Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

Kollege Dr. Martens, der gerade so schön gelacht hat: Ich habe in den letzten fünf Jahren immer wieder Ihren eindrucksvollen liberalen Statements zugehört. Sie hatten oft das zweifelhafte Glück, nach einem Redner der NPDFraktion sprechen zu müssen. Aber Sie sind stets für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit eingetreten. Dafür möchte ich Ihnen ausdrücklich meine Anerkennung zollen. Ihrer Fraktion und Ihrer Partei muss ich aber sagen: Für dieses liberale Antlitz brauchen wir in Sachsen keine FDP in der Regierung.

(Beifall bei der SPD – Oh-Rufe von der Linksfraktion)

Innere Sicherheit gibt es für die sächsischen Sozialdemokraten nur in einer freien und toleranten Gesellschaft. Wir glauben nicht, dass die bloße gebetsmühlenartige Forderung nach Gesetzesverschärfung eine originelle Antwort auf die Frage nach der Eindämmung besonders der rechtsextremen Gewalt im Freistaat darstellt. Solche Forderungen lösen nicht einmal mehr populistische Reflexe bei denen aus, die längst in das braune Lager gewechselt sind; geschweige denn sind sie geeignet, Ausschreitungen – wie leider in Mügeln oder in Dresden – während der Fußball-Europameisterschaft 2008 zu verhindern.

Bereits im Koalitionsvertrag haben wir daher die Einrichtung eines Landespräventionsrates und das Programm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit in Sachsen – gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt vereinbart und durchgesetzt. Das Programm „Weltoffenes Sachsen“ ist schon längst ein Erfolgsmodell. Der Landespräventionsrat ist später gestartet, er ist jedoch auch auf dem besten Weg zum Erfolg. Wir glauben, dass man mehr erreichen kann, wenn man die Probleme an der Wurzel packt und nicht nur an den Symptomen herumkuriert.

(Beifall bei der SPD)

Dabei hilft es wenig, Gesetzentwürfe zu verfassen, die den „gläsernen Bürger“ zum Ideal machen, den man rund um die Uhr scannen und überwachen kann. Ich bin überzeugt, dass uns eine eindimensionale Sicht auf die genannten Probleme nicht weiterbringt. Eine Gesellschaft, die sich gegen rechtsextreme Gewalt immunisieren will, muss ihren Bürgern entsprechende Rahmenbedingungen bieten, und diese liegen nicht allein in der Verschärfung von Regeln. Sie liegen in einem guten sozialen Umfeld, in fairen Ausbildungs- und Erwerbschancen und in einer herkunftsunabhängigen Bildung. Ich meine damit auch eine Bildung, die sich nicht ausschließlich an den Erwartungen des Arbeitsmarktes, sondern auch an minimaler politischer Allgemeinbildung ausrichten muss.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Wir haben uns im Jahr 2004 viel vorgenommen und viel bewegt. So haben wir, ohne Eltern, Lehrer und Schüler zurückzulassen, einen Paradigmenwechsel in der Schulpolitik eingeleitet.

(Widerspruch bei der Linksfraktion)

Wir haben neue Formen von Ganztagsangeboten finanziert. Wir haben wieder verstärkt auf das duale System der betrieblichen Ausbildung gesetzt. Wir haben gemeinsam das gebührenfreie Vorschuljahr eingeführt. Wir haben gemeinsam mit dem damaligen Kultusminister Steffen Flath die Gemeinschaftsschule auf den Weg gebracht.

(Widerspruch und Heiterkeit bei der Linksfraktion – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Fünf!)

Ja, das ist doch so, er war zu dieser Zeit Kultusminister, als die ersten Gemeinschaftsschulen genehmigt wurden, das darf man doch erwähnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin zuversichtlich, dass das Aussortieren von zehnjährigen Schülerinnen und Schülern nach dem vierten Schuljahr in Sachsen bald ein Ende haben wird.

(Beifall bei der SPD – Peter Wilhelm Patt, CDU: Hört, hört!)

Diese Koalition hat große Schritte gemacht, um endlich zu realisieren, was moralisch, sozial und ökonomisch längst geboten ist: dass der Zugang zu Bildung nicht länger von Herkunft und Vermögen abhängt, sondern allein auf Leistungsbereitschaft und Anstrengung fußt.

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion)

Insgesamt haben wir in diesen fünf Jahren viel erreicht. Der Umbau des Bildungssystems hat begonnen. Gute Arbeit wird in Sachsen neu definiert und unsere Hochschulen sind auf dem besten Weg, in Forschung und Lehre spitze zu werden. Wirtschafts-, Arbeits- und Umweltpolitik werden nicht mehr getrennt betrachtet, sondern in einer Politik des Fortschritts zusammengeführt. Der Motor für diese Entwicklung war in dieser Legislaturperiode die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der Linksfraktion: Oh, ja!)

Wir haben in den kommenden fünf Jahren noch viel zu tun, um mit dieser guten Politik das Land weiterzuentwickeln. Deshalb wünsche ich uns in einer neuen Regierung für Sachsen noch mehr Mut, ein eigenes gemeinsames Profil zu zeigen. Dazu muss gehören, dem jeweils anderen sein besonderes Profil zu belassen und seine Handschrift erkennbar sein zu lassen. Ich sage es einfacher: Man muss in einer Koalition auch gönnen können. Das sage ich zu meinen Leuten genauso wie zu den möglichen Koalitionspartnern. Das gebietet übrigens der Respekt vor den Wählern des jeweils anderen. Das erhält zugleich die Freude an der Zusammenarbeit und schafft somit gute Voraussetzungen für eine zukunftsgestaltende Politik. In diesem Sinne Glück auf!

