Aber: Weil Sie das genauso machen und weil es überhaupt keinen Beleg für einen Zusammenhang zwischen Teilnahme an U-Untersuchungen und Kindesvernachlässigung gibt, wuseln Sie hier aktionistisch herum und nehmen ganz nebenbei eine empfindliche Störung des Arzt-Patienten-Verhältnisses in Kauf. Damit genau halten Sie Eltern davon ab, sich in Fällen von Überforderung dem Arzt anzuvertrauen.
Es muss zuerst die Frage beantwortet werden, die sich hier aufdrängt: Ist dieser Gesetzentwurf überhaupt geeignet, das angestrebte Ziel – und das ist nicht, wie im Titel genannt, eine Erhöhung der Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen, sondern das Erkennen von Vernachlässigung in bestimmten Familien – zu erreichen? Nur dann, wenn dieser Gesetzentwurf dazu geeignet wäre, wäre ein Eingriff in die Grundrechte überhaupt in Erwägung zu ziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, welchen Nutzen haben Vorsorgeuntersuchungen zur Aufdeckung von Fällen der Kindesvernachlässigung? Diese Frage habe ich in einer Kleinen Anfrage gestellt und in der Antwort schreibt die Staatsregierung, dass ihr „keine dezidierten Expertisen, Studien oder Evaluationen vorliegen, die belegen, dass Kinder, die nicht an den Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen, einem höheren Risiko ausgesetzt sind, misshandelt, missbraucht oder vernachlässigt zu werden“. Das ist die Antwort der Staatsregierung.
Sie wollen jetzt jährlich über 2 Millionen Euro ausgeben, um ein System aufzubauen, das die Vorsorgeuntersuchung aller Kinder in Sachsen bis vier Jahren erfasst – ein System, von dem Sie überhaupt nicht wissen, ob es zu den gewünschten Ergebnissen führt. Das ist doch absurd, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eltern, die auch nach Aufforderung ihr Kind nicht zur Früherkennungsuntersuchung bringen, sollen vom Gesundheitsamt dem Jugendamt gemeldet werden. Das Jugendamt soll dann prüfen und eventuell aktiv werden. Dafür investieren Sie in die Ärzte, die Kassenärztliche Vereinigung und die Gesundheitsämter. Aber, bitte schön: Wo bleibt das Geld für die Jugendämter? Sie hören mit dem Geldverteilen genau da auf, wo die eigentliche Arbeit erst anfängt.
Liebe Frau Kollegin! Sind Sie der Meinung, dass die von Ihnen genannten 2 Millionen Euro – da diese genauso der Gesundheitsvorsorge und da ganz wesentlich dienen – nicht doch auch in einer anderen Art und Weise den Kindern zukommen, wenn Sie das eine schon so sehr verneinen, was wir nicht verneinen?
Ja, Herr Kollege, da haben Sie natürlich recht, dass das unter Umständen auch in diesen Untersuchungen erkannt wird. Es ist ganz klar, dass, wenn beispielsweise ein Kind nicht so richtig sehen kann, es dann ganz gut wäre, das Kind mit einer Brille zu versorgen oder eine Behandlung zu beginnen, damit es später einmal nicht schielt. Das ist sicher richtig. Auch dazu dienen die zwei Millionen.
Wenn Sie uns das zubilligen, sind Sie dann immer noch – entgegen Ihrer gerade getätigten Aussage – der Meinung, dass dieses Geld verpulvert wird?
Ich bin dieser Meinung, weil – darauf gehe ich noch ein – diese Erkenntnisse durchaus auf anderem Wege und mit weniger Restriktion auch erreicht werden können.
Die ehemalige Ministerin Orosz hat hier bei geeigneter Gelegenheit darauf hingewiesen, dass es durchaus verschiedene Möglichkeiten gibt. Die wurden in Sachsen in der Vergangenheit auch genutzt, beispielsweise die Teilnahme an den U-Untersuchungen zu erhöhen. In Europa gibt es Länder, die verpflichtende U-Untersuchungen haben, und Länder, die das nicht haben. Es gibt Studien darüber, ob in den die U-Untersuchungen verpflichtenden Ländern die Teilnahme an diesen Untersuchungen höher ist als in den anderen. Das ist einfach nicht der Fall. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Damit ist Ihr Vorgehen ungeeignet.
