Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Warum tut sie das? Weil Werner Müller nämlich darüber Auskunft geben könnte, ob die Angaben, die in der Zeitung standen, dass Herr Tiefensee nämlich früher informiert war, zutreffen oder nicht. Es wurde offensichtlich dafür gesorgt, dass im Bundestag parlamentarisch nicht aufgeklärt werden konnte.

Nein, meine Damen und Herren, Herr Tiefensee hat eine ganz, ganz furchtbare Figur gemacht. Er hat bewiesen, dass er nicht in der Lage ist, die Deutsche Bahn auf einen erfolgreichen Weg zu führen. Er hat bewiesen, dass er nicht in der Lage ist, Herrn Mehdorn zu zügeln und der Bahn eine andere Richtung zu geben. Damit hat er auch Sachsen geschadet. Wir alle wissen: Die Achsenproblematik wurde verschleppt, um den Bahn-Börsengang nicht verschieben zu müssen.

Ich möchte Sie, Herr Jurk, auffordern, dazu Stellung zu nehmen, ob die Gerüchte zutreffen, dass aufgrund dieses Desasters der Takt zwischen Dresden und Leipzig ab dem Winterfahrplan auf zwei Stunden verkürzt wird. Das wäre

dann eine unmittelbare Auswirkung des Versagens von Herrn Tiefensee und von Herrn Mehdorn. Das ist wirklich eine Katastrophe, auch für Sachsen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Wir beginnen mit der zweiten Runde. Die Linksfraktion, bitte. – Herr Minister, wollen Sie vorher sprechen?

(Staatsminister Thomas Jurk: Nein, Herr Bolick will ja auch noch einmal!)

Gut.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon ein Kabinettsstück, was uns der zuständige Verkehrsminister Tiefensee und der Vorsitzende des Bahn-Vorstandes, Mehdorn, an bloßem Vorgeschmack rund um den Börsengang der Deutschen Bahn liefern. Da werden nicht nur erhebliche Fahrpreissteigerungen ab Dezember auf die Bahnkunden zukommen; sie müssen auch über den Winter zwischen Leipzig und Dresden mit schwer beheizbaren Regionalzügen und harten Sitzen vorliebnehmen. Zugleich müssen sich die Bahnkunden beim Aus- und Umsteigen in Leipzig mit 30 Zentimeter Steigung zwischen Bahnsteig und Wagen herumschlagen.

Die Landeshauptstadt Dresden wurde ganz und gar von jeglicher Fernanbindung Richtung Westen abgekoppelt. Denn fast die gesamte ICE-Flotte der neuesten Baureihe musste zur Überprüfung der Radsatzwellen in die Werkstätten.

Nachdem der Börsengang der Bahn im Oktober aufgrund der internationalen Finanzmarktkrise abgesagt wurde, kommt allmählich ans Licht, wie die Geschäftspolitik der Bahn unter dem Stern des Börsengangs aussah.

Zum Aufhübschen der Bilanz wurde nicht nur billigend in Kauf genommen, die Überprüfungsintervalle der Radsatzwellen um das Zehnfache – von 30 000 auf 300 000 gefahrene Kilometer – auszuweiten, wodurch die Sicherheitsstandards für Bahnkunden abgesenkt worden sind, sondern es wurde vor allem technisches Personal eingespart und somit Kosten vermindert.

Vorhandene Gutachten zu den Radsatzwellen nach der Katastrophe von Eschede und dem Unfall von Köln in diesem Sommer wurden bewusst zurückgehalten, um ja nicht den Börsengang zu gefährden. Die Bundesanstalt für Materialforschung hatte nämlich herausgefunden, dass die Inspektionsintervalle zu lang waren. Darüber hinaus stellte sie Materialfehler fest, wofür die Hersteller Siemens, Bombardier und Alsthom verantwortlich sind.

Im Wissen um Materialfehler hat die Bahn die Überprüfungsintervalle um das Zehnfache und mehr verlängert, schiebt nun den Schwarzen Peter an die Industrie und Siemens weiter – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – und liefert einen bitteren Vorgeschmack

auf die zukünftige Geschäftspolitik der Bahn nach einem Börsengang.

Die Bahn hat für die ersten neun Monate dieses Jahres einen Gewinn vor Zinsen und Steuern von rund zwei Milliarden Euro eingefahren

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

und für sich selbst, wie hier schon beschrieben worden ist, üppige Zusatzzahlungen beschlossen. Hierzu kommt es zunächst nicht, nachdem Finanzminister Steinbrück den Börsengang der Bahn für diese Legislatur abgesagt hat. Thomas de Maizière – Ihr CDU-Kollege, verehrte CDUAbgeordnete – widersprach dem allerdings sofort und betonte, dass es keinerlei Kabinettsbeschluss zum Aufschieben des Börsengangs der Bahn gebe.

Die gegenwärtige Überprüfung der ICE-Flotte wird mit Sicherheit zu Verlusten bei der Bahn führen, sodass das Großprojekt Bahnreform von Verkehrsminister Tiefensee als gescheitert betrachtet werden kann, auch wenn Herr Mehdorn weiterhin so tut, als sei nichts geschehen; denn er reist weiter in der Welt herum, sucht potenzielle Investoren in arabischen Emiraten und will in der schillernden Welt der Global Player und Logistikkonzerne die erste Geige spielen. Ob Bilanzbearbeitung für den Börsengang oder gläserne Hauptbahnhoffantasien – immer muss es bei Mehdorn zugehen wie bei den ganz Großen.

Es ist an der Zeit, dass das Gesamtprojekt Börsengang definitiv abgesagt wird und dass sich die verantwortlichen Politiker für die Ausrichtung des Konzerns auf Mobilitätsleistungen im Sinne öffentlicher Daseinsvorsorge im Personenverkehr und auf den Ausbau des Güterverkehrs auf der Schiene verständigen. Wir brauchen keinen Global Player als Bahn, sondern einen Konzern als staatliches Unternehmen, der seine Aufgaben in diesem Land, der Bundesrepublik Deutschland, erfüllt.

Bisher zahlten für die Bahnpolitik der Steuerzahler und – in Personalunion – die Bahnkunden die Zeche. Was Pendler und Reisende praktisch von dieser Politik haben, belastet die großen Finanzjongleure im Bahngeschäft eher nicht.

Bitte zum Ende kommen.

In dieser Welt haben sich Mehdorn und Tiefensee offensichtlich gefunden. Meine Fraktion fordert daher die sofortige Wiederanbindung Dresdens an den Fernverkehr auf der Strecke nach Wiesbaden, –

Bitte zum Ende kommen!

– die Zurücknahme der Fahrpreissteigerungen für die Dauer des Ersatzverkehrs und den sofortigen Rücktritt von Tiefensee und Mehdorn.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für die CDUFraktion Herr Prof. Bolick, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den Bonuszahlungen brauche ich nichts mehr zu sagen. Die Pirouetten des Herrn Tiefensee haben Herr Morlok und Herr Lichdi präzise offengelegt. Aus meiner Sicht ist die Arbeit von Herrn Tiefensee, bezogen auf die Infrastruktur der Bahn in Sachsen, aber noch einmal zu beleuchten.

Die Arbeit von Herrn Tiefensee auf dem Gebiet der verkehrlichen Entwicklung Deutschlands ist nicht nur im Bereich des Schienenverkehrs von Erfolglosigkeit und fehlender Strategie gekennzeichnet. Nicht ohne Grund titelt „Die Welt“: „Das Chaosministerium des Herrn Tiefensee“.

Zeitgleich erhebt der Bundesrechnungshof neue Vorwürfe gegen den Verkehrsminister. Ihm wird schlampige Arbeit beim Bahn-Großprojekt „Stuttgart 21“ und bei der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm vorgeworfen. – Das nur am Rande.

Für Sachsen zeigt sich das Dilemma in folgenden Entwicklungen: Die Zuweisungen für Bundesautobahnen und Bundesstraßen sind rückläufig. Die Liste der Maßnahmen, die nicht realisiert werden können, ist lang. Auch die Fertigstellung der A 72 ist davon betroffen.

Weiterhin bestehen fehlendes Interesse an einer schnellen Realisierung der Elektrifizierung der Sachsen-FrankenMagistrale, zunehmende Verschlechterung des Bauzustandes der Verbindung Dresden-Berlin ohne Aussicht auf Besserung, fehlende Anbindung des Freistaates an wichtige Fernverkehrsverbindungen, zögerlicher Ausbau wichtiger grenzüberschreitender Grenzverkehrsverbindungen nach Osteuropa, keine Aktivitäten der Wiederherstellung des Zustandes der Elbe wie vor dem Hochwasser von 2002, fehlende politische Unterstützung bei der Sicherung der Nachtfluggenehmigung für Frachtmaschinen des Flughafens Leipzig/Halle – um nur einige zu nennen.

Auch das Großprojekt „City-Tunnel Leipzig“ ist durch fehlendes gemeinsames Handeln der zuständigen Ministerien in seiner Fertigstellung gefährdet, und das bei ständig steigenden Kosten.

(Staatsminister Thomas Jurk: Stimmt nicht!)

In der Öffentlichkeit Versäumnisse bei der Fertigstellung der Sachsen-Franken-Magistrale einzuräumen und wenige Tage später, Herr Staatsminister, gemeinsame Erfolge beim Aufbau Ost zu vermarkten stellt wohl keine Basis für eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen dem sächsischen und dem Bundesverkehrsministerium dar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich kann an dieser Stelle nur beide Ministerien nachdrücklich auffordern, die Fragen der Entwicklung des Schienennetzes in Deutschland und speziell in Sachsen endlich ernst zu nehmen und zielstrebig zu verfolgen,

(Beifall bei der CDU)

statt sich mit Ausreden und gegenseitigen Zuweisungen über die Zeit zu retten. Die CDU-Fraktion hat dabei schon vor längerer Zeit einen entsprechenden Vorstoß gemacht und für die dringend notwendige und zielgerichtete Entwicklung des Schienennetzes in den neuen Bundesländern ein gesondertes Schieneninvestitionsprogramm Ost gefordert. Gehen Sie, Herr Jurk, diesen Weg mit Ihrer Fraktion endlich mit und setzen Sie Signale für eine leistungsfähige Bahn auch für Sachsen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich frage jetzt noch einmal in die Runde, wer gern noch von den Fraktionen sprechen möchte. – Ich sehe keinen Redebedarf mehr. Damit sind Sie, Herr Minister, jetzt am Zuge.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wusste gar nicht, dass der Tagesordnungspunkt „Wolfgang Tiefensee“ heißen sollte. Eigentlich habe ich ernst genommen, was die PDS beantragt hat, allerdings zum zweiten Mal in kurzer Folge mit beinahe identischer Aufgabenstellung. Da wurde das Feindbild DB AG abgearbeitet. Was für mich zurückbleibt, ist die Frage: Wem hat es genützt? Dem öffentlichen Ansehen des Verkehrsmittels Bahn sicherlich nicht.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Vielleicht, Kollege Porsch, hören Sie mir ein bisschen zu. Da können Sie auch noch klüger werden.

Bitte, meine sehr verehrten Damen und Herren, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin weder konfliktscheu und erst recht nicht will ich den Bahnvorstand vor berechtigter Kritik in Schutz nehmen. Als Träger politischer Verantwortung sollten wir jedoch willens und auch in der Lage sein, eine sachliche Analyse vorzunehmen. Eine solche Betrachtung ergibt dann eben ein solches Bild, das sowohl aus Licht- als auch aus Schattenseiten besteht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einer Woche hat der DB-Konzern Zahlen vorgelegt, die sich durchaus sehen lassen können, zumal dann, wenn man sie mit dem Stand vor zehn Jahren vergleicht. Konzernumsatz, Gewinn, Frachtmengen und Fahrgastzahlen, überall werden neue Rekordstände erreicht. Sicher, all diese Zahlen sind auch vor dem Hintergrund des Börsenganges zu hinterfragen. Dennoch kann man nicht wegdiskutieren, dass der Konzern heute ungleich besser als die einstigen Staatsbahnen, die Milliardengräber der öffentlichen Hand waren und die widerstandslos jährlich Verkehrsanteile an die Straße abgegeben haben, dasteht. Dass dieser Abwärtstrend gestoppt und umgekehrt wurde, ist ein eindeutiger Erfolg der Bahnreform der Neunziger. So hat beispielsweise der Schienengüterverkehr in den vergangenen Jahren eine Entwicklung genommen, die man fast schon als sensationell bezeichnen möchte, und zwar mit etwa 50 % Wachstum seit 2002.

Erstmals seit mehr als vier Jahrzehnten hat die Bahn Anteile von der Straße zurückerobert, eine Entwicklung, die insbesondere auch den Konkurrenten der DB AG zu verdanken ist, die den Markt kräftig aufgemischt haben und ihre Leistungsbilanz im erwähnten Zeitraum mehr als versechsfachen konnten.

Schauen wir uns die Erfolgsstory des Schienenpersonennahverkehrs in Deutschland wie bei uns hier in Sachsen an. Seit der Bahnreform 1994 sind die im Freistaat angebotenen Schienenpersonennahverkehrsleistungen um 5 % gestiegen. Ich sage dies deshalb so deutlich, weil man in der öffentlichen Wahrnehmung manchmal den Eindruck gewinnt, der Trend gehe genau in die andere Richtung.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Wie viele Strecken wurden stillgelegt?)