Protokoll der Sitzung vom 25.06.2009

Lassen Sie mich mit Blick auf eine andere erinnerungspolitisch wichtige Institution in Sachsen hinzufügen: Im Zusammenhang mit der Zeitgeschichte kommt auch der Arbeit des Schlesischen Museums zu Görlitz ein wichtiger Stellenwert in einem auf Ausgleich und Versöhnung gerichteten Dialog mit unseren osteuropäischen Nachbarn zu.

(Beifall bei der SPD)

Die europäische Doppelstadt Görlitz/Zgorzelec macht auch mit einem interkulturellen Projekt von sich reden, für das ich gern die Schirmherrschaft übernommen habe, das einerseits dem Gedenken an die Gefallenen im Strafgefangenenlager VIII – heute auf polnischem Gebiet – und andererseits dem Andenken des dort inhaftierten

französischen Komponisten Olivier Messiaen gewidmet ist. Der Meetingpoint Musik Messiaen hat unsere volle Unterstützung verdient, weil in einzigartiger und besonderer Weise Jugendliche aus ganz Europa über die Kultur an ein trauriges Kapitel unserer Vergangenheit herangeführt werden.

Diese und ähnliche Projekte in Sachsen sind es, die mich bewogen haben, einen Kunstpreis für Toleranz und Demokratie auszuloben, um bürgerliches Engagement mit künstlerischen Mitteln auf diesem Gebiet zu ermutigen. Er wird erstmals in diesem Jahr verliehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kultur ist unsere Chance auch im Kampf gegen die rechten Demagogen.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Ja, Sachsen hat eine einzigartige Kulturlandschaft. Unsere Verfassung gebietet es, sie zu fördern und zu schützen. Wer jedoch allein auf Sponsoren, Mäzene, ehrenamtliches Engagement setzt, wird den Herausforderungen der Kulturentwicklung in den kommenden Jahren nicht gerecht werden können. Der Staat muss den Erhalt der öffentlichen Kultur garantieren. Die soziale Gerechtigkeit verlangt, dass Kultur für alle erreichbar und bezahlbar bleibt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Wir müssen aufpassen, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir nicht an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Das ist nun einmal ganz wesentlich die Kultur.

Vor dem Hintergrund aktueller haushaltspolitischer Debatten um die sogenannte Schuldenbremse möchte ich eines besonders festhalten: Kultur ist ein öffentliches Gut; es bedarf der öffentlichen Verantwortung und Grundfinanzierung.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Der Begriff „Streichkonzert“ sollte in Sachsen seinen Wohlklang behalten. Der kulturpolitischen Verantwortung, auf die Schreckensszenarien schrumpfender Städte und Gemeinden in einer alternden Gesellschaft, die mit dem Begriff des demografischen Wandels umschrieben werden, zu reagieren, kann nur rechtzeitiger Umbau statt Abbau helfen. Der gesellschaftliche Wandel verlangt eine kulturelle Begleitung, indem sich die kulturelle Infrastruktur auf eine abnehmende, sicher auch alternde und möglicherweise durch Einwanderung buntere Gesellschaft einstellt.

Kulturpolitik ist dabei zugleich ein Mittel gegen die Abwanderung, sowohl im ländlichen Raum als auch in den urbanen Zentren. Menschen aller Altersstufen bedürfen einer kulturellen und qualitativ guten Grundversorgung, auch um den Zusammenhalt der demokratischen Gesellschaft zu stärken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sachsen gilt nicht nur in Deutschland als ein Land der Kultur mit einer großen Tradition in Geschichte und Gegenwart. Aber

nicht die Größe der kulturellen Tradition ist das Alleinstellungsmerkmal, sondern das Besondere in Sachsen ist, dass die Menschen ein Bewusstsein für ihre kulturelle Tradition haben und stolz darauf sind. Unbeschadet der globalen Wirtschaftskrise oder gerade wegen der mit ihr verbundenen tiefgreifenden Sinnkrise unserer Gesellschaft gilt es, Sachsen auch weiterhin als Kulturland zu stärken, um seine Attraktivität in der Zukunft zu bewahren. Wir müssen auch als Querschnittsaufgabe des Staates unsere Kulturlandschaft pflegen und ihr Raum für Entwicklung geben, weil sie es uns wert ist. Kultur ist im Ausblick auf das vor uns liegende Jahrzehnt Sachsens große, vielleicht die wichtigste Chance.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Linksfraktion)

Ich danke der Staatsministerin für ihre Fachregierungserklärung. Wir kommen nun zur Aussprache selbst. Folgende Redezeiten wurden für die Fraktionen festgelegt: CDU 50 Minuten, Linksfraktion 35 Minuten, SPD, NPD, FDP und GRÜNE je 13 Minuten.

