Der heutige Antrag erscheint auf den ersten Blick allerdings etwas staatsmännischer. Wer immer von Ihren Leihgehirnen den Antrag und Ihre Rede geschrieben hat, das weiß ich nicht.
Was er will und was er bezweckt, ist jedoch auch nichts anderes als das Scheitern eines friedlichen, sozialen, demokratischen und verfassten Europas, wobei Sie mit einiger Dreistigkeit versuchen, das Bundesverfassungsgericht und die Sächsische Staatsregierung für diesen Zweck einzuspannen, und das ist das Unverschämte an diesem Antrag.
Nicht etwa, dass wir die blanken Fans des Zustimmungsgesetzes für die europäische Verfassung wären, das seit Ende 2004 vorliegt und dem Bundesrat zur Begutachtung unterbreitet und am 24. Februar 2005 im Bundestag in 1. Lesung beraten bzw. derzeit in den zuständigen Ausschüssen behandelt wird.
Wenn wir den jetzt vorliegenden Verfassungsvertrag für noch nicht zustimmungsfähig halten, entspringt dies Erwägungen, die den Ihren konträr entgegenstehen.
Wir lehnen den am 29. Oktober 2004 unterzeichneten Vertrag über eine Verfassung für die Europäische Union derzeit ab, weil er keine hinreichende Grundlage für dieses vielleicht größte zivile Konfliktlösungsprojekt, das die Entwicklung hin zu einer wirklichen Europäischen Union darstellt, bieten kann. Das ist unser Problem.
Es ist uns erstens zu viel Militarisierung der Europäischen Union bis zur globalen Kriegsführungstätigkeit in den Verfassungsvertrag hineingebastelt – in Artikel 1.41 Abs. 1 etwa, in dem die Rede davon ist, dass der Vertrag
auf militärische Mittel gestützt ist. Die Formulierung in Artikel 1.41 Abs. 3 – ich zitiere: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ – riecht uns ebenso allzu sehr nach Aufrüstung als nach Verfassungsgebot wie das verankerte Ziel der Schaffung einer – Zitat –: „Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung.“ Exakt das wollen wir nicht.
in Artikel 3.171 etwa, in dem im Klartext von der Verpflichtung zum Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft im freien Wettbewerb geredet wird: Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft im freien Wettbewerb.
Diese Festlegung widerspricht nach unserer Auffassung nun tatsächlich dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, also dem Grundgesetz unserer Republik, das von der prinzipiellen Offenheit der Wirtschaftsordnung ausgeht und die Festlegung auf den Sozialstaat auch nicht zur Disposition verfassungsändernder Mehrheiten stellt. Da haben wir natürlich ein Problem mit dem Grundsatz der freien Marktwirtschaft in dem Verfassungsvertrag. Mit diesem Problem müssen wir umgehen. Wir gehen als Soziallisten damit um.
Ein Europa, das Beschäftigungspolitik – wieder Zitat – „in den Grundzügen“ der Wirtschaftspolitik unterordnet, wie dies mit den Bestimmungen in Artikel 3, 206 und 179, durch die einseitige Orientierung auf das vorherige Ziel der Preisstabilität geschieht, wollen wir so eben auch nicht mittragen. Wir wollen ein anderes.
Drittens. Trotz der löblichen Aufnahme einer Grundrechtecharta in den Verfassungsvertrag gewährleistet er uns zu wenig sichere Verankerung demokratischer und vor allem sozialer Grundrechte gewährleistet, fehlt uns vor allem auch die ausdrückliche Sozialbindung in Artikel 2 (77) ebenso, wie uns die dominante Hervorhebung der „unternehmerischen Freiheit“ in Artikel 2 (76) stört.
Wenngleich angesichts der territorialen beschäftigungspolitischen Verhältnisse in dieser Bundesrepublik Deutschland heute schon fast eine Verheißung, geht es uns dennoch nicht weit genug, dass der europäische Verfassungsvertrag nur von einem „Recht zu arbeiten“ spricht, nicht aber von einem direkten „Recht auf Arbeit“. Trotzdem ist es spannend, darüber nachzudenken, was denn, im europäischen Verfassungsvertrag aufgenommen, die Formulierung „ein Recht zu arbeiten“ in der Grundrechtecharta an konkreten Umsetzungsaufgaben für die Bundesrepublik Deutschland bringen wird. Das wird eine spannende Frage, auch in der Reichweite der nun schon vor einem guten Jahrzehnt in diesem Hause geführten Debatten über das Grundrecht auf Arbeit oder Arbeitsförderung.
Schließlich geht uns auch die Aufwertung des Europäischen Parlaments trotz eines Mehr an Mitentscheidungs
rechten nicht weit genug, weil eben dem Parlament mit diesem Verfassungstext unverändert ein Initiativrecht vorenthalten wird, das aber zwangsläufig zum Wesen des Parlaments gehört. Ein Parlament ohne Initiativrecht hat für uns mehr oder weniger einen gewissen einschränkenden Charakter und ist insofern nicht hinreichend akzeptabel.
In diesem Zusammenhang besteht für uns zudem – und wenn es Sie noch so schauert, meine Damen und Herren von der NPD – gerade darin das Problem, dass der Verfassungsvertrag das Gewicht bevölkerungsstarker Staaten bei der Abstimmung im Europäischen Rat, im Ministerrat weiter stärkt, besonders auch zugunsten der Bundesrepublik Deutschland, mithin zulasten der kleineren Länder die großen bevorteilt. Exakt das wollen wir nicht. Da liegen wir nun ganz und gar konträr zu Ihnen, weg von Ihnen.
