Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schiemann, im Wesentlichen kann man den Inhalten, die Sie hier benannt haben, zustimmen. Frieden ist die wichtigste und größte Errungenschaft in der Europäischen Union. Wir müssen weiter darum kämpfen, dass er erhalten bleibt. Nur so haben wir die Chance, dass unsere Kinder und Kindeskinder ihr Leben gestalten und Europa weiterentwickeln können.
Ja, auch der Euro und der europäische Wirtschaftsraum sind wichtig, um diese Krise zu bestehen, ein Moment, dessen wir uns immer wieder erinnern und vielleicht noch viel öfter mit unseren Menschen besprechen sollten.
Lassen Sie mich aber zu den wesentlichen Eckpunkten zurückkommen, die diesen beiden Anträgen zugrunde liegen. Mit dem „Ja“ des tschechischen Senats zum Vertrag von Lissabon wurde am Mittwoch letzter Woche ein bedeutsamer Schritt zur Ratifizierung dieses wichtigen Reformvertrages getan. Wir als SPD-Fraktion begrüßen es sehr, dass sich die pro-europäischen Kräfte in Tschechien durchgesetzt haben, wissen natürlich auch, dass bis zur endgültigen Ratifizierung dieses Vertrages noch einige Hürden zu meistern sind. So hoffen wir, dass eine abschließende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in Deutschland noch in diesem Jahr möglich ist. Das kann allerdings auf keinen Fall bedeuten, dass man bis dahin die Hände in den Schoß legt.
Sie, Herr Schiemann, haben schon darauf verwiesen, dass gerade der Lissabon-Vertrag nicht nur die Rechte des Europaparlaments stärkt, sondern auch die der nationalen Parlamente, infolgedessen selbstverständlich auch die Rechte der Landtage. Die Staatsregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Antrag der Linksfraktion somit zu Recht darauf hingewiesen, dass der Vertrag von Lissabon durch das vorgesehene Subsidiaritätsfrühwarnsystem eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem Parlament erfordert. Ich gehe auch davon aus, dass sie heute ausführlich insbesondere auch zum Punkt 2 des Antrages der Koalitionsfraktionen antwortet und Stellung nimmt.
Wir befinden uns auf der Zielgeraden, und genau deshalb müssen wir uns gemeinsam Gedanken darüber machen, wie der Sächsische Landtag bestmöglich in die künftigen europäischen Beratungs- und Entscheidungsstrukturen eingebunden werden kann. Wer wartet, bis die Tinte der zuletzt zu leistenden Unterschrift getrocknet ist, dem könnte man schon manches unterstellen, und er kommt zu spät. Wir erwarten daher, dass die Staatsregierung die Organisationsstrukturen schafft, die ein rechtzeitiges Einbinden des Sächsischen Landtages ermöglichen.
Wir als Abgeordnete müssen uns allerdings auch selbstkritisch prüfen, insbesondere wenn wir uns die letzte Legislatur anschauen, ob wir in der kommenden Legislatur nicht wieder einen Europaausschuss einrichten, um diese Themen, die auch für die Zukunft noch bedeutsamer auch für den Sächsischen Landtag werden, intensiver gemeinsam zu beraten und damit auch die Staatsregierung konkreter aufzufordern, uns gegenüber Rechenschaft abzulegen.
Das wäre nicht nur einer tiefgründigeren fachlichen Auseinandersetzung dienlich, es wäre auch ein Signal, dass der Sächsische Landtag aktiv und frühzeitig an landesrelevanten europäischen Vorhaben mitwirken will und auch Entscheidungsprozessen mehr Gewicht verleihen möchte. Dabei habe ich nicht nur die künftige Ausrichtung der Strukturfonds für die Förderperiode nach 2013 im Blick, wiewohl gerade diese aber ein ganz wichtiger und konkreter Eck- und Schwerpunkt ist, der nicht unbedeutend für unseren Freistaat und für die künftigen Förderprozesse im Freistaat ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jährlich veranstalten die sächsischen Kommunen innerhalb der Europawoche im Mai ihren Europatag, der in diesem Jahr in Marienberg stattfand. Neben der Europawahl wurden Probleme der Grenzkommunen besprochen. Trotz vielfältiger kultureller Projekte und auch der Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen mit unseren Nachbarn – Herr Bandmann würde gleich wieder die Polizei in Görlitz als Beispiel bringen – sind noch viele Aufgabenbereiche vorhanden, die überhaupt nicht oder noch nicht zufriedenstellend gelöst sind. Ich denke dabei beispielsweise an eine gemeinsame grenzüberschreitende Raumordnung, die Weiterentwicklung grenzüberschreitender Infrastruktur wie Straßenbau, Brücken und Schienen oder Abwasser. Nicht zuletzt
benötigen wir auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Bereichen Rettungsdienst sowie Brand- und Katastrophenschutz. Gerade diese Punkte bedürfen dringend und schnellstens einer Klärung. Die Bereiche Daseinsvorsorge oder interkommunale Zusammenarbeit, die Entwicklung ländlicher Räume oder die Umwelt- und Energiepolitik sind Fragen, die das Europäische Parlament, aber auch den Ausschuss der Regionen berühren und künftig mehr Gewicht in Entscheidungen haben.