Die Reihenfolge ist folgende: Es beginnt die Linksfraktion mit Herrn Dr. Külow. Danach folgen die CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn noch einmal Redebedarf besteht.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre sehr schön und wünschenswert gewesen, wenn im Verlauf der letzten fünf Jahre schon eher eine kulturpolitische Grundsatzdebatte im Landtag stattgefunden hätte. Dem Kulturland Sachsen und uns allen hätte sie gut zu Gesicht gestanden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Der Zeitpunkt der Regierungserklärung von Frau Staatsministerin Stange in der vorletzten Landtagssitzung überrascht daher schon ein wenig und wird offenkundig ganz von dem langen Schatten des 30. August 2009 bestimmt. Die eben von Frau Dr. Stange präsentierte Rede ist eine über lange Passagen doch recht geschönte kulturpolitische Bilanz, um ihren persönlichen und den SPDLandtagswahlkampf einzuläuten. Das ist sicher auch der Grund, warum die Staatsministerin Kernaussagen der Regierungserklärung merkwürdigerweise schon gestern in der „Sächsischen Zeitung“ in einem namentlich gezeichneten Artikel veröffentlichte.

(Staatsministers Thomas Jurk: Aber heute gilt es! – Zuruf des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU: Das ist doch praktisch!)

Ich komme nachher noch zu dem Teil, in dem ich das Lob an Frau Dr. Stange ausspreche; es muss aber auch gerecht verteilt werden, Herr Jurk. Gedulden Sie sich ein wenig.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Frau Stange kann es offensichtlich auch, sie hat nicht dazwischengesprochen. – Die Rahmenbedingungen für diese etwas überzogene und unnötige Selbstinszenierung sind für dieses Anliegen allerdings nicht übermäßig günstig. Das SMWK soll dieser Tage auf Veranlassung des Finanzministers, der leider nicht da ist, im laufenden Haushalt 17 Millionen Euro einsparen, vornehmlich aus dem Kulturbereich. Das wäre bei einem Gesamtetat in der sächsischen Kultur von 390 Millionen Euro eine Einsparung von fast 5 %.

Völlig zu Recht schlug der neu gewählte Präsident des Sächsischen Kultursenates, Herr Dr. Jürgen Ohlau, sofort Alarm und forderte Frau Stange auf, „durch Prioritätensetzung sicherzustellen, dass dem Kulturland Sachsen kein kultureller Schaden zugefügt wird.“

Der ist an anderer Stelle allerdings schon längst eingetreten, und zwar in einer Dimension, die nicht nur bundes- oder europa-, sondern auch weltweit negative Schlagzeilen produzierte.

Die heute vermutlich erfolgende Aberkennung des Weltkulturerbetitels für Dresden durch die UNESCO ist eine skandalöse Blamage und ein herber Imageverlust für den Freistaat.

(Beifall bei der Linksfraktion – Zuruf des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU)

Mit diesem „Verbrechen an der Natur“, so vor einigen Tagen Horst Wadehn, der Vorsitzende der UNESCOWelterbestätten Deutschland e.V., wurde in unwiederbringlicher Weise kulturpolitisches Porzellan zerschlagen. Bislang wurde nur einem Naturschutzgebiet im arabischen Oman der Titel Naturerbestätte aberkannt. Da die Staatspartei CDU den Freistaat Sachsen oftmals wie ein Sultanat betrachtet und ebenfalls so leiten möchte, befinden wir uns nunmehr in passender Gesellschaft.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Liste der Defizite und Versäumnisse in der sächsischen Kulturpolitik lässt sich leider beliebig fortsetzen, ohne in jedem Fall der Staatsministerin die persönliche Verantwortung zuschreiben zu wollen. Viele kulturpolitische Baustellen erbte sie von ihren beiden Vorgängern Rößler und Ludwig. Bei einigen Themen muss sich Frau Dr. Stange allerdings schon fragen lassen, welchen direkten Anteil sie an den Fehlentwicklungen hat, die sich mitunter seit Jahren hinziehen und in ihrer Regierungserklärung nicht mit einem Wort erwähnt wurden.

Anfang Dezember 2008 kündigte die Staatsministerin beispielsweise für den Januar 2009 den lange versprochenen Rahmenvertrag mit den Wettinern an, um den schamlosen adligen Beutezug endlich rechtlich zu beenden. Am Ende wird ein Vertrag stehen, so Frau Dr. Stange in der „Morgenpost“ vom 2. Dezember 2008, der die ganze Sache abschließt und keine Öffnungsklausel mehr enthält. Die unselige Öffnungsklausel aus dem Jahr 1999 ist bekanntlich ein Erbe von Ex-Ministerpräsident Milbradt persönlich, der sich in seinem royalistischen Amtsver

ständnis gar nicht servil genug gegenüber den Wettinern verhalten konnte. Leider wurde aber auch nach Milbradts Sturz das vertraglich verbriefte Zugriffsrecht der verstaubten Adelsfamilie bis heute nicht abschