Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese drei Punkte sind gedeckt von der UN-Kinderrechtskonvention, die in Deutschland vor 20 Jahren unterzeichnet wurde. Dazu gehören nun einmal Prävention, also Kinderschutz, Protektion, ihre Stärkung und ihre Förderung, und Partizipation, ihre Beteiligung, und es ist unser aller Auftrag, alle drei Punkte umzusetzen.

Um das hier noch einmal ganz deutlich zu sagen: Es ist ein Unterschied, ob jemand für mich entscheidet oder ob ich selbst mitentscheiden kann. Unter uns Erwachsenen unterscheiden wir diese Dinge gemeinhin mit Selbst- und Fremdbestimmung. Wie Kollege Krauß von der CDU im Ausschuss so schön sagte: Wir haben doch schon 120 Erwachsene im Landtag als Abgeordnete sitzen. Wozu brauchen wir da noch spezielle Interessenvertretung für Kinder? – Aber wie findet sich das im Wahlprogramm wieder – das habe ich Ihnen gerade geschildert – und wie sieht es dann aus, wenn wir einen Interessenkonflikt zwischen Kindern und Erwachsenen haben? Was, wenn Kinder einen Freizeitort brauchen oder wünschen, aber Erwachsene dort baulich etwas ganz anderes vorhaben? Wie sieht es denn in der Stadtentwicklung aus, wo werden da die Kinder gefragt? Ich kann es Ihnen sagen: zum Beispiel in Rheinland-Pfalz oder in Schleswig-Holstein, dort nämlich, wo dieses Recht in den Gemeinde- und Landkreisordnungen den Kindern zugestanden wird.

In der Anhörung im Ausschuss antwortete Prof. Lenz auf die Frage, ab wann Kinder geistig reif seien für die Entscheidung, zum Beispiel in der Wahlkabine. Er sagte: Mit zwölf Jahren sind Kinder kognitiv voll entwickelt. Entwicklungsphysiologisch und sozialtheoretisch spräche also nichts gegen die Einbeziehung von Kindern und nichts gegen die Herabsetzung des Wahlalters.

Dazu noch ein Zitat aus der Anhörung im Sozialausschuss. Herr Neumann vom Sächsischen Landkreistag wehrte alle Ansätze der Absenkung des Wahlalters mit der Aussage ab, dass nur durch eine bloße Veränderung des Wahlalters noch lange keine wesentliche Voraussetzung für das Erleben einer funktionierenden Demokratie geschaffen ist. Recht hat er. Eben deshalb haben wir nicht die einfache Lösung der Absenkung des Wahlalters gewählt. Wir sagen gerade deshalb:

Erstens. Wir wollen, dass Kinder von früh an lernen, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, und gemeinsam konstruktive Problemlösungen finden. Das stärkt das Selbstwertgefühl der Kinder, und sie stellen dabei fest, dass sie

Verantwortung übernehmen können und dass wir als Erwachsene ihnen das auch zutrauen.

Zweitens wollen wir keine plakativen Lösungen, sondern kindgerechte. Das heißt, wir wollen eine altersgemäße Vielfalt an Beteiligungsmöglichkeiten.

Drittens. Wir wollen Mitbestimmungsverfahren und -möglichkeiten, die nicht nur bei den interessierten Mittelschichtkindern ankommen, sondern auch Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen erreichen. Gerade diese Kinder brauchen neue, andere, positive und selbstwertsteigernde Erfahrungen. Auch deshalb brauchen wir also vielfältige Formen der Beteiligung.

Damit Beteiligung von Kindern gelingt, damit Kinder Erfolg haben, brauchen sie natürlich die Unterstützung Erwachsener, sie brauchen sozusagen Coaching. Die Methoden müssen sowohl zum Alter der Kinder als auch zu den zu lösenden Problemen passen. Für Jugendliche gehört dazu eben auch zunehmend das Recht bei kommunalen Fragen, sich aktiv an der Wahl zu beteiligen. Sie müssen das Recht erhalten, ihre Erfahrungen mit demokratischen Wahlen zu machen, und in diese Verantwortung hineinwachsen.

(Dr. Martin Gillo, CDU: Ab vier Jahre!)

Haben Sie den Gesetzentwurf gelesen oder nicht? Dann sehen Sie doch das Alter. Es ist gegenüber dem, was Sie gerade genannt haben, ein anderes. – Deswegen legen wir Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen vor.

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sohn meiner Mitarbeiterin liebte seine Lehrerin in der Grundschule sehr. Er erklärte das seiner Mutter mit den Worten: Weißt du, die Frau M. sagt immer, sie lernt auch ganz viel von uns. – Bisher scheint diese Haltung noch nicht in der sächsischen Politik, zumindest nicht in der Koalition, angekommen zu sein. Sie können heute das Gegenteil beweisen, indem Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die CDU-Fraktion bzw. die Koalition. Herr Abg. Krauß, bitte.

