanzlerin.

Vielleicht, meine Damen und Herren, befinden wir uns also momentan in einer Debatte, die es nicht hätte geben müssen, wenn die Bundeskanzlerin und andere Bundespolitiker ihre im Jahr 1991 gegenüber den Sorben gemachten Versprechungen und Zusagen nicht so schnell und so gründlich vergessen hätten.

Es ist daher ganz sicher sinnvoll, sich die damalige Rede von Angela Merkel in ihren wesentlichen Punkten jetzt und hier in Erinnerung zu rufen. Die Bundeskanzlerin begann zunächst mit der Feststellung, dass die Demokratie in der Bundesrepublik ganz wesentlich auf der Anerkennung von Minderheiten beruhe und dass dies selbstverständlich und ganz besonders auch für nationale Minderheiten gelte.

Dies ist eine höchst lobenswerte Aussage und damals wie heute nur zu unterstützen, wobei allerdings ein kurzer Blick ins Grundgesetz damals und leider auch heute noch hätte misstrauisch machen müssen, fehlt doch dort nach wie vor – im Gegensatz zur Paulskirchenverfassung, zur

Weimarer Verfassung und zu den DDR-Verfassungen – ein Minderheitenschutzartikel.

Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich ganz zuletzt und daher zurück zur damaligen Rede unserer heutigen Bundeskanzlerin.

„Wir wollen mit dazu beitragen“, hieß es damals bei Angela Merkel, „dass die Sorben sich auch in Zukunft frei und ungehindert in ihrer kulturellen Eigenart entwickeln können. Die Bundesregierung nimmt die Förderung der Kultur des sorbischen Volkes auch deshalb besonders ernst, weil die Sorben im Unterschied zur anderen Minderheit, der dänischen Minderheit, kein Mutterland haben, das sich ihnen verpflichtet fühlt und Sorge für ihren Erhalt und ihre Fortentwicklung trägt. Es ist gerade dem Respekt vor der traditionsreichen Geschichte und vor dem Willen des sorbischen Volkes geschuldet, dass der Bund zusammen mit den Ländern dafür sorgt, dass sie“ – die Sorben – „die notwendigen Freiräume erhalten und ihre Kultur auch wirklich entfalten können.“ Dazu könnte man eigentlich auch heute noch nur Beifall spenden.

Vergleicht man aber diese Worte mit der gegenwärtigen Politik des Bundes gegenüber der Stiftung für das sorbische Volk, die durch eine Blockade des dringend benötigten Finanzierungsabkommens und durch die bereits seit Jahren erfolgte Kürzung der Bundeszuwendung geprägt ist, so wird klar, dass die Bundeskanzlerin einfach ihre nunmehr auch schon 17 Jahre alte Rede in wesentlichen Punkten schlichtweg vergessen hat.

Herr Kosel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Kollege, ich hätte mal eine Frage: Ist Ihnen bewusst und bekannt, dass das Prädikat „sorbisches Volk“ eigentlich ein Leerbegriff ist? Es gibt nur Wenden in der Oberlausitz, keine Sorben.

Sie als Vertreter der NPD –

(Zurufe von der NPD)

oder als ehemaliger Angehöriger der NPD-Fraktion diskreditieren sich damit wieder selbst;

(Klaus-Jürgen Menzel, fraktionslos: Ich bin Halbwende!)

denn die Bezeichnung der Sorben im Freistaat Sachsen in deutscher Sprache, die sie selbst gewählt haben und wie sie sich selbst bezeichnen, ist Sorbe bzw. Sorbin für sich als Person und für ihre Sprache Sorbisch. Es ist natürlich gerade im Hinblick auf die Tradition, in der Sie stehen, bezeichnend, dass die Sorben Ihnen ein Dorn im Auge sind;

(Klaus-Jürgen Menzel, fraktionslos: Nein!)

denn nach Ihrer Konzeption sogenannten „urdeutschen Volks- und Kulturbodens“ stören die Sorben natürlich in der Lausitz.