So haben zum Beispiel Bayern und Baden-Württemberg am 5. Mai im AdR Projekte bewährter Innovationspraktiken im ländlichen Raum vorgestellt. Es wäre natürlich nicht schlecht zu wissen und von der Staatsregierung zu erfahren, welche Ideen die Sächsische Staatsregierung im AdR eingebracht hat oder wie sie diese Projekte, die dort vorgestellt wurden, einschätzt und beurteilt.
Gerade für Sachsen besteht aufgrund seiner geografischen Lage die Chance einer Vielzahl von konkreten Projekten und Modellen grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Der Ausschuss der Regionen ist ein wichtiges Instrument, Projekte lokaler und regionaler Gebietskörperschaften einzubringen und voranzubringen. Die Mitwirkung auf die Themensetzung innerhalb des AdR muss daher auch von uns offensiver begleitet werden. Ich hoffe, die Staatsregierung sah das bisher und sieht es auch künftig nicht als notwendiges Übel an, dort mitzuwirken. Dieser AdR wird künftig eine größere Bedeutung haben.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Zusammenhang komme ich wieder zu der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Parlament, wie es ja so freundlich auch zwischen der Staatsregierung in der Beantwortung meiner Kleinen Anfrage umschrieben wurde. Von Einbindung des Parlaments kann nur dann zu Recht gesprochen werden, wenn von der Staatsregierung und dem Sächsischen Landtag künftig tatsächlich eine kontinuierliche und umfassende Informationspolitik gepflegt wird. Die Antworten der Sächsischen Staatskanzlei auf meine Kleinen Anfragen genügen dem nicht und verwundern mich da schon ein wenig. Ich gehe allerdings davon aus, dass die Staatsregierung uns heute nicht mehr nur Erkenntnisse über europäische landesrelevante Themen für den Zeitraum 2009 und 2010 mitteilen kann, sondern auch, wie sie künftig die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Parlament optimieren will.
Lassen Sie mich aber noch zu einem anderen wichtigen Teilkomplex kommen. Auch wir haben angefragt, welche Eckpunkte und Schwerpunkte gerade die Staatsregierung sieht, um die Europawahlen vorzubereiten, Wahlen, die ganz wichtig sind und auch die Zukunft unseres Landes mit begleiten. Ich selbst habe in meiner Rede einige Eckpunkte benannt, die dringend der Mitarbeit von Sachsen bedürfen. Je regionaler – da besteht die Möglichkeit durch den Lissabon-Prozess – die Menschen mit eingebunden werden, umso mehr können sie auch den europäischen Prozess verstehen. Gerade wir als Grenzre
Ich möchte alle sächsischen Bürgerinnen und Bürger und alle EU-Bürger, die im Freistaat Sachsen wohnen, aufrufen: Gehen Sie zur Wahl! Hier haben wir die Chance, dies auch weiter zu begleiten, auch wenn wir beim Thema Erweiterung, Kollege Schiemann, zum Thema „Türkei“, wohl nicht die gleiche Sprache sprechen.
Aber einen Punkt möchte ich noch aufgreifen, an dem wir intensiv gemeinsam arbeiten sollten: Wir brauchen für die Zukunft ein noch sozialeres Europa. Genau dieser Aufgabe können wir uns hier gemeinsam stellen. Dazu brauchen wir die starke Stimme Sachsens im Europäischen Parlament und im Landtag; das wird im gemeinsamen Prozess mit der Staatsregierung weitergetragen. Ich hoffe und freue mich auf eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Staatsregierung in der kommenden Legislatur.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, wenn wir heute über Europapolitik sprechen, und ich freue mich darüber. Ich glaube auch, dass unser Antrag ein gutes Angebot dafür ist. Zu dem Antrag wird später Herr Kosel noch ausgiebig argumentieren.
