Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Ich möchte den Bahnverkehr einer kurzen perspektivischen Betrachtung unterziehen, wozu nach Auffassung der NPD-Fraktion als wesentlicher Bestandteil vor allem

natürlich die Bahnfahrer gehören. Wie sieht also deren Perspektive aus?

Trotz eines Ansteigens der Erlöse und des Vorsteuergewinns im Vergleich zum Vorjahr um etwa 10 % und einer Reduzierung der Schulden um etwa 1 Milliarde Euro stehen – im Übrigen entgegen früheren Versprechen – am 14. Dezember erneut Tariferhöhungen von durchschnittlich 3,9 % an. Im Regionalverkehr verteuern sich die Ländertickets zum Fahrplanwechsel um jeweils einen Euro, beim Schönes-Wochenende-Ticket um zwei Euro, und die BahnCard wird um durchschnittlich 3,6 % verteuert. Dies bitte ich unter dem Lichte zu betrachten, dass die Bahntarife bereits im April 2004 um 3,4 %, acht Monate später um 3,1 %, im Dezember 2005 um 2,9 %, im Januar 2007 um 5,6 % und im Dezember 2007 um 3 % erhöht wurden. Das ist also die viel beschworene Bürgerbahn, meine Damen und Herren, die sich wahrscheinlich bald nur noch gutbürgerlich Situierte werden leisten können. Angesichts dieser Umstände sollte nach Ansicht der NPD-Fraktion anstelle von Bonus-Vergütungen vielmehr über eine sofortige Entlassung des Vorstandsvorsitzenden nachgedacht werden.

Dafür wäre allerdings ein Handeln der Politik nötig. Doch was ist von einer Politik zu erwarten, die im Juli 2007 selbst dafür Sorge getragen hat, dass Bahntariferhöhungen nicht mehr genehmigungspflichtig sind? Diese Fragen, meine Damen und Herren, sind viel entscheidender als die Erklärung des Zeitpunktes, wann Bundesminister Tiefensee uns hinsichtlich der Mitteilungen über die geplanten Bonus-Regelungen belogen hat. Wusste er es nun seit Juli oder September oder doch erst seit Oktober? Hierzu möchte ich festhalten, dass laut Medienberichten der Prospekt zum Börsengang, wenn auch von der BaFin noch nicht genehmigt und daher auch noch nicht veröffentlicht, dennoch längst im Bundesverkehrsministerium vorlag, weshalb Tiefensee Kenntnis von den Vergütungsregelungen haben musste, weil diese laut Wertpapierprospektgesetz darin aufgeführt sein müssen.

Nun ist der Börsengang erst einmal bis auf Weiteres verschoben. Darüber muss man nicht traurig sein – es sei denn, man ist Mitglied des DB-Vorstandes. Dies bietet nun die Möglichkeit für die Politik, sich hinsichtlich der Teilprivatisierung durch den Börsengang der DB Mobility Logistic darüber Gedanken zu machen, ob es wirklich sinnvoll ist, überwiegend an internationale Fonds zu veräußern.

Wir als NPD-Vertreter sind schon seit jeher der Ansicht, dass es eine Beschränkung für ausländische Fonds und Beteiligungen an strategisch wichtigen deutschen Unternehmen geben muss. Speziell im Bereich der Daseinsvorsorge – wozu wir natürlich den Bahnverkehr rechnen – sprechen wir uns als NPD-Fraktion ohnehin gegen eine Privatisierung aus.

Zu der heutigen Debatte bleibt aus unserer Sicht festzuhalten: Unter den gegebenen Bedingungen kann die Debattenüberschrift leider als wahrheitsgemäß angesehen werden: schlechte Perspektiven für die Bahn.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Die FDP, bitte; Herr Abg. Morlok.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man der „Bild“-Zeitung vom 3. November dieses Jahres glauben kann,

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Niemals!)

nennen Mitarbeiter ihn „Pfütze“ – damit ist der ehemalige Oberbürgermeister aus Leipzig und jetzige Bundesverkehrsminister gemeint. Es heißt in der „Bild“-Zeitung – ich zitiere: „Auf dem Flure des Verkehrsministeriums kursiert für Tiefensee neuerdings der Spitzname ‚Pfütze’.“

(Zuruf der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion)

Genau, Sie haben es auch gelesen, Frau Dr. Runge. – „Davor hatten ihn seine Mitarbeiter ‚Flachwasser’ genannt.“ Das ist schon eine bezeichnende Entwicklung für jemanden, der einmal Hoffnungsträger der SPD hier in Sachsen gewesen ist.

(Dr. Simone Raatz, SPD: Seien Sie froh, dass Sie kein Minister sind!)

Die Bonizahlungen sind nur der Höhepunkt einer Pannenserie aus dem Hause Tiefensee. Die erste Amtshandlung des Ministers war damals, auf seinem Briefkopf den Schriftzug „Bundesminister“ per Dienstanweisung von der Schriftgröße 9 auf die Schriftgröße 11 heraufzusetzen. Das war wirklich eine verkehrspolitische Großtat.

