Protokoll der Sitzung vom 20.06.2008

Meine Damen und Herren! Das ist eine soziale Frage und es ist die Frage, ob wir weiterhin den großen Teil der Bevölkerung von der Teilhabe an der Gesellschaft ausschließen wollen. Dieses Problem verschärft sich mit der Schließung vieler Dienstleistungseinrichtungen im ländlichen Raum, und Ihre Kreisgebietsreform, liebe Koalition, ist dafür ein weiterer Schritt. Es ist doch völlig klar: Nur der öffentliche Personennahverkehr kann diese Mobilitätsarmut aufheben und beseitigen. Der ÖPNV in Sachsen braucht ein dichtes, zuverlässiges, vertaktetes und verknotetes Bahnnetz. Frau Dr. Runge hat zu Recht schon darauf hingewiesen. In diese Lücken, Frau Dr. Raatz, ist dann ergänzend ein integriertes Busnetz einzuhängen.

(Zuruf der Abg. Dr. Simone Raatz, SPD)

Also bauen Sie hier keinen Popanz auf, als ob wir etwas anderes wollten.

(Zuruf der Abg. Dr. Simone Raatz, SPD)

Schließlich sollen alternative Bedienformen, wie etwa Anrufsammeltaxis oder Bürgerbusse, tatsächlich bis in das sogenannte letzte Dorf fahren. Leider vermissen wir

hier auch Initiativen des zuständigen Verkehrsministers; denn wir brauchten für ein solches Konzept den politischen Willen, ein solches Konzept aufzubauen. Dieser Wille ist aber nicht vorhanden, wie wir aus der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten ebenfalls lernen konnten. Neben der Strecke Berlin–Dresden–Prag nennt er nur Straßenbauprojekte und dabei so unnötige wie diese herzallerliebste, geliebte B 178.

Straßenbau über alles! Im Doppelhaushalt stehen in den verschiedensten Töpfen 665 Millionen Euro für Investitionen in den Straßenbau und ganze 47 Millionen Euro für Investitionen in den ÖPNV/SPNV zur Verfügung. Das ist natürlich eine wahrhaft ausgewogene Verteilung, mit der man hier eine ordentliche Bahn- und Verkehrspolitik machen könnte.

(Prof. Gunter Bolick, CDU, steht am Mikrofon.)

Dabei möchte ich Ihnen auch gleich den Einwand, den Sie vorhin gemacht haben, wieder aus der Hand nehmen. Ich möchte die Erfolge nicht wegreden. Ich nenne die Vogtlandbahn, ich nenne auch die S-Bahn Dresden oder die Erzgebirgsbahn.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Das Millionenloch CityTunnel Leipzig gehört sicher nicht dazu. – Okay, bitte.

Herr Lichdi, Sie haben ausgeführt, dass in Sachsen zu wenig passiert ist, dass wir viel zu wenig Geld für den Bahnverkehr eingesetzt haben. Sicherlich sind wir auch nicht zufrieden mit dem, was wir erreicht haben. Aber Sie waren doch mit Ihrer Partei etliche Jahre an der Macht, in der Regierung. Warum haben Sie dort nicht die Möglichkeit, den Bahnverkehr ordentlich auszubauen, vorangebracht?

Weil wir gegen unseren Koalitionspartner SPD,

(Heiterkeit bei den GRÜNEN der SPD und der FDP)

der immer die Politik von Herrn Mehdorn verfolgt hat, leider nicht durchgekommen sind. Das wissen Sie auch ganz genau.

Zum Zweiten richtet sich unsere jetzige Kritik auf die landespolitische Dimension, darauf, dass es sich diese Staatsregierung hier bisher nicht zum Ziel gesetzt hat, überhaupt einen integrierten Sachsentakt mit einem integrierten Busnetz, mit einem integrierten alternativen Netz von Bedienformen zu erreichen. Das ist die reine Wahrheit, Kollege Brangs, auch wenn Sie sich jetzt in der ersten Reihe echauffieren.

