Protokoll der Sitzung vom 09.03.2005

Die neuen deutschen Länder – –

(Holger Apfel, NPD: Nettozahler!)

Es wird nicht wahrer, wenn Sie lauter werden. Es bleibt bei der Lüge.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die neuen deutschen Länder haben von Europa eine Unterstützung erhalten, wie man sie in der Geschichte kaum vergleichen kann.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Der Finanzminister wird sicherlich die Zahl genauer wissen. Aber ich gehe davon aus, dass es sich um etwa zehn Milliarden Euro in der Gesamtentwicklung handeln kann. Die Regung des Finanzministers deutet daraufhin, dass es mehr sind. Mehr als zehn Milliarden Euro haben die neuen deutschen Länder an unterstützenden Geldern von Europa erhalten.

(Uwe Leichsenring, NPD: Das zahlt Deutschland jedes Jahr netto!)

Es ist unerheblich, ob wir uns jetzt darüber unterhalten, wie viel Deutschland gezahlt hat. Wir haben es als neue Länder für den Aufbau, für die Integration in dieses neue Europa erhalten und das ist ein Riesenerfolg.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wichtig, dass wir an unsere eigene Verfassungstradition anknüpfen, dass wir auch zur Wahrheit und Klarheit in diesen neuen deutschen Ländern beitragen. Deshalb bin ich für diese Integration in das neue Europa sehr dankbar.

Für die Koalitionsfraktionen möchte ich deutlich machen: Die CDU/SPD-Koalition im Freistaat Sachsen will diesen Verfassungsvertrag. Sie will diesen Verfassungsvertrag wohl wissend, dass nicht alle Träume und alle Wünsche in ihn integriert oder aufgenommen worden sind. Es gibt viele Sachen, die aus Sicht der CDU-Fraktion keinen Eingang in den Vertrag gefunden haben. Aber wir haben auch hier in diesem Landtag 1992 am Schluss der Verfassungsdiskussion gesagt: Wir wollen uns dem Kompromiss stellen. Ein Verfassungsvertrag oder eine Verfassung mündet stets in einen Kompromiss. Einen Kompromiss auszutragen und auszuhandeln ist eine riesige Leistung, die weit über alle Parteigrenzen hinweggeht und nicht an Parteigrenzen halt macht.

Wir wollen – und das will ich deutlich sagen – ein Europa, das neben der europäischen Einigung ein Europa der Regionen bleibt. Unsere Wiege, meine sehr geehrten Damen und Herren, steht in Sachsen. Unsere Vorfahren haben stets für Sachsen gestanden, aber haben immer für ein weltoffenes Sachsen gerungen. Sachsen hat eine weltoffene Tradition. Sachsen inmitten Europas war immer eine Brücke nach Europa und das soll so bleiben.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die europäische Idee ist älter und hat sich entwickelt. Sie hat sich über 50 Jahre entwickeln können. Ich glaube, das ist ein guter Prozess gewesen. Erst nach diesem langen Prozess ist eine Diskussion zu dem Verfassungsvertrag möglich geworden. Sehr zeitig und sehr deutlich hat das Bundes

verfassungsgericht eben auch diesen Prozess in seiner Entscheidung zum Maastricht-Vertrag als vernünftigen Prozess bezeichnet. Ich glaube, das ist auch ein Maßstab dafür, wie wir mit diesem Verfassungsvertrag umgehen können.

Nach all dem, was auch von meinem Vorredner gesagt wurde, möchte ich noch einmal festhalten, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Souveränität nicht verliert oder gar ihr Bestand gefährdet wäre. Die Europäische Union bleibt ihrem Charakter nach weiterhin ein Staatenbund. Die Frage, ob das Grundgesetz eine deutsche Mitgliedschaft in einem europäischen Staat erlaubt oder ausschließt, stellt sich somit genau wie im Maastricht-Urteil vom Bundesverfassungsgericht auch hier nicht.

(Uwe Leichsenring, NPD: Prof. Rupp hat keine Ahnung?!)

Ja, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist für jeden nachlesbar und sehr deutlich.

(Uwe Leichsenring, NPD: Schon 1993!)

Auf diesem Weg hat die Europäische Union – – Wissen Sie, ich verstehe gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind.

(Uwe Leichsenring, NPD: Weil Sie Unsinn erzählen! Prof. Rupp hat vor drei Tagen gesagt … – Dr. André Hahn, PDS: Na, na, na!)

