Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Morlok, ich glaube, das war ein Exkurs zum Thema „Kaltes Herz“. Die PDS hat die Debatte zu den Auswirkungen der Agenda 2010 auf Sachsen beantragt. Ich bin nicht allzu überrascht, dass sie diese Stunde nutzt,
die Agenda Sozial. Da will die PDS – ich zitiere einmal – „die flächendeckende Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 und bald schon auf 30 Stunden. Das schafft mehr Raum für Erziehung und vergrößert das wöchentliche Zeitfenster für soziale Kontakte.“
Meine Damen und Herren, wenn wir Ihr Programm hier im Landtag umsetzen würden, hätten wir in diesem Haus am Mittwoch die Debatte abbrechen müssen, den gestrigen und heutigen Tag uns sparen können. Wir hatten am Mittwoch wahrscheinlich alle die 30 Stunden voll. Eine Berichterstattung hätten wir heute auch nicht mehr, denn die Damen und Herren Journalisten – ginge es nach diesem Vorschlag – wären schon lange in der Freizeit.
Natürlich steht es Ihnen frei, Ihren Arbeitsalltag und den Ihrer Mitarbeiter nach Ihrer Agenda Sozial zu gestalten. Aber bitte verkaufen Sie uns solche Rezepte nicht als Antwort auf die wirtschaftspolitischen Herausforderun
Herr Kollege, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass hinter dem, was Sie Rezept nennen, nicht Verkürzen von Arbeitszeit als das eigentliche Ziel steht, sondern das Teilen von Arbeit, und dass das etwas ganz anderes ist?
Meine Damen und Herren! Alle ernst zu nehmenden Sachverständigen sind sich einig, dass es zur Agenda 2010 keine Alternative gab und gibt.
Die Ursache, warum Deutschland bei Indikatoren wie dem Wachstum und der Beschäftigung hinter denen vergleichbarer europäischer Länder zurückbleibt, ist nicht die Agenda 2010, sondern das Versäumnis, nach den Jahren des Stillstandes nicht schon viel früher mit den Reformen begonnen zu haben.
Großbritannien und die skandinavischen Länder haben uns vorgemacht, dass durch kluge, sozial ausgewogene Reformen neue Arbeitsplätze entstehen und durch eine bessere Betreuung der Menschen wieder mehr Menschen in den Arbeitsmarkt gebracht werden können.
Mehr Menschen in Beschäftigung und den Sozialstaat zukunftsfähig zu machen, das schafft den Freiraum für dringend notwendige Investitionen. Auch wenn der Arbeitsmarkt ein anderes Bild bietet: Die ersten positiven Auswirkungen der Agenda 2010 sind bereits jetzt sichtbar. Weitere werden folgen. So werden, Herr Morlok, in diesem Jahr zum Beispiel die Krankenkassenbeiträge sinken. Das bedeutet: Der Faktor Arbeit wird einerseits entlastet und gleichzeitig haben die Beschäftigten netto mehr in der Tasche.
Meine Damen und Herren! Agenda 2010 heißt aber auch, mehr Geld in die Bildung zu investieren, damit wir auch in Zukunft im internationalen Wettbewerb mithalten können. Sachsen partizipiert bereits am Programm für die Ganztagsbetreuung an den Schulen, und im Bereich Hochschulen würde ich mir wünschen, dass die neue Landesregierung den Blockadekurs aufgibt, den die alte Landesregierung in der Wissenschaftspolitik gegenüber dem Bund gefahren hat.
Das Exzellenzprogramm der Bundesregierung zur Ertüchtigung der Hochschulen sieht vor, für bis zu zehn Spitzenuniversitäten sowie für den Ausbau internationa
ler Spitzenforschung an den Universitäten bis zum Jahr 2011 insgesamt 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen.
Herr Kollege, eine Frage: Sie sprachen die Spitzenuniversitäten an. Können Sie mir weltweit eine renommierte Spitzenuniversität nennen, die durch Kabinettsbeschluss zur Spitzenuniversität wurde?
Meine Damen und Herren! Auch wenn es in der öffentlichen Diskussion noch so häufig unterstellt wird: Die Agenda 2010 ist kein Programm des Sozialdumpings. Sie ist Teil der von den europäischen Ländern beschlossenen Lissabon-Strategie mit dem Ziel, Europa zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Region der Welt zu machen. Darüber haben wir übrigens vor 14 Tagen im Plenum diskutiert.
