Und wenn dem neuen Regierungschef als erste konkrete politische Botschaft nach seiner Wahl nichts anderes einfällt als die Forderung nach einer Untertunnelung der Sächsischen Schweiz, dann spricht das Bände. Ich denke, die Menschen in Sachsen haben wahrlich andere Probleme.
Über eine schnelle Verkehrsverbindung nach Tschechien – oder auch weiter bis Wien – können wir gern sprechen; von der Tunnelidee aber sollten Sie sich verabschieden. Herr Tillich, auch dass Sie – entgegen Ihrer vorherigen Ankündigung – eben nicht zuerst unsere Nachbarn in Polen und Tschechien besuchen, sondern den Vatikan vorziehen, ist natürlich ein politisches Signal – aus unserer Sicht allerdings eines in die falsche Richtung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 19 Jahre seit der Wende haben unser Land verändert. Aber das ist keine Ruhebank, sondern eher eine Herausforderung. Opposition heißt seit 1989/90, die Finger in jede Wunde zu legen. Dies ist ein unschätzbarer Vorteil der Demokratie. Eine Regierung braucht demokratische Kontrolle, auch Gegenvorschläge. Wer wüsste das besser als jene, die die DDR und die dort fehlenden Möglichkeiten demokratischer Kontrolle erlebt haben?
„Veränderung beginnt mit Opposition“ hieß einst eine Wahlkampflosung meiner Partei. Aber dies setzt voraus, dass man weiß, wie es steht und was man ändern kann. Dabei geht es nicht nur um das prinzipiell Wünschenswerte, sondern vor allem um das tatsächlich Mögliche. Aber auch das Mögliche ist vom Willen abhängig, vom Willen, zu gestalten. Deshalb will ich heute nicht alle
meine Wünsche oder die meiner Fraktion vortragen, sondern anregen und auch Erwartungen zum Ausdruck bringen; denn auch wir erwarten etwas vom neuen MP – so wie vom vorigen Ministerpräsidenten, der unsere Erwartungen allerdings enttäuscht hat. Wir waren beim Amtsantritt von Georg Milbradt durchaus bereit, konstruktiv mitzuarbeiten, und wir sind es wieder.
Meine erste Erwartung – hier bin ich beim Ministerpräsidenten – ist die, dass in Sachsen eine bessere politische Kultur entstehen möge, eine Kultur, die vom gemeinsamen Interesse für das Land getragen ist – also von einer gemeinsamen Verantwortung – und, darauf fußend, auch von gegenseitigem Respekt und der nötigen Achtung. Die Politik ist bei vielen in Verruf gekommen – sehen wir uns nur die Wahlbeteiligung an. Wir haben nicht nur einen Ruf zu verteidigen – wir müssen ihn wiedergewinnen.
Das wäre die beste Möglichkeit, diese zugleich zu verteidigen. Demokratie ist nie ein für allemal sicher und gegeben; Demokratie lebt davon, wie sich die Menschen in die Angelegenheiten einbringen können und einbringen. Wenn es nach uns ginge, Herr Tillich, dann könnten wir ab morgen in Gespräche über eine Absenkung der Quoren für Volksanträge und Volksbegehren eintreten. Die Menschen in Sachsen wollen mehr Beteiligung, und es ist unsere gemeinsame Aufgabe, diese zu ermöglichen.
Demokratie lebt auch davon, die Wirklichkeit nicht zu verklären. Vor allem aber darf man nicht versuchen, ständig zu behaupten, dass die Regierung schon alles zum Besten wenden werde und eine demokratische linke Opposition dabei eigentlich nur stört. Hören Sie einfach auf damit – damit meine ich die CDU als Partei –, die alten Rechnungen der Vergangenheit aus der Zeit des Kalten Krieges bis zu den Wendemonaten in der Endzeit der DDR weiter herumzutragen. Sie stärken ansonsten nur den undemokratischen Teil der Opposition.
(Beifall bei der Linksfraktion – Volker Bandmann, CDU: Vor der Wahrheit aus der Vergangenheit haben Sie anscheinend immer noch Angst!)
Ich füge hinzu – Herr Bandmann –: Die notwendige Aufarbeitung der Vergangenheit kann nicht gelingen, wenn sie permanent parteipolitisch instrumentalisiert wird.
Deshalb, Herr Ministerpräsident: Springen Sie mit Ihrer Partei endlich über den Schatten und machen Sie den Weg frei für ein neues Gedenkstättengesetz!
Die völlig unnötige Konfrontation mit dem Zentralrat der Juden und den Vertretern der Sinti und Roma, den Zwangsarbeitern und den Verfolgten des Naziregimes muss endlich beendet werden. Dies könnte im verbleibenden Rest der Legislatur durchaus geleistet werden.
Ich komme zur zweiten Erwartung. Wenn Politik nach Aristoteles dafür da ist, „ein gutes Leben zu ermöglichen“, dann ist dies ein Auftrag. Der Auftrag lautet: dem Land zu nutzen und Schaden abzuwenden. Wer will das nicht? Natürlich werden unsere Auffassungen davon, was nutzt oder schadet, oft auseinandergehen. Das ist nicht schlimm, sondern normal. Wir als Linksfraktion werden alle Erfolge des Landes letztlich immer daran messen, wie es dem Schwächsten oder – sagen wir es einmal in der testamentarischen Sprache – wie es dem Geringsten ergeht. Das ist und das bleibt unser Maßstab. Politik hat Interessen zum Ausgleich zu bringen. Uns geht es dabei vor allem um die Interessen derer, die nicht an den „Honigtöpfen“ geboren wurden. Aber natürlich wissen auch wir, dass nur das verteilt werden kann, was zuvor produziert wurde. So viel Marx ist noch da bei uns.
Also werden wir die Politik der Regierung auch daran messen, wie es um den wirtschaftlichen Fortschritt steht. Wir wollen mehr und anders verteilen als die derzeitige Koalition im Bund und in Dresden, aber natürlich nur von dem, was erarbeitet wurde; und wir wissen, dass es eine Krux ist, dass wir in Sachsen immer noch mehr verbrauchen, als wir selbst erarbeiten. Unsere Lösung heißt: Wir müssen mehr erarbeiten. Aber vielleicht, Herr Ministerpräsident, können wir uns zumindest in diesem Punkt einigen.
Die dritte Erwartung. Ihre Wahl, Herr Tillich, bietet auch eine Chance. Sie sind nicht nur in Sachsen geboren, sondern Sie sind auch ein Sorbe und haben in besonderer Weise die Möglichkeit, die Brücke zu unseren Nachbarn zu stärken. Sachsen ist im Laufe der letzten 20 Jahre vom EU-Außenposten zum EU-Binnenland geworden, ohne dass es diese Veränderung wirklich reflektiert hat. Sachsen war in der Neuzeit mit Böhmen, Schlesien (bis zum Siebenjährigen Krieg) und mit Österreich wirtschaftlich verbunden. Die Trennung dieses Raumes erfolgte im Ergebnis der Nationenbildung seit dem 18. Jahrhundert.
Aber noch bis zum Ersten Weltkrieg war zum Beispiel der böhmische Wirtschaftsraum führend in Europa. Auch die kulturellen Zentren lagen beiderseits des Erzgebirges. Das Theater des Erzgebirges steht in Teplice.
Im Grunde blieben leider auch nach 1945 die Räume national abgeschottet. Nach der Wende sahen dann alle erst einmal nach Westen. Ich finde: Es ist Zeit, ja, es ist überfällig, endlich mehr den Osten in den Blick zu nehmen und uns diesem wieder verstärkt zuzuwenden.
Zum Vierten. Es scheint, als trüge ich Eulen nach Athen, aber man kann es nicht oft genug sagen: dass Sachsens
Sie wissen, dass ich Lehrer bin. Schon deshalb bin ich hier besonders aufmerksam, was geschieht oder nicht geschieht. Ich weiß, dass die CDU meint, das sächsische Schulsystem sei modern.
Wir als Linke dagegen halten die sächsische Schule für antiquiert. Wir wollen eine Schule für alle und längeres, mindestens achtjähriges gemeinsames Lernen.
Dass Sie das durchsetzen werden, Herr Ministerpräsident, das erwarte ich gar nicht von Ihnen. Dazu werden Sie auch zu kurz im Amt sein. Was dagegen geleistet werden kann, ist eine Stärkung der Chancengleichheit. Wir wissen genau – Sie auch –, dass uns schon der Bevölkerungsrückgang dazu zwingen müsste, nicht ein Talent verloren zu geben. Ganz gleich, wie unterschiedlich wir manche Entwicklung bewerten, steht zum Beispiel die Frage: Wie können wir die Situation Alleinerziehender mit Kindern vonseiten des Staates konkret verbessern?
Ihre heutige Ankündigung, den Betreuungsschlüssel in Kindergärten abzusenken, begrüßen wir ausdrücklich. Sie setzen damit eine Forderung um, die wir seit Jahren erhoben haben.
