Protokoll der Sitzung vom 18.06.2008

Frau Herrmann, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Probleme von Kindern und Jugendlichen sind nicht zu lösen, ohne sie selbst einzubeziehen. Voraussetzung dafür ist, dass wir ihnen eine Stimme geben müssen, wie die moderne Soziologie fordert. Deshalb legen wir Ihnen heute unseren Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Umgang mit Kindern und der Blick auf Kindheit war – und bei vielen ist es noch so – lange geprägt von der Vorstellung, dass Kinder unfertig sind und deshalb von Erwachsenen so unterwiesen werden müssen, dass sie später der Norm entsprechen. Diese erwachsenenzentrierte Sichtweise auf Kindheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht mehr haltbar. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Deshalb sind wir verantwortlich, Bedingungen zu schaffen, dass

Erwachsene und Kinder gemeinsam den Alltag des Aufwachsens gestalten können.

Gleich an dieser Stelle ein Wort zum Wahlalter. Sicher können Kinder noch nicht die volle Verantwortung für kommunale Entscheidungen tragen. Aber die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, ist ein Prozess. Diesem Prozesscharakter tragen wir mit den Vorschlägen im Gesetzentwurf Rechnung. Wenn Kinder, so die Argumente der Vergangenheit, mit 14 oder 16 zur Verantwortung nicht fähig sind, warum sollten sie es dann mit 18 sein? Weil sie dann haftbar gemacht werden können? Auch mit 18, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Erfahrungen der Schlüssel zu Engagement und Verantwortungsübernahme. Diese Erfahrungen wollen wir allen Kindern ermöglichen und nicht dem Selbstlauf oder der Familientradition überlassen.

Wir wollen erreichen, dass Kinder ihre Sicht der Welt ganz selbstverständlich mit uns Erwachsenen teilen. Mehr noch, es soll uns allen klar sein – oder es soll uns klar

werden –, wie wertvoll und anregend auch für uns dieser Kinderblick sein kann. Konsequenterweise muss sich diese Achtung auch in unseren Entscheidungen wiederfinden. Wir wollen, dass Kinder lernen können, dass es unterschiedliche Interessen gibt, dass sie lernen können, tragfähige Kompromisse auszuhandeln, und sich dann am Ergebnis freuen können, ohne sich ausgeschlossen zu fühlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ungeheuer wichtig sind für Kinder und Jugendliche genau diese Erfolge. Erfahrungen, die mit Erfolgen verbunden sind, machen Spaß und machen Mut, es wieder zu versuchen. Ja, dann entwickeln Kinder und Jugendliche eine positive Haltung zur demokratischen Zivilgesellschaft, und sie mischen sich ein. Genau davon lebt Demokratie.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen grundsätzlich eine neue Haltung zu den eigenständigen Rechten von Kindern und Jugendlichen. Kinder sind nicht nur Empfänger von Zuwendung oder Entscheidungen zu ihrem Besten. Kinder sind vor allem auch Sender, immer auf der Suche nach dem Partner, der sie hört und der sie ernst nimmt. Natürlich haben auch Eltern die Interessen ihrer Kinder im Blick, und sie vertreten sie, die meisten jedenfalls. Natürlich ist es nicht verkehrt, wenn in Jugendparlamenten Jugendliche versuchen, kommunale Politik zu verstehen und Einfluss zu nehmen. Aber beides zusammen reicht nicht, und zwar deshalb, weil alle Kinder und Jugendlichen das Recht haben, sich selbst als Gestaltende ihres Alltags und seiner Rahmenbedingungen zu erleben. Damit dieser Anspruch durchgesetzt werden kann, sind unter anderem rechtliche Änderungen erforderlich. Genau dies schlagen wir Ihnen heute vor. Damit tragen wir außerdem dazu bei, die UN-Kinderrechtskonvention in Sachsen umzusetzen.

