Protokoll der Sitzung vom 16.10.2008

Wir sind auch nicht der Auffassung, es wird irgendwann sowieso einer biologischen Lösung zugeführt. Hier muss sich schnellstens etwas tun. Genau deshalb sage ich, wir brauchen eine politische Lösung. Ich warte sehnsüchtig auf Ihre Vorschläge und ich hoffe jetzt schon, dass Sie trotz aller Verbotsbeschlüsse gegenüber unseren Anträgen gegen die Option Ihres Fraktionsvorsitzenden – ich meine insbesondere die CDU – Mut beweisen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für die Koalition spricht Frau Dr. Schwarz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich erinnere mich sehr genau an den Antrag von 2002, den wir und auch die

CDU-Fraktion unterstützt haben, dass wir auf Bundesebene alles versuchen wollen, um diesen Frauen zu helfen. Aber es hat nicht zu dem Erfolg geführt, den wir uns gewünscht hätten. Das hat auch etwas mit der sehr komplizierten Rechtslage zu tun. Ich möchte, dass wir auch jetzt noch alle Möglichkeiten ausloten, um diesen betroffenen Frauen wirklich zu helfen. Auch die Bundesregierung und der Bundestag haben das noch nicht vom Tisch gefegt. Ich komme dann auch noch zu den komplizierten Situationen, die wir hier vorfinden.

Aber, Kollege Pellmann, so wie Sie es hier im Antrag formuliert haben, geht es nicht, auch wenn Sie von einer politischen Lösung sprechen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Wie dann?)

Sie fordern ganz klar einen aus Steuermitteln finanzierten Versorgungsausgleich. So einfach ist es nicht. Sie wissen ganz genau, dass die Männer, so sie denn noch leben, nicht rückwirkend dazu gezwungen werden können, diesen Ausgleich zu zahlen. Deswegen sage ich noch einmal, ich komme dann auch noch auf die Geschichte.

Sie sagten es: 1977 führte die sozialliberale Koalition den Versorgungsausgleich ein, was auch eine frauenpolitische Zäsur war, wie ich es einmal von Rudolf Dreßler gehört habe, weil eben auch die Familienarbeit, die überwiegend von Frauen durchgeführt wird, anerkannt wurde. Das entwickelte auch materielle Gewalt im Falle der Scheidung eben durch diesen Versorgungsausgleich. In Familien oder Ehen, die nicht geschieden wurden, erreichten gerade auch in der Bundesrepublik alt die Frauen, die diese Arbeit leisteten, nicht den Rentenanspruch, der eigentlich dem angemessen wäre. Wie gesagt, nur im Falle der Scheidung erlangte das materielle Gewalt.

Der Versorgungsausgleich heute soll ja manche Männer davon abhalten, eine Ehe zu schließen, hört man bisweilen. Es gibt auch das Institut des Ehevertrages, der zunehmend mehr herangezogen wird, um diesen Versorgungsausgleich zu unterlaufen. Das zeigt ganz klar, dass der Versorgungsausgleich ein individueller Anspruch ist und kein Anspruch an den Staat.

Jetzt wechseln wir einmal 1977 die Grenzen. Da hatte sich in der DDR schon das sozialistische Frauenbild durchgesetzt, die alle durch volle Erwerbstätigkeit möglichst den eigenen Rentenanspruch erwerben konnten. Da gab es wahrscheinlich doch einige Individualisten, die einen anderen Lebensentwurf hatten – und nicht wenige, wie Sie schon jetzt in Zahlen einmal leicht dargestellt haben.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Richtig!)

Dieser Lebensentwurf betraf auch Ehen, in denen die Männer gut verdienten. Sie können ja einmal nachdenken, wer das gewesen sein könnte. Es gab auch Menschen, die aufgrund ihres Glaubens einen anderen Lebensentwurf hatten. Ich denke, diesen Lebensentwurf muss man akzeptieren. Aber in der DDR gab es eben diesen Versorgungsausgleich nicht. Es gab nicht die Möglichkeit, an

dem teilzuhaben, was die Männer zugewinnen oder die Frauen durch ihre Arbeit zugewinnen, die ihre Arbeit in der Familie erbracht haben. Das muss man sich auch vor Augen führen.

Den Versorgungsausgleich nach dem Stichtag 01.07.1977 gab es übrigens auch nicht in Ehen, die vor 1977 geschlossen wurden.

Sie haben zu Recht auf die Hinterbliebenenrente aufmerksam gemacht. Davon ist in Ihrem Antrag aber keine Rede, denn bei der Hinterbliebenenrente ist es auch so gewesen, dass nur dann, wenn der Ehemann gestorben war und bis zuletzt Unterhalt gezahlt hat, eine Hinterbliebenenrente möglich war. Das relativiert Ihre Zahl schon wieder gravierend. Aber Sie sprechen nicht von der Hinterbliebenenrente in Ihrem Antrag, sondern nur vom Versorgungsausgleich.

