Protokoll der Sitzung vom 22.01.2009

Worauf können wir aufbauen? Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel Geld in die Pflegeinfrastruktur investiert. Allein in den vergangenen zehn Jahren wurden im Rahmen des Pflegeversicherungsgesetzes fast 20 000 moderne vollstationäre Pflegeplätze mit einem Investitionsvolumen von circa 1,5 Milliarden Euro geschaffen. Es gibt heute in unserem Freistaat 1 055 stationäre Einrichtungen der Pflege inklusive der Einrichtungen für erwachsene Menschen mit Behinderung.

Dazu eine kurze Statistik: Das entspricht einem Anteil von 0,25 Einrichtungen pro 1 000 Einwohner, etwas praktischer ausgedrückt: Jede Kleinstadt in Sachsen verfügt nach diesen Zahlen über ein Angebot der stationären Pflege. Wenn Sie sich in Ihrem Wahlkreis umschauen, können Sie das sicherlich bestätigen. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg sind es 0,1 Einrichtungen pro 1 000 Einwohner.

Aufbauen können wir ferner auf den geänderten und verbesserten gesetzlichen Rahmenbedingungen, was bereits in der Pflegedebatte zum Ausdruck kam. Mit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz, das im Juni vergangenen Jahres in Kraft getreten ist, wurden entscheidende Maßstäbe für eine deutliche Verbesserung der Pflegequalität gesetzt. Krankenkassen und Pflegeeinrichtungen sind jetzt verpflichtet, verbindliche Standards für die Pflegequalität zu vereinbaren. Die Qualitätsprüfungen vor Ort durch den

MDK werden deutlich strenger. Sie orientieren sich an den festgeschriebenen Pflegestandards und werden künftig mindestens einmal im Jahr vorgenommen.

Ausgehend von dieser Basis startet unsere Pflegeoffensive „Pflege N“ – das „N“ steht für Netzwerk. Das Ziel dieser Offensive heißt mehr Qualität und Transparenz in der sächsischen Pflege. Der Weg dorthin heißt Vernetzung. Gemeinsam mit allen in diesem Bereich relevanten Partnern wollen wir das Pflegenetz in Sachsen dicht und zukunftsfest knüpfen, um eine Pflege in Würde zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Das Sächsische Staatsministerium für Soziales versteht sich dabei als treibende Kraft dieser Entwicklung, als Moderator und als Netzwerk in einem Prozess hin zu einer Verbesserung der Pflege in Sachsen – ambulant und stationär.

Diese Pflegeoffensive „Pflege N“ wird aus mehreren Bausteinen bestehen, von denen ich einige kurz skizzieren möchte:

Erstens. Wir haben gestern das Gesetz zur Regelung der Betreuungs- und Wohnqualität im Alter bei Behinderung und Pflegebedürftigkeit in das Hohe Haus eingebracht. Was wir damit erreichen wollen, habe ich gestern formuliert. Wir wollen eine effizientere Heimaufsicht und entsprechende Fachkraftquoten, also alles das, was in der Debatte bereits angesprochen wurde.

Ich sage eines sehr deutlich: Die Stellen der Heimaufsicht werden wir zur Verfügung stellen und adäquat besetzen, damit die Heimaufsicht ihre Aufgaben zeitlich und entsprechend der qualitativen Anforderung ausüben kann. Ich bin mir mit meinem Kollegen Herrn Dr. Buttolo darüber einig, und wir haben eine Lösung gefunden.

Zweitens. Der zweite Baustein der Pflegeoffensive heißt Vernetzung aller Akteure. Alle Akteure, die in Sachsen Verantwortung für eine transparente und qualitätsvolle Pflege tragen, sollen im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger an einem Strang ziehen. Wir wollen, dass die Akteure bei den Krankenkassen, den Kommunen – denn dort ist die Daseinsfürsorge und bedeutet kein Abwälzen der Aufgaben –, den Leistungsträgern und Leistungserbringern so zusammenzuarbeiten, dass die Schnittstellen klar herausgearbeitet sind, es möglichst keine Reibungsverluste mehr gibt und dadurch die Qualität der Arbeit für die Betroffenen nochmals spürbar steigt.