Über den vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen hingegen wundere ich mich, zumindest wenn ich Punkt 3 betrachte. Es ist doch immerhin etwas merkwürdig, wenn man die Staatsregierung fragt, welche Maßnahmen diese ergreift, um für die Wahlbeteiligung zum Europaparlament im Freistaat Sachsen zu werben. Da, meine sehr geehrten Damen und Herren, glaube ich, müssen wir uns an die eigene Nase fassen und über unsere eigenen Beiträge nachdenken. Wenn 62 % der Bevölkerung nach einer jüngsten Umfrage, die uns der Städte- und Gemeindetag vorgetragen hat, gar nicht wissen, dass am 7. Juni das Europarlament gewählt wird, dann ist das mehr als ein Informationsproblem. Das verlangt tatsächlich ein Umdenken in der Politik, und zwar zu mehr Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger und mehr Einbindung in die Umsetzung der europäischen Vorgaben durch die Bürgerinnen und Bürger.
Das, denke ich, ist außerordentlich wichtig. Insofern, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es tatsächlich so: Die EU steht an einem Scheideweg. Wir spüren das auch sehr deutlich. Die nächsten Jahre entscheiden darüber: Wird die EU eine Gemeinschaft sein, in der sich die Menschen wiederfinden, und zwar in ihren alltäglichen Kämpfen, insbesondere gegen Armut und Diskriminierung? Oder ist das Ziel schlechthin – siehe Lissabonstrategie, da ist Ziel so formuliert –, wettbewerbsfähigste Region mit freier und ungezügelter Marktwirtschaft zu
Wir, DIE LINKE als proeuropäische Partei, wollen eine Europäische Union, in der die Wirtschaftspolitik mit sozialem Fortschritt verbunden wird. Deshalb unterstützen wir auch sehr die Forderung der Gewerkschaften nach einer sozialen Fortschrittsklausel, die leider von der SPD weder im Bundestag, als noch einmal darüber gesprochen wurde, noch im Europaparlament mitgetragen wurde – was uns eigentlich ärgert, weil ich meine, dass wir tatsächlich sozialen Fortschritt auf eine sehr viel höhere Ebene heben müssen und die Europäische Union nicht nur nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip regeln können.
Wir als Linke streiten für eine Europäische Union, in der die weltweite strikte Kontrolle der Finanzmärkte tatsächlich Usus wird, Alltäglichkeit wird und nicht Ausnahmefall in einer Wirtschaftskrise.
Wir können uns auch eine demokratische Entwicklung auf diesem Kontinent wirklich nicht vorstellen, wenn weiterhin Flüchtlinge an der EU-Außengrenze abgewiesen werden und sogar ihr Leben dort lassen.
Ehrlich gesagt, Herr Schiemann, das ist ein Einwand, den ich zu einem Punkt von Ihnen auf jeden Fall habe: Ich kann mir die EU auch nicht mittelfristig ohne Türkei vorstellen. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass dieses Land, diese Region eine wichtige Rolle spielen kann und deshalb in der EU tatsächlich unter bestimmten Bedingungen Aufnahme finden sollte.
Das sind unsere Schwerpunkte, die wir als Linke in das Europäische Parlament einbringen werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Zu dem zweiten Punkt. Wenn die Koalitionsfraktionen nun nachfragen – dann finde ich das auch spannend: Wie setzt sich denn Lissabon um? –, dann ist das ein bisschen spät gefragt. Man muss sogar sagen, man hätte sehr viel früher danach fragen müssen, nämlich bevor man diesen Vertrag verabschiedet hat. Es gibt sicherlich – da gebe ich sowohl Frau Weihnert als auch Herrn Schiemann recht – eine Reihe von Punkten, bei denen Lissabon Verbesserungen herbeiführt. Sie haben diese auch genannt. Die halte ich auch für wichtig. Aber insgesamt – das ist unsere Einschätzung – bleibt dieser Vertrag hinter den Erfordernissen der Zeit zurück. Das zeigt seine Wirkungen.
Ich will zwei Beispiele dafür nennen, die Sie alle sehr gut kennen und die auch, wenn ich in die Gewerkschaften schaue, wirklich diskutiert werden.
