Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bartl hat angefangen, indem er den Vortrag des hochverehrten Herrn Justizministers – der unserer Debatte lauscht, wofür ich ausdrücklich dankbar bin – zum Anlass für diese Debatte genommen hat. Ich dachte, es ginge um das BKA-Gesetz; aber ich nehme gern die Gelegenheit, noch ein paar Worte zu Herrn Mackenroth zu sagen. Das, was er dort verbreitet hat, ist in der Tat nichts Neues; das erzählt er schon seit Jahren in allen möglichen Formen.
Was mich allerdings ärgert, ist diese Pose des Tabubrechers, in die er sich jetzt mit Unterstützung von Herrn Bandmann immer wieder begibt, es handle sich nicht um einen Tabubruch, den er angeblich im Interesse der Sicherheit jetzt vollführt – voll in Sorge um die Sicherheit der sächsischen Bürgerinnen und Bürger –, sondern wir wissen ja alle, dass es darum geht, endlich den von ihm ersehnten Posten des Innenministers zu ergattern.
Aber diesbezüglich hat er erst einmal noch keinen Erfolg zu vermelden. Ich möchte aber Herrn Mackenroth auch deswegen noch einmal ansprechen, weil ich mich sehr über die Pressemitteilung geärgert habe, die ich gestern von ihm lesen musste. Sie wissen alle und wir sind sehr froh, dass dieser Täter vom Heller in Dresden endlich gefasst wurde. Herr Mackenroth nimmt das zum Anlass zu sagen, wir brauchen jetzt wirklich die DNA-Analyse bei Standardmaßnahmen; das hat er wieder erzählt. Er hat den Leuten damit nicht gesagt, warum dieser Täter gefasst wurde. Er wurde nicht wegen der DNA-Rasterfahndung
gefasst – damit wurde er als Täter festgestellt; er wurde aber damit nicht aufgespürt –; sondern er wurde durch ganz normale alltägliche Polizeiarbeit aufgespürt. Und das ist gut so.
Ich frage mich tatsächlich: Warum hat es denn zwei Jahre gedauert? Ist es vielleicht möglich oder denkbar, dass man diese normale polizeiliche Arbeit deswegen vernachlässigt hat, weil man auf dieses Wundermittel GenRasterfahndung gebaut hat? Herr Innenminister und Herr Mackenroth, das ist die Frage, die hier zu stellen ist, und nicht, Massen-Gen-Rasterungen als Standardmittel zu fordern, wie Sie es getan haben.
Nein, das ist wirklich keine Politik der Sicherheit, das ist eine Politik der öffentlichen Verunsicherung, und dagegen wenden wir uns.
Zum BKA-Gesetz möchte ich zwei grundsätzliche Dinge anmerken. Was ist denn da passiert? Es ist eine grundsätzliche Veränderung des Verhältnisses zwischen Bund und Land. Das BKA bekommt jetzt die Zuständigkeit zur Terrorismusabwehr. Dazu kann man natürlich sagen, das ist in Ordnung. Aber was passiert denn damit? Man muss an dieser Stelle sehr weit in die Geschichte zurückgehen. Wir hatten einmal in ganz üblen Zeiten ein sogenanntes Reichskriminalamt, das für alles zuständig war.
Dann gab es die Begründung des Bundeskriminalamtes im Westen, und wir wissen alle, die wir uns damit beschäftigt haben: Die personelle Kontinuität war sehr weitreichend. Die damaligen Bediensteten des BKA hatten immer im Sinn, die Machtfülle des alten Reichskriminalamtes zurückzuerlangen. Das entsprach nicht der Grundrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, und zwar mit Absicht.
Jetzt sage ich: Nach 60 Jahren sind sie am Ziel angekommen; denn diese Zuständigkeit zur Terrorismusabwehr – die ja diskutabel ist, das will ich dazusagen – ist im Gesetz so schwammig formuliert, dass sie genauso unklar ist wie beispielsweise die Organisierte Kriminalität.
Das Bundeskriminalamt kann letztendlich alle Maßnahmen als notwendig für die Terrorismusabwehr erklären und sich damit selbst ihrer Zuständigkeit ermächtigen. Genau das ist der Dammbruch, der hier passiert.
Ich wundere mich schon, Herr Kollege Bandmann, dass Sie im Grunde so sang- und klanglos zulassen, dass hier
Was passiert denn grundsätzlich? Wir können jetzt nicht in die einzelnen Tatbestände hineingehen; wir haben es wirklich oft genug diskutiert, wie schon Kollege Bräunig erwähnt hat. Aber es ist mir schon wichtig festzustellen, worum es eigentlich geht: Es geht um die präventive vorsorgliche Totalerfassung aller Bürgerinnen und Bürger, die letztendlich verpflichtet wären, ihre Unschuld gegenüber dem Staat nachzuweisen. Das, meine Damen und Herren, ist eine grundsätzliche Umkehrung des Verhältnisses von Bürger und Staat im grundrechtlich geprägten Staat des Grundgesetzes.
Genau darum geht es, und das müssen wir hier auch wieder sagen. Wenn dann der Herr Unsicherheitspolitiker Mackenroth in seinen Vorträgen als Tabubrecher daherkommt und sagt, wir dürfen uns keine Denkverbote auferlegen, dann wissen wir natürlich alle, wo es herkommt: Sein intellektueller Stichwortgeber ist der Herr Isensee, der Anfang der Achtzigerjahre das sogenannte Grundrecht auf Sicherheit entwickelt hat.