Drittens. Der dritte Baustein bezieht sich auf die Pflegestützpunkte. Die sächsischen kommunalen Spitzenver

bände, die Pflegekassen, die Liga der Wohlfahrtsverbände und die privaten Verbände der Leistungserbringer haben sich zur Errichtung von Pflegestützpunkten ablehnend geäußert, weil sie zum Aufbau von kostenträchtigen Doppelstrukturen führen würden. Sie werden mir sicherlich zustimmen: Das soll vermieden werden, und das kann man auch vermeiden. Wir wollen Geld für die Pflege ausgeben und nicht für die Verwaltung der Pflege.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Unterstützung brauchen die Pflegebedürftigen und die Pflegenden. Genau deshalb genießt die Pflegeberatung höchste Priorität. Wir setzen auch hier auf Vernetzung der vorhandenen Ressourcen und werden für Sachsen gemeinsam mit den Leistungsträgern und den Leistungserbringern einen Pflegestützpunkt errichten, der für alle Pflegebedürftigen und Angehörigen schnell, rund um die Uhr, ohne Barrieren und mit minimaler Reaktionszeit per Telefon oder Internet zu erreichen ist. Dieser virtuelle Pflegestützpunkt ist ein wesentlicher Knoten in unserem Pflegenetzwerk. Er soll den Betroffenen eine schnelle und adäquate Information über Angebote, über Verfahren und zu Ansprechpartnern liefern.

Viertens. Der vierte Baustein unserer Pflegeoffensive soll eine umfassende, aufsuchende und neutrale Pflegeberatung sein, so wie es das SGB XI beschreibt. Dazu sind die Kostenträger angehalten.

Fünftens. Der fünfte Baustein ist und bleibt eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit rund um das Thema Pflege. Wir werden beispielsweise weiterhin den Sächsischen Altenhilfekongress abhalten, weil wir wissen, dass dort nicht nur Informationen ausgetauscht, sondern auch Netzwerke gebildet werden. Vernetzung – das hatte ich eingangs schon gesagt – aller vorhandenen Ressourcen heißt der Weg unserer Pflegeoffensive, hin zu einer qualitätsvollen und transparenten Pflege in Sachsen, im Interesse all derer, die auf Pflege und Unterstützung angewiesen sind, ganz gleich, ob ambulant oder stationär.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von den Fraktionen der CDU und der SPD, zum Thema „Transparenz und Qualitätssicherung in der sächsischen Pflege“ abgeschlossen.

Wir kommen zu

2. Aktuelle Debatte

Der Fall Hauser und die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt in Sachsen

Antrag der Linksfraktion

Als Antragstellerin hat zunächst die Linksfraktion das Wort. Danach folgen CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Linksfraktion das Wort nimmt. Herr Bartl, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema, das wir heute zur Aktuellen Debatte aufrufen, hat eine seit Monaten andauernde Vorgeschichte. Diese möchte ich hier nicht im Einzelnen herbeten, zum einen weil die Zeit fehlt und zum anderen, weil etliches von dem, was heute zu besprechen ist, schon Gegenstand eines Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bzw. von Kleinen Anfragen verschiedener Abgeordneter und der Antworten der Staatsregierung hierauf war.

Erinnern wir uns deshalb nur kurz, worum es geht: Da steht zunächst ein komplexer Vorwurf im Raum, die Staatssekretärin im Justizministerium, Gabriele Hauser, habe sich 2005 massiv in ein laufendes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung, das die Staatsanwaltschaft Bautzen, Außenstelle Weißwasser führte, eingemischt.

