Ein Abtauchen in die alten Schützengräben und das Beschießen mit gegenseitigen Schuldzuweisungen ist das Gegenteil von kritischer und produktiver Aufarbeitung.
Wer über die kommunistische Diktatur in der DDR spricht, der muss die Rolle und Verantwortung der SED herausstellen. Da ist auch nichts zu beschönigen und nichts schönzureden. Das sage ich den Kollegen von der Linken.
kann aber zu den Blockparteien nicht schweigen, meine Damen und Herren von FDP und CDU, von ihrer Rolle zur Stabilisierung der Diktatur und zur Heraushebung eines scheindemokratischen Anstrichs.
Wenn wir diese offene Diskussion führen, dann rede ich auch darüber, wie einst der kleine Schüler KarlHeinz Gerstenberg als Freundschaftsratsvorsitzender den Appell abgenommen hat und die Jungen Pioniere seiner Schule strammstehen ließ.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein differenzierter und kritischer Blick auf die vorgeblich guten Seiten der DDR ist ebenso unverzichtbar wie eine stärkere Thematisierung individueller Schicksale. Unsere Auseinandersetzung
mit unterschiedlichen Biografien und Erinnerungswelten macht Geschichte in ihrer Vielfalt erfahrbar. Nur wenn die Lebenswelt der DDR in ihrer Gänze dargestellt und vermittelt wird, nur dann können wir erfolgreich einem verklärenden Rückblick entgegentreten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Argumentationsmuster einiger ist erschreckend. Es lautet: Weil es privates Lebensglück in einer Diktatur gab, war das Regime eigentlich gar nicht so schlecht.
Meine Damen und Herren! Privates Lebensglück gibt es heute vermutlich auch in Nordkorea, gibt es vermutlich auch in Kuba, und doch gibt es dort politische Gefangene
Der letzte DDR-Außenminister Markus Meckel, SPD, hat zu einer Ostalgieshow im ZDF gesagt: „Wer eine DDRShow zeigt, muss auch eine Show über das Alltagsleben im Dritten Reich akzeptieren.“
Diese Aussage hat natürlich Protest hervorgerufen. Doch ich glaube, wer zwischen den Zeilen liest, versteht die Mahnung: Egal, wie Menschen ihr privates Leben gestaltet haben, eine Diktatur darf weder verniedlicht noch verharmlost werden.
Das gilt nicht nur, aber auch für unsere Schulen. Wenn 70 % der ostdeutschen Schüler sagen, sie fühlen sich nicht gut genug über die DDR informiert, dann sollte es ein Signal für uns sein, darüber nachzudenken, wie wir die Situation verbessern, wie wir beispielsweise Lehrpläne in diesem Bereich stärken. Gerade an den Mittelschulen, glaube ich, ist da noch einiger Bedarf. Dort kommt das Thema DDR-Diktatur als eigenständiger Bereich gar nicht vor.
Und zu welchem Zeitpunkt wird zum Teil auch DDRGeschichte an den Schulen behandelt: Wenn wir uns das Gymnasium ansehen, ist das am Ende der Klasse 12. Jeder, der zur Schule gegangen ist, weiß, was am Ende eines Schuljahres ist. Wenn die Zeit knapp ist, fällt einiges einfach mal hinten herunter.
Dann wissen die Schüler zwar viel über die Französische Revolution, aber nicht genug über die friedliche Revolution.
Wenn wir einen Blick in die zentralen Geschichtsprüfungen an Gymnasien werfen: In den letzten fünf Jahren wurde die DDR-Geschichte hier in Sachsen gerade einmal kurz aufgegriffen. Seit 2003/2004 fand sie in keiner Prüfung mehr statt. Auch das ist kein gutes Zeichen.
Für ein besseres Geschichtsverständnis sind aber nicht nur Lehrpläne, nicht nur Prüfungen wichtig. Es ist in der Tat die Art und Weise, wie Geschichte vermittelt wird. Auch das wissen die meisten aus eigener Anschauung. Die Frage ist, ob das nur ein Fach ist oder ob das fächerübergreifend beispielsweise in Literatur und Kunst passiert, ob langweilig aus dem Lehrbuch Fakten wiedergegeben werden oder ob Geschichte attraktiv und lebendig durch persönliche Erlebnisse wird.
Wir möchten, dass die Opfer der SED-Diktatur, dass politische Gefangene beispielsweise im Unterricht und in den Schulen stärker zu Wort kommen. Ich glaube, diese Zeitzeugen machen Geschichte erst lebendig und begreifbar für unsere Schüler.
Selbstverständlich müssen die Schüler die Schrecken des Regimes auch mit eigenen Augen sehen können, in Gedenkstätten und in Gefängnissen für politische Gefangene. Ich glaube, diese Einrichtungen entlarven den menschenverachtenden Charakter der DDR-Diktatur, und sie widerlegen die Legende vom Sozialismus mit menschlichem Antlitz.
Dass Schüler heute Konzentrationslager besuchen, ist wichtig und richtig. Es ist aber auch wichtig, dass Schüler einmal die Folter- und Verhörkammern der Stasi gesehen haben, meine Damen und Herren.
Wir müssen aufräumen mit Fehlinformationen über die vermeintlichen Errungenschaften der DDR. Wer Bitterfeld kennt, der weiß, dass Umweltschutz für die Herrschenden in der DDR tatsächlich ein Fremdwort war.
Wer das DDR-Rentensystem kennt, der weiß, dass es zwar ganz gute Renten für Funktionäre gab, dass die breite Bevölkerung aber mit Minirenten abgespeist wurde, meine Damen und Herren.
Wer die DDR als Sozialparadies in Erinnerung hat, der vergisst, was Ziel ihrer Politik war: Man brauchte Arbeitskräfte in der Produktion.
Ja, die Aufarbeitung der Geschichte ist manchmal mühsam und aus der Geschichte lernen nicht immer einfach, doch die aktive Auseinandersetzung mit der DDRDiktatur ist wichtig, gerade heute. Aus der Geschichte lernen heißt, den Unterschied zwischen menschenverachtender Diktatur und freiheitlicher Demokratie immer wieder deutlich zu machen. Es geht darum, unseren Schülern den einzigartigen Wert von Freiheit und von Demokratie zu vermitteln. Das sind wir all denen schuldig, die in der DDR für Demokratie gekämpft haben, und besonders denen, die die Wende nicht mehr erleben konnten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir nun, meine Sicht der Dinge vorzutragen.
Ich danke erst einmal für den Anstoß zu dieser Debatte; denn sie scheint mir auch hier in diesem Raum sehr wichtig zu sein, Herr Herbst, und ich stimme voll mit dem überein, was Sie bisher gesagt haben. Die von Ihnen
zitierte Studie der Freien Universität Berlin ist natürlich ein erstaunliches Dokument. Es ist schon erschreckend, wenn Schüler in Bayern oder in Hessen besser über die DDR Bescheid wissen als die Schüler in Berlin und Brandenburg. Ich weiß nicht, wie die Schüler in Sachsen bei einer entsprechenden Befragung geantwortet hätten.
Was steckt eigentlich hinter einer solchen Entwicklung? Ist es Ignoranz, ist es der fehlende Wille, sich seiner eigenen Vergangenheit zu stellen, oder die fehlende persönliche Betroffenheit?