Bleiben wir beim Thema der Altbewerberinnen und Altbewerber. Hier findet sich in der Antwort auf die Große Anfrage eine Irreführung oder regelrechte Falschaussage. Die Staatsregierung spricht nämlich dort von einem kompletten Abbau der Bugwelle an Altbewerbern. Die sächsischen Arbeitsagenturen melden aber 8 184 Altbewerber, 8 184 Menschen, die Sie einfach unterschlagen haben, Herr Minister.
Zwar ist die Zahl gegenüber dem Vorjahr um 37 % zurückgegangen, aber sie stellen immer noch mehr als ein Drittel der Bewerberinnen und Bewerber um einen Ausbildungsplatz dar. Ich sage: Jeder dieser über 8 000 Menschen ist einer zu viel.
Die Linksfraktion fordert die klare Benennung der Zahlen. Wir fordern ehrliche Angaben, denn nur wenn das Problem erkannt und benannt ist, kann es auch gelöst werden.
Ein weiteres qualitatives Problem der sächsischen Ausbildungspolitik sind die Ausbildungsabbrüche bzw. die vorzeitige Lösung von Ausbildungsverträgen. Hier ist eine konstant hohe Zahl zu verzeichnen, und das trotz des Rückgangs der Zahl der Auszubildenden. Herr Minister Jurk, Sie versuchen zwar zu beschwichtigen, indem Sie von positiven Abbrüchen, etwa von Wechseln aus außerbetrieblichen Maßnahmen in duale Ausbildungsverhältnisse sprechen, aber auch hier sprechen die Zahlen, die
Sie in der Antwort geben, für sich. Es sind 344 „Positivabbrecher“ gegenüber insgesamt circa 6 000 im vergangenen Ausbildungsjahr. Das ist eindeutig zu viel.
Bei einem Drittel der Abbrecher wurde ein Grund im Zusammenhang mit der Berufswahl angegeben. Die jungen Menschen in Sachsen sind nicht genügend über die Berufsbilder und Anforderungen informiert. Da liegt das Problem doch offensichtlich in einer ungenügenden Berufsorientierung und -beratung. Dazu komme ich später noch.
Grundsätzlich ist anzumerken, dass bei den jungen Sächsinnen und Sachsen keine ausreichende Kenntnis über die Ausbildungsberufe im Allgemeinen vorhanden ist. Das erkennt man immer wieder daran, wie sich die Bewerberinnen und Bewerber auf die einzelnen Ausbildungsberufe verteilen. So führen immer noch Koch, Friseurin, KfzMechatroniker und Bürokauffrau die Hitliste der Wunschberufe an. Auf der anderen Seite bleiben immer wieder Ausbildungsplätze, zum Beispiel Glasbläser oder Bootsbauer, unbesetzt.
Wir können in der anschließenden Debatte noch näher darauf eingehen, ich möchte jetzt trotzdem gern zur Berufsorientierung sprechen. Jetzt will ich etwas Positives sagen, nämlich dass sich in den letzten Jahren etwas getan hat. So wurde zum Beispiel der Berufswahlpass eingeführt. Es wurde endlich erkannt, welch wichtige Rolle den Eltern bei der Berufswahl zukommt, und es gibt vermehrt Kooperationen zwischen Schulen und Wirtschaft. Dennoch genügen diese Maßnahmen nicht, zumal sie bis auf den Berufswahlpass nicht flächendeckend umgesetzt werden.
Besondere Beachtung muss auch dem Feld der geschlechtersensiblen Berufsorientierung gezollt werden. In der Antwort zur Großen Anfrage kann man nachlesen: „Trotz rechtlicher Gleichstellung ist die Chancengleichheit von Frauen und Männern insbesondere in Bezug auf die Erwerbsarbeit noch nicht erreicht.“ Doch die Statistik weist aus, welcher Handlungsbedarf hier noch besteht. Die Hälfte aller weiblichen Bewerber um einen Ausbildungsplatz konzentriert sich auf nur zehn Ausbildungsberufe. Das sind diejenigen, in denen es nur sehr geringe Gehalts- und Karriereperspektiven gibt.
Der Frauenanteil in den technischen Berufen ist zu gering. So liegt die Frauenquote im Bereich der Fachinformatik bei 6 %, bei der Ausbildung zur Informationselektronikerin sind es gerade einmal 1,8 %. Da verwundert es, dass die Staatsregierung als wichtigstes Instrument zur Gegensteuerung den Girls’ Day angibt. Verstehen Sie mich bitte
Wir unterstützen diesen. Wir führen jedes Jahr eigene Angebote durch und haben auch schon viele Anträge dazu hier im Plenum gestellt.
Das allein wird aber wenig an der grundlegenden Einstellung junger Frauen ändern, nach wie vor die sogenannten frauentypischen Berufe, die sich eben stärker am tradierten Rollenverständnis anlehnen, zu wählen. Wir werden Frauen ermutigen, verstärkt Berufe im naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu ergreifen, und umgekehrt wollen wir auch, dass soziale Berufe für Männer attraktiver werden.
Grundsätzlich steht die Linksfraktion im Sächsischen Landtag für ein Grundrecht auf Ausbildung und die gesetzlich garantierte Berufswahlfreiheit. Herr Minister, ich bitte Sie, nutzen Sie wenigstens Ihre noch verbleibende Zeit, um den sächsischen Unternehmen klarzumachen: Ausbildung lohnt sich und nur eine gute Ausbildung schafft Perspektive und Zukunft in Sachsen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht könnten wir wieder den Versuch machen, an die gestrige Selbstdisziplin im Nutzen der Redezeit anzuknüpfen, sonst kommen wir heute nicht mehr zu Potte. Insofern fünf Punkte meinerseits.
Erster Punkt: Dank an die Staatsregierung für ihre umfangreiche detaillierte Antwort. Es ist deutlich, dass hier die öffentliche Verwaltung, Arbeitsagenturen, Kammern und alle Beteiligten differenziert steuernd auf das System „Berufsbildung“ Einfluss nehmen. Dafür herzlichen Dank.
Zweiter Punkt: Das Lehrstellenkollegium wurde umbenannt in ein Kollegium für Berufsbildung und Fachkräfte in Sachsen. Es hat sich bewährt, dass dort die Sozialpartner, Arbeitsverwaltungen, Ministerien, Kammern und Verbände, also die Breite aller Beteiligten am Thema Berufsausbildung, gemeinsam einen umfassenden Erfahrungs- und Erkenntnishintergrund einbringen und auf dieser Basis über Jahre hinweg sinnvoll gestaltet haben.
Eine kleine Anmerkung zu den Linken: Natürlich wird es auch das Bündnis für Arbeit 2009 wieder geben. Es ist bereits für die nächsten Tage eingeladen. Dafür bedarf es Ihres Antrages nicht.
Dritter Punkt: Es findet ein Umsteuern statt. Das Umsteuern können Sie schon an diesem Begriffswandel Lehrstellenkollegium zu Kollegium für Berufsbildung und Fachkräfte ablesen. Das ist ein Umsteuern von der Grundaufgabe „jedem eine berufliche Perspektive“ – trotz dieser Diskrepanz der starken Jahrgänge und des geringen Arbeitsplatzangebotes –, hin zu stärkerem Blick auf Qualitätsfragen und vor allen Dingen zu mehr Aufmerksamkeit für Benachteiligte, mehr Chancen, mehr Nutzung der Potenziale von Benachteiligten.
Es ist tatsächlich so gewesen, dass wir über Jahre diese Diskrepanz zwischen den starken Jahrgängen und dem nicht so deutlich ansteigenden Arbeitsplatzangebot hatten, aber dieses Angebot hat sich im Laufe der Jahre stabilisiert. Das ist eine ziemliche Leistung, die dahinter steht.
Es ist wahr, die Demografie hat uns insofern zugearbeitet, als wir zumindest diese Bugwelle nicht mehr vor uns herschieben, obwohl aus dem Antrag der Linksfraktion ein Stück weit abzulesen ist, dass ein tiefes Bedauern aus diesem spricht, dass wir das Problem nicht mehr haben. Da wird gern noch einmal auf frühere Jahre zurückgeschaut, in denen wir diese Probleme hatten und wie wir es denn heute bewerten.