(Gitta Schüßler, NPD: Das ist eine Unterstellung!)

Deshalb haben Sie oder Ihre Vorgänger in der Vergangenheit auch versucht, sie entweder zu germanisieren oder gar – wie in der Nazizeit – physisch zu liquidieren oder einfach wegzudefinieren – wie auch Sie das heute wieder versuchen.

(Beifall bei der Linksfraktion, der FDP und den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist deshalb – gerade um dem Vergessen bei der Bundespolitik zu wehren – dringend erforderlich, die heutige Debatte zu führen, und es ist auch gut und richtig, dass wir uns entgegen der ursprünglichen Planung dieser Debatte zu einem Zeitpunkt widmen, der auch noch das gebührende mediale Echo sichert. Andernfalls hätten die Inhalte und Ergebnisse unserer Diskussion im Berliner Bundeskanzleramt zu leicht überhört und zu schnell wieder vergessen werden können. Denn mit dem Vergessen der 1991 erklärten guten Absicht ging es wahrlich schnell – so schnell, dass sich Zweifel an ihrer Ehrlichkeit aufdrängen.

Bereits 1991 – also im Jahr der Merkel-Rede – ging das BMI intern von einer „nur vorübergehenden Bundesförderung“ aus. Ab 1993 erfolgte eine Reduzierung der Zuwendungen an die Stiftung um nunmehr etwa 20 %; doch noch weit Schlimmeres war in Berlin geplant: Seit etwa 1994 wurde durch die damalige Bundesregierung Kohl ein Finanzierungsabkommen anvisiert und im August 1998 auch abgeschlossen, das dem Bund bis 2007 die Halbierung seiner Zuwendungen ermöglicht hätte.

Der rot-grüne Regierungswechsel in Berlin und die konsequente Haltung vor allem Sachsens haben zwar die verheerendste Fehlentwicklung verhindert – dafür auch namens der Linksfraktion Respekt –; aber die durch die Bundesregierung 1998 getroffenen minderheitenpolitischen Fehlentscheidungen stehen auch jetzt noch – gleich einem Damoklesschwert – über der Förderung sorbischer Sprache und Kultur.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nunmehr, zu den vorliegenden Anträgen, aus denen sich die notwendigen Botschaften und Signale an die Bundesregierung ergeben sollen, im Einzelnen Folgendes auszuführen. Zunächst zum Antrag der Koalition: Er stellt eine Reaktion auf den zeitlich früheren und inhaltlich weitergehenden Antrag der Linksfraktion dar. Er ignoriert wesentlich die im Zusammenhang mit der Förderung sorbischer Sprache und Kultur einer Lösung harrenden Probleme und greift damit inhaltlich leider zu kurz. Ja, selbst Forderungen des sächsischen Ministerpräsidenten aus dessen „SZ“-Interview vom 07.02. dieses Jahres greift er nicht auf. Vielleicht sollten die Koalitionsfraktionen in dieser Frage gelegentlich die Konsultation mit dem Ministerpräsidenten suchen.

Allerdings stellt der Koalitionsantrag immerhin einen – und dies ist wörtlich zu nehmen: einen – Schritt in die richtige Richtung dar, dessen Bedeutung die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag keineswegs verkennt. Die Linksfraktion wird daher diesem Antrag

zustimmen – wobei wir ausdrücklich davon ausgehen, dass die Koalition den Begriff der „erforderlichen Höhe“ minderheitenrechtsfreundlich interpretiert. Hierzu fordern wir die Koalitionsfraktionen noch zur Klarstellung in der weiteren Debatte auf.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie, dass ich nunmehr um Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag der Linksfraktion werbe. Ziel des ersten Teils unseres Antrages ist es, zunächst noch einmal die rechtlichen Grundlagen für die Förderung der sorbischen Sprache und Kultur und damit auch der Finanzierung der Stiftung für das sorbische Volk klar und eindeutig darzulegen. Dies scheint wahrlich notwendig zu sein, wenn man sich zum Beispiel vergegenwärtigt, dass der Bundesrechnungshof im Jahre 2007 die Auffassung vertrat, dass der Einigungsvertrag als Rechtsgrundlage zur Förderung der sorbischen Sprache und Kultur durch den Bund „verbraucht“ sei.

