Protokoll der Sitzung vom 16.04.2008

Meine Damen und Herren! Die Entfernungspauschale ist im Endeffekt – ähnlich, wie es die Eigenheimzulage war – eine Zersiedlungsprämie, die zu einer Ausweitung des Flächenverbrauchs beiträgt. Ich erinnere daran, dass im letzten Umweltbericht des neuen Ministers Wöller gerade diese Aspekte für Sachsen als hochproblematisch erkannt und benannt wurden. Die Menschen ziehen immer weiter weg von der Arbeit, da sie die Kosten des Treibstoffverbrauchs ja von der Steuer absetzen können. Mit einer unüberlegten Wiedereinführung der vollen Entfernungspauschale hätten die Menschen aber auch keinen Anreiz mehr, Benzin und damit Geld zu sparen. Ein erhöhter CO2-Ausstoß führt jedoch zu Auswirkungen auf die Klimaerwärmung und damit langfristig zu größeren Ausgaben für die Allgemeinheit. Dem Ziel einer 40prozentigen Reduzierung der CO2-Emmission bis 2020, dem sich verbal, glaube ich, auch DIE LINKE verpflichtet hat, würde der Subventionierung von Autofahrten zuwiderlaufen.

Meine Damen und Herren! Ich kenne sehr wohl – ich sehe, Frau Simon spitzt schon den Bleistift – die Argumente, dass die Entfernungspauschale keine Subvention sei, sondern Werbungskosten darstelle.

(Zuruf der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion)

Ich weise aber darauf hin – Herr Rößler hat es auch getan –, dass das Finanzgericht Köln ebenso wie das Finanzgericht Baden-Württemberg die Meinung vertritt, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit befugt war, Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte künftig im Grundsatz nicht mehr als Werbungskosten zu behandeln. Der besonderen Belastung sogenannter Fernpendler werde hinreichend Rechnung getragen, indem Aufwendungen ab dem 21. Entfernungskilometer wie Werbungskosten anerkannt würden.

Darüber hinaus weise ich darauf hin, dass die Arbeitnehmer eine Werbungskostenpauschale von 920 Euro im Jahr haben, egal, ob sie tatsächlich Aufwendungen in dieser Höhe haben oder nicht. Die wollen erst einmal nachgewiesen sein.

Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP-Fraktion auf Wiedereinführung der Entfernungspauschale in Höhe von 30 Cent ab dem ersten Kilometer entspricht nicht den ökologischen Grundsätzen, nach denen wir die Welt von morgen zu gestalten haben. Er greift außerdem einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vor, von der wir noch nicht wissen, wie sie ausfallen wird. Meine Fraktion wird deshalb diesen Antrag ablehnen.

Um es kurz zu machen, möchte ich jetzt auch noch einmal auf den nachgeschobenen Änderungsantrag der Linksfraktion eingehen. Ja, Sie setzen noch einen drauf. Sie sagen nicht: 30 Cent; Sie müssen in der populistischen Konkurrenz mit der FDP bestehen, also sagen Sie einmal 35.

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Toll! Super! Ich habe wirklich die ganzen Avancen und Papiere Ihres Fraktionsvorsitzenden, Dr. Hahn, im Ohr, und da steht dann immer drin: Wir machen eine Koalition gegen die CDU.

Ich sage Ihnen jetzt ganz klar, auch wenn Ihre Führungsspitze bei dieser für Sie wichtigen Debatte nicht anwesend ist, – –

(Andrea Roth, Linksfraktion: Hier!)

Entschuldigung, Sie sind stellvertretende Fraktionsvorsitzende, ich entschuldige mich, Frau Roth.

Ich sage Ihnen ganz klar: Wenn Sie bei einer solch entscheidenden ökologischen Frage, wie es Frau Simon gemacht hat – ich denke durchaus guten Willens –, allein diese populistische Karte ziehen, dann werden Sie jedenfalls mit uns eine Regierung oder eine Zusammenarbeit nicht erreichen können.

Es war mir ein Herzensanliegen, das hier einmal zu sagen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU und der SPD)

Das war die erste Runde der Fraktionen. Ich frage, ob es noch weiteren Redebedarf gibt. – Die Staatsregierung; Herr Staatsminister Tillich, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich wusste, dass es sich lohnt, heute Abend bei der Debatte anwesend zu sein. An und für sich sollte ich jetzt bei der Beiratssitzung der Deutschen Bundesbank sein, aber der Verlauf der Debatte und der Inhalt der Debattenbeiträge hat mir gezeigt, dass es sich gelohnt hat, hier zu bleiben.