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Herzlichen Dank für die Regierungserklärungen. – Ich

erteile der Linksfraktion das Wort. Herr Dr. Hahn, bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie Ihre letzte Rede dazu nutzen,

(Zuruf von der Linksfraktion: Er rennt gleich weg! – Ministerpräsident Stanislaw Tillich verlässt den Saal.)

Rechenschaft abzulegen über Soll und Haben, über Versprochen und Gehalten. Stattdessen haben Sie eine mehr oder weniger nette Wohlfühlrede gehalten, in der Sie fast alle Probleme unseres Landes ausgeblendet haben.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Es kam kaum etwas zum Thema Arbeitslosigkeit, nichts über die zunehmende Armut unter Kindern oder älteren Bürgerinnen und Bürgern und nichts zu den politisch Verantwortlichen und den absehbaren Folgen des Zusammenbruchs der Sachsen LB. Ich nenne so etwas selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion – Volker Bandmann, CDU: Das ist ein Zeichen, dass Sie wieder einmal nicht zugehört haben, Herr Hahn!)

Bezeichnend für den Zustand der Koalition ist auch der Umstand, dass sich die Staatsregierung offenkundig nicht einmal auf eine gemeinsame Bilanz der nun zu Ende gehenden Wahlperiode einigen konnte. Deshalb sprachen sowohl Herr Tillich als auch Herr Jurk. Ich weiß nicht, ob es so etwas in Deutschland schon einmal gegeben hat. Im Landtagspräsidium angekündigt war eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Davon gibt es bekanntlich nur einen in diesem Land.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Gott sei Dank!)

Wenn der Ministerpräsident verhindert ist, kann und soll sein Stellvertreter agieren. Herr Tillich war aber offenkundig nicht verhindert, weshalb es nicht nachvollziehbar ist und allen parlamentarischen Regeln zuwiderläuft, dass auch noch Herr Jurk das Wort ergreift, bevor die Opposition auf den Regierungschef reagieren kann.

(Beifall bei der Linksfraktion – Zuruf des Abg. Dr. Matthias Rößler, CDU)

Kollege Jurk, ich sage meine Meinung: Ich finde, das ist schlechter Stil, vielleicht aber auch nicht völlig unverständlich, weil die Sozialdemokraten nach dem jüngsten Abschneiden bei der Europawahl offensichtlich ihre Felle davonschwimmen sehen.

(Staatsminister Thomas Jurk: So gut war Ihres auch wieder nicht!)

Aber, Herr Kollege Jurk, Anbiederung bei der CDU, wie Sie es zu Beginn Ihrer Rede praktiziert haben, ist mit

Sicherheit der falsche Weg, um ein eigenständiges Profil zu zeigen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! CDU und SPD haben im November 2004 einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, der zwar circa 85 großzügig beschriebene Seiten mit überwiegend vagen Formulierungen umfasst, aber nur vergleichsweise wenig konkrete und abrechenbare Aussagen enthält.

Ich habe mit viel gutem Willen dann doch 98 Punkte gefunden, in denen die Koalition Veränderungen in Sachsen erreichen wollte. Umgesetzt wurden davon lediglich 26 Punkte. Fast drei Viertel der zwischen CDU und SPD verabredeten Vorhaben wurden also nicht oder nur unvollständig realisiert. Nach fünf Jahren Regierungszeit ist das, wie ich finde, eine ziemlich erbärmliche Bilanz.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich habe weder Zeit noch Lust, die gesamte Liste der gebrochenen Versprechen im Detail durchzugehen. Erinnert sei nur an die einzige konkrete Aussage von Stanislaw Tillich nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten. Herr Tillich versprach, den Betreuungsschlüssel an Kitas von 1 : 13 auf 1 : 12 zu senken. Als wenige Monate später der Landeshaushalt beschlossen wurde, war davon keine Rede mehr, obwohl ein solcher Schritt überfällig gewesen wäre.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Eines aber dürfte durch diese Fakten deutlich geworden sein: Eine Fortsetzung der derzeitigen Koalition von CDU und SPD ist aus vielerlei Gründen für unser Land nicht wünschenswert.

(Beifall bei der Linksfraktion und der FDP)

Sachsen braucht eine andere, eine bessere Regierung. Da nun schon die Kollegen der FDP-Fraktion klatschen, will ich hinzufügen: Schwarz-Gelb wäre mit Sicherheit die schlechteste aller möglichen Alternativen.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Wir als Linke werden jedenfalls alles tun, um ein solches Sozialabbaubündnis zu verhindern.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sachsen ist ein stolzes Land. Vor 15 Jahren stand der Freistaat mit seinem Wirtschaftswachstum von 13 % deutschlandweit an der Spitze. Natürlich konnte es auf diesem Niveau nicht ewig weitergehen, aber der wirtschaftliche Aufholprozess kam viel zu früh zum Erliegen.

Seit dem Jahre 1997 hat sich der ökonomische Rückstand zu den alten Bundesländern kaum verändert. Auch und gerade deshalb hat seit der Wiederbegründung des Freistaates rund eine Dreiviertelmillion überwiegend junger

Menschen Sachsen in Richtung Westen verlassen. Sachsen ist das Bundesland mit dem höchsten Altersdurchschnitt, den niedrigsten Tariflöhnen und den Regionen mit den meisten armen Kindern.