Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

Natürlich haben solche Großen Anfragen und insbesondere die Antworten der Staatsregierung den Charme, dass man neues Wissen erlangen kann. Da bin ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialministeriums für eine Reihe von Antworten – beileibe nicht für alle –

dankbar. Aber solche Großen Anfragen haben auch den Charme, dass man die Staatsregierung in die Pflicht nimmt – und dies insbesondere aus der Oppositionsrolle heraus –, über die Situation in einem bestimmten Bereich Bericht zu erstatten, ja Schlussfolgerungen zu ziehen und politische Handlungsfelder zu formulieren.

Ich möchte davon ausgehen, dass die Antworten seit über 2 1/2 Monaten vorliegen, dass es insbesondere zur Problematik Altersarmut in den letzten Wochen und Monaten eine Reihe von Debatten sowohl im Bereich der Wissenschaft als auch über die Medien gegeben hat, dass Sie also Gelegenheit hatten, die Antworten, die uns gegeben worden sind, zu studieren, sodass ich nicht alle Antworten einer kritischen Kommentierung unterziehen werde. Dafür haben Sie sicherlich Verständnis. Ich möchte lediglich vier Problemkreise herausgreifen und schon ankündigen, dass mein Kollege Horst Wehner dies in der nächsten Runde fortsetzen wird.

Zum ersten Problemkreis, zur Bevölkerungsentwicklung, insbesondere zur Altersstruktur in Sachsen: Für jemanden, der die Statistik verfolgt, war nicht alles, was uns geantwortet worden ist, neu, aber es ist zumindest anmerkenswert, dass Sachsen gemeinsam mit Sachsen-Anhalt nach wie vor das Bundesland mit dem höchsten Altersdurchschnitt der Bevölkerung in Gesamtdeutschland ist. Dieser Altersdurchschnitt hat sich – auch das sei hier angemerkt und ist wahrlich kein Ruhmesblatt für den Freistaat – in den letzten 20 Jahren um sechs Jahre erhöht. Diese Steigerung ist fast doppelt so hoch wie im gesamten Bundesgebiet. Dass das natürlich in erster Linie der geringeren Geburtenrate und vor allem auch der hohen Abwanderung geschuldet ist, wissen wir, aber wir wissen eben auch, dass in 15 Jahren 30 % unserer Bevölkerung älter als 65 Jahre, 36 % älter als 60 und fast 10 % älter als 80 Jahre sein werden. Ich könnte die Zahlenreihe fortsetzen und detaillierter darstellen. Das will ich mir aber ersparen. Ich möchte aber daraus schlussfolgern, dass wir insgesamt leider davon ausgehen müssen, dass wir uns

den damit verbundenen Herausforderungen – es gibt auch Chancen, von denen rede ich jetzt aber nicht – im Freistaat noch nicht ausreichend gestellt haben. Es wartet also Wesentliches auf uns, wenn wir uns auf die zunehmende Alterung in unserer Gesellschaft einstellen müssen.

Viel zu wenig, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird in diesem Zusammenhang gegenwärtig über Chancen geredet. Wenn ich hier insbesondere die Staatsregierung und die Koalitionsfraktionen anspreche, dann geschieht das deshalb, weil wir beispielsweise – die Debatten hatten wir hier – aus meiner Sicht nach wie vor wesentliche Defizite dabei haben, uns auf den zu erwartenden höheren Pflegebedarf einzustellen. Hier sind in der letzten Zeit eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen worden, die uns aber, wie Sie wissen, keinesfalls zufriedenstellen können.

Ich möchte Ihnen noch etwas – fast am Ende der Legislaturperiode – ins Stammbuch schreiben. Wir reden immer wieder und zu Recht über die Rahmenbedingungen für das bürgerschaftliche Engagement vor allem älterer Menschen, die verbessert und gestaltet werden sollen. Dass Sie hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, vor nun mehr als zwei Jahren unser Seniorenmitwirkungsgesetz abgelehnt haben, das genau diese Rahmenbedingungen verbessert hätte, kann ich aufgrund der Konstellation, wie sie hier im Haus herrscht, verstehen, aber dass Sie nicht in der Lage waren, ein eigenes Gesetz in dieser Richtung zustandezubringen, das nehme ich Ihnen übel.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die zweite Problematik, die ich kurz ansprechen möchte, betrifft die Alterseinkünfte.