(Holger Zastrow, FDP: Ist schöner hier, nicht?!)

Herr Zastrow, wir haben Ihnen ja mit Schreiben vom 6. März 2008 Ihre Kleine Anfrage beantwortet. Das haben Sie auch der Vollständigkeit halber erwähnt. Wir als Staatsregierung haben Ihnen deutlich gesagt, dass wir von einer Rücknahme zur Kürzung der Entfernungspauschale und davon, hier Initiativen zu ergreifen, absehen. Das hat Sie nicht daran gehindert, heute hier eine Debatte zu führen. Ich habe feststellen dürfen, dass diese Debatte von vielen sachlich richtig geführt, aber von anderen auch zum Teil sehr populistisch verwendet worden ist. Letztendlich stelle ich fest, dass genau das, was Sie erreichen wollten, eben nicht erreicht werden kann.

Zum einen haben Sie mit Ihrem Antrag einen Fehler gemacht. Zumindest zur Solidität hätte es gereicht, wenn Sie nicht nur einen Antrag auf Wiedereinführung der Entfernungspauschale gestellt hätten; sondern Sie wären dann glaubwürdig gewesen, wenn Sie zumindest einen Vorschlag gemacht hätten – Kollege Rößler erwähnte es –, wie die Steuerausfälle für die öffentlichen Haushalte an anderer Stelle kompensiert werden können. Aber das sind

Sie uns und diesem Plenum schuldig geblieben. Das ist in der Vergangenheit immer ein guter Stil in diesem Haus gewesen.

Herr Lichdi hat gerade darauf hingewiesen, dass es nun die unterschiedlichsten Urteile der Gerichte gibt. Die einen halten es für verfassungsgemäß, die anderen für nicht verfassungsgemäß. Das ist die Situation. Deshalb hat die Staatsregierung in ihrer Antwort an Herrn Zastrow schon darauf hingewiesen, dass wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes abwarten wollen. Dafür, dass wir abwarten wollen, sprechen auch gesetzesökonomische Gründe. Jedem in diesem Hause sollte bekannt sein, dass es auch im Bund mehrere Monate braucht, bevor ein Bundesgesetz im Gesetzblatt steht. Das, denke ich, muss ich Ihnen nicht erläutern. Zuvor müsste sich der Gesetzgeber auf ein neues Modell der Entfernungspauschale einigen. Obwohl der Sächsische Landtag dafür nicht zuständig ist, sondern der Deutsche Bundestag, hat mir die Debatte gezeigt, dass das auch im Deutschen Bundestag nicht ohne Weiteres so leicht möglich sein sollte.

Schließlich spricht gegen eine zum jetzigen Zeitpunkt wie auch immer geartete Veränderung der Entfernungspauschale die Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung treffen könnte, die mit der Rechtslage einer dann veränderten Entfernungspauschale – so wie Sie es sich vorstellen, Herr Zastrow – nicht mehr übereinstimmt, sodass dann eine erneute gesetzliche Korrektur erforderlich wäre. Das aber würde von den Bürgern zu Recht, denke ich, nicht mehr verstanden werden. Die Bürger verlangen Rechtssicherheit. Sie setzen auf den Bestand von Rechtsänderungen. Ich möchte es den Bürgern nicht zumuten, sich innerhalb kürzester Zeit auf immer wieder geänderte Gesetzeslagen einzustellen. Der Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist absehbar.

Wir, das heißt die Koalitionsfraktionen und die Staatsregierung, aber vor allem auch Sie, werte Kollegen von der FDP, sollten die notwendige Geduld mit uns aufbringen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes abwarten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Die FDP-Fraktion hat jetzt die Möglichkeit für das Schlusswort. – Herr Zastrow, bitte.

Sehr geehrter Herr Staatsminister! Natürlich hatte ich die Hoffnung, dass es uns in diesem parlamentarischen Prozess gelingt, Sie umzustimmen –

(Heiterkeit)

wie das ja oft in Parlamenten der Fall ist, auch in diesem Haus: Wenn man gute Argumente hat – wir in der Opposition erleben das ja immer wieder –, dann können diese guten Argumente selbstverständlich dazu verhelfen, die

Regierung auch einmal umzustimmen. Sie haben ja von einem neuen Politikstil gesprochen. Ich dachte, heute versuche ich es direkt einmal, vielleicht funktioniert es ja schon jetzt – wenn nicht, dann sicher beim nächsten Mal.