(Lachen des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Meine Damen und Herren! Diese Koalition in Sachsen hat noch nicht einmal erkannt, dass es ein Problem der Mobilitätsarmut gibt. So werden von der Staatsregierung

keine mobilitätspolitischen Ziele verfolgt, außer vielleicht, irgendwann einmal wirklich jedes Dorf mit einer Umgehungsstraße beschenkt zu haben.

Angesichts des demografischen Wandels sind aber mehr denn je intelligente Mobilitätslösungen gefragt, Lösungen, die Mobilitätsarmut in den Zeiten der sogenannten Entleerung – ein furchtbares Wort – ländlicher Räume aufheben. Heute, da wir wahrscheinlich gerade den Peak of Oil erleben, wird Mobilität für alle noch weniger denn je durch individuelle Lösungen nach dem Motto „Je Bürger mindestens zwei Autos“ zu erreichen sein. Wir werden zu intelligenten kollektiven Mobilitätssystemen zurückkehren müssen. Hier haben Bahn, Bus und Carsharing nicht nur unübersehbare Kosten-, sondern auch Umweltvorteile.

Herr Kollege Bolick, was möglich ist, das zeigt Rheinland-Pfalz. Das Besondere an Rheinland-Pfalz ist, dass mit demselben Geldeinsatz wesentlich bessere Erfolge erzielt werden können, wenn man es eben konsequent tut. Genau das würden wir uns als ersten Schritt wünschen. Aber wir wollen eigentlich ein Modell ähnlich wie in der Schweiz haben, das noch wesentlich bessere Ergebnisse erzielt.

Es wäre die Aufgabe der Staatsregierung, des Verkehrsministers, hier intelligente Lösungen zu entwickeln. Leider kann ich noch nicht einmal den Willen dazu erkennen. Der Landesverkehrsplan ist mittlerweile im vierten Jahr überfällig. Frau Dr. Raatz, ich dachte, Sie gehen dieses Mal auch wieder darauf ein, wie jedes Mal. Sie versprechen ihn jedes Mal in dieser Debatte. Aber vielleicht sagt der Herr Minister noch etwas dazu.

Nein, meine Damen und Herren, ich denke, wir haben allen Anlass, trotz gewisser Erfolge, die wir hier in Sachsen erzielt haben, kritisch über unsere Bahnpolitik und unsere ÖPNV-Politik nachzudenken. Ich glaube nämlich, sie ist den Zukunftserwartungen und den Herausforderungen der Zukunft keinesfalls gewachsen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Ich rufe die CDUFraktion auf; Herr Heidan, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lichdi, Mobilität für alle, das ist ein edles Ziel. Ich kann Sie beruhigen, das werden wohl die meisten der anwesenden Abgeordneten auch unterstützen. Mein Kollege Prof. Bolick hat schon darauf hingewiesen, dass wir uns für Ziele einsetzen, die genau das umschreiben.

Aber, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir doch noch einen kleinen Ausflug in das wahre Leben. Herr Prof. Bolick hatte es in seiner Zwischenfrage auch schon angedeutet. Ich möchte Ihnen nur noch einmal deutlich machen, wie das abgelaufen ist. Da ging mein Blick in den Bundesverkehrswegeplan. Dort kann man feststellen, dass dieses Werk für Otto Normalverbraucher vielleicht

etwas kompliziert erscheint. Aber die Vorgänge, die dort festgeschrieben sind, sind langfristige Planungen und nicht irgendeiner politischen Laune oder Beliebigkeit unterworfen. So gab es einen Beschluss eines Bundeskabinetts mit einem Planungshorizont bis zum Jahre 2015. In diesem Bundesverkehrswegeplan sind die Vorhaben des vordringlichen Bedarfs und die Vorhaben des weiteren Bedarfs definiert. Das war sozusagen der erste Schritt.

Aufbauend auf diesem Plan erfolgte die gesetzliche Festschreibung im Bedarfsplan für die Bundesschienenwege, der die Stufen festlegt, in denen der Ausbau erfolgen soll – das Bundesschienenwegeausbaugesetz, wie es so schwierig heißt. Das war der zweite Schritt.