Das Erste ist: Mit Lissabon erhält die offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb den Vorrang vor anderen Kriterien. Schaut man in den Lissabon-Vertrag hinein,
wird dort nur von einem „angemessenen Sozialschutz“ geredet. Was ist ein „angemessener Sozialschutz“? Das ist nichts oder nur sehr wenig. Während Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in die Grundwerte der EU aufgenommen wurden, trifft das für die Sozialstaatlichkeit nicht zu.
So ist einfach klar, dass wir mit weiteren Urteilen wie dem jüngsten EuGH-Urteil rechnen müssen. Beispielsweise zum Entsenderecht hat es die ja gegeben. Es bleibt dabei, dass bei der Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Tariflohn nicht unbedingt gezahlt werden muss und sogar, wenn keine gesetzlichen Mindestlöhne vorhanden sind, weiterhin mit Dumpinglohn gerechnet werden muss. Da gibt es nichts, was dieser Vertrag besser regelt. Das ist einfach schlecht.
Das zweite Beispiel: Mit Lissabon wird die durch Maastricht eingeleitete Militarisierung der EU institutionalisiert, und zwar zum ersten Mal. Bei weltweiten Missionen kann die EU – das ist im Vertrag nachlesbar – „auf zivile und militärische Mittel“ zurückgreifen. Damit wird eine militärische Option zur sogenannten Terrorismusbekämpfung sehr wohl eröffnet. Die Mitgliedsstaaten werden sogar angehalten – und das ist nun wirklich neu –, „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“. Damit ist ganz klar die Pflicht zur Aufrüstung formuliert. Die Möglichkeit, sogar einen EU-Militärfonds einzurichten, wird es geben, und zwar ohne parlamentarische Kontrolle, den sogenannten Anschubfonds.
Was auch ganz wichtig ist, denn das hat mit Auswirkungen dieses Vertrages zu tun: Es droht durch Lissabon, dass das Parlamentsrecht auf Entscheidungen über militärische Auslandseinsätze Stück für Stück ausgehöhlt wird. Das ist nun das Letzte, was wir wollen und wogegen wir uns gerade als Linke starkmachen. Das nationale Parlament muss selbst darüber entscheiden können.
Deshalb sind wir der Auffassung, dass dieser Vertrag wenigstens nachgebessert werden muss. Lieber wäre uns eine europäische Verfassung. Wir wissen, dass das schwierig ist. Aber ich glaube, kommentarlos kann man die Dinge nicht hinnehmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein letztes Wort noch zur Frage der Beteiligung an der EU-Wahl. Ich will es so ausdrücken: Solange die Europäische Union in Bezug auf die Bürgerinnen und Bürger so etwas wie eine Black Box ist oder sie vielen so erscheint, so lange werden die Bürgerinnen und Bürger auch Distanz zu diesen Wahlen haben – was ich bedaure und schlecht finde.
Wenn 70 bis 80 % der kommunalen und Landesentscheidungen europäische Vorgaben haben und zugleich die Bürgerinnen und Bürger an wesentlichen Entscheidungen nicht teilhaben – beispielsweise haben die Bürger noch nicht einmal über diesen Lissaboner Vertrag selbst in Deutschland abstimmen können –, dann ist das tatsächlich ein Demokratiedefizit, über das wir wirklich ehrlich und ohne Scheuklappen nachdenken müssen.
Noch etwas dazu, was die erweiterten Möglichkeiten angeht. Im Lissaboner Vertrag gibt es zwar die Möglichkeit von Volksabstimmungen. Das ist korrekt. Diese müssen aber für die Kommission nicht bindend sein. Das ist der Punkt. Noch nicht einmal das von den Bürgern gewählte Europaparlament hat ein volles Initiativrecht.
Ich will nur ein einziges Beispiel nennen. Im Artikel 66 des Lissaboner Vertrages heißt es: „Falls Kapitalbewegungen nach oder aus dritten Ländern unter außergewöhnlichen Umständen das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion schwerwiegend stören, beispielsweise durch eine Wirtschaftskrise, in der wir gegenwärtig sind, kann der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der Europäischen Zentralbank Schutzmaßnahmen ergreifen...“
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Mangel an Demokratie muss in der EU behoben werden. Man muss auch wirklich darüber reden können, und zwar ohne Scheuklappen, damit Europa – daran ist uns gelegen – ein Erfolgsprojekt für die Menschen wird.