Protokoll der Sitzung vom 19.03.2009

DIE LINKE will eine Wirtschaft, die so modern wie irgendwie möglich ist. Wir wollen eine hochproduktive Wertschöpfung auf höchstem technologischem Niveau. DIE LINKE will Innovation und Dynamik – ganz im Geiste erfolgreicher sächsischer Industrietraditionen. Wir wollen all dies nicht als Selbstzweck, sondern weil wir in einer schrumpfenden und älter werdenden Gesellschaft jetzt die Weichen stellen müssen, langfristig die ökonomischen Grundlagen des modernen Sozialstaates zu sichern.

Ganz ohne Risiko aber ist bekanntlich auch in der Politik nichts Wegweisendes zu schaffen. Wäre Kurt Biedenkopf in den Neunzigerjahren so ängstlich gewesen wie Stanislaw Tillich heute,

(Volker Bandmann, CDU: Den haben Sie damals aber auch schon beschimpft!)

dann hätten wir jetzt in Sachsen weder Chip- noch Autofabriken.

Natürlich hat es damals auch Kritik gegeben.

(Zuruf von der CDU: Von Ihnen vor allen Dingen!)

Aber es gab damals auch Beteiligungen des Freistaates, wenn Sie sich erinnern, und es war insbesondere im Zusammenhang mit den VW-Investitionen ein ganz anderes Auftreten Sachsens gegenüber der EU zu vernehmen, das den damaligen sächsischen Ministerpräsidenten sogar zum Helden einer „Spiegel“-Titelseite gemacht hat. Man braucht kein Prophet zu sein, um

vorherzusagen, dass Stanislaw Tillich eine solche Titelseite wohl nie erreichen wird.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen erhielt der Landtag die Stellungnahme der Staatsregierung zu einem Antrag der Koalitionsfraktionen CDU und SPD zum Thema „Aktivitäten der Staatsregierung zum Erhalt des IT-Standortes Dresden unter besonderer Berücksichtigung des Erhalts der Arbeitsplätze“. In ihrer Stellungnahme empfiehlt die Staatsregierung – ich zitiere –: „den Antrag in der vorliegenden Form nicht zu beschließen und gegebenenfalls zu aktualisieren.“

Angesichts dieser von Staatsminister Jurk unterschriebenen Bescheinigung für die Koalition, dass ihre Politik in puncto Mikroelektronik im Allgemeinen und bei Qimonda im Besonderen überholt ist, empfehle ich Ihnen wärmstens die Annahme des heute vorliegenden Antrags der Linken und der GRÜNEN, denn dieser Antrag ist auf der Höhe der Zeit.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Als Argumentationshilfe möchte ich Ihnen das Fazit der Stellungnahme des Wirtschaftsministers ans Herz legen. Herr Jurk stellte fest – Zitat –: „dass Qimonda einen zentralen Stellenwert für das Cluster einnimmt und durch vielfältige infrastrukturelle und projektbezogene Vernetzungen erhebliche Wirkungen auf Zulieferstrukturen, aber auch auf Unternehmen wie Infineon und das neu entstandene GLOBALFOUNDRIES ausübt.“ Das ist exakt der Grund, warum unser Antrag richtig und notwendig ist.