Die Kernpunkte unseres Gesetzes sind in der Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen, Artikel 9, zusammengefasst:

1. Die Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen wird hervorgehoben.

2. Daraus leitet sich das Recht von Kindern und Jugendlichen ab, an allen Entscheidungen, die ihr Leben unmittelbar betreffen, beteiligt zu werden.

3. Bei allen politischen und staatlichen Entscheidungen sind deren Folgen für Kinder und Jugendliche einzubeziehen.

Lassen Sie mich das im Einzelnen begründen.

Zum Ersten. Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten. Der Verweis auf die Familie in der Formulierung des Elternrechts trägt diesem eigenen Anspruch von Kindern nicht Rechnung und setzt darüber hinaus voraus, dass alle Kinder in Familien aufwachsen, die diesen Anspruch einlösen können. So wünschenswert das ist, so wissen wir doch alle, dass das nicht der Le

benswirklichkeit entspricht. Zu viele Kinder werden durch diesen lapidaren Verweis ausgeschlossen. Gerade dann, wenn Familien Probleme haben, brauchen Kinder ein soziales Umfeld, das es ihnen ermöglicht, sich trotz dieser Probleme zu entfalten. Das zeigen auch die PISAStudien immer wieder. Wir müssen ein elementares gesellschaftliches Interesse haben, dass sich die Zukunft der Kinder nicht allein aus der sozialen Herkunft vorhersagen lässt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine logische Folge: Wir brauchen Kitas, deren Mitarbeitende sich allen Kindern zuwenden können. Deshalb müssen jegliche Zulassungskriterien in Kitas weg!

Wenn die Kita die frühkindliche Entwicklung fördert, dann haben alle Kinder das Recht auf bestmögliche individuelle Förderung, ganz unabhängig vom beruflichen Status ihrer Eltern. Es ist ihr Recht auf Bildung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Zum Zweiten: Kinder können Selbstvertrauen dadurch lernen, dass sie Erfolge mit ihren Anliegen und deren Umsetzung haben. Das gilt für die Beteiligung an allen Dingen, die ihren Alltag bestimmen. Der Alltag von Fünfjährigen ist ein anderer als der von Zehn-, 14- oder 16-Jährigen. Natürlich haben die Jüngeren ganz andere Probleme, einen anderen Bezugsrahmen und andere Abstraktionsfähigkeiten.

Wenn wir GRÜNEN also die Beteiligung von Kindern an Entscheidungen fordern, dann müssen sich auch die Methoden der Beteiligung nach ihrem Alter richten. Dann geht es nicht darum, nur die Fähigen zu beteiligen, sondern alle Kinder – Jungen und Mädchen, Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder mit Handicap. Viele Sichtweisen sind gefragt und sollen auch erlebt werden können.

Für die rechtliche Umsetzung heißt das: Es gibt nicht das Beteiligungsmodell. Es gibt eine Vielzahl von Beteiligungskonzepten für unterschiedliche Altersstufen und Zusammenhänge. Und es gibt den Auftrag in § 11 SGB VIII, junge Menschen zur Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Mitverantwortung sowie zu sozialem Engagement zu befähigen. Deshalb haben die Kommunen nun die Pflicht darzulegen, dass und wie sie Jugendliche beteiligen. Konsequent ist dann auch, dass sich Jugendliche ab 14 Jahren an der Abstimmung zu Einwohneranträgen beteiligen dürfen und ab 16 das aktive Wahlrecht für Kommunalwahlen erhalten. Allein die Absenkung des Wahlalters genügt nicht – lassen Sie mich das ganz deutlich sagen. Eine solche isolierte Herabsetzung behauptet, Jugendliche sind per se einfach schon früher erwachsen.

Nicht zuletzt fordern wir zum Dritten, dass bei allen politischen und staatlichen Entscheidungen die Folgen für Kinder bedacht werden müssen. Dass das nicht selbstverständlich ist, zeigt das jüngste dramatische Beispiel aus Leipzig: Die junge drogenabhängige Mutter musste zwei

Wochen nach der Entbindung ihre Haftstrafe antreten, liebe Kolleginnen und Kollegen – zwei Wochen nach der Entbindung! Der Anlass war ungesühntes Schwarzfahren.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Besser wäre Freifahrt!)

