Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das war die erste Runde der Fraktionen. Es war noch weiterer Gesprächsbedarf angemeldet. Von der Linksfraktion Herr Abg. Wehner, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst ein herzliches Dankeschön an alle Diskutanten und auch noch einmal an die Staatsregierung, an Frau Staatsministerin und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Staatsministerium, für die Beantwortung der Fragen in unserer Großen Anfrage zu „Lebenslagen und Perspektive älterer Menschen in Sachsen“.

Frau Herrmann, ich kann Ihren Groll verstehen; es tut mir leid, dass Sie nicht die Fragen gestellt haben. Auf der einen Seite können Sie substanziiert mit den Antworten auf diese Frage umgehen; aber dann fordern Sie Fragen zu Visionen ein. Ich bin der Ansicht, wir müssen zunächst einmal eine ordentliche Bestandsaufnahme haben, über diese diskutieren und uns danach über die Gestaltung in der Zukunft gemeinsam Gedanken machen. Das halte ich für den richtigeren Weg.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Aber dennoch vielen herzlichen Dank; Ihr Beitrag hilft uns auch sehr weiter.

Frau Schüßler, das ist ja ein Ding. Ich lasse es hier nicht zu, dass Sie die Volkssolidarität als eine Sache erklären, schlechthin von Kommunisten dahergekommen. Sie wissen ganz genau, dass die Volkssolidarität aus dem Chaos des Zweiten Weltkrieges hervorgegangen ist und dass sie ganz, ganz wichtig war, um bürgerschaftliches

Engagement füreinander zu haben, um mit den Wirren aus dem Zweiten Weltkrieg zurechtzukommen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Volkssolidarität hat bis heute ihre Berechtigung, wie viele andere Sozialverbände auch. Was Sie hier machen ist einfach unverschämt.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Herr Dr. Jähnichen, immer wieder und immer wieder – ich mag Sie, ich halte Sie auch für einen sehr engagierten Menschen –; aber dass Sie nicht darüber hinwegkommen, immer wieder mit Ihrer DDR-Verklärtheit zu kommen und Ihre DDR-Leier hier vorzubringen – wegen der SED und dergleichen mehr … Sie wissen, auch die CDU hat viele Dinge mitgestaltet, und ganz so war es nun nicht, dass in der DDR Rentnerinnen und Rentner ins Abseits gestellt waren. Das ist einfach gelogen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Was ich aber für sehr bemerkenswert halte: Sie erinnern sich, am 29. April, in etwa ab 15 Uhr, haben wir uns im Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend darüber echauffiert, dass die Abgeordneten des Sächsischen Landtages nicht die Möglichkeit hatten, am Zukunftskongress der Staatsregierung teilzunehmen. Heute erfahren wir, dass es der Kongress der Union gewesen ist. Was ist denn hier eigentlich los, was bilden Sie sich denn ein, wie man parlamentarische Arbeit machen muss?! Ich halte das für eine Unverschämtheit, das muss ich Ihnen sagen. Das hätten Sie gleich in dem Ausschuss anführen können; da haben Sie schon alles gewusst. Vielleicht können Sie das sogar noch korrigieren, aber gut; mich überrascht hier eigentlich nichts mehr. Es ist ein Unding, mit welcher Arroganz und Selbstherrlichkeit in diesem Haus Politik gemacht wird.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Frau Herrmann, Sie sind auf die Situation der Erwerbsminderungsrentner eingegangen. Das ist für mich ein Einstieg. Es stimmt, dort hätten wir etwas mehr fragen können. Aber ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen: Bei mir war kürzlich eine Bürgerin, kurz vor Vollendung des 60. Lebensjahres, die mir ihre Situation geschildert hat. Sie teilte mit, dass sie seit 1974 in der Textilindustrie gearbeitet hat; seit 1990 sei sie fast immer arbeitslos gewesen, weil dieser Industriezweig weggebrochen ist. Dieses Nicht-gewollt-Sein habe sie seelisch und körperlich krank gemacht. Auch ihr Mann habe schon lange keine Arbeit mehr und beide bekommen mittlerweile Hartz IV. Von der ARGE sei ihr nahegelegt worden, einen Rentenantrag zu stellen, weil sie nicht mehr vermittelbar sei. Sie sei dem Rat gefolgt und wider Erwarten hat die Rentenversicherung der Bürgerin eine Rente auf unbefristete Zeit, eine volle Erwerbsminderungsrente, bewilligt. Als sie den Rentenbescheid in den Händen hielt, traute sie ihren Augen nicht: Es wurde ein monatlicher Rentenzahlbetrag in Höhe von 302,60 Euro brutto ausgewiesen.

Nun muss man sich einmal vorstellen: Von diesen 302,60 Euro gehen noch 24,80 Euro in die Krankenversicherung und 5,14 Euro in die Pflegeversicherung, sodass in ihrem Portemonnaie monatlich 272,66 Euro verbleiben. Sie sagt: Was ist das nur für ein Leben? Und ich stehe hilflos daneben und sage, es tut mir leid, dass das so ist; die Zeiten sind halt so – Sie haben hier auch zu Recht die Langzeitarbeitslosigkeit kritisiert; das ist nämlich wirklich das Problem –, und ich kann Sie nur auf die anderen Grundsicherungsangebote verweisen, die die Bundesregierung vorhält. Sie antwortet darauf: Das heißt also, ich bleibe bis zu meinem Lebensende auf Wohngeld und Sozialhilfe angewiesen?

So sind die Zeiten heute. Selbst wenn wir noch davon ausgehen, dass wir eine monatliche Durchschnittsrente auf relativ hohem Niveau haben – dieses Beispiel ist kein Einzelbeispiel. Wir werden in Zukunft immer mehr damit zu rechnen haben, dass die Rentenzahlbeträge weiter sinken. Deshalb müssen wir uns Gedanken machen, wie wir hier gemeinsam die soziale Abfederung vornehmen können, und wir müssen noch über andere Angebote reden, die hier alle genannt wurden und die zum Teil in der Großen Anfrage richtig ausgewiesen sind.

Auf alle weiteren Dinge zu reagieren verzichte ich.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Gibt es vonseiten der anderen Fraktionen noch Redebedarf? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die Staatsregierung. – Frau Staatsministerin Clauß, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Der Titel dieser Großen Anfrage forderte zwei Vergleiche heraus: erstens den Vergleich, wie man die Lebenslagen und Perspektiven älterer Menschen in Sachsen im Vergleich zur Situation jüngerer Menschen bewerten kann; und zweitens den Vergleich, wie die Lebenslagen und Perspektiven älterer Menschen in Sachsen im Vergleich mit der Situation dieser Bevölkerungsgruppe in anderen Bundesländern einzuschätzen sind.

Beide Vergleiche fallen positiv zugunsten der heute in Sachsen lebenden älteren Menschen aus. Das wird gerade bei der wirtschaftlichen und der finanziellen Lebenslage deutlich. Die Haushaltsnettoeinkommen älterer Menschen in Sachsen sind in den Jahren seit der Wiedervereinigung deutlich stärker gestiegen als die anderer Haushalte. Im Durchschnitt verfügen unsere Senioren in Sachsen über ein monatliches Nettoeinkommen von 980 Euro. Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen der sächsischen Bevölkerung im Alter zwischen 25 und 55 Jahren lag im Vergleichsjahr 2006 nur um 70 Euro darüber.

Auch im Vergleich zur wirtschaftlichen Situation älterer Menschen im früheren Bundesgebiet schneidet Sachsen gut ab. Das durchschnittliche Nettoeinkommen ist dort

mit 70 Euro nur etwas höher als in Sachsen. Die zurzeit vergleichsweise hohen Altersrenten in Sachsen und in anderen neuen Ländern beruhen auf den kontinuierlichen Erwerbsbiografien und den entsprechenden Versicherungszeiten für die Rentenberechnung.

Aber diese Situation wird sich so nicht fortschreiben. Die künftige Seniorengeneration muss mit unterbrochenen Erwerbsbiografien leben. Diese werden sich auf die Höhe der Altersrenten auswirken. Das ist kein rein sächsisches, sondern wird künftig ein gesamtdeutsches Problem werden. Besonders betroffen sind Menschen ohne gute schulische und ohne berufliche Ausbildung. Deshalb ist eine gute berufliche Ausbildung die zentrale Voraussetzung für eine auskömmliche Alterssicherung.

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu den Wohnverhältnissen. Die Wohnsituation älterer Menschen in Sachsen hat sich außerordentlich verbessert. Eine Vielzahl unterschiedlicher Wohnformen sowie soziale und pflegerische Dienste ermöglichen es älteren Menschen heute, so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung zu leben. Das gilt selbst dann, wenn sie pflegebedürftig werden, da es in Sachsen ein dichtes Netz ambulanter Pflegedienste gibt und wir die Pflegeberatung weiter ausbauen werden.

Auch die Qualität der medizinischen Versorgung wurde in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Die deutlich gestiegene Lebenserwartung ist dafür ein guter Indikator. Ein 65-jähriger Mann hatte Ende der Achtzigerjahre noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von weiteren 13 Jahren. Heute liegt diese weitere Lebenserwartung bei 16 Jahren und 8 Monaten. Für Seniorinnen erhöhte sich die Lebenserwartung noch stärker und liegt heute bei über 85 Jahren. Diese gestiegene Lebenserwartung birgt ein wichtiges Potenzial für unsere Gesellschaft, denn das sogenannte dritte Lebensalter, das die Altersspanne von 60 bis 85 Jahre umfasst, wird von vielen Seniorinnen und Senioren als eigenständiger, aktiver Lebensabschnitt erfahren.

Dieser Lebensabschnitt eröffnet für den überwiegenden Teil der älteren Menschen Gestaltungsmöglichkeiten, die noch vor einem halben Jahrhundert undenkbar gewesen wären. Im ehrenamtlichen Bereich und im Bereich der Familie erbringen unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger vielfältige Leistungen, die sowohl für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft unverzichtbar sind. Unser Gesundheitsziel „Aktives Altern, Altern in Gesundheit, Autonomie und Mitverantwortlichkeit“ wird weitere Chancen und Ressourcen aufzeichnen und – ich bin überzeugt – auch heben.

Zur Situation pflegebedürftiger Menschen habe ich vor wenigen Wochen in diesem Hohen Haus berichtet. Hier wurden in den vergangenen Jahren wesentliche Verbesserungen der Lebenssituation älterer Menschen erreicht. Nicht zuletzt dank der finanziellen Förderung durch den Bund, aber auch der Beteiligung der freien Träger, der Kommunen und des Landes konnte in Sachsen der bun

desweite Standard erreicht, teilweise sogar übertroffen werden.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Seniorenpolitik der Sächsischen Staatsregierung hat in den vergangenen Jahren Erfolge geschrieben. Diese Politik gilt es fortzusetzen. Wir sind dem Prozess des demografischen Wandels nicht ausgeliefert. Wir können ihn gestalten und werden es im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger auch tun.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Gibt es dazu noch einmal den Wunsch, sich zu verständigen? – Das ist nicht der Fall. Damit, meine Damen und Herren, ist die Aussprache zur Großen Anfrage beendet. Es gibt einen Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachennummer 4/15526. Herr Wehner wird den Antrag einbringen.

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte hierzu nicht so lange reden. Ich denke, der Entschließungsantrag ist unschädlich und Sie können ihm getrost zustimmen.

Zunächst einmal beantragen wir festzustellen, dass 29 % der sächsischen Bevölkerung – das sind 1,23 Millionen Menschen – älter als 60 Jahre sind und dass der Freistaat Sachsen neben Sachsen-Anhalt mit zu den „ältesten“ Bundesländern gehört. Wir stellen fest, dass der demografische Wandel große Herausforderungen an uns stellt. Hierzu können wir auf die Erhebungen der EnqueteKommission Bezug nehmen und werden daraus Aufgaben abzuleiten haben.

Wir teilen nicht die Auffassung der Staatsregierung, dass bezüglich der älteren Bevölkerung im Freistaat Sachsen keine wesentlichen Unterschiede zu den alten Bundesländern festzustellen seien. Das sollten wir hier feststellen, weil wir uns noch gezielt um diesen Personenkreis kümmern müssen. Wir beantragen dazu entsprechende Maßnahmen, die von der Staatsregierung eingeleitet werden sollen. Es soll eine realistische Analyse zur Lebenssituation älterer Menschen auf wissenschaftlicher Grundlage vorgelegt werden. Im Weiteren soll ein Konzept zur Eindämmung und Abwendung von Altersarmut erarbeitet werden. Hierbei geht es darum, die gesamte Lebensbiografie der Sächsinnen und Sachsen zu berücksichtigen, denn Armut beginnt bereits in der Kindheit. Weiterhin soll sich Sachsen im Bundesrat auf Bundesebene dafür einsetzen, dass das Rentenniveau und die unterschiedlichen Leistungen zwischen Ost und West angepasst werden. Die Kürzungsfaktoren der Rente, die wir aus Rot-Rot, RotGrün und Schwarz kennen, also Riesterfaktor, Nachhaltigkeitsfaktor, Nachholfaktor und dergleichen mehr sollen wieder aus der gesetzlichen Rentenformel herausgenommen werden.

Weitere Aufgaben sind im Entschließungsantrag nachzulesen. Ich bitte Sie um Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Gibt es dazu Aussprachebedarf? – Die Fraktion GRÜNE; Frau Herrmann, bitte.

Frau Präsidentin! Wir werden dem Antrag aus verschiedenen Gründen nicht zustimmen. Im Mai sollte, wenn auch zu spät, der Seniorenbericht vorgelegt werden. Den sollten wir abwarten, bevor wir weitere Dinge einleiten. Meine Skepsis gegenüber Konzepten habe ich vorhin im Übrigen schon erläutert. Das heißt aber nicht, dass keine mehr gemacht werden sollen.

Zu Punkt II.3 haben wir andere Auffassungen, die ich verschiedentlich schon dargelegt habe. Ich verzichte jetzt darauf. Wir als GRÜNE haben einfach ein anderes Rentenmodell. Zu den Feststellungen ist zu sagen, dass wir die Zahlen alle kennen. Sie standen im Bericht der Enquete-Kommission Demografie und verschiedentlich an anderen Stellen, zum Beispiel im Lebenslagenbericht. Man kann darauf verzichten, das erneut festzustellen. In Punkt IV steht mir das verfügbare Einkommen zu sehr im Vordergrund. Ich habe versucht, in meiner Rede darauf hinzuweisen, dass das ein wesentlicher Faktor ist, aber eben nicht der Alleinige. Das möchte ich nicht als zentralen Punkt stehen haben.

Von der CDUFraktion Herr Dr. Jähnichen, bitte.

Frau Präsidentin! Ich möchte ebenfalls namens meiner Fraktion noch einmal zu diesem Entschließungsantrag Stellung nehmen. Es ist richtig, dass der erste Teil mit den Feststellungen größtenteils identisch mit den Antworten im Bericht selbst ist. Es ist deshalb nicht notwendig, dazu noch einmal eine Entschließung zu treffen. Im zweiten Teil, der Aufforderung an die Staatsregierung, sind viele Fragen dabei, die wir in der Vergangenheit bereits ausführlich diskutiert haben und die nicht hierher gehören. Deshalb macht es keinen Sinn, dazu einen Entschließungsantrag zu beschließen.

Meine Fraktion lehnt den vorgelegten Entschließungsantrag ab.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Herr Dr. Pellmann, möchten Sie darauf antworten?

Ja, Frau Präsidentin. – Herr Dr. Jähnichen, wir machen solche Entschließungsanträge nicht zu unserem gemeinsamen Vergnügen, sondern alles, was hier geschieht, sollte in unser aller Interesse eine bestimmte Außenwirkung in Bezug auf die Wirksamkeit des Sächsischen Landtages in der Öffentlichkeit haben. Deswegen ist es bisher guter