Obwohl ich mich als Jurist viel mit Rechtsgeschichte und Rechtsvergleich beschäftigt habe, konnte ich bisher die Rechtsauffassung vom „verbrauchten Vertrag“ nirgendwo außerhalb des Bundesrechnungshofes ausfindig machen.

Auch wenn die Bundesebene nunmehr teilweise zurückzurudern versucht, ist es dringend nötig, hier Klarheit zu schaffen; denn wer vermag schon vorherzusehen, zu wessen Lasten als Nächstes nach Auffassung des Bundesrechnungshofes vertragliche Bestimmungen des Einigungsvertrages „verbraucht“ sind? Es liegt daher im Interesse der Rechtsklarheit für alle Beteiligten, dass die Fraktion DIE LINKE im Bundestag an den dortigen wissenschaftlichen Parlamentsdienst eine Anfrage gerichtet hat, um verbindlich festzustellen, ob sich der Einigungsvertrag in der vom Bundesrechnungshof dargestellten Weise zulasten des sorbischen Volkes verbraucht hat.

Sehr geehrte Damen und Herren, nach dem bereits genannten Interview des Ministerpräsidenten in der „Sächsischen Zeitung“ vom 07.02. dieses Jahres gehe ich davon aus, dass nunmehr zwischen den Fraktionen der demokratischen Opposition und der Koalition Konsens darüber herrscht, dass die gegenwärtige finanzielle Ausstattung der Stiftung mit Blick auf die ihr übertragenen Aufgaben als unzureichend angesehen werden muss und daher dem entsprechenden Finanzbedarf der Stiftung zu entsprechen ist.

Trotz dieser in letzter Zeit erzielten Aufklärung erscheint es notwendig, an dieser Stelle nochmals auf einige Fehlleistungen der politischen und medialen Debatte zur Stiftung in der Vergangenheit einzugehen. Da ist als Erstes das vor allem in den Medien gelegentlich pauschal gezeichnete Klischee, „die Sorben“ würden nicht effektiv mit dem zur Verfügung stehenden Geld umgehen und sich bezüglich notwendiger Strukturveränderungen „nicht bewegen“. Diese fahrlässige Pauschalisierung ist nicht nur zu Recht durch eine polnische Bürgerinitiative, die sich im europäischen Maßstab mit diskriminierender Mediensprache beschäftigt, scharf kritisiert worden, sondern hält auch einer inhaltlichen Prüfung nicht stand. Das erklärte Interesse aller in den Institutionen und

Projekten tätigen Sorbinnen und Sorben besteht darin, aus den eingesetzten finanziellen Mitteln den maximalen Mehrwert an sorbischer Sprach- und Kulturförderung zu erzielen.

Den Sorben geht es also um die Effektivität des Mitteleinsatzes. Das unterscheidet sie von denjenigen politischen Kreisen insbesondere in Berlin, denen es lediglich um eine Reduzierung der eingesetzten Mittel geht. Die Sorben haben in der Vergangenheit durchaus schmerzhafte Einsparungs- und Strukturveränderungsmaßnahmen hingenommen. So wurde seit 1993 mehr als jede dritte Stelle in den sorbischen Kultureinrichtungen gestrichen. Gleichzeitig wurden das „Haus für Sorbische Volkskultur“ und die sorbische Erwachsenensprachschule in Milkel komplett aufgelöst. Der Sächsische Rechnungshof, der über mehrere Jahre verschiedene sorbische Kultureinrichtungen überprüft hatte, hält die seinerzeitig vorgebrachten Kritikpunkte mittlerweile für erledigt.