Auf diesem Weg hat die Europäische Union die Stufe eines Staatenbundes überschritten und entwickelt kraft ihrer Supranationalität zunehmend eigene politische Autorität. Sie ist aber kein Bundesstaat. Der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Begriff des Staatenverbundes verortet die Europäische Union und ihre materielle Verfasstheit zwischen Bundesstaat und Staatenbund. Das heißt: souveräner Staat im Staatenbund.

Ich weiß, dass es auch Kritik zu Europa in unserem Land gibt. Vielleicht liegt es daran, dass wir oder alle politisch Handelnden zu wenig dazu beigetragen haben, dass Transparenz, Information und Wissen über Europa transportiert worden sind. Gegen die Forderung nach einer Verfassung – und es ist auch wichtig, dass man sich mit den Gegenforderungen befasst – für die Europäische Union sind in den letzten Jahren immer wieder Einwände vorgetragen worden. Das ist nicht neu. Es ist ja jetzt keine Erfindung der einreichenden Fraktion. Es gab in den letzten zehn Jahren immer auch Gegenpositionen, die vorgetragen worden sind. Es ist doch ein demokratisch legitimierter Prozess, dass man sich auch mit Gegenpositionen befasst. Ich glaube, auch die Befassung mit Gegenpositionen gibt uns die Möglichkeit, am Schluss für eine Sache zu entscheiden.

(Beifall der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Gegen eine Verfassung für die Europäische Union sind in den letzten Jahren immer wieder Einwände vorgetragen worden, die davon ausgehen, dass nur ein Staat eine Verfassung haben darf und dass nur ein Volk sich eine Verfassung geben kann. Dazu bedarf es des notwendigen gesellschaftlichen und kulturellen Konsenses. Diesen

haben wir – ich verweise nochmals auf die eingangs gesagten Worte – im Freistaat Sachsen, getragen von den Forderungen des revolutionären Herbstes 1989, bei der Erarbeitung der sächsischen Landesverfassung deutlich gespürt. Er wurde auch von den Menschen in unserem Land durch die langwierigen und vielen Diskussionen aufgenommen, die dann am Schluss zu einer Verfassung geführt haben.

Die Europäische Union sei aber kein Staat und es gäbe kein europäisches Volk. Außerdem würde sich das stets beklagte Demokratiedefizit, das auch in der Entscheidung über den Maastrichter Vertrag des Bundesverfassungsgerichts beleuchtet worden ist, mit einer von oben diktierten Verfassung verstärken – ein Argument, das zumindest ernst zu nehmen ist. Die Einwände gegen eine europäische Verfassung können dazu beitragen, das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Entwicklung eines kulturellen Konsenses und einer gemeinsamen Identität wach zu halten.

Nun muss man natürlich fragen: Wie viel Identität Europas ist nicht auch in die Identität Sachsens eingeflossen? Ist nicht auch Identität des kulturellen Europas teilweise in die sächsische Identität eingeflossen? Vielleicht haben wir als Sachsen – oder unsere Vorfahren – etwas zur Identität Europas beigetragen. Ist das nicht auch ein Austausch gewesen, der nicht innerhalb von zehn Jahren gelaufen, sondern ein Entwicklungsprozess von mehreren Jahrhunderten gewesen ist?

(Beifall bei der CDU, den GRÜNEN und der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Ich glaube, es darf nicht übersehen werden, dass gerade die Vielfalt der Traditionen, Kulturen, Religionen und Sprachen für die europäische Identität konstitutiv ist und bleibt. Diese Vielfalt hat in der europäischen Geschichte immer wieder befruchtend gewirkt und Entwicklungen hervorgebracht, die weit über die einzelnen Nationen und Regionen hinaus auf große Teile Europas übergegriffen haben. Europäische Kultur war und ist mehr als eine Addition verschiedener nationaler und regionaler Kulturen.

(Der Abg. Jürgen Gansel, NPD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Schiemann?