Sie investieren in Ärzte, Kassenärztliche Vereinigungen und Gesundheitsämter sicher mit einem gewissen Effekt, den ich Ihnen jetzt hier auch zugestanden habe. Aber Sie hören trotzdem mit dem Geldverteilen da auf, wo die eigentliche Arbeit anfängt. Wenn Frau Schwarz sagt, dass es Sache der Kommunen ist, sage ich, dass man sich auf Landesebene dafür einsetzen muss, die Kommunen dafür entsprechend auszustatten, sprich: Jugendpauschale. Da muss man einfach mehr in diese Jugendpauschale stecken.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass es in den Jugendämtern Wartelisten gibt. Und: Mehr Hilfe in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe bei gleichbleibendem Personal in diesem Bereich! Wie verträgt sich denn das? Das verträgt sich nur so, dass einzelne Mitarbeiter viel mehr Familien betreuen müssen, genauso wie es Frau Schütz gesagt hat. Und Angebote zur Familienbildung, Unterstützungsangebote für Kinder und Eltern hangeln sich von einer Projektfinanzierung zur nächsten. Auch das haben Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht geändert, indem Sie eben für die in Ihren Änderungsantrag hineingebrachte Unterstützung für Netzwerke nicht die entsprechenden finanziellen Mittel hinzugetan haben.
Dem Jugendamt, das die Fälle prüfen und gegebenenfalls Hilfe einleiten soll, sind die Hände dann gebunden. Denn sie haben weder das Personal noch die finanzielle Ausstattung, dies zeitnah und im nötigen Umfang zu schaffen. Tun sie es doch, heißt es, dass andere Familien warten müssen. Genau das haben wir erlebt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Handlungsbedarf besteht bereits heute. Viele Menschen sind durch Medienberichte aufgeschreckt und auch sensibler für die Zeichen von Überforderung, die sie bei Eltern in ihrer Umgebung wahrnehmen. Das war doch das erklärte Ziel der ehemaligen Staatsministerin Orosz, unter anderem auch mit ihrer Kampagne.
Was passiert jetzt? Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Gegenüber dem Jugendamt Dresden, das nun ebenfalls unter der Regie von Frau Orosz ist, haben im vergangenen Jahr 944-mal Bürger den Verdacht geäußert, dass Eltern ihren Pflichten nicht nachkommen. Das sind in Dresden 8 % mehr als im Vorjahr. Diesen Hinweisen müssen die Mitarbeiter des Jugendamtes nachgehen. Auch wenn sich der Verdacht in vielen Fällen glücklicherweise nicht bestätigt hat, bedeutet das mehr Arbeit für die Mitarbeiter des Amtes. Das Fazit, das der Leiter des Jugendamtes Dresden – Herr Lippmann – in der „Sächsischen Zeitung“ vom 28.04. dieses Jahres zieht, lautet: Um alle Aufgaben zu erfüllen, benötigt das Jugendamt 10 bis 15 % mehr Sozialpädagogen. Da, liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie schon heute handeln, auch ohne Gesetzentwurf.
Um da zu handeln, brauchen wir kein Kinderschutzgesetz, wie Sie es hier vorschlagen. Dagegen geben Sie lieber Geld für ein Gesetz aus, von dem die Staatsregierung nicht einmal sagen kann, ob es überhaupt zum Ziel führt, und von dem obendrein angenommen werden muss, dass es einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhält. Mit ihrer Politik spielen Staatsregierung und Koalition ein Kind gegen das andere und eine Familie gegen die andere aus. Damit schützen Sie Kinder nicht besser, Sie entwickeln nur den Anschein von Aktivität. Für den Wahlkampf mag dies eine mögliche Strategie sein, dabei bleiben aber die Kinder in Sachsen auf der Strecke.
An dieser Stelle beantrage ich die Rücküberweisung des Gesetzentwurfes in den Rechts- und Europaausschuss, allein deshalb, weil dieser Ausschuss über das Gesetz nicht beraten konnte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Der vorliegende Gesetzentwurf hat drei Ziele: Es geht um den Schutz unserer Kinder vor Vernachlässigung und Gefährdung, um ihr gesundes Aufwachsen und darum, dass der Staat die Verantwortung, die er hat, auch wahrnehmen kann, und zwar möglichst bevor das Kind Schaden nimmt. Das ist ein Balanceakt zwischen den Rechten der Eltern und dem Wächteramt des Staates, ein Balanceakt zwischen Datenschutz und Kinderrechten und letztlich auch ein Balanceakt dahin gehend, wann Motivation und wann welches Eingreifen durch wen das Richtige ist. Diesem Balanceakt müssen wir uns stellen – nicht übermorgen, sondern heute. Denn es geht um den Schutz von Kindern, die unsere Hilfe brauchen, und es geht um das gesunde und gelingende Aufwachsen, welches wir allen Kindern ermöglichen wollen.