Wir als GRÜNEN-Fraktion unterstützen die Ziele der Agenda 2010 und wollen verstärkt in den Faktor Mensch und in Forschung und Entwicklung investieren. In Deutschland entscheidet die soziale Herkunft mehr als in anderen Ländern über die Bildungschancen, und in kaum einem anderen Bundesland sind die Unterschiede in diesem Bereich so stark wie in Sachsen. Es ist erklärtes Ziel des Prozesses der Agenda 2010, daran etwas zu ändern. Ferner ist es unsere Aufgabe, die Zahl studierfähiger junger Menschen in den nächsten Jahren drastisch zu erhöhen und dafür zu sorgen, dass in Zukunft fast doppelt so viele Studenten eines Jahrganges einen Hochschulabschluss erwerben.
All das ist Teil des Prozesses der Agenda 2010, die dreißig verschiedene Reformvorhaben miteinander verbindet und auch uns hier am Standort Sachsen heute und in Zukunft helfen wird.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1998 gab es eine Wechselstimmung, 16 Jahre Kohl waren genug. Allerdings sahen sich die Wählerinnen und Wähler bald schon von Rot-Grün getäuscht. Nur zwei Zahlen: Der Spitzensteuersatz wurde in anderthalb Legislaturperioden um elf Prozentpunkte gesenkt. Jahrzehnte vorher war er auf 53 % festgeschrieben worden. Die Renten wurden dem Finanzminister ausgeliefert, von der Lohnentwicklung abgekoppelt, Teilprivatisierung der Renten. Unter dem Stichwort „Reform“ wurde die Zerstörung des Sozialstaates vorangetrieben. Vor zwei Jahren dann die Zusammenfassung:
Agenda 2010, Hartz-Kommission, Gesundheitsreform, Rentenreform. Gesundheitsreform bedeutet im Klartext: 9 Milliarden Euro Entlastung für die Arbeitgeber, 15 Milliarden Euro Belastung für Patientinnen und Patienten und Kassenmitglieder. Die Hartz-Kommission bedeutet – in schrittweiser Umsetzung von Hartz I bis Hartz IV – insbesondere für die sächsischen Kommunen eine absolute Verschärfung der sozialen Situation und der Haushaltslage der Kommunen.
Ich nehme als Beispiel nur einmal meine Heimatstadt Leipzig. Mein derzeitiger Oberbürgermeister war als einziger Ostdeutscher Mitglied der Hartz-Kommission und hat dies mit vorangetrieben und mit zu verantworten. Wenn die Arbeitslosigkeit 1998 noch bei 30 000 Menschen lag, lag sie Ende 2004 bei 44 000 und im Februar 2005 bei 52 000 Menschen in meiner Stadt. Ende 2004 hatten wir inzwischen 35 000 Sozialhilfebezieher in der Stadt, das heißt, fast jeder vierte sächsische Sozialhilfebezieher kommt aus Leipzig.
In Leipzig wurden mehr als 50 000 Anträge zu Hartz IV versandt. Es muss davon ausgegangen werden, dass mindestens 60 000 Menschen betroffen sind. Wahrscheinlich wird die Zahl im Laufe des Jahres noch um fünf- bis sechstausend ansteigen. Die Verschuldung der Stadt nimmt dramatisch zu und die Risiken für den Haushalt steigen weiter an.
Ich denke, wir reden hier bei der Agenda 2010 nicht nur über eine verheerende Sozialpolitik, sondern wir reden eben auch über einen ökonomisch völlig falschen Kurs. Deutschland ist nun einmal ein hoch entwickeltes Industrieland, in dem hohe Löhne gezahlt werden. Das ist Fakt. Aber wir sind gerade dabei, diesen Vorteil, den wir als hoch entwickeltes Industrieland haben, zu verspielen – technikbasierte und wissensbasierte Innovationen zu entwickeln.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel dafür. Nehmen Sie die EinEuro-Jobs. Was hatten wir für Diskussionen gehabt, was man alles als Ein-Euro-Jobber erledigen kann?! Selbst die Kinderbeaufsichtigung in der Schule! Wozu brauchen wir überhaupt noch eine Berufsausbildung? Wozu brauchen wir teilweise noch Studiengänge, wenn das alles schon Langzeitarbeitslose erledigen können? Das ist doch auch eine Entwertung unseres Vorteils, den wir hier haben.
Es geht eben weit darüber hinaus, dass Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt vernichtet werden. Es geht wirklich langfristig um eine Entwertung des Systems, des Wissenspotenzials, das wir hier in Deutschland haben. Unsere Wettbewerbsposition muss gestärkt werden, aber nur, indem wir die Vorteile stärken. Die ganze Diskussion über die Lohnnebenkosten ist eine Gespensterdiskussion.