Die Situation in der DDR war so: Den Versorgungsausgleich gab es nicht und der Staat hat die Steuerung so weit gebracht, dass selbst Frauen Rentenlücken ab Anfang der Siebzigerjahre nicht mehr schließen konnten, indem sie „klebten“. Vorher war das möglich. Rentenlücken durch „Kleben“ zu überbrücken wurde abgeschafft, weil hier die Steuerungsfunktion ganz klar auf die Erwerbstätigkeit gerichtet war.

Ich habe mich seit Mitte der Achtzigerjahre mit diesem Problem befasst. Viele Frauen sind bei mir gewesen. Wir haben Gespräche mit diesen Frauen geführt. Jedes Schicksal ist ein individuelles Schicksal, das mich angerührt hat und das, denke ich, auch uns alle anrühren kann.

Es gab diesbezüglich auf Bundesebene immer Bemühungen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Regine Hildebrandt, die, wie Sie wissen, gerade bei der Rentenüberführung eine wesentliche Rolle gespielt hat. Diese Bemühungen haben auch dazu geführt, dass die Überführung beim Rentenrecht nicht eins zu eins stattgefunden hat, sondern dass es einen Bonus im Hinblick auf die Verdienstmöglichkeiten gegeben hat.

Justizminister aller Couleur haben sich mit diesem Problem befasst. Ich sagte auch schon, dass diese Problematik im Einigungsvertrag möglicherweise zwar nicht vergessen wurde – das lasse ich einmal im Raum stehen –, dass aber aufgrund der komplizierten juristischen Materie – ich habe noch einmal versucht, Ihnen das deutlich zu machen – Gerichte entschieden haben, dass es im Falle der Scheidung in der DDR auch nur nach dem DDR-Recht gehen konnte, in dem man keinen Versorgungsausgleich kannte. Ich betone noch einmal das Problem: kein Anspruch an den Staat, nur individueller Anspruch.

Sachsen hat sich immer dafür eingesetzt, eine Lösung, vielleicht auch eine politische Lösung zu finden. Ich sehe aber, dass im Moment eine solche Bundesratsinitiative, wie Sie sie hier fordern, weder sinnvoll noch aussichtsreich ist. Hier muss man das eine oder andere vielleicht noch ganz vorsichtig ausloten.

Aber ich frage Sie, Herr Pellmann – das ist eine ganz schwierige Frage –: Was für eine Rente hätten diese

Frauen gehabt, wenn die DDR geblieben wäre? Ich glaube, in manchen Fällen nicht einmal die Mindestrente, die bei 300 DDR-Mark lag. Insofern ist es richtig, dass wir uns um die Frauen kümmern müssen, soweit dies noch möglich ist. Aber so, wie Sie das machen, geht das auf keinen Fall.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die NPD-Fraktion verzichtet. Dann die FDP-Fraktion; Frau Abg. Schütz, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren der Linksfraktion, höre ich da zum ersten Mal von Ihnen die Geißelung eines Unrechts zu DDR-Zeiten? War dann im Rückblick der Geschichte doch nicht alles Gold, was glänzt, und war die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu DDR-Zeiten doch nicht so vollendet, wie immer behauptet?

Sehr geehrte Damen und Herren, keine Regelung zu Rentenanwartschaften nach einer Scheidung zu treffen war gesellschaftliches Menschenbild, das dem Grundverständnis der Ideologie der DDR entsprach. Beide Ehepartner waren berufstätig. Ausreichend Krippenplätze stellten sicher, für den eigenen Lebensunterhalt von Mann und Frau selbst aufkommen zu können. Es wurde versucht, die Lohnunterschiede minimal zu halten. Frauen hatten ihren Platz nicht zu Hause, nein, sie waren fest im Berufsleben integriert, und die Ehe diente gerade nicht der wirtschaftlichen Absicherung der Frau. Eine Scheidung war entsprechend einfacher.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Schütz?

Ja, bitte schön.

Verehrte Frau Schütz, Sie haben eben behauptet, dass mein Kollege in diesem Zusammenhang vom Unrecht in der DDR gesprochen habe. Meines Wissens hat er von einem anderen Gesellschaftsmodell gesprochen, das auf die Erwerbstätigkeit von Mann und Frau abzielt, wie heute in Skandinavien. Können Sie mir erklären, was das mit Unrecht zu tun hat?

Ich beantworte die Frage gern mit der Frage, die ich gestellt habe. Ich habe gefragt, ob ich da die Geißelung eines Unrechts hörte, denn offenbar sieht Dr. Pellmann die Notwendigkeit der Neuregelung der Situation, wie sie zu DDR-Zeiten gewesen ist. Ich stelle also provokativ die Frage, ob das als Unrecht zu DDR-Zeiten gesehen wurde.

Eine Scheidung war also zu DDR-Zeiten entsprechend einfacher. Wer eine Ehe einging, wusste, welche Rechte und Pflichten ihn nach einer eventuellen Scheidung erwarteten. Dazu gehörte eben auch, im Falle einer

Scheidung keine Rentenanwartschaft, weder der Männer an die Frauen noch umgekehrt, abtreten zu müssen.