Furchtbar, sich vorzustellen, was das für diese junge Mutter hieß. Auch ihre Angst um die Folgen für ihr Kind war absolut begründet – ganz unabhängig von dem Drama, das sich dann tatsächlich abspielte. Ihr Baby, das ohnehin schon einen schweren Weg ins Leben hatte, wurde von seiner wichtigsten Bezugsperson abgeschnitten. Ich kann nicht erkennen, dass das Kindeswohl eine Rolle bei der Entscheidung der Richterin gespielt hat.

Wir haben das Thema Kindeswohl hier und im Land in den letzten Monaten und im letzten Jahr herauf und herunter diskutiert, auch in den Medien. Offensichtlich reicht der Schutzanspruch ohne Rechtsanspruch des Kindes nicht. Rechtsanspruch bedeutet hier: der Anspruch auf gesundes Aufwachsen und der Anspruch des Kindes auf die Mutter.

Damit sind wir beim Vorhaben der Staatsregierung, ein Kinderschutzgesetz vorzustellen. Sosehr wir begrüßen, dass Kinder mehr in den Fokus rücken, so sehr verweist der Titel genau auf diesen unzureichenden Ansatz. Wir werden Kinder nur schützen, wenn wir sie selbst ermächtigen. Unsere Fraktion will Kinder schützen, indem wir ihnen Rechte geben. Dazu bedarf es Mut und einiger Anstrengungen.

In „Meine Zeitung“, einer Wochenzeitung für Kinder, Ausgabe vom 2. Juni 2008, fordert Staatsminister Wöller die Leser auf: Mischt euch ein, übernehmt Verantwortung und gestaltet eure Zukunft selbst!

Offenbar, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir ein gemeinsames Anliegen. Wir werden Sie also beim Wort nehmen. Schaffen Sie die Voraussetzungen für diese Aufforderung. Dazu müssen wir zunächst die Rechte von Kindern und Jugendlichen stärken und ihnen Raum und Stimme geben.

Unser Gesetzentwurf bietet hierfür Lösungen an. Ich freue mich auf die konstruktive Auseinandersetzung und Diskussion in den Ausschüssen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Danke schön. Das war die einreichende Fraktion.

Meine Damen und Herren, das Präsidium schlägt Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf an den Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend – federführend –, an den Innenausschuss, den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss und den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Wer kann diesem Vorschlag folgen? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist die Überweisung beschlossen und der Tagesordnungspunkt 12 abgearbeitet.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 13

Bericht der Wahlkreiskommission für die 4. Wahlperiode des Sächsischen Landtages

Drucksache 4/8037, Unterrichtung durch die Staatsregierung

Drucksache 4/12495, Beschlussempfehlung des Innenausschusses

Es ist keine Aussprache vorgesehen. Wünscht dennoch jemand das Wort? – Das kann ich nicht erkennen. Meine Damen und Herren, damit kommen wir bereits zur Abstimmung. Wir stimmen ab über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses, die Ihnen in der Drucksa

che 4/12495 vorliegt. Bei Zustimmung bitte ich um Ihr Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenstimmen? – Die Stimmenthaltungen? – Damit ist dies beschlossen und der Tagesordnungspunkt abgearbeitet.

Meine Damen und Herren, wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 14

Nachträgliche Genehmigungen gemäß Artikel 96 Satz 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen zu über- und außerplanmäßigen Ausgaben und Verpflichtungen

Drucksache 4/12471, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses

Auch hierzu ist keine allgemeine Aussprache vorgesehen. Wünscht dennoch jemand das Wort? – Das kann ich nicht feststellen.

Somit kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses in der

Drucksache 4/12471. Bei Zustimmung bitte ich um Ihr Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Die Enthaltungen? – Auch hier Einstimmigkeit. Dieser Tagesordnungspunkt ist abgearbeitet.