Allen Abgeordneten des Landtags liegt ein Brief des 1. Bevollmächtigten der IG Metall Dresden und des Betriebsratsvorsitzenden von Qimonda vor, in dem anlässlich der heutigen Sondersitzung klar die Forderung nach einer Sicherung der Fortführung des Unternehmens erhoben wird. Außerdem haben sich unterdessen drei Dutzend renommierte Forscher, darunter der Nobelpreisträger Klaus von Klitzing, an die Bundeskanzlerin gewandt, um zu erreichen, dass auch der Bund seinen Anteil Verantwortung für Qimonda übernimmt. Letzteres sollte doch eigentlich kein Problem sein; schließlich heißt der Chef im Kanzleramt Thomas de Maizière, der sich bekanntlich als sächsischer Politiker definiert und in Meißen als Direktkandidat in den Bundestag gewählt werden will. Es wäre gut, wenn sich Herr de Maizière künftig nicht vorrangig um die regelmäßige Aktualisierung seines Autokennzeichens und medienwirksame Auseinandersetzungen mit Mitgliedern der Bundesregierung kümmerte, sondern um das, was für Sachsen wirklich wichtig ist.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Und in Sachsen steht eben jetzt der Erhalt von Qimonda ganz oben auf der Agenda. In dem Schreiben der Wissenschaftler heißt es: „Jeder Tag zählt.“ Dem können wir nur beipflichten, und deshalb war und ist diese Sondersitzung des Landtags zwingend notwendig.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe, in einem sind wir uns alle einig: Die Zukunftsfähigkeit der Technologie von Qimonda ist unbestritten. Die Energieeffizienz der Qimonda-Chips taugt für einen strategischen Wettbewerbsvorteil, wenn die heutige Chance nicht vertan wird. Betriebsrat und IG Metall verweisen zu Recht darauf, dass ein Investorenkonzept in greifbare Nähe gerückt ist. Portugal hat seine Bereitschaft zum Engagement gezeigt. Sachsen ist jetzt am Zuge, den entsprechenden deutschen Anteil an der Rettung Qimondas zu organisieren.

Worauf ich heute definitiv keine Lust habe, ist, noch einmal dem Schwarze-Peter-Spiel beizuwohnen, das in den vergangenen Monaten von der Koalition versucht wurde. Es macht nämlich nicht nur keinen Spaß, sondern es ist obendrein auch noch lächerlich.

Sie, Herr Tillich, Sie, Herr Jurk, und Sie, meine Damen und Herren von CDU und SPD, regieren in Dresden und in Berlin – im Land und im Bund. Maßgebliche Politiker auf europäischer Ebene gehören Ihren Parteien an. Frau Merkel kündigte vor einigen Jahren einmal an, „durchregieren“ zu wollen. Das klang damals erschreckend; aber in diesem Fall wäre es ein Segen für Sachsen, wenn Sie in Sachen Qimonda endlich einmal für ein paar Stunden auf allen Ebenen durchregieren würden, statt uns mit immer neuen Fotos Hände schüttelnder Herren und unverbindlichen Presseerklärungen zu versorgen. Diese braucht nämlich niemand.

Deshalb sage ich: Springen Sie doch endlich einmal über Ihren Schatten. Stimmen Sie, meine Damen und Herren, dem vorliegenden Antrag zu. Ich bin sicher: Nicht nur die Familien der Qimonda-Beschäftigten werden es Ihnen danken. Die sächsische Wirtschaft würde durch einen solchen Impuls der politischen Entschlossenheit auch einen starken psychologischen Ansporn erhalten, der in schwierigen Zeiten viele Menschen beflügeln könnte, gemeinsam neue Wege zu wagen.

Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich: Tun Sie es einfach, meine Damen und Herren von CDU und SPD – und natürlich auch alle anderen Kollegen der demokratischen Fraktionen hier in diesem Haus! Heute geht es nicht in erster Linie um Fördermittel, auch nicht um Bürgschaften oder Darlehen; heute geht es um ein klares industriepolitisches Signal, und dieses Signal muss auf Beteiligung gestellt werden.

Wir alle haben die Chance, Sachsen dadurch weiterzubringen. Wir sollten diese Chance entschlossen nutzen.

(Starker Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Jetzt erhält die Fraktion GRÜNE das Wort; Frau Abg. Hermenau, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Staatsminister Jurk, Sie haben hier mit einem gewissen Tremolo in der Stimme gesagt: Wir kämpfen weiter!, und alle haben diese

Parole gehört. Kämpfen Sie flehend, auf den Knien, oder richten Sie verzweifelte Appelle nach außen?

Ich habe Sie hier im Dezember ganz konkret in der Debatte zu Qimonda gefragt: Haben Sie einen Stellenpool für die Fachleute vorbereitet und versuchen Sie, den Standort zu sichern? Das waren sehr konkrete Fragen. Wir haben jetzt ein Vierteljahr später und ich habe noch keine Ergebnisse zu diesen Fragen von Ihnen erhalten. Sie behaupten immer, Sie seien aktiv, aber die Ergebnisse kommen nicht. Eine Wirtschaft kann sich das nicht so leisten – eine Staatsregierung hoffentlich auch nicht unbegrenzt. Ich erwarte, dass in einem Vierteljahr mehr Ergebnisse zutage treten. Es geht hier um ein ganzes Cluster, es geht um das Silicon Saxony, und das ist mehr als nur eine Firma. Es ist in den letzten Wochen noch einmal deutlich geworden, wenn man die ganzen öffentlichen Debatten zum Thema verfolgt hat.