Dieses Vorhaben wurde mit dem vorliegenden Gesetzentwurf rechtlich untersetzt. Die Fraktionen von CDU und SPD haben mit ihrem Änderungsantrag wichtige Akzente eingebracht, denen ich zustimme und für die ich mich bedanke.
Erstens. Wir haben ein verbindlicheres Einladewesen und kein verpflichtendes Teilnahmewesen vorgeschlagen. Das ist eine moderate Lösung, wenn es gleichzeitig um die Wahrung des Rechts der elterlichen Sorge und das Wächteramt des Staates geht.
Zweitens. Wir haben dem Gesetz eine klare Richtung gegeben. Eltern sollen sensibilisiert, beraten und dazu motiviert werden, im Interesse ihrer Kinder an den Früherkennungsuntersuchungen teilzunehmen. Genau aus diesem Grund agiert auch erst das Gesundheitsamt, wenn ein Termin nicht eingehalten wurde oder eingehalten werden konnte, beispielsweise mit einer schriftlichen Erinnerung.
Drittens. Sowohl das Gesundheitsamt als auch das Jugendamt, das möglicherweise in einem letzten Schritt beteiligt wird, haben einen Ermessensspielraum. Das heißt, es gibt keinen Automatismus. Kein Elternteil muss befürchten, dass das Jugendamt automatisch vor der Tür steht, wenn ein Termin nicht eingehalten wurde. Aus
schließlich dann, wenn es einen begründeten Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung gibt, wird das Jugendamt mit seinen Angeboten tätig werden. Das ist letztlich auch notwendig, wenn wir den Kinderschutz wirklich ernst nehmen. In diesem Ziel sehe ich uns hier alle einig.
Ich begrüße nochmals ausdrücklich, dass der Änderungsantrag von CDU und SPD zwei Sachverhalte aus der Anhörung aufgenommen hat. Das betrifft die Kostenübernahme für die Untersuchung für nichtversicherte Kinder durch den Freistaat und die Veränderung des Untersuchungszeitraumes von der U4 bis zur U8.
Meine Damen und meine Herren! Ich will es noch einmal auf den Punkt bringen: Dieses Gesetz stellt Eltern eben nicht unter Generalverdacht. Aber dieses Gesetz ist ein wichtiger Baustein des sächsischen Handlungskonzeptes für präventiven Kinderschutz. Mit diesem Gesetz betreten wir Neuland. Deshalb wurde es befristet und deshalb werden wir es evaluieren lassen, um die Erfahrungen auszuwerten, die Bedenken nochmals abzuwägen und um die Wirksamkeit zu belegen für mehr Kinderschutz in unserem Freistaat Sachsen.
Danke schön. Es ist mir signalisiert worden, dass Herr Krauß noch einmal in die Diskussion eingreifen möchte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank für die Reden. Aber es bedarf doch noch einiger Klarstellungen, weniger nach der Ministerin, sondern vielmehr nach den Beiträgen der Fraktionen.
Frau Lauterbach, Sie sagen, das Gesetz sei in Windeseile verabschiedet worden, es sei ein Schnellschuss, es gehe schnell und überstürzt zu.
Liebe Freunde! Der Kinderschutzgipfel fand am 19.12.2007 statt. Wir haben Länder, die vor zwei Jahren ein Kinderschutzgesetz verabschiedet haben. Wenn Sie uns etwas vorwerfen könnten, was ich akzeptieren würde, dann wäre es das Argument: Sie sind aber langsam, nach zwei Jahren, weil wir eines der letzten Länder sind, die ein Kinderschutzgesetz verabschieden. Sie aber sagen: Sie sind viel zu schnell. Das verstehe, wer möchte. Das kann keiner nachvollziehen. Da scheint etwas anderes dahinterzustecken.
Herr Kollege, geben Sie mir recht, dass man ein konkretes Gesetz erst im konkreten parlamentarischen Verfahren diskutieren kann und nicht