Nein. – Sie ist schon ein tragendes und prägendes Element des europäischen Gemeinwesens. Deshalb brauchen wir neben der europäischen Integration die europäische Wertegemeinschaft, und wir brauchen den europäischen Verfassungsvertrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich brauchen wir eine gemeinsame, abgestimmte Außenund Sicherheitspolitik. Am Anfang standen die Trümmer des Zweiten Weltkrieges, ausgehend von der deutschen Nation, die diesen Zweiten Weltkrieg nach Europa hinausgetragen hat. Die europäischen Völker waren der

Meinung, sich in einer Friedens- und Sicherheitspartnerschaft zusammenzufinden. Deshalb braucht man eine zunehmend besser abgestimmte Außen- und Sicherheitspolitik.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist ein vernünftiger Weg, dass sich die europäischen Nationen auf einen Verfassungsvertrag geeinigt haben. Ich möchte zusammenfassen:

Erstens. Konkrete, einzelne und nicht generelle Ermächtigungen für die Wahrnehmung von Hoheitsrechten durch die EU müssen vorliegen. Das ist entsprechend meinen Ausführungen erfüllt.

Zweitens bleiben dem deutschen Gesetzgeber natürlich noch Aufgaben und Befugnisse von substanziellem Gewicht. Dabei sollten die Deutschen endlich einmal aufhören, ständig mimosenhaft und technokratisch im Denken nur an irgendwelche technischen Übernahmen von Regelungen zu denken, sondern sie sollten im nationalen Rahmen mit einem Selbstverständnis in ihren Ländern dafür werben, dass man das Eigene einbringen kann. Ich glaube nicht, dass technokratisches Denken in der Zukunft viel Sinn hat. Deutschland sollte auch die Seele Europas in seine eigenen Handlungen einbeziehen und sie in diesen Diskussionsprozess einbringen.

Drittens. Für das Bundesverfassungsgericht war im Hinblick auf die Kompetenzen des Europäischen Parlaments entscheidend, dass die demokratischen Grundlagen schrittweise mit der fortschreitenden Integration ausgebaut werden. Dies ist mit der Verankerung der Gesetzgebungskompetenzen für das Europäische Parlament erfüllt. Es ist eine große Herausforderung, die von diesem Verfassungsvertrag ausgeht; denn das Europäische Parlament – auch in der Vielzahl seiner dorthin entsandten Abgeordneten und der politisch unterschiedlichen Intentionen, die dort diskutiert werden – wird diese Herausforderung aufgreifen müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Verfassung lebt davon, dass sie von den Menschen, die in einem bestimmten Gebiet wohnen, angenommen und von ihnen entsprechend gelebt wird. Ich würde mir wünschen, dass dieses Hohe Haus etwas dazu beiträgt, dass der europäische Verfassungsvertrag aufgegriffen und in das Leben auch des sächsischen Volkes integriert wird. Ich glaube nicht, dass wir unsere Souveränität und die Leistungen unserer Vorfahren deshalb aufgeben müssen. Bringen wir unsere Seele in diesen Verfassungsvertrag ein! Ich würde Sie bitten, dem Antrag Ihre Zustimmung nicht zu geben.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Die PDS-Fraktion, Herr Abg. Bartl.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie, meine Damen und meine Herren von der NPD-Fraktion, einen Antrag zu Europa einbringen oder über Europa reden wollen, schaut von vornherein das niedere Motiv und die Demagogie aus jedem Knopfloch. Selbige haben Sie, Herr

Apfel, bereits in Ihrer ersten Rede, die dieses Hohe Haus über sich ergehen lassen musste, klar umrissen, als Sie just in Erwiderung auf die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten selbigem vorwarfen, Sachsen Gesicht und Identität zu nehmen und eine fremdbestimmte Infrastrukturwüste, die von Brüssel ferngesteuert und zugrunde gerichtet werde, errichten zu wollen. Im Kreise Ihrer Vertrauten zum Neujahrsempfang der NPD am 7. Januar 2005 lamentierten Sie gar in Richtung Berlin, dass die Etablierten den Nationalstaat aufgegeben hätten. Sie hätten Deutschland vorsätzlich zur Provinz der Brüsseler Demokratie verkommen lassen, Deutschland gleichsam in einen Vielvölkerstaat umgewandelt,

(Demonstrativer Beifall des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

was für jeden Volkstreuen, als der Sie sich sehen, unerträglich sei. Andere Parteigänger schwafelten auf der gleichen schaurigen Veranstaltung von den Feinden unseres Vaterlandes, die eine Vasallenpolitik betreiben, eine Besatzerpolitik et cetera pp. Exakt in dem Tonfall kamen Sie uns auch heute daher.

(Uwe Leichsenring, NPD: Jedes Wort war wahr!)

Der heutige Antrag erscheint auf den ersten Blick allerdings etwas staatsmännischer. Wer immer von Ihren Leihgehirnen den Antrag und Ihre Rede geschrieben hat, das weiß ich nicht.