Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

Menschen Sachsen in Richtung Westen verlassen. Sachsen ist das Bundesland mit dem höchsten Altersdurchschnitt, den niedrigsten Tariflöhnen und den Regionen mit den meisten armen Kindern.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Im vergangenen Jahr war Sachsen auf dem vorletzten Platz der Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik. Im Osten trug der Freistaat sogar die rote Laterne. Die Pleite des größten Arbeitgebers der Landeshauptstadt, Qimonda, ist da ein Menetekel für das gesamte Land. Ihre Politik, Herr Tillich, ist auf der ganzen Linie gescheitert.

(Beifall bei der Linksfraktion – Volker Bandmann, CDU: Völlig dummes Zeug!)

Ich habe das ganz bewusst an Sie gerichtet, weil Sie immer so tun, als hätten Sie mit alledem nichts zu tun und seien eher mit so zukunftsträchtigen Projekten wie der Patenschaft für eine Giraffe im Leipziger Zoo befasst. Sie, Herr Tillich, gehören dieser Staatsregierung seit zehn Jahren an, seit dem Jahre 1999, als Sie jenen Fragebogen ausfüllten, dessen Antworten Sie heute auf Biegen und Brechen geheim halten wollen. In dieser langen Zeit sind Sie mit nichts – weder angenehm noch unangenehm – aufgefallen. Ihre Politik in der Bundesrepublik gibt es ebenso wenig wie Ihre politische Biografie in der DDR. Beides ist ein Phantom, dessen kritische Berührung bei Ihnen nichts als Unverständnis auslöst.

Das Statistische Landesamt hat vor wenigen Tagen bekannt gegeben, dass im I. Quartal dieses Jahres 17 400 Menschen weniger einen Arbeitsplatz hatten als ein Jahr zuvor. Die Statistiker stellen fest – ich zitiere –: „Der Rückgang der Erwerbstätigenzahlen gegenüber dem Vorjahr war in allen Wirtschaftsbereichen zu beobachten.“

Ich zitiere das, weil diese in Ihrer Region, Herr Ministerpräsident, ansässige Behörde nun wirklich nicht im Verdacht steht, der Regierung am Zeug flicken zu wollen. Schließlich gedenken wir alle noch voller Freude jener Mitteilung dieses Amtes, dass auch das Wetter in Sachsen seit der friedlichen Revolution besser geworden sei.

Trotzdem wird gerade in Zeiten wie diesen kein Schönwetter-Ministerpräsident gebraucht, der sich lieber beim Semperopernball vergnügt als dort an den Werkstoren vor Ort zu sein, wo in Sachsen Arbeitsplätze bedroht sind. Eigentlich, Herr Tillich, wissen Sie doch aus eigener Lebenserfahrung, wie es nicht funktioniert. Kurz bevor die DDR in sich zusammenfiel, teilten Sie anlässlich eines Gaststättenwettbewerbs mit, es gehe darum – ich zitiere –, „unmittelbar nach den Kommunalwahlen und in Vorbereitung des 40. Jahrestages der DDR vor allem jene Initiativen zu würdigen und über Veränderungen zu berichten, die sich bei der weiteren Vervollkommnung der sozialistischen Demokratie im Bürgerinteresse vollzogen haben“.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion – Karl Nolle, SPD: Das kann nicht sein! – Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Nein, das kann nicht sein!)

Das Problem, Herr Tillich, ist nicht Ihre Vergangenheit, die Ihnen niemand vorgeworfen hat, auch wenn Sie das wider besseres Wissen gebetsmühlenartig behaupten,

(Volker Bandmann, CDU: Was haben Sie zur damaligen Zeit gemacht? – Zuruf von der Linksfraktion: Ihre Erklärung könnten Sie mal danebenstellen!)

nein, das Problem ist, dass Sie immer noch so reden – –

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Ich bitte um mehr Aufmerksamkeit!

Herr Tillich, das Problem ist, dass Sie immer noch so reden und denken wie damals; jedoch wenden Sie Ihre Schönfärbemasche jetzt eins zu eins auf eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung an.

(Dr. Martin Gillo, CDU: Sie sollten sich schämen!)

Mit so viel Anpassung kann man zwar immer irgendwie Karriere machen, aber mit Sicherheit kein Land voranbringen. Besonders in Krisenzeiten, in denen über die Zukunft der Menschen entschieden wird, brauchen die Sachsen echte Macher und eben keine Mitläufer. Von Ihnen sind die notwendigen Signale auch heute in Ihrer Regierungserklärung nicht ausgegangen.