Die Probleme haben wir offensichtlich nicht mehr, selbst wenn Sie das Ihrerseits heute anders darstellen wollen. Jetzt geht es um Qualitätssicherung und die nachdrückliche Förderung von Benachteiligten, Qualitätssicherung insbesondere – da sind wir gar nicht in Diskrepanz zu Ihnen – durch einen stärkeren Fokus auf die duale Ausbildung, die wir weiter ausbauen wollen. Nun darf man aber die vollzeitschulische Ausbildung nicht einfach wie das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir haben noch eine ganze Menge Berufe, vor allem im medizinischen Bereich, in denen wir natürlich vollzeitschulische Ausbildung haben werden. Sie hat sich auch dort durchaus bewährt.
Es ist sinnvoll und richtig, zum Beispiel jetzt duale Studiengänge an Fachhochschulen anzubieten und ähnliche Dinge forciert zu betreiben.
Was die Benachteiligten angeht, haben wir zwei Aspekte, einmal natürlich das Interesse dieser betroffenen Gruppe von Schülerinnen und Schülern und andererseits den Aspekt, dass wir die Potenziale heben müssen, die bei den weniger Qualifizierten und bei den wenig Motivierten liegen – die wir leider Gottes auch im größeren Maße im Spiel haben – und den wirklich Benachteiligten durch verschiedene Umstände des Lebens oder der Gesundheit.
Vierter Punkt: Berufsorientierung spielt tatsächlich in der Praxis unserer Schulen eine zunehmend wichtige Rolle. Auch im öffentlichen Raum wird dort viel unterstützt. Bei Unternehmen gibt es viele helfende Angebote.
Vor einem reichlichen Jahr ist die Landesservicestelle Schule-Wirtschaft mit einer nun wichtigen Koordinierungsaufgabe aufgebaut worden, damit die Vielfalt dieser Angebote sinnvoll von Schulen und Schülern in Anspruch genommen werden kann. Da soll nun koordiniert werden;
es wird wissenschaftlich begleitet und man hat Dienstleister in der Praxis. Ich muss allerdings bekennen: In meiner Region ist davon an der Basis noch nichts angekommen. Dort ist noch Nachholbedarf, zumindest in manchen Regionen Sachsens, vorhanden.
Fünfter Punkt: Welche Perspektive hat dieser Fragenkreis? Wir werden unsere Finanzmittel insbesondere auf das Thema des Problemkreises, der sich hinter dem Kurzbegriff der Benachteiligten verbirgt, und auf die Frage Innovation im Ausbildungsbereich, Qualität, Spitzenqualifikationen konzentrieren müssen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen: Gegenüber den Ausgaben, die der Staat Anfang der Neunzigerjahre hatte, hat er jetzt ungefähr ein verzehnfachtes Volumen an Ausgaben im Bereich der Berufsbildung, wo der Staat seinerseits mit viel Geld steuernd eingreift. Ich bin der festen Überzeugung: Von diesem Ausgabenberg müssen wir herunter, hin zu einer Normalität dergestalt, dass die Wirtschaft das Ihre leistet, und das ohne ständiges Gängeln und Fördern durch den Staat.
Ich muss mich wundern, dass das DIE LINKE offensichtlich anders sieht. Gut, da kommt nun wieder Ihr alter Hut mit der Umlagefinanzierung. Meine Damen und Herren, das können wir uns schenken. Das steht im Entschließungsantrag als letzter Punkt. Insofern werden Sie Verständnis dafür haben, dass wir Ihrem Entschließungsantrag nicht folgen können.
Ich will mit einer kleinen Lesung aus der Presseinformation des Kollegiums vom 15. Januar 2009 schließen: „Das Bündnis für Ausbildung 2008 hat sein Ziel erreicht: Zum einen die optimale Einmündung der Schulabgänger in die berufliche und akademische Ausbildung entsprechend dem Fachkräftebedarf der sächsischen Wirtschaft. Und zum anderen die Unterbreitung eines passfähigen Ausbildungsangebotes mit Aussicht auf einen am Arbeitsmarkt verwertbaren Berufsabschluss für möglichst alle jungen Menschen mit eingeschränkten Vermittlungschancen.“
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht zum ersten Mal sprechen wir in dieser Legislaturperiode über die Ausbildungssituation in Sachsen. Das soll natürlich ausdrücklich nicht heißen, dass diese Debattenhäufigkeit der Bedeutung dieses Themas nicht gerecht würde, nur kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese zahlrei
chen Gespräche hier im Haus wie bei so vielen Themen ohne Wirkung bleiben. Dies sollte uns doch eigentlich zu denken geben.