Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat – es sind erfreuliche Zahlen. Darauf ist mein Kollege Petzold schon eingegangen. Insofern will ich sie nur kurz wiederholen, weil ich glaube, gute Zahlen kann man öfter in diesem Kreis ansprechen.

Wir haben eine Zunahme von betrieblichen Ausbildungsplätzen um 8 % gegenüber dem Vorjahr. Das sind ermutigende Zahlen. Wir haben 15 400 gemeldete Ausbildungsplätze in diesem Jahr. Das ist ein Plus von 4 %. Auch das sind Zahlen, die wir hier durchaus positiv erwähnen dürfen. Insofern ist es richtig und wichtig zu sagen, woher es kommt, und denen Dank zu sagen, die dazu beigetragen haben. Das möchte ich an dieser Stelle gern tun. Ich bedanke mich vor allem bei denen im Bereich der kleinen und mittelständischen Betriebe, den Unternehmen, die diese Plätze zur Verfügung gestellt haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Natürlich bedanke ich mich auch bei denen, die über Jahre hinweg das Thema von Startchancen für Jugendliche auf ihre Agenda geschrieben und sich mit dem Thema Ausbildung intensiv beschäftigt haben.

Die aktuelle Situation auf dem Ausbildungsmarkt ist eine positive. Das ist richtig. Aber es ist nicht eine solch positive, dass wir sagen könnten, damit hätten wir alle Probleme erledigt. Das Thema Fachkräftemangel ist angesprochen worden. Hier müssen wir als Politik auch noch einmal stärker in diese Debatte einsteigen. Es geht also darum, dass wir noch weitere Anstrengungen brauchen, um genau diesem zu erwartenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Eine Veranstaltung in Freiberg zum Thema Fachkräftemangel auf Einladung des SMWA hat mich ein wenig nachdenklich gestimmt, denn dort gab es eine zentrale Aussage in den Fachvorträgen, die hieß, viele sächsische Unternehmen wachen erst jetzt auf und sprechen erst jetzt über diesen Fachkräftemangel. Mit Blick auf eine langfristige Personalplanung und Personalentwicklung ist es aber notwendig, dass wir diesen Unternehmen Hilfestel

lung geben, damit sie dieses Problem auch bewältigen können.

Es ist in der Tat so, dass das Durchschnittsalter in den sächsischen Unternehmen bei rund 42 Jahren liegt. Es ist auch so, dass gerade dieser Bereich der über 50-Jährigen – die Mittelschicht der über 50-Jährigen – in Kürze natürlich in den wohlverdienten Ruhestand gehen wird und dass in den kommenden Jahren genau diese Unternehmen Probleme haben werden, den Nachwuchs zu generieren.

Es gibt im Bereich der Metall- und Elektroindustrie einen Evolutionsbericht, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Man geht davon aus, dass man, will man den Anteil der Fachkräfte auf dem heutigen Stand halten, dazu übergehen müsste, doppelt so viele Angebote im Bereich der Metall- und Elektroindustrie anzubieten, um diesen Fachkräftebedarf decken zu können.

Wenn man sich diesen Bericht genauer ansieht, stellt man aber fest, dass nur 21 % der Unternehmen Ausbildung als ein wichtiges Ziel deklarieren. Da müssen wir als Politik und natürlich als Staatsregierung unsere Anstrengungen weiter verstärken.

Ich will zum Schluss einige Punkte nennen, die im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen sollten. Wir wollen davon unsere Handlungsansätze als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ableiten. Es geht in der Tat darum, dass wir die duale Ausbildung stärken müssen. Es geht um die Verbesserung der Qualität und darum, dass wir duale Ausbildung in geeigneter Form anbieten können, dass wir damit einen hohen Anteil an Praxis vermitteln, um dann den Übergang einfacher zu gestalten. Es geht aber auch darum, dass wir im Bereich der Berufsorientierung weitere Überlegungen anstellen sollten, dass es eine engere Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft, zwischen Berufsberatung und Arbeitsverwaltung und zwischen regional ansässigen Unternehmen geben muss. Wir müssen auch darüber nachdenken, ob die Berufsorientierung nicht noch früher ansetzen sollte und nicht erst in Klasse sieben.

In meinem Wahlkreis gibt es ein sehr gutes Beispiel dafür. Eine große Firma in der Region hat sich jetzt auf die Fahnen geschrieben, mit Kindergärten zusammenzuarbeiten, dort technischen Unterricht spielerisch zu vermitteln und zu versuchen, das Thema Metall- und Elektroindustrie näher zu bringen.