(Johannes, Lichdi, GRÜNE: Jetzt bin ich aber gespannt!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir könnten jetzt auf verschiedene Punkte eingehen. Aufgrund der Uhrzeit, die wir haben, will ich mich auf den Hauptpunkt beschränken, nämlich die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre. Das ist aus meiner Sicht der wichtigste Punkt.

(Elke Herrmann, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Wir müssen, glaube ich, nicht darüber reden, dass Kinder selbstverständlich gleich Menschenrechte haben wie Erwachsene. – Lassen Sie mich bitte fortfahren. Deswegen würde ich Frau Kollegin Herrmann bitten, auf ihre Zwischenfrage zu verzichten. –

Wie gesagt, die Teilnahme an Wahlen hat einen sehr hohen Stellenwert auch für uns. Es ist ein Zeichen, wenn man 18 Jahre alt ist, dass man zur Wahl geht, dass man vollständig erwachsen ist, dass man auch in anderen Bereichen die volle Verantwortung trägt. Man kann Verträge abschließen, man muss seine Eltern nicht mehr fragen, man kann mit dem Auto fahren, ohne jemanden dabeihaben zu müssen. All diese Dinge sind mit dem 18. Lebensjahr verbunden und ich glaube, es ist eine sinnvolle Angelegenheit, auch zu sagen: Wenn wichtige gesellschaftliche Fragen geklärt werden, dann koppelt man das ebenfalls an das 18. Lebensjahr.

Wenn wir jetzt ins Land schauen, dann stellen wir fest, dass wir gerade bei jungen Leuten eine geringe Wahlbeteiligung haben, die uns allen sicherlich nicht gefällt. Deswegen muss es unsere Aufgabe sein zu prüfen, wie wir die Wahlbeteiligung erhöhen können. Die erste Aufgabe ist es also, junge Leute ab 18 Jahren dafür zu gewinnen, an Wahlen teilzunehmen. Das ist nicht ganz einfach. Wir haben ja die Studie „Jugend in Sachsen“, nach der 45 % der jungen Leute, also fast jeder Zweite, sagen, dass sie wenig oder gar kein Interesse an der Politik und am öffentlichen Leben haben.

Dann müssen wir ihnen sagen: Ihr entscheidet, wie es in eurer Stadt weitergeht. Ihr entscheidet darüber, was in eurem Land passiert, was im Bund passiert, was in Europa passiert. Diese Aufforderung steht uns jetzt, glaube ich, in den nächsten Tagen und Wochen bevor, dass wir sagen: Nutzt als junge Leute euer Wahlrecht!

Ihr Gesetzentwurf gibt aber genau auf diese Frage keine Antwort. Es existieren verschiedene Kampagnen, die sich damit beschäftigen, wie wir junge Leute, die 18 Jahre alt sind, zu mehr Beteiligung bekommen. Wenn Sie sich einmal im Landtag umgeschaut haben, wissen Sie, dass die Landtagsverwaltung eine Aktion gemacht hat. „Aufkreuzen – Ankreuzen“ heißt sie. Sie richtet sich an junge Leute und möchte dazu aufrufen, dass junge Leute zur Wahl gehen.

Aber ich denke auch an die politischen Jugendorganisationen, die sich hier sehr stark bemühen und die jungen Leute auf ihr Wahlrecht hinweisen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich ist das eine Form der Beteiligung von jungen Leuten über 18 Jahre, die wir stärken müssen. Aber es gibt eben auch andere Möglichkeiten der Beteiligung von jungen Leuten am gesellschaftlichen Leben, nämlich vor allem in unseren Jugendvereinen. Das ist ein breites Spektrum, wo man sich beteiligen kann, wo man sich einbringen kann, ob bei der Feuerwehr, in einem Sportverein, bei den Kirchen, ob bei den Kaninchenzüchtern oder sonst welchen Jugendvereinen. Dort kann man Verantwortung übernehmen. Dort wird gewählt. Dort werden Vorsitzende gewählt.

Dort werden Gremien gewählt. Dort wird auch Verantwortung übergeben. Denn es geht nicht nur darum, dass man eine Zuschauerrolle hat, sondern es geht in der Demokratie darum, dass man sich einbringt und selbst etwas mit seinen Händen macht.

Oder wir haben auch die Kommunen, die zum Beispiel sagen: Wir wollen einen Jugendstadtrat einrichten, wenn es dafür Interesse gibt. Es gibt andere, die haben einen Jugendstadtrat eingerichtet. Aber es kam dann niemand. Doch wo das auf das Interesse der jungen Leute trifft, ist es in Ordnung.

Oder wenn ein Bürgermeister sagt, er macht eine Kindersprechstunde. Das ist doch möglich. Dafür braucht man kein Gesetz. Aber jeder soll das eben für sich vor Ort abwägen, wie das läuft.

Wir haben gesagt, wir wollen dieses freiwillige Engagement vor allem in den Vereinen fördern. Das machen wir über die Jugendpauschale, indem wir Geld auch nach unten geben und die Landkreise Spielräume haben, um Jugendarbeit zu betreiben. Aber ich denke auch an die überörtlichen Vereine und Verbände der Jugendarbeit, die wir im Freistaat Sachsen haben und die wir fördern. Bei denen ist ein ganz wichtiges Ziel: Wie schaffen wir es, junge Leute zu beteiligen, dass sie sich in die Gesellschaft einbringen? Deshalb fördern wir diese überörtlichen Jugendverbände mit einer ganzen Menge Geld.

Diesen Weg wollen wir weiter gehen. Dafür bitten wir Sie um Ihre Unterstützung. Allerdings werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Für die Linksfraktion spricht Frau Abg. Klinger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich meine letzte Rede im 4. Sächsischen Landtag noch einmal dem Thema Mitbestimmung und Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen widmen kann.

(Beifall der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

Frau Herrmann, kurz einen Satz zu Ihnen. Leider haben Sie das Wahlprogramm oder die Wahlprogramme der Linken nicht erwähnt. Wir führen Kinder und Kinderrechte, Mitbestimmung und dergleichen mehr in vielen Punkten unserer Wahlprogramme auf. Wir haben sogar ein eigenständiges Jugendwahlprogramm.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Der Landtag hat sich in dieser Legislatur umfassend mit dem Thema beschäftigt. Das ist gut. Was nicht gut ist, ist, dass es bisher eben nicht zu einer konkreten Umsetzung der vielen vorgebrachten Vorschläge gekommen ist. Deshalb möchte ich hier noch einmal die Gelegenheit nutzen und wahrnehmen, um die Wichtigkeit des Themas

und vor allem die Notwendigkeit der Umsetzung bestimmter Rechte zu unterstreichen.

Vielleicht hören auch die Kolleginnen und Kollegen der Koalition noch einmal zu und schieben nicht wieder technische Fehler oder sonstige Nichtigkeiten vor, um erneut eine Initiative, die für die Demokratie in diesem Land enorm wichtig ist, abzulehnen.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf die oft beschworene Politikverdrossenheit der Jugendlichen zu sprechen kommen; denn diese gibt es faktisch nicht. Im Gegenteil. Wir müssen wohl eher von einer Jugendverdrossenheit der Politik sprechen. Das hat ja das Hohe Haus auch schon des Öfteren gezeigt.

Dabei sind junge Menschen sehr wohl politisch interessiert. Man darf aber nicht nur darauf schauen, ob die Jugendlichen Mitglied in einer Jugendorganisation einer Partei oder einer Gewerkschaft sind. Befragt man Jugendliche danach, so stellt man fest, dass lediglich 6 % der 16 bis 25-Jährigen in einer solchen Organisation vertreten sind. Wenn man aber den Blick weiter aufmacht und Sachen anschaut wie Demonstrationen, Streiks oder Petitionen, so wird man feststellen, dass dort über ein Drittel der jungen Menschen aus der eben genannten Altersgruppe die Möglichkeit nutzen, so ihrer Stimme Ausdruck zu verleihen.

Wenn man das Blickfeld dann noch weiter öffnet und sich die indirekten politischen Handlungen ansieht, kann man konstatieren, dass die Jugendlichen wohl zu den politisch Aktivsten in diesem Land zählen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Der Vorwurf der Politikverdrossenheit, also des fehlenden Interesses der jungen Menschen an Politik, resultiert im Wesentlichen aus zwei Sachverhalten. Erstens, weil Jugendliche immer noch zu spät Zugang zur Politik und zu politischen Entscheidungen erhalten. Sie müssen eben zum Beispiel aufs Wählen warten. Herr Krauß hat es ja hier wieder vorgebracht – das Argument ist beliebt –, dass politische Beteiligung zum Beispiel über das Wählen ab 18 Jahre vollkommen ausreichend sei.

Auch die politische Bildung in der Schule setzt viel zu spät ein. Je früher Menschen damit vertraut werden, Entscheidungen zu treffen, desto selbstverständlicher tun sie dies, desto selbstverständlicher fordern sie dies ein und desto selbstverständlicher tragen sie dann auch ihre Entscheidungen und Ergebnisse.

Das ist eine wesentliche Grundlage für das Funktionieren der Demokratie. Demokratievermittlung funktioniert eben am besten über das Praktizieren derselben.

Zweitens haben junge Menschen sehr wohl Interesse an Politik, aber eben meist nicht an institutionellen repräsentativen Formen, wie man sie in Parteien oder Parlamenten vorfindet.

Wir können konstatieren: Junge Menschen haben häufig ein gespaltenes politisches Interesse. Einerseits lehnen sie institutionelle Politik ab. Dann liegt es auf der Hand,

wenn man Partizipation danach bemisst, wie die Teilnahme an Wahlen ist, dass junge Menschen oft politisch uninteressiert erscheinen. Aber diese Ablehnung resultiert auch daraus, dass es kaum Verständnis für die sogenannte Erwachsenenpolitik gibt.

Neben einer unverständlichen Sprache sind es Dinge wie Ausflüchte, Abschweifungen oder Hinhaltetaktiken, die junge Menschen einfach abschrecken.