Sie erinnern sich sicherlich noch daran, wie er Hartz-IVEmpfänger als Sicherheitskräfte im öffentlichen Personennahverkehr einsetzen wollte oder Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern, die in den Altbundesländern beruflich tätig sind, per Päckchen nach Hause zurückwerben wollte. Sie können sich noch daran erinnern, wie seine Pläne zur Privatisierung der Flugsicherung am Präsidenten Köhler gescheitert sind und danach sein neuer Vorschlag auf dem SPD-Parteitag kassiert wurde.

Wir hatten das Thema Frachtdrehkreuz Lufthansa Cargo, das ursprünglich in Astana angesiedelt war; da haben die Russen die Überfluggenehmigung verweigert. Tiefensee hat vollmundig erklärt, er würde sich nicht erpressen lassen, um hinterher einer Verlegung des Frachtzentrums ins russische Krasnojarsk zuzustimmen. Das sind alles Pleiten und Pannen aus dem Hause Tiefensee.

So ist es nicht verwunderlich, dass bereits Ende 2006 Herr Müller Suárez in der Zeitschrift „Capital“ schrieb: „Das Ende eines Hoffnungsträgers“. Es heißt dort: „Der Verkehrsminister bläst sich in der Öffentlichkeit gerne auf, doch in der Regierung spielt der Sozialdemokrat eine Nebenrolle.“ Weiter heißt es: „Arglos, konzeptlos, wehrlos – diese Kombination hat in zentralen Bereichen der Verkehrspolitik fatale Folgen.“ – Recht hat er, Herr Müller Suárez.

(Staatsminister Thomas Jurk: Kommen Sie doch endlich zum Thema!)

Wer nimmt denn Herrn Tiefensee noch richtig ernst? Das ist das Problem, Herr Jurk. Wer nimmt ihn noch richtig ernst: einen Verkehrsminister, der einem Trümmerfeld aus Vertrauensverlust und Handlungsunfähigkeit gegenübersteht?

(Staatsminister Thomas Jurk: Gut, dass es die FDP gibt!)

Genau, gut, dass es die FDP gibt, die auf diese Punkte immer wieder hinweist, Herr Jurk, sonst würden Sie das ja auch nicht erfahren.

(Beifall bei der FDP)

Tiefensee hat sich von Mehdorn eine Bahnprivatisierung einreden lassen mit der Infrastruktur! Diese Geisterfahrt wurde – das muss man der SPD zugute halten – auf ihrem Parteitag in Hamburg endlich gestoppt. Aber wie viel wertvolle Zeit hätten wir denn gewonnen, wenn er diese Geisterfahrt nicht gemacht hätte? Wir hätten die Bahn schon längst privatisiert und müssten nicht aufgrund der Finanzkrise jetzt die Privatisierung zurückstellen. Das ist doch die Wahrheit! Das ist die Wahrheit im Zusammenhang mit Herrn Tiefensee.

(Dr. Simone Raatz, SPD: Dafür bekommen Sie keinen Applaus!)

Zu den Bonuszahlungen. Man kann über verschiedene Bonuszahlungen streiten. Wenn man aber als Minister erkennt, dass die Bonuszahlungen ein Fehler sind, dann gehe ich doch nicht her und fordere die potenziellen Empfänger dieser Zahlungen via Boulevardpresse auf, auf sie zu verzichten. Dann führe ich doch als verantwortlicher Chef, als Minister, ein Fachgespräch. Oder teilen Sie, Herr Kollege Jurk, Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihre Meinung über die Boulevardpresse mit? Ich würde das nicht tun.

Das zeigt aber, wie Tiefensee nicht in der Lage ist, sein Haus zu führen. Die Umfragen über das Betriebsklima und die Führungsverantwortung sprechen auch Bände.

Wir in Sachsen haben die Nachteile aus dieser Politik. Das sieht man ganz deutlich, denn entgegen Ihrer Jubelmeldung, Herr Jurk, vom März 2008, in der es hieß „Durchbruch bei der Sachsen-Franken-Magistrale“, ist eben in diesem Bereich gerade nichts passiert. Wir sind nicht einen Schritt vorangekommen. Obwohl 50 Millionen Euro extra geflossen sein sollen, sind wir nicht vorangekommen. Sie haben vor der Sommerpause im Ausschuss erklärt,

(Staatsminister Thomas Jurk: Genau, ich habe es erklärt, und Sie haben es wieder nicht verstanden!)

dass der Bau bis 2012 abgeschlossen werden kann, wenn wir die Planung bis Sommer beauftragen. Das haben wir aber nicht getan. Jetzt soll das EFRE-Programm das Projekt retten, wenn doch alle wissen, dass Bayern überhaupt nicht EFRE-förderfähig ist. Das zeigt doch

letztendlich, wo das Problem liegt: Wir kommen in verschiedenen Punkten nicht voran.

Straßenbauprojektvorfinanzierung – auch dort ist nichts passiert. Immer und immer wieder Ankündigungen, aber keine Taten. Wir haben zwei Probleme in der Verkehrspolitik in Sachsen – ich komme zum Schluss.

(Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Beide kommen aus Sachsen – sie heißen Tiefensee und Jurk, und es wird Zeit, dass sich das ändert.

(Beifall bei der FDP)

Die Fraktion der GRÜNEN; Herr Abg. Lichdi, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatsminister Jurk! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf die Auswirkungen auf Sachsen komme, möchte ich wirklich noch einmal in die Chronik der Boni-Posse einsteigen. Diese Boni-Posse kann man tatsächlich unter das Motto stellen: „Was wusste Tiefensee? – oder: die Selbstdemontage eines ehemaligen sozialdemokratischen Hoffnungsträgers aus Sachsen“.

Wir wissen aus der Presse im Juni 2008: Der Personalausschuss des Aufsichtsrates der Deutschen Bahn legt Gehaltserhöhungen und Boni im Falle des Börsenganges fest. Das Grundgehalt des großen Leistungsträgers Mehdorn steigt 2009 um 20 % von 750 000 auf 900 000 Euro. Als Leistungszulage soll er bis zu 3,5 Millionen Euro verdienen können. Im Börsengang soll er – egal, wie der Börsengang ausfällt – zwischen 140 000 und 1,4 Millionen Euro als Bonus verdienen. Dann, meine Damen und Herren, kam leider, leider die Finanzkrise dazwischen, und auf einmal stand Herr Tiefensee mit den Bonusversprechungen an den Aufsichtsrat ziemlich allein im Walde. Es musste gehandelt werden.

Was tut man? Man sucht einen Sündenbock. Also: Am 29. Oktober feuerte Herr Tiefensee seinen mittlerweile sechsten Staatssekretär, Herrn von Randow. Am 30.10. behauptet Herr Tiefensee, erst Mitte Oktober von den Boni erfahren zu haben. Jeder, der sich damit beschäftigt, weiß, dass Herr Tiefensee alles andere als glaubwürdig in dieser Frage ist. Denn: Der Börsenprospekt liegt dem Verkehrsministerium seit dem 2. Oktober 2008 vor. Will Tiefensee ihn nicht zur Kenntnis genommen haben? Nicht glaubwürdig – oder er hat sein Haus nicht im Griff.

Aber: Wir können schon am 25. September 2008 im „Stern“ ein Interview mit Herrn Mehdorn lesen. Zitat Mehdorn: „Es ist allgemein üblich, dass es einen Anreiz für Management- und Führungskräfte gibt. Der Eigentümer gibt denen, die die Aktien verkaufen, Möhrchen, damit sie sich anstrengen, diese möglichst teuer zu verkaufen.“

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Hört, hört!)

Am 31. Oktober 2008 gibt ein Sprecher von Tiefensee zu, dass der Minister – Zitat – „mindestens seit Mitte September informiert gewesen sei“. Also innerhalb eines Tages konnte sich Herr Tiefensee um einen ganzen Monat weiter zurückerinnern, wann er denn von den Bonuszahlungen gewusst haben will.

Es geht weiter: Die „Financial Times Deutschland“ berichtet, dass Aufsichtsratschef Werner Müller Herrn Tiefensee bereits in der zweiten Augusthälfte 2008 informiert haben soll. Später legt er noch nach, Mitglieder des Aufsichtsrates sollen Herrn Tiefensee bereits Mitte Juni – also zeitnah unmittelbar nach der Entscheidung des Personalausschusses – informiert haben.

Es ist ganz deutlich: In der Phase, als Herr Tiefensee über die Boulevardpresse die Rücknahme der Boni fordert, schlägt das „System Bahn“ zurück und gibt diese Indiskretion gezielt an die befreundete Presse weiter.

Ebenfalls hoch interessant: Am 01. und am 03.11, also genau in der Phase, in der es um den Kopf von Herrn Tiefensee geht, tragen Frau Merkel, die Bundeskanzlerin, und Herr Glos, der Wirtschaftsminister von der CSU, die Forderung von Herrn Tiefensee nach Rücknahme – hört, meine Damen und Herren! – nicht mit.

Am 05.11. findet dann die Absage des Bahn-Börsengangs statt, offensichtlich ohne dass Herr Tiefensee davon wusste. Anscheinend musste ihm das erst in dieser Sitzung des Verkehrsausschusses des Bundestages berichtet werden. Als man ihn danach fragte, wusste er davon nichts.

Noch etwas ist hoch interessant, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD: In der Sitzung des Haushalts- und des Verkehrsausschusses des Bundestages am 5. November verhindert die Sozialdemokratie im Bundestag, dass auch Werner Müller zu dieser Frage vernommen wird.

(Stefan Brangs, SPD: Nein, nein! Ganz allein?)

Warum tut sie das? Weil Werner Müller nämlich darüber Auskunft geben könnte, ob die Angaben, die in der Zeitung standen, dass Herr Tiefensee nämlich früher informiert war, zutreffen oder nicht. Es wurde offensichtlich dafür gesorgt, dass im Bundestag parlamentarisch nicht aufgeklärt werden konnte.