Als hätte es noch eines letzten Beweises bedurft, dass der noch amtierende Ministerpräsident nicht ganz von dieser Welt ist, haben Sie, Herr Tillich, ihn neulich geliefert und einen sogenannten Gesellschaftsvertrag mit sich selbst abgeschlossen. In der DDR hätte man wenigstens noch ein paar Vorzeigewerktätige herbeigerufen. Sie aber brauchen für Ihre Inszenierung nur Ihren ParteiGeneralsekretär und den Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, falls Letzterer nicht gerade damit beschäftigt ist, Ihnen in den Rücken zu fallen. Beim erbärmlichen Tauziehen um die missglückte Rettung von Qimonda – ich nenne nur das Stichwort Nachtragshaushalt – haben wir ja vorgeführt bekommen, wie es aussieht, wenn eine regierungstragende Fraktion aufhört, die Regierung zu tragen.

Wissen Sie, seinerzeit haben wir Kurt Biedenkopf durchaus kritisch begleitet, wie es sich für eine ordentliche Opposition gehört. Aber wir haben immer seine Handlungskraft respektiert, auch und gerade über die Grenzen Sachsens hinaus. Als die Weiterentwicklung der traditionsreichen sächsischen Autoindustrie auf dem Spiel stand, legte sich Biedenkopf zum Wohle Sachsens frontal mit der EU-Kommission an. Nun, da der HightechStandort der sächsischen Chip-Industrie ins Wanken geriet, beschwerte sich ein Vertreter der EU-Kommission via sächsische Presse, dass er bisher von der hiesigen Staatsregierung gar nichts gehört habe. Mit solcher Leisetreterei lässt sich in einer globalisierten Welt kein Blumentopf mehr gewinnen, Herr Ministerpräsident!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wenn Sie in Ihrer Rede davon gesprochen haben, dass der Datenverkehr in Sachsen schneller vorangeht als anderswo, dann blenden Sie auch hier die Realitäten offenbar gänzlich aus. Sachsen steht bei der Versorgung mit dem schnellen Internet noch immer auf dem drittletzten Platz unter den deutschen Ländern. Praktisch bedeutet dies, dass zurzeit noch 56 % der Sachsen keinen Zugang zum schnellen Internet haben.

Der Schwäche der Regierung Tillich lässt sich auch dadurch nicht abhelfen, dass Herr Zastrow Minister spielt, was für die meisten von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, sowieso eine Schreckensvorstellung ist. Zumindest darin sind wir uns ausnahmsweise einmal einig.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Das Grundübel der Gegenwart sind die verheerenden Auswirkungen der von neoliberaler Politik entfesselten Kräfte der Finanzmärkte. Da wäre eine Partei, die am fanatischsten für die totale Freiheit des Marktes gekämpft hat und kämpft, in jeder Regierung – egal auf welcher Ebene – völlig deplatziert.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Regierungen müssen jetzt im Sinne einer Wiederherstellung von sozialer Sicherheit regulieren. Das macht USPräsident Obama, auf den Sie, Herr Tillich, verwiesen haben, gerade in seinem Land vor. Die Zeit der neoliberalen Deregulierer ist endgültig vorbei.

Ja, natürlich, es gibt Bereiche des öffentlichen Lebens, die überreguliert sind, Stichwort: ausufernde Bürokratie. Ihr „Paragrafenpranger“, meine Damen und Herren von der Staatsregierung, war ein Flop. Die werbewirksam in der Bevölkerung geweckten Hoffnungen auf Bürokratieabbau in Sachsen wurden bitter enttäuscht. Unterm Strich ist das Ergebnis der Aktion nahe null.

Erschreckend unreguliert ist dagegen die Lage der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Sachsen. Zigtausende haben zurzeit keine Personalvertretung, weil CDU und SPD im Widerspruch zum Koalitionsvertrag kein neues Personalvertretungsgesetz zustande gebracht haben.

(Regina Schulz, Linksfraktion: So ist es!)

Sie hätten ja, wenn Sie denn schon meinten, unseren Gesetzentwurf für ein modernes Dienstrecht ablehnen zu müssen, wenigstens der kleinen Gesetzesnovelle zustimmen können, mit der wir Tarifvertrag und Gesetze in Einklang bringen wollten.