Ansonsten kann ich zur Finanzierung ganz klar sagen – ich habe es vorhin schon angedeutet: Allein die Steuereinnahmen des Bundes sind von 2007 im Vergleich zu 2005, also in der Zeit der Großen Koalition, um circa 40 Milliarden Euro gewachsen.

(Zuruf des Abg. Mario Pecher, SPD)

Sie sind schlichtweg auch deshalb gewachsen, weil den Berufstätigen dieses Landes eine Menge abgeknöpft worden ist. Da sind die 2,5 Milliarden Euro mit drin. Wissen Sie was? Das geben wir denen einfach zurück. Denen, die das erwirtschaftet haben, zahlen wir das als Aufschwungrendite zurück.

(Beifall bei der FDP)

Herr Pecher,

(Mario Pecher, SPD: Hier bin ich!)

bei der SPD ist man ja immer wie bei „Wünsch dir was“. Ihre Position überrascht mich absolut. Mich überrascht auch, dass Sie vor der Wahl dies sagen und nach der Wahl jenes machen. Es passt selten vorher und nachher zusammen, übrigens auch in Sachsen. Aber dafür habe ich heute keine Redezeit; das machen wir demnächst einmal. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie uns unterstützen und – im Gegenteil – dass Sie vielleicht sagen, wir seien zu kurz gesprungen. Oder Sie werden einen Änderungsantrag machen und das Ganze noch verfeinern. Denn ein Mitglied der Staatsregierung hat das Problem genauso erkannt wie wir; und das ist noch dazu der Wirtschaftsminister.

Ich möchte gern aus seiner eigenen Pressemitteilung vom 30. Oktober letzten Jahres zitieren: „Ich begrüße die Initiative der SPD-Bundestagsfraktion, die Pendlerpauschale wieder vom ersten Kilometer an zu zahlen. Sie darf jedoch nicht gekürzt, sondern muss in voller Höhe beibehalten werden. Die geradezu explodierenden Benzinpreise und die gestiegenen Bahntarife belasten die Geldbeutel von Millionen Pendlern massiv. Vor dem Hintergrund steigender Steuereinnahmen, damit meine ich auch die höheren Mehrwertsteuereinnahmen für Benzin und Diesel, halte ich die Entlastung der Pendler durchaus für finanzierbar.“ Sagen Sie, was wollen Sie eigentlich?

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion)

Was wollen Sie? Das Problem ist nur wieder, Herr Pecher: Auf den entsprechenden SPD-Gesetzentwurf im Bund warten wir immer noch. Ich warte auch auf eine entsprechende Initiative des Freistaates, zum Beispiel im Bundesrat. Ich darf auch daran erinnern, dass die SPD der Kürzung der Pendlerpauschale damals zugestimmt hatte, wie – das muss ich erwähnen – auch der Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Damit es Ihnen hier in Sachsen nicht genauso geht wie Ihren Kollegen in Berlin oder in Hessen, geben wir Ihnen eine Chance. Sie können nämlich Ihren tollen Worten, die ich alle sehr toll finde – wirklich, tatsächlich, das ist so, darüber freue ich mich –, Taten folgen lassen.

Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu!

Herr Tillich, zeigen Sie heute Ihren neuen Politikstil, heute, ganz spontan. Wir fangen heute an und schon sind wir alle froh und glücklich und schauen mal, wie es in diesem Land weitergeht.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion)

Wir treten in die Abstimmung ein. Ihnen liegt ein Änderungsantrag der Linksfraktion, Drucksache 4/11938, vor. Ich bitte um Einbringung. Frau Abg. Simon, bitte.

Frau Präsidentin, herzlichen Dank. Ich muss noch einmal kurz auf die Debatte eingehen. Herr Lichdi, ich habe nicht den Stift gespitzt, sondern den Kopf geschüttelt; denn die Position, die Sie vertreten, ist eine derart typische Großstädterposition, dass Sie die reine Lehre vom Ökowandel vollziehen wollen ohne Rücksicht auf die ländlichen Regionen.

(Beifall des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Das ist einfach sehr bedenklich.