Der dritte Schritt wurde dann mit der sogenannten 66erListe unternommen. Diese Liste wurde auf der Grundlage der jeweiligen Bundeshaushalte festgeschrieben. So enthält die 66er-Schienenprojektliste zahlreiche Projekte, die verschoben bzw. gestrichen oder zurückgestellt wurden. Was bedeutet das im Einzelnen für Sachsen?

Erstens. Bei der Ausbaustrecke Karlsruhe–Stuttgart– Nürnberg–Leipzig bzw. bis Dresden wurde die Elektrifizierung des Abschnittes Nürnberg–Reichenbach zurückgestellt. Die sogenannte Sachsen-Franken-Magistrale stellt eine Hauptverkehrsader für Sachsen dar, weil sie die längste Ausdehnung hat, nämlich von Osten nach Westen oder umgekehrt – je nachdem, wie man es betrachtet.

Zweitens. Die Ausbaustrecke Berlin–Dresden, Hochgeschwindigkeit 200 Stundenkilometer, ist in dieser Liste nicht mehr enthalten.

Drittens. Im Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 9 Leipzig–Dresden ist die dritte Baustufe im Abschnitt Zeithain–Coswig nicht mehr enthalten.

Viertens. Die Ausbaustrecke Berlin–Cottbus–Görlitz ist ebenfalls nicht mehr enthalten.

Dann gab es noch eine sogenannte trilaterale Vereinbarung, welche die bisherige Finanzierungsregelung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes außer Kraft setzte. Nun raten Sie einmal, wann und unter wessen Handschrift das alles passiert ist, Herr Lichdi? Das passierte in der Verantwortung Ihrer verehrten Bundestagskollegen unter der nicht sehr geliebten rot-grünen Koalition auf Bundesebene. Der Bundesverkehrswegeplan, der bis zum Jahre 2015 einen Planungshorizont hat, ist im Bundeskabinett 2003 beschlossen worden; die gesetzliche Festschreibung erfolgte danach. Die Festlegung der von mir soeben zitierten 66er-Liste war eine Vereinbarung aus dem Jahre 2004 zwischen der damaligen Bundesregierung und der Deutschen Bahn AG.

Nun wollen Sie uns erzählen, wie toll Ihr Einsatz während dieser Zeit für eine Verbesserung der Schieneninfrastruktur war.

(Beifall des Abg. Prof. Gunter Bolick, CDU)

Das ist doch pure Heuchelei, was Sie hier betreiben.

Ich möchte kurz aus dem Investitionsrahmenplan, Stand 04/2007, Seite 5, zitieren: „Gegenüber dem Planungsansatz wird das Investitionsvolumen in dieser Legislaturperiode um 4,3 Milliarden Euro erhöht.“

Das hat Rot-Grün von 1998 bis 2005 nicht geschafft, und Sie wollen uns erzählen, wie die Attraktivität des Bahnverkehrs in Sachsen zu erhöhen ist. Meine Antwort lautet: mit einer guten Infrastruktur und mit vielfältigen Anbietern bei dieser Infrastruktur.

Noch ein Wort zu Frau Dr. Runge. Warum haben wir so viele Mittel für den Straßenbau einsetzen müssen? Das geschah deshalb, weil das eine Hinterlassenschaft Ihrer Vorgängerpartei war,

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion)

Unkraut auf den Autobahnabschnitten angepflanzt worden ist und das Schienennetz noch halbwegs im ausbaufähigen Zustand war.

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Natürlich waren diese in einem unsäglichen Zustand, denn ein Gleis haben Ihre Freunde aus der damaligen Sowjetunion weggenommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Frank Kupfer)

Die Linksfraktion erhält noch einmal das Wort; Frau Dr. Runge, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Heidan, nur so viel: Wir sind es gewohnt, dass Probleme, die nach 20 Jahren Wiedervereinigung heute noch vorhanden sind, auf die Misswirtschaft der DDR zurückzuführen sind,

(Frank Heidan, CDU: Was denn sonst?)