Sie haben hier, Herr Staatsminister Jurk, eine Binnenrede zur Koalition gehalten. Sie haben sich mit Ihrer CDU unterhalten, weil Sie sich nicht einig sind. Was soll ich denn als Bürger davon halten, dass Sie immer noch in der Klärungsphase sind – ein Vierteljahr, nachdem wir angefangen haben, darüber zu reden?

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Ich werde mich nicht lange über die kleine Schamlosigkeit der SPD auslassen, die angeblich kurz vor knapp noch etwas nachdiskutieren musste. Das war meiner Meinung nach eine gewisse Überstrapazierung der Geschäftsordnung. Aber so ist das eben: „Das ist mein Hühnerhof. Hier bin ich der oberste Hahn!“

(Stefan Brangs, SPD: § 105 der Geschäftsordnung!)

Ist schon in Ordnung.

Die Vortäuschung, die SPD habe alles im Griff, reicht hier nicht aus. Man fragt sich manchmal, was vier Jahre Regierungsbeteiligung mit einer Fraktion so anrichten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Meiner Meinung nach sind weltweit alle ratlos, und alle haben ihre Probleme: Berlin, Brüssel, Washington, Peking – Dresden auch.

(Zuruf von der CDU: Nur die GRÜNEN nicht!)

Sie sagen, Sie warteten auf Infineon. Infineon hat abgewinkt. Jetzt warten Sie auf den nächsten großen Investor. Vielleicht warten Sie im April und im Mai noch auf Godot.

Meine Damen und Herren – vor allen Dingen meine Herren –, wir müssen selbst Entscheidungen treffen. Wir kommen in eine Situation, in der man nicht mehr um Hilfe bitten kann in Brüssel, in Berlin oder in Peking, indem man einfach nur Appelle dorthin richtet. Wir kommen in eine Situation, in der die Sachsen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen und in der in Sachsen selbst Entscheidungen getroffen werden müssen.

Was das angeht, erkenne ich Sie beide nur als entscheidungsunfreudig. Sie sagen: Wir stehen bereit, wenn einer vorbeikommt. – Das kommt mir ein bisschen so vor wie ein Tintenfisch, der unter einem Stein sitzt und wartet, dass mal ein Beutefisch vorbeikommt. So kann das doch nicht gehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Sie müssen jemanden nach Peking oder Shangdong schicken, der das klärt. Das ist eigentlich der Punkt, auf den es mir ankommt.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Entschuldigung! Wenn der Herr Wirtschaftsminister am Dienstag vor der Presse steht und behauptet, es gebe noch ein paar Details mit den Chinesen zu klären, dann erwarte ich, dass Sie einen hinschicken, der das dort mit Dolmetscher klärt. Wie wollen Sie denn sonst irgendwelche Informationen bekommen?

Ich erwarte, dass der Staatsminister selbst tätig wird, und wenn Sie nicht selber nach China fliegen, dann schicken Sie jemanden hin.

(Staatsminister Thomas Jurk: Was glauben Sie, was ich die ganze Zeit lang mache?)

Wir werden es ja diskutieren. Ich glaube, Sie dürfen nicht unter Ihrem Stein sitzen bleiben und warten, bis der Beutefisch vorbeikommt.

(Staatsminister Thomas Jurk: Quatsch!)

Sie müssen selbst aktiv werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Jurk, es kann schon sein, dass irgendwann im Laufe dieses Jahres in Ihrem Arbeitszeugnis steht: „Er hat sich stets bemüht.“

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Ich bin weiß Gott – das markiert auch gewisse Auffassungsunterschiede zur Linken – kein Fan von Staatsbetrieben. Das weiß jeder, der mich kennt. Aber ich bin auch kein Fan einer handlungsunfähigen Regierung.