Hintergrund: Ein Referatsleiter im Innenministerium taucht in den Abendstunden des 9. November 2004 auf dem Polizeirevier in Radeberg auf und verhindert, dass ein dort zugeführter Autofahrer, der bei einer Verkehrskontrolle beim Atemtest mit 1,2 Promille geschnappt wurde und der dann lautstark nach seinem Rechtsanwalt verlangte, rechtzeitig der Blutprobenentnahme durch den anwesenden Arzt unterzogen wird. Die betroffenen Polizisten berichten hinterher, der Herr Referatsleiter, der sich wie ein Anwalt geriert, habe gezetert, geschimpft und gedroht. Nach langem Hin und Her habe der Arzt doch noch seinen Job erledigen können. Allerdings sei inzwischen so viel Zeit vergangen, dass der Promillewert nicht mehr korrekt berechnet werden konnte, sodass die absolute Fahruntüchtigkeit, strafrechtliche Fahruntüchtigkeit jenseits der 1,1-Promille-Grenze, nicht mehr nachweisbar war.

Die über den Auftritt des Herrn Referatsleiters empörten Polizisten melden den Vorfall der Staatsanwaltschaft Bautzen. Der zuständige Staatsanwalt, in der Presse vollnamentlich als Dr. Altenkamp bekannt gegeben, leitet ein Ermittlungsverfahren gegen den Referatsleiter wegen versuchter Strafvereitelung ein. Bei einer Anhörung, zu der dann der Beschuldigte mit einem richtigen Anwalt erscheint, soll es zunächst recht laut zugegangen sein. Dann schlug Staatsanwalt Altenkamp vor, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage von 3 000 Euro einzustellen, was nach meiner Überzeugung und der meiner Berufskollegen, schon für sich gesehen, einigermaßen eine Rechtswohltat gewesen wäre.

Statt auf das Angebot zu reagieren – so berichtet zum Beispiel am 16.09.2008 die „Sächsische Zeitung“ –, beschwert sich der Referatsleiter an höherer Stelle. Herr Staatssekretär im Innenministerium Staupe staucht den Flegel nicht etwa zusammen, so nach der Lesart: Halten Sie bloß den Mund und seien Sie froh, dass Sie so billig davonkommen sollen! Nein, der Herr Staatssekretär im Innenministerium telefoniert mit seiner Amtskollegin im Justizministerium, Frau Staatssekretärin Hauser, die ihrerseits unverzüglich den damaligen Leitenden Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Bautzen Spindler anruft und diesem klarmacht, das hohe Haus in der Hospitalstraße erwarte, dass das Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt werde. Außerdem müsse der besagte Staatsanwalt mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde des geplagten Innenreferatsleiters rechnen.

Der nunmehr von seinem Leitenden Oberstaatsanwalt angewiesene Staatsanwalt Dr. Altenkamp schreibt vorher – völlig sach- und fachgerecht – den Beschuldigten an, um von ihm eine abschließende Stellungnahme zu den Vorwürfen zu erbitten, die er letztlich braucht, um die geringe Schuld, die die Einstellung rechtfertigt, feststellen zu können.

Tage später meldet sich wieder sein Chef, der inzwischen, wie wir wissen, aus dem Amt geschiedene frühere Leitende Oberstaatsanwalt von Bautzen, Herr Spindler. – Er hatte ja seine Schwierigkeiten, die Steuererklärung ordnungsgemäß auszufüllen. – Er weist Dr. Altenkamp an, das Verfahren nach § 153 StPO in Gänze einzustellen, ohne Geldauflage. Altenkamp berichtet darüber in einem Aktenvermerk: „Er schrie mich an, die Staatssekretärin habe sich schon wieder über mich beschwert, wie ich es wagen könne, den Beschuldigten direkt anzuschreiben. Ich schrie zurück, in was für einer Bananenrepublik wir eigentlich leben, dass dies schon wieder eine Beschwerde von ganz oben wert wäre.“

Der offenkundig viel zu rechtspositivistische Staatsanwalt Dr. Altenkamp nimmt die Sache nicht ganz auf die eigene Kappe. Er schickt die Akte an den zuständigen Ermittlungsrichter und ersucht um dessen Zustimmung zur sanktionslosen Einstellung, die dieser – so wörtlich von ihm nach der Aktenlage formuliert – „nur mit äußersten Bedenken“ erteilt.