Wir lesen es jeden Tag in der Zeitung mit den großen Buchstaben, und natürlich wissen wir es auch: Die gesetzlichen Renten sind im Osten im Durchschnitt höher als im Westen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird oft – und das ist das Problem – als das alleinige, entscheidende und ausschließliche Problem dargestellt. Ich denke, das geht so nicht.

Das Einzige, woran man einen Ost-West-Vergleich – und die Staatsregierung versucht das auch in den Antworten – festmachen kann, sind die gesamten Alterseinkünfte. Nur das ist entscheidend. Aber hier haben wir auch vor dem Hintergrund der verschiedenen Rentendebatten, die gegenwärtig geführt werden, nach wie vor im Osten einen Rückstand gegenüber den westdeutschen Bundesländern von etwa 20 %.

(Peter Schowtka, CDU: Weil unser Geld vorher nichts wert gewesen ist!)

Ach, Herr Schowtka, stellen Sie eine Zwischenfrage, dann geht es nicht von meiner Redezeit ab, wenn ich Ihnen antworte.

Was sind die Gründe dafür? Ich will sie noch einmal zusammenfassen.

Wir haben im Osten kaum Pensionsberechtigte. Das hat Ursachen, die kennen wir. Wir wissen aber auch, dass Pensionsbezüge monatlich im Durchschnitt doppelt so hoch wie die Zahlungen aus der gesetzlichen Rente sind.

Wir haben hier kaum Betriebsrenten. Aber Betriebsrenten werden bekanntlich neben den gesetzlichen Renten zusätzlich gewährt.

Es gibt im Osten Deutschlands bei älteren Menschen wesentlich weniger Gewinne aus Kapital und Spareinlagen. Auch dazu gibt es entsprechende Zahlen.

Wir haben vor allem – und Sie preisen das zu Recht immer als eine besondere Form der Altersvorsorge an – eine wesentlich niedrigere Quote der über 65-Jährigen bei Wohneigentum. Das Wohneigentum der über 65-Jährigen liegt in Sachsen – hören Sie sich das an! – am niedrigsten in allen Flächenländern. Es ist nur halb so hoch wie der Bundesdurchschnitt.

(Alexander Krauß, CDU: Weil es zu den DDR- Zeiten nicht gewollt war, das ist doch bekannt! – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Wir haben 20 Jahre Bundesrepublik!)

Herr Krauß, wenn Sie über die DDR reden, ist es immer ganz eigenartig. Sie kennen sie doch eigentlich nur aus dem Geschichtsbuch. Halten Sie sich doch da wirklich mal raus.

(Alexander Krauß, CDU: Sie reden jetzt nicht mehr über Nationalsozialismus?)

Herr Krauß, halten Sie sich da raus und lassen Sie Erwachsene über das Thema reden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wir haben – damit komme ich zu meinem Ausgangspunkt zurück – nach wie vor wesentliche Unterschiede in den Lebensverhältnissen. Ob Sie es wollen oder nicht, aber diese Unterschiede sind in den letzten Jahren aufgrund der gegenwärtigen Politik – darauf werden wir morgen eingehen, das kündige ich hier schon einmal an – wieder gewachsen. Wenn es mit der Politik, wie sie im Augenblick gemacht wird, so weitergeht, werden Sie weiter wachsen. Das kann nicht in unserem Sinne sein.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Drittens. Die Staatsregierung verstrickt sich in ihren Antworten in Widersprüche, wenn es das Problem Altersarmut betrifft. Auf der einen Seite muss sie inzwischen – das war vor zehn Jahren noch anders – die seit 2001 in der EU gültigen Armutskriterien anerkennen. Danach – ich rufe das in Erinnerung – gilt jeder als arm, der weniger als 60 % des durchschnittlichen Einkommens in einem EULand hat. Dabei kommt auch die Staatsregierung zu der Erkenntnis – allerdings bezieht sie sich auf Daten aus der Mitte des gegenwärtigen Jahrzehnts –, dass danach in Sachsen ab der Altersstufe der über 65-Jährigen 18 % arm wären. Wenn man das fortsetzt – ich könnte das ausführlich begründen –, kann man sagen: Gegenwärtig ist ein

Fünftel der sächsischen Rentnerinnen und Rentner über 65 Jahre objektiv arm.

(Alexander Krauß, CDU: Wie war es zu DDR-Zeiten? Können Sie dazu etwas sagen? – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Wenn Sie es in der Schule nicht gelernt haben, dann nicht!)

Ich hatte doch schon versucht, es Ihnen deutlich zu machen.

Und dann – das ist der Widerspruch – sind Sie der Auffassung, dass die gewährte Altersgrundsicherung oder weitere soziale Leistungen Armut verhindern würden? Herr Krauß, Sie müssen mir ja nicht glauben. Gehen Sie zu den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrt in Sachsen. Gehen Sie zu den Ihnen näherstehenden Diakonien und zur Caritas und lesen Sie deren Wohlfahrtsbericht 2008. Da ist eine der Hauptkritiken, dass genau diese althergebrachte Einschätzung der Staatsregierung nichts, aber auch gar nichts mit der Realität zu tun hat.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Wer solche Leistungen erhält, gilt als arm, ob Sie wollen oder nicht. Das müssen wir deutlich sagen. Aber Sie haben ja dankenswerterweise – darauf kann ich Sie jetzt schon einstellen – morgen eine Aktuelle Debatte beantragt, zu besserer „Sendezeit“, da werden wir Ihnen das alles noch einmal um die Ohren hauen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Viertens – zur Perspektive. Eine Reihe von Fragen und Aspekten sieht die Staatsregierung doch recht nebulös. Sie meint zum Beispiel, dass man bestenfalls in Zukunft mit Altersarmut rechnen müsse. Auch das ist bereits ein Fortschritt. Noch vor zehn Jahren kannten Sie dieses Wort höchstens aus den Geschichtsbüchern. Aber unser beharrliches Ringen um Weisheit in Ihre Köpfe hinterlässt langsam positive Spuren, dafür bin ich Ihnen sehr dankbar.

Allerdings ist vieles, was Sie dann an Handlungsempfehlungen ableiten, inkonsequent. Ja, Sie sagen, Altersarmut – Armut schlechthin – könne man von Sachsen aus gar nicht bekämpfen, das sei doch Angelegenheit des Bundes. – Natürlich ist es in der Hauptsache Angelegenheit des Bundes; aber wollen Sie sich hier hinstellen und behaupten, dass Sie allein vom Wohl und Wehe des Bundes abhängen und die eigenen Hausaufgaben unzureichend machen? Deshalb bedaure ich es außerordentlich, wenn Sie auf die Frage, ob die Staatsregierung über ein Konzept zur Bekämpfung von Altersarmut verfüge, antworten: Nein, darüber wird noch diskutiert. Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, so geht das nicht.

(Beifall bei der Linksfraktion)

So geht es nicht! Wenn Sie schon zu der Zeit auf unsere Warnsignale reagiert hätten, dass nicht nur Altersarmut droht, sondern dass sie bereits zu Teilen vorhanden ist, dann hätten Sie schon lange – von mir aus gemeinsam mit der Bundesregierung – ein Konzept erarbeiten können;

und da Altersarmut in Sachsen wahrscheinlich stärker steigen wird als in den anderen Bundesländern, ist die Sächsische Staatsregierung – welche auch immer das künftig sein wird – besonders herausgefordert, hier bundesweit initiativ zu werden. Denn unsere älteren Menschen in Sachsen – und wir steuern ja insgesamt auch langsam darauf hin – wird es eher als in anderen Bundesländern betreffen, und dieser Aufgabe muss man sich stellen. Die Staatsregierung ist allerdings noch sehr weit davon entfernt. Trotzdem nochmals Dank für das Bemühen, die Fragen zu beantworten.

Ich will Ihnen allerdings noch ankündigen: Wir werden in der nächsten Legislaturperiode – dies als „Warnung“, darauf kann man sich schon vorbereiten; ganz egal, wer dann die Staatsregierung stellt – auf jeden Fall einen wissenschaftlich untersetzten Lebenslagenreport älterer Menschen für Sachsen fordern, da das, was bis jetzt vorliegt, gut und schön ist, aber nicht ausreicht, um eine wirklich gründliche Analyse vorzulegen, und es ist auch kein Ersatz für den uns angekündigten und noch ausstehenden aktuellen Seniorenreport. Ich frage mich: Wenn er überhaupt in dieser Legislaturperiode noch kommt, wann will ihn der Landtag in dieser Legislatur noch diskutieren? So geht das auch nicht.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Dr. Pellmann, Sie setzen sich für die Rechte und Achtung gegenüber älteren Menschen ein. Das schließt aber auch ein, dass man jüngeren Menschen ihre Jugend nicht vorwirft. Das möchte ich Sie bitten zu beachten. Sie haben auf meine Reaktion vorhin nicht entsprechend reagiert, und ich bitte Sie, dies künftig zu beachten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Michael Weichert, GRÜNE)

Die CDU-Fraktion erhält das Wort; Herr Abg. Dr. Jähnichen, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Großen Anfrage der Linksfraktion zum Thema „Lebenslagen und Perspektiven älterer Menschen in Sachsen“ ist die Staatsregierung gezwungen worden, erneut einen umfassenden Seniorenbericht vorzulegen. Das hat sie ausführlich getan, mit vielen Statistiken usw. Die Linksfraktion hat ihren Antrag begründet – so steht es zumindest in der Großen Anfrage – mit dem Schutz der Menschenwürde, dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Verbot von Diskriminierungen. Als ob die ehemaligen SED-Mitglieder dieser Fraktion zu Zeiten der DDR-Herrschaft darauf Wert gelegt hätten!

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Und mir, sehr geehrter Herr Chefmarxist Pellmann, werden Sie ja wohl nicht vorwerfen können, dass ich diese Zeit nicht gekannt habe und nicht kenne.

(Beifall bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Was wollen Sie denn dann?)

Wenn Sie wenigstens damals so viel Würde gehabt hätten, die SED aufzulösen und von mir aus eine neue marxistische bzw. kommunistische Partei zu gründen! Aber da ging es offensichtlich nicht um Menschenwürde und Demokratie, sondern vielmehr um das Geld auf den ausländischen Geheimkonten – wollen wir es doch einmal offen ansprechen.

(Caren Lay, Linksfraktion: Wird das armen Leuten helfen? Reden Sie doch mal zum Thema! – Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Meine Damen und Herren! Welche Zielrichtung die Große Anfrage verfolgt, zeigt sich zum Beispiel in der Frage, welche Zusammenhänge die Staatsregierung zwischen Lebenserwartung und sozialer Situation sieht; und Herr Pellmann hat ja gerade auf diesen Punkt sehr viel Wert gelegt. Offensichtlich wollte die Linksfraktion mit entsprechendem Datenmaterial den Seniorinnen und Senioren sagen, in Sachsen müsse man früher sterben oder eine schlechtere Fürsorge oder medizinische Versorgung akzeptieren, wenn man ein unterdurchschnittliches Alterseinkommen hat.

Im Bericht der Staatsregierung heißt es dazu, dass Erwerbslosigkeit bzw. bestimmte Arbeitsbedingungen zwar zentrale Risikofaktoren für die Gesundheit sein können, aber konsistente Aussagen sind aus diesen vorhandenen Daten bezüglich dieser Frage nicht erkennbar. Deshalb stellt die Sächsische Union in ihrem strategischen Grundsatzpapier auch fest – ich zitiere –: „Sachsen bietet den Menschen auch im Alter gute Chancen, selbstbewusst, selbstbestimmt, materiell abgesichert und medizinisch gut versorgt zu leben.“