Wir brauchen eine Erhöhung des Ausbildungsniveaus. Wir brauchen auch mit Blick auf die Schulabsolventen ein anderes Herangehen, was die Bildungspolitik und die Schulpolitik betrifft. Wir müssen überprüfen, ob all das, was wir hier vermitteln, letztlich dazu führt, dass für junge Menschen die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt erhöht werden. Wir brauchen die Unterstützung der sächsischen Wirtschaft, der KMU. Ich bin dankbar dafür, dass es da Entwicklungen gibt, aber ich glaube, eine Reihe von Unternehmen benötigt hierzu Hilfestellungen. Insofern ist mein Fazit: Wir brauchen mehr Qualität statt Quantität.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und CDU)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen schmücken sich mit der heutigen Aktuellen Debatte mit fremden Federn. Sie erfreuen sich der Entspannung auf dem Lehrstellenmarkt und tun so, als sei dies ihr Erfolg. Der Hauptgrund für die einsetzende Entspannung ist aber nicht ihre jahrelange Politik der Appelle und Freiwilligkeiten; was am meisten zur aktuellen Situation beiträgt, ist schlicht und einfach der Rückgang an jungen Menschen im Freistaat.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Um auf das Bild der fremden Federn zurückzukommen: Es ist das nackte gerupfte Huhn der Demografie, dessen Federn Sie sich heute ordengleich an die Brust heften wollen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Aktuelle Debatte haben Sie „Berufsausbildung in Sachsen und Nachfrage zum Bedarfsüberschuss“ benannt. Das legt die Vermutung nahe, dass die Lehrstellenlücke geschlossen sei. Hier hake ich ein und frage: Ist das tatsächlich so?

In der Tat ist es so, dass sich die Zahlen der Schulabgänger in den vergangenen Jahren kontinuierlich reduziert haben. Waren es vor drei Jahren noch 52 000 Absolventinnen und Absolventen, so sind es heute 37 000, und im Jahr 2011 werden es gar noch 24 000 junge Sächsinnen und Sachsen sein, die die Schule verlassen. Demgegenüber hat sich die Zahl der angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze kaum verändert. Erfreulicherweise gibt es seit dem vergangenen Jahr einen leichten Zuwachs, der vor allem dem Handwerk zuzuschreiben ist.

Die Situation war aber immer die, dass entsprechend viele junge Menschen in eine Übergangsmaßnahme eingegliedert werden mussten, sie sozusagen geparkt wurden; junge Menschen, die sich teilweise über mehrere Jahre hinweg vergeblich um eine Ausbildungsstelle bemühten und bewarben. Sie beschäftigen uns heute bekanntlich als Altbewerberinnen und Altbewerber. Deren Anteil an den Ausbildungsplatzsuchenden beträgt derzeit insgesamt über 50 %. Das ist eindeutig zu viel.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich kenne eine Zahl von 13 400. Herr Brangs sprach von 15 400 gemeldeten Ausbildungsplätzen. Wenn ich diese Zahl von Herrn Brangs nehme und der Anzahl der Suchenden gegenüberstelle, dann erhalte ich noch immer eine Lücke von über 10 000 fehlenden Lehrstellen im dualen System.

(Beifall bei der Linksfraktion – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Das ist immer noch eine Quote von zwei Bewerbern auf einen Ausbildungsplatz. Das nenne ich alles andere als einen Bedarfsüberschuss.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen! Mit dem Titel der Aktuellen Debatte und Ihrer Argumentation führen Sie in die Irre. Wenn Sie so argumentieren, entlassen Sie potenziell ausbildende Unternehmen aus ihrer Verantwortung. So erreichen Sie nicht, dass mehr Lehrstellen im dualen System geschaffen werden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Es werden wieder über 10 000 außerbetriebliche Ausbildungsstellen, vollzeitschulische Ausbildungsgänge, Langzeitpraktika und andere Maßnahmen herhalten müssen, um diese Lücke, die noch vorhanden ist, wenigstens rechnerisch schließen zu können.

Ich muss fragen: Kann das unser Ziel, kann das unser Maßstab sein? Ein eindeutiges Nein muss die Antwort sein. Wir wollen kein Verhältnis von einer Ausbildungsstelle auf zwei Bewerber. Wir wollen eins zu eins, und zwar im dualen System. Wir wollen eine Bewerberin oder einen Bewerber auf eine betriebliche Lehrstelle.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Jurk, bisher haben Sie versprochen, ein Angebot zu unterbreiten. Diese Angebote waren aber auch Eingliederungsmaßnahmen, zum Beispiel Langzeitpraktika. Jetzt unternehmen Sie einen neuen Vorstoß. Sie sprechen nun von einer Ausbildungsgarantie. Das ist erst einmal sehr löblich. Aber die Sache hat einen Haken. Diese Ausbildungsgarantie gibt es nämlich nicht heute, sondern erst ab dem Schuljahr 2009/2010.