Aber wir wissen auch: Das "Grundrecht auf Sicherheit“ klingt, als ob es ein individuelles Grundrecht des Bürgers wäre, und so wird es den Bürgern auch immer dargelegt. Tatsächlich geht es aber um die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Staates gegenüber den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger. Meine Damen und Herren, nicht nur die FDP, die wir hier an unserer Seite wissen, was ich ausdrücklich begrüße, sondern auch die Linksfraktion und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden sich dem entgegenstellen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen endlich eine Bürgerrechtsbewegung für mehr Datenschutz und für mehr Freiheit, die diese Freiheit endlich wieder einmal wertschätzt.
Wir brauchen das auf europäischer Ebene und wir brauchen einen Datenselbstschutz für jede Bürgerin und jeden Bürger; denn der Staat hat es leider aufgegeben, die Daten der Bürgerinnen und Bürger und die Freiheit zu schützen. Deswegen müssen wir das zunehmend selbst tun.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie versuchen, Daten aus allen Lebensbereichen zu erfassen: mittels Vorratsspeicherung der Telekommunikationsdaten, Online-Durchsuchung, Kfz-Kennzeichenerfassung, Videoüberwachung, genetischem Fingerabdruck, Verknüpfung der Sozialdatenbanken – einiges ist schon genannt worden – und jetzt am liebsten noch durch ein großes Lauschzentrum mit der neuesten Technik.
Aber dort, wo Daten aufgezeichnet werden, wird auch Missbrauch betrieben. Deutlich wurde das an den jüngsten Skandalen bei Lidl und der Telekom. Lidl versuchte, die Mitarbeiter zu bespitzeln. Die Telekom versuchte, sich – auch mittels der Daten anderer Mobilfunkbetreiber – unliebsamer Journalisten und deren Berichterstattung zu erwehren und sich sogar deren Kontendaten zu bemächtigen. Dass wir wissen, dass dieser Missbrauch auch beim Staat passiert, ist der subversiven Taktik des Aufdeckens durch den Chaos-Computer-Club zu verdanken, der zum Beispiel öffentlich machte, wie Polizisten in Wien eine bewegliche Kamera auch auf Schlafzimmer richten.
Deswegen stehen wir ganz grundsätzlich gegen die Speicherung der Kommunikationsdaten der Menschen – nicht nur im Internet, sondern überall.
Der Staat entwickelt sich mit den genannten Maßnahmen zu einem Datenkraken, der jeden Schritt nachvollziehen kann, wenn er es will. Mehrmals musste das Verfassungsgericht schon einschreiten, um die Großsicherheitsfantasien von CDU-Politikern zumindest einzuschränken. Mit der „Schäublone“ und dem Schlagwort „Stasi 2.0“ macht eine Bürgerbewegung deutlich, dass hier ein Überwachungsapparat aufgebaut wird, von dem das Überwachungsregime der DDR nur träumen konnte.
Die jüngsten Skandale und die Diskussionen in der Öffentlichkeit verändern langsam auch die Stimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern. 83 % glauben, dass es sich bei den Vorgängen nicht um Einzelfälle handelt. 57 % der Menschen sind inzwischen der Auffassung, dass der Datenschutz gestärkt werden muss.
Politik muss durchaus handeln; denn die zunehmende Digitalisierung und das Bewegen im digitalen Raum – dazu gehören Bestellungen, der Abschluss von Geschäften und die dortige Kommunikation – verlangen einen stärkeren Schutz dieser Daten. Das privatwirtschaftliche Sammeln von Daten, das zurzeit überhandnimmt, der Verkauf von Adressdaten sowie von Angaben zu persönlichen Neigungen, Kontoverbindungen, am liebsten noch zum Einkommen und zum Alter, müssen von der Politik thematisiert und unterbunden werden.
Auch die Einhaltung der Datenschutzgesetze stellen Sie sich nicht ausreichend als Aufgabe. Der für seine offenen Worte bekannte Datenschutzbeauftragte von SchleswigHolstein machte deutlich, dass auf hunderttausend datenerfassende Unternehmen vier Mitarbeiter kommen, die die Einhaltung der Datenschutzgesetze im Interesse der Bürgerinnen und Bürger kontrollieren. Das verdeutlicht den verantwortungslosen Umgang mit dem Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung.
Die totale Datenspeicherung, die Sie vorbereiten, beschränkt sich längst nicht mehr auf als gefährlich angenommene Teilgruppen, sondern betrifft die gesamte Bevölkerung. Wir wissen, dass Beobachtung Verhaltensänderung zur Folge hat. Deswegen haben inzwischen auch mehr Menschen, 34 000 Menschen, beim Bundesverfassungsgericht persönlich Beschwerde wegen des Verstoßes gegen das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingelegt. Ein solcher Aufruf zur Erhebung einer Massenverfassungsbeschwerde ist in der deutschen Geschichte einmalig. Ich möchte sagen: Wir sind an der Seite derer, die jetzt eine Bewegung zum Erhalt des Datenschutzes in Deutschland entfachen.
Es kommt etwas in Gang. Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung eingelegt. Das Land Irland klagt vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, weil es der Auffassung ist, dass die Richtlinie nicht auf einer geeigneten Rechtsgrundlage fußt.
Die Diskussion über das Verhältnis zwischen Datenerfassung und Freiheit setzt leider später ein, als die Gesetze beschlossen worden sind. Wir fordern die Rücknahme des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung. Wir haben gesehen: Die Sozialdemokratie schützt die Rechte der Bürgerinnen und Bürger an dieser Stelle nicht.
Herr Bandmann, von Ihnen hätte ich gedacht, dass Sie beim Lesen des Titels der von uns beantragten Debatte zumindest eine Ahnung vom Inhalt bekommen hätten. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer Angst zum Mittel der Politik macht, verschlechtert die Lebensbedingungen der gesamten Bevölkerung.