Vor allen die Einführung der „strukturierten“ und der Ausbau der „verstärkten Zusammenarbeit“ in Artikel 1 (41) bis 1 (44) drohen den Charakter der EU als Zusammenschluss gleichberechtigter Staaten, wie es die Präambel letzten Endes auch vorschreibt, infrage zu stellen. Das ist eben die Krux. Was wir wollen und was wir hoffen, mehr oder weniger gemeinsam mit möglichst vielen Abgeordneten in diesem Hause anzustreben, ist letzten Endes ein Zusammenschluss gleichberechtigter Staaten in Europa.
Genau das ist es, was Ihnen Angst macht, meine Herrschaften von der NPD, Sie zwölf rechts außen. Wenn Europa als Bund, als Zusammenschluss gleich geachteter, friedliebender, sozialer, demokratisch verfasster Staaten funktioniert – funktioniert wohlgemerkt –, ist dies das Ende jedweder Spielart von Nationalismus, von Nationalchauvinismus und potentiellem Neonazismus,
ist das das Ende Ihrer politischen Geschäftsgrundlage. Exakt dort liegt die eigentliche Motivation für Ihren Kampf gegen Europa. Sie wissen genau: In einem Europa, das demokratisch verfasst ist, haben Sie null Zentimeter Nährboden.
Deshalb – nur deshalb – versuchen Sie von hinten durch die Brust ins Auge mittels vermeintlicher Kollision mit Artikel 24 und Artikel 20 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland den europäischen Verfassungsvertrag generell zu erden, respektive Deutschland verfassungsinkompatibel zu reden. Mitnichten kollidiert der EU-Verfassungsentwurf, den Sie als Ausdruck einer – Ihr Zitat – „gewissermaßen symbolisierten Staatswerdung der Europäischen Union“ apostrophieren, was immer das ist, eine symbolisierte Staatswerdung – –
Tut mir Leid, ich habe es in keinem Rechtswörterbuch gefunden. Es hätte mich mal interessiert. Eine Rechtkategorie ist es nicht. – Es kollidiert jedenfalls bei weitem nicht in den Punkten mit Maastricht, die Sie ansprechen.
Was das Bundesverfassungsgericht mit seinem Maastricht-Urteil 2. BVR 2134/92 und 2195/92 vom 12. Oktober judizierte, war doch etwas völlig anderes.
Herr Bartl, Sie haben eben das Stichwort „Maastricht“ in den Mund genommen. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass die französische Zeitung „Le Figaro“ im Jahr 1993 den Maastrichter Vertrag mit Blick auf die Folgen für Deutschland als „Versailles ohne Krieg“ bezeichnet hat? Ist Ihnen das bekannt aus einer französischen Zeitung?
(Dr. André Hahn, PDS: Nimm mal die Hände aus der Tasche, ist besser! – Zurufe: Oberlehrer! – Sagen Sie das mal dem Redner! – Heiterkeit)
Diese Unart habe ich soeben mit Ihnen geteilt. Da fühle ich mich von meinem Fraktionskollegen gleichermaßen kritisiert.
Auf den Punkt gebracht: Mir ist das Zitat nicht bekannt. Ich bin der Auffassung, dass ich letzten Endes, in welchem Kontext auch immer Sie etwas zitieren, immer gern den ganzen Text gelesen hätte, bevor ich Ihnen mit Ja oder Nein antworte.
(Beifall bei der PDS, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung – Uwe Leichsenring, NPD: Sie können wahrscheinlich bloß Russisch!)
Es ist nämlich ein altes Sprichwort bei den Juristen: Gesetzeskenntnis schützt vor Ohnmacht oder Dummheit. – Also, was hat denn das Bundesverfassungsgericht in dem seinerzeitigen Urteil vom 12. Oktober wirklich judiziert?
Erstens. Die Feststellung, dass die im Unionsvertrag vorgesehene Einräumung von Aufgaben und Befugnissen europäischer Organe dem Deutschen Bundestag noch – ich zitiere –
„der Vertrag mit der in ihm angelegten Dynamik einer weiteren Integration auch eine hinreichend verlässliche Grenze setzt, die eine Ausgewogenheit zwischen der Struktur gouvernementaler Entscheidungen im europäischen Staatenbund und in Entscheidungsvorbehalten
sowie Mitentscheidungsrechten des Deutschen Bundestages wahrt.“ – Siehe Blatt 32 der Urteilsabschrift.
Was hat sich denn darin in der Reichweite des Verfassungsvertrages, würde er angenommen, geändert? Sagen Sie mir das einfach, wenn Sie so klug schwadronieren über das Maastrichter Urteil! Sagen Sie es, belegen Sie es, bringen Sie Tatsachen und operieren Sie nicht bloß mit Sprechblasen, Herr Apfel, mit aufgeschriebenen Sprechblasen, und wenn der Berater weg ist, ist der Weisheit Ende.
Zweitens hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die mit den europäischen Integrationsverläufen einhergehende – wieder Zitat –
„Einschränkung der von den Wählern in den Mitgliedsstaaten ausgehenden demokratischen Legitimation das Demokratieprinzip berührt,“