Ich frage mich schon: Warum haben Sie sich nicht eher bemüht haben, warum Sie die Zeit für sich arbeiten lassen? So eine Garantie hätten wir schon vor einigen Jahren gebraucht. Warum haben Sie nicht eher solche Maßnahmen ergriffen, wie zum Beispiel Ausbildungsplatzabgabe oder Ähnliches, um die Situation der Bewerberinnen und Bewerber wirklich zu verbessern?

Ich werde in meinem zweiten Redebeitrag noch auf weitere Probleme eingehen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort; Frau Schüßler, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 2008 könnte das erste Jahr sein, in dem alle Schulabgänger einen Ausbildungsplatz erhalten. Ihr Verdienst daran, meine Damen und Herren von der Koalition, ist eher bescheiden, obwohl Sie sich mit dieser Erfolgsmeldung brüsten.

Die Entspannung auf dem Lehrstellenmarkt basiert zum einen auf einer positiven konjunkturellen Entwicklung, die der weltwirtschaftlichen Dynamik und damit der Außenhandelsbilanz geschuldet ist; aber der Binnenmarkt stagniert noch immer. Zum anderen aber beruht sie auf

einem rapiden Schrumpfen der Schülerzahl in Sachsen. Denn das, was Sie als demografische Herausforderung zu beschreiben pflegen, zeigt hier seine ersten Vorboten von dem, was wirklich ist: eine demografische – und wenn überhaupt noch, dann nur unter großen Anstrengungen aufzuhaltende – Katastrophe.

In den nächsten zwei bis drei Jahren aber wird sich der Lehrstellenmarkt erfreulicherweise von einer entspannten Seite zeigen. Wir wollen dem Sprecher der Dresdner IHK, Herrn Lars Fiehler, gern glauben, dass dies mit den zeitverzögerten Auswirkungen der positiven konjunkturellen Entwicklung der Weltwirtschaft zu tun hat, die jetzt auf die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe durchschlägt. Hauptsache, die Zahl der Ausbildungsplätze ist um 10 % auf nahezu 13 400 gestiegen. Auch dass aktuell noch rund 2 000 Stellen offen sind, ist eine erfreuliche Tatsache vor allem für die immer noch sehr zahlreichen Altbewerber.

Aber wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie doch einräumen, dass es in Sachsen in diesem Jahr genau die 7 000 Schüler weniger sind, die die Ausbildungsbilanz jetzt ausgeglichen erscheinen lassen.

Das ganze Drama offenbart sich aber erst, wenn man sich vor Augen hält, dass dieses Jahr 37 000 Jugendliche die Schulen im Freistaat verlassen, während es vor sechs Jahren noch gut 60 000 waren. Und in drei Jahren werden es nur noch circa 24 000 Abgänger sein, also noch einmal ein Drittel weniger als heute.

Als würde es nicht schon ausreichen, dass die jugendlichen Lehrstellenbewerber immer weniger werden, sind noch dazu immer weniger von ihnen überhaupt für eine Ausbildung brauchbar. Die Handwerkskammer in Leipzig zum Beispiel stellte verzweifelt fest, dass in ihrem Kammerbezirk 8 % aller Jugendlichen überhaupt keinen Abschluss haben und immer mehr die Schule mit einem Notendurchschnitt von „ausreichend“ und schlechter verlassen.

Außerdem wird nicht nur mangelnde Ausbildungsreife im Sinne eines schlechten Notendurchschnitts, sondern zunehmend auch mangelnde soziale Kompetenz beklagt; also einfache Sachen wie gute Manieren, Fleiß, Disziplin und Lernbereitschaft.

Wir begrüßen die Forderung des DGB, den Weg für nicht vermittelte Bewerber stärker über die Einstiegsqualifizierung frei zu machen, ihnen also ein Jahr Zeit zu geben, sich im Betrieb zu bewähren, auch wenn die Schulnoten zunächst dagegen sprechen.

Meine Damen und Herren! Nach Jahren der Industrie- und Technikfeindlichkeit, die besonders von der SPD und den GRÜNEN vorangetrieben wurde,

(Lachen des Abg. Stefan Brangs, SPD)

müssen unsere Jugendlichen endlich wieder für Mathematik und Naturwissenschaften begeistert werden, damit sie sich bei ihrer Berufswahl für eine Ausbildung zum Facharbeiter oder für ein Studium der Ingenieurwissenschaften

entscheiden. Denn gerade hier ist absehbar, dass der Bedarf in Sachsen in naher Zukunft nicht mehr gedeckt werden kann. Hier hilft vielleicht auch der weniger dezente Hinweis auf die finanziellen Möglichkeiten und das Ansehen, womit ein solcher Beruf verknüpft sein kann.