Andere Dinge warten noch immer auf eine Lösung. Was machen wir zum Beispiel mit jenen jungen Leuten, die in den Neunzigerjahren nicht ausgebildet worden sind? Wie holen wir das nach? Heute klagt die Wirtschaft über den Mangel an Fachkräften. Ich kenne noch die Diskussionen, in denen betont wurde, das sei alles keine Sache des Staates. Aber Fakt ist, dass es am Ende doch eine Sache des Staates wird, und sei es durch steigende Sozialabgaben und -ausgaben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann anders als der Ministerpräsident aus Zeitgründen nicht auf alle Politikfelder eingehen, deshalb nur einige Aussagen zu drei ausgewählten Problemen, und zwar Bildung, Soziales und Arbeit.
Zunächst zum Thema Bildung, Wissenschaft und Kultur. Dresden, die Residenz sächsischer Kurfürsten und Könige – heute Landeshauptstadt –, stand im 19. Jahrhundert in dem Ruf, ein Florenz des Nordens zu sein. Auch heute noch schmückt sich die Stadt gern mit dem Beinamen Elbflorenz. Dresden ist jedoch dabei, den Ruf als Kulturstadt zu verlieren.
Die Art und Weise, wie der gute Ruf verspielt wird, ist symptomatisch für die hiesige Landespolitik. Ein ums andere Mal wird das Welterbekomitee brüskiert, Gegner der Waldschlösschenbrücke werden als Dschihadisten und Kritiker aus den Reihen der Künstler oder der Intellektuellen als Meinungsterroristen diffamiert. Am Streit um den Welterbetitel kann man verfolgen, wie die CDU, die
Das Ganze ist einfach nur noch peinlich und hat dem Ansehen Sachsens national wie international schwer geschadet. Herr Ministerpräsident, machen Sie diesem Treiben ein Ende und bereiten Sie den Weg für einen vernünftigen Kompromiss! Der Welterbetitel muss erhalten bleiben.
In der Hochschulpolitik beschränken sich die Vorstellungen der CDU ausschließlich auf den wirtschaftlichen Nutzen. Das hat den Umbau der Universitäten und Hochschulen zu bloßen Dienstleistungsunternehmen zur Folge. In der andauernden Debatte um ein neues Hochschulgesetz im Freistaat Sachsen verfährt die CDU-Fraktion nach einer Devise des früheren hochschulpolitischen Sprechers und heutigen Ministers Roland Wöller, die dieser in einer Parlamentsdebatte in dem Satz zusammenfasste – ich zitiere –: „Modern ist nicht, dass alle so lange mitreden, dass keine Entscheidung zustande kommt.“
Dieser Satz offenbart ein zweifelhaftes Demokratieverständnis, denn er spielt die moderne Hochschule und die demokratische Mitbestimmung gegeneinander aus. Moderne Hochschulen bemühen sich demnach um Effizienz. Und dort, wo Marktmechanismen vorherrschen, wirken Mitsprache und Partizipation eher störend. Unsere Auffassung ist das nicht.
Mit dem jetzigen Entwurf für ein neues Hochschulgesetz scheint die Entpolitisierung der Hochschulen im Freistaat vorprogrammiert. CDU und SPD haben die Chance für eine zeitgemäße und vor allem demokratische Hochschulreform verpasst.
In der Schulpolitik hält die SPD durchaus intelligente Reden darüber, wie Schule gemacht werden müsse. Die konkrete Umsetzung lässt jedoch zu wünschen übrig. Auch in der Schulpolitik bestimmt leider immer noch die CDU den Kurs in Sachsen.
So steckt das Projekt Gemeinschaftsschule, das als Einstieg in den Umbau der Schule angekündigt worden war, noch immer in den Kinderschuhen. Zur konsequenten Umsetzung des pädagogisch sinnvollen Vorhabens benötigen die Schulträger endlich rechtsverbindliche Vorgaben für die Erarbeitung, Aufstellung und Eigenprüfung einer entsprechenden Konzeption.
Klar ist: Wir brauchen zur Absicherung des Unterrichts, der Schuleingangsphase und der Ganztagsangebote mehr Stellen für Lehrerinnen und Lehrer. Das wird ganz sicher ein zentraler Streitpunkt in den Haushaltsberatungen.
In einem – das will ich durchaus anerkennen – hat sich Herr Tillich wohltuend von früheren Aussagen führender CDU-Politiker abgehoben, und zwar, als er vorhin die GEW gelobt und ihr für ihre Arbeit gedankt hat. Ich