Als dieser Vorfall durch den Frankfurter Publizisten Jürgen Roth als Ersten im Bereich der medialen Öffentlichkeit gebracht und im Internet-Auftritt angeprangert wird, nimmt sich ein Dresdner Staatsanwalt noch einmal der Sache an. Das von ihm eingeleitete Ermittlungsverfahren wird alsbald sang- und klanglos eingestellt.

Die „SZ“ berichtet dann unter der Überschrift „Ein Alkoholtest und ein Anruf von oben“ über diesen Fall.

Die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Berliner Zeitung“ schließen sich an. Wir haben dann, wie man so schön sagt, einen bundesweit erörterten Skandal.

Die Frage, wie dann darauf reagiert worden ist, dass der Herr Staatsminister Mackenroth sich voll und ganz vor die Staatssekretärin stellt, uns im Ausschuss erklärt, dass es letzten Endes nur um die Frage ging, hier zu vermitteln und ausuferndes Verhalten des Staatsanwaltes zu begradigen bzw. einen „dialogorientierten Führungsstil“ zu praktizieren – dazu komme ich dann noch einmal, was das in der Justiz sein soll –, gibt uns Anlass, die Sache heute aufzurufen. Wir wollten es am 5. Januar in einer Sondersitzung des Ausschusses tun. Das ist uns verweigert worden. Die Mehrheit hat die Selbstbefassung abgelehnt. Ergo muss sich das Plenum heute damit befassen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile das Wort der Fraktion der CDU. Herr Schiemann, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob das, was Herr Bartl hier vorgetragen hat, der Gegenstand der Befassung im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss war.

(Klaus Bartl, Linksfraktion, geht zum Mikrofon.)

Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, dass Sie in dieser detaillierten Form die Chance genutzt haben, die wir im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss am 24.11. bei der Befassung des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatten – erste Feststellung.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Justiz als dritte Staatsgewalt hat eine besondere Stellung in der verfassungsmäßig vorgeschriebenen Gewaltenteilung. Sie hat damit auch eine besondere Verantwortung für ihr Handeln. Das trifft natürlich auch für die Träger der zweiten Staatsgewalt, die Verwaltung, zu. Es darf nicht – das betone ich ausdrücklich – zur Vermischung von privaten Anliegen handelnder Personen kommen.

(Beifall der Abg. Stefan Brangs und Enrico Bräunig, SPD)

Das muss ich hier deutlich sagen. Egal, ob es Beamte, Richter oder Staatsanwälte sind. Dies wäre in jedem Fall verfassungswidrig und strafbar.

Dabei müssen Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit im Handeln der Justiz – und das trifft für jede Justiz zu – erkennbar bleiben. Der Bürger hat ein Recht, darauf zu vertrauen. Bisher ist deutlich gewesen, dass die Bürger vielerorts ein Vertrauen in die sächsische Justiz hatten, und das muss auch so bleiben.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

1989 sind die Menschen auf die Straße gegangen, weil sie eben gerade diese rechtsstaatliche, unabhängige Justiz eingefordert haben. Viele haben sich noch an das Brüllen, an das Schimpfen einer Hilde Benjamin erinnern können. Herr Dr. Krone, ein Kollege von uns, hat dies einmal sehr deutlich in einer Rede hier vorgetragen. Wir haben im Zuge der Verfassungsgebung gesagt: Wir wollen nie wieder, dass solche Typen von Menschen innerhalb der Justiz einen Platz finden.

(Beifall bei der CDU)