(Beifall des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion)

Aber nein, meine Damen und Herren, lieber nahmen Sie sehenden Auges einen ungesetzlichen Zustand in Kauf und schufen rechtsfreie Räume auf Kosten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, als dass Sie zu einem Vorschlag der Linken mal die Hand heben würden, so vernünftig er auch sein mag. Diese Blockadehaltung, meine Damen und Herren, schadet unserem

Land, und sie ist im Übrigen auch durch nichts zu rechtfertigen!

Die Staatsregierung verschickt ja derzeit täglich Pressemitteilungen, in denen auf immer neue Veranstaltungen und Bildungsangebote anlässlich 20 Jahre Herbst ’89 hingewiesen wird. Allenthalben rühren Sie, zusammen mit Spitzenpolitikern der Koalitionsfraktionen, die Werbetrommel für mehr Bemühungen um ein vertieftes Verständnis der DDR, damit insbesondere die Jugend die richtigen Konsequenzen für die Gestaltung einer freiheitlichen, zukunftsorientierten Gesellschaft ziehen möge.

Wir waren und sind jederzeit gern bereit, uns auch weiterhin aktiv dort einzubringen. Wir wissen natürlich, dass die CDU offenkundig darauf keinen Wert legt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: So ist es!)

Aber, Herr Ministerpräsident, Ihr Umgang mit der eigenen Vergangenheit auf der einen Seite und den Linken in der Gegenwart auf der anderen Seite lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Sie haben wirklich nichts begriffen und sind daher auch denkbar ungeeignet, die Zukunft Sachsens zu gestalten!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Stellen wir uns nur für einen Moment einmal vor, was hier im Landtag und in den Medien los wäre, wenn sich anhand von Dokumenten herausgestellt hätte, dass ich noch einen Monat nach dem Fall der Mauer an Enteignungen beteiligt gewesen wäre, die später als klassisches DDR-Unrecht wieder kassiert wurden. Herr Flath würde rund um die Uhr Interviews geben und die Welt vor mir warnen. Und CDU-Generalsekretär Kretschmer würde sich mit Rücktrittsforderungen regelrecht überschlagen.

Herr Tillich, der seine Biografie inzwischen x-mal umgeschrieben hat und noch immer nicht bei der Wahrheit angekommen ist, spricht gern mit heutigen Vokabeln über die alten Zeiten. Also tue ich ihm jetzt ausnahmsweise einmal den Gefallen, mit Blick auf seine Person ebenso zu verfahren. Dann kann ich nur sagen: Sie, die sächsische CDU, ziehen mit einem ehemaligen sozialistischen VizeLandrat in die kommende Landtagswahl, als wäre das die normalste Sache der Welt, und malen zugleich das Schreckgespenst einer drohenden Linksregierung an die Wand. Das, meine Damen und Herren von der CDU,

(Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU)

ist einfach nur absurd, und das gilt ganz besonders für Sie, Herr Bandmann!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Im Übrigen bin ich mir ziemlich sicher, dass Sie mit dieser auf die Spitze getriebenen Doppelmoral am 30. August Schiffbruch erleiden werden.

(Angelika Pfeiffer, CDU: Wartet nur ab!)

Vorher werden wir einen Wahlkampf haben, auf den ich mich schon jetzt freue. Insbesondere die CDU wollte die Erinnerung an 20 Jahre friedliche Revolution parteipoli

tisch instrumentalisieren, um mit Horrorszenarien uns gegenüber ihre eigene Macht zu verewigen. Nun kehrt die eigene Parteipropaganda wie ein Bumerang gegen sie selbst zurück.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Sie gebärden sich hier als neue Staatspartei. Wer im Kreisarchiv Kamenz zum DDR-Unrecht des heutigen sächsischen Ministerpräsidenten recherchiert, wird der Staatskanzlei gemeldet. Schämen Sie sich eigentlich nicht für solche innerbehördlichen Anweisungen?

(Karl Nolle, SPD: Das ist doch ganz normal!)

Das erinnert uns an die jahrelang gepflegte, zweifelhafte Berichtspflicht sächsischer Staatsanwaltschaften, die nach „ganz oben“ Meldung machen mussten, wenn sie gegen „hohe Tiere“ ermittelten. Wenn jemand bis heute in diesem Freistaat keine Lehren aus der friedlichen Revolution gezogen hat, dann sind es die Machtzirkel der sächsischen CDU, die fast nahtlos an den Allmachtsanspruch der SED anknüpfen.