Es ist also mehr als an der Zeit, dass der politische wie mediale Diskurs in den genannten Punkten von seiner frevelhaften und diskriminierenden Pauschalisierung ablässt.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Eine weitere Fehlleistung der bisherigen Debatte besteht in der gelegentlichen Darstellung der Sorben als bloße passive Kostgänger der öffentlichen Haushalte, die daher für jeden Euro, den die Politik ihnen zukommen lässt, in tiefe Dankbarkeit verfallen sollten.

Aus einer jüngst erstellten Studie des Institutes für Kulturelle Infrastruktur Sachsen geht hervor, dass die 60 000 in der Bundesrepublik lebenden Sorben ein Bruttoinlandsprodukt von circa 1,2 Milliarden Euro pro Jahr erwirtschaften. „Bei einer Staatsquote von 45,6 %“ – so heißt es weiter in dem Gutachten – „leisten die Sorben daher einen Beitrag von gut einer halben Milliarde Euro für die Kassen des Bundes, der Länder, der Kommunen und der Sozialversicherung.“

Die von den Sorben aufgebrachten Steuern umfassen bei einer Steuerquote von 21,7 % gut eine viertel Milliarde Euro. Somit stellen die gesamten jährlichen Zuwendungen, die der Bund, Sachsen und Brandenburg an die Stiftung zahlen, lediglich einen Rückfluss von 6,3 % der von den Sorben selbst erbrachten Steuern dar. Damit dürfte auch den Letzten innerhalb und außerhalb dieses Hohen Hauses klar sein, dass nicht die Politiker dankenswerterweise die Sorben finanzieren, sondern dass eher der gegenteilige Befund zutreffend ist. Hilfreich in der Debatte wäre es auch, wenn dieses Hohe Haus dem Beispiel des Landtags von Schleswig-Holstein folgen würde, der eine höchst interessante Kompetenzanalyse zum Thema „Minderheiten als Standortfaktor in Grenzregionen“ mit in Auftrag gegeben hat.

Meine Damen und Herren, bezüglich der ersten beiden Unterpunkte unter Punkt 2 unseres Antrages gehe ich nach dem bereits erwähnten Interview des Ministerpräsidenten in der „Sächsischen Zeitung“ davon aus, dass sie

für die Koalitionsfraktionen nunmehr zustimmungsfähig sind; denn – ich zitiere den Ministerpräsidenten –: „Ein neues Finanzierungsabkommen sollte nicht Anlass für Verhandlungen in kürzeren Abständen, sondern dauerhafte Planungsgrundlage für die Stiftung sein.“

Herr Kosel, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Natürlich.

Herr Abgeordneter, nach Ihrem finanziellen Beispiel gewinnt man den Eindruck, dass es den Sorben wirtschaftlich und finanziell wesentlich besser gehen würde, wenn sie einen eigenen unabhängigen Staat hätten. Teilen Sie diese Meinung?

(Leichte Heiterkeit)

Herr Kollege, ich habe Ihnen aus einer Studie des Instituts für Kulturelle Infrastruktur Sachsen zitiert. Ich habe zu der Frage, die Sie wahrscheinlich meinen, wiederholt ausgeführt, dass die Sorben im Freistaat Sachsen, in Brandenburg und in der Bundesrepublik zu Hause sind, dass wir hier gemeinsam mit unseren Mitbürgern deutscher und anderer Nationalität – so wie es in der Sächsischen Verfassung niedergeschrieben ist – leben und dass wir unsere Zukunft im vereinigten Europa sehen und auch einiges für diese Zukunft im vereinigten Europa beizutragen haben.

Das ist eigentlich alles, was ich auf Ihre Frage erwidern kann; ich hoffe, Sie haben mich verstanden.

Sie wollen sie nicht beantworten; danke.

Ich habe sie klar beantwortet.