Dem steht das bundesdeutsche System gegenüber. Es ist eher aus dem Gesellschaftsbild der männlichen Alleinernährer erwachsen: Die Frau bleibt zu Hause und geht keiner entgeltlichen Erwerbsarbeit mit Abführungen in die Rentenkasse nach. Dafür ist sie im Falle einer Scheidung umfassend rentenrechtlich abgesichert – auch eine Form der Wertschätzung der häuslichen Arbeit. Beide Familienmodelle sind im letzten Jahrhundert zeitlich erschöpfend separat gelebt worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Einheit sind zwei völlig unterschiedliche Gesellschaftsmodelle der Rolle der Frau in Beruf und Familie zusammengekommen. Am offensichtlichsten sieht man das heutzutage bei den Betreuungsangeboten für Kinder im Alter bis zu drei Jahren.

Mir steht es nicht zu, das Familienmodell eines Einzelnen zu beurteilen. Allerdings zeigen die verfassungsrechtlichen Entscheidungen auf Bundesebene, dass auf einen eigenverantwortlichen Erwerb von Rentenanwartschaften beider Ehepartner vor allem nach einer Scheidung hingewirkt wird und zum anderen gleichzeitig bei Erziehungs- und Betreuungszeiten für Kinder natürlich der erwerbstätige Ehepartner weiterhin seine Rentenanwartschaften teilen muss.

Die zu DDR-Zeiten Geschiedenen wurden mit dem Einigungsvertrag rentenrechtlich nicht mit den in der BRD Geschiedenen gleichgesetzt. Ich frage mich auch, ob das gewollt war oder nicht. Frau Dr. Schwarz, Sie haben gesagt, auch Sie wollten da keine Mutmaßungen anstellen. Allerdings ist schon gesagt worden, dass die rückwirkende Einführung eines Versorgungsausgleichs, wie das im ursprünglichen Antragstext steht, nicht möglich ist. Das Rückwirkungsverbot ist schon genannt worden.

Bei der Forderung nach einem rein steuerfinanzierten Ausgleich, wie ihn Herr Pellmann vorgeschlagen hat, stelle ich natürlich die Gegenfrage: Was sollen wir denn noch alles aus Steuermitteln finanzieren? Dass wir uns der Problematik der Geschiedenen annehmen müssen, ist, glaube ich, fraktionsübergreifend bekannt. Das Thema der Witwenrentenansprüche von Geschiedenen, das zwischen 2002 und 2004 gerade auch von der CDU immer wieder auf Bundesebene eingebracht wurde, ist leider nicht Thema dieses Antrages, sodass wir uns heute nur über den Versorgungsausgleich in der vorliegenden Form unterhalten können. Diesbezüglich lehnen wir den Antrag der Linken, wie er gestellt worden ist, ab.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Angelika Pfeiffer, CDU)

Frau Herrmann, Fraktion GRÜNE, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schließe mich gleich Frau

Schütz an: Das ist doch genau der Punkt. Sie wollen heute nur den Versorgungsausgleich. Um den kümmern Sie sich, um die Witwenrente nicht. Sie wollen den Versorgungsausgleich, den aber auch für die Frauen, die in der DDR vor 1977 geschieden worden sind. Nichts anderes steht in Ihrem Antrag. Sie wollen den Versorgungsausgleich also auch für die Frauen, die im bundesdeutschen System keinen Anspruch auf diesen Versorgungsausgleich haben. Das ist einfach so. Das wollen Sie; denn die Frauen, die in der Bundesrepublik vor 1977 geschieden wurden, haben zwar einen Anspruch auf Witwenrente, aber nicht auf diesen Versorgungsausgleich, der erst 1977 eingeführt wurde und der darin besteht, dass diese Frauen einen Anteil der Versorgungspunkte, die ihr Mann während seiner Berufstätigkeit erworben hat, erhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gestatten Sie die Zwischenfrage?

Bitte, Frau Dr. Schwarz.

Frau Kollegin Herrmann, könnte es sein, dass aufgrund der Protestdemo in Leipzig hier ein schnell gestrickter populistischer Antrag auf den Weg gebracht wurde?

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Aber nein!)

Das kann ich mir schon vorstellen. Ich weiß es natürlich nicht, aber zumindest gibt es zwei Punkte in diesem Antrag, die dazu führen werden, dass wir ihm so nicht zustimmen können.

Einen Punkt habe ich jetzt schon genannt. Der andere Punkt ist, dass Sie diesen Versorgungsausgleich laut Antrag für alle Frauen wollen, die in der DDR geschieden worden sind, unabhängig davon, wie hoch denn tatsächlich ihre Rente ist. Das wollen Sie aus Steuermitteln finanzieren, im Gegensatz zu dem Antrag, den Sie erwähnt haben, der in der vergangenen Legislaturperiode in diesem Hohen Haus gestellt wurde. Damals hatten Sie noch das Anliegen, dass dieser Versorgungsausgleich den Männern sozusagen rückwirkend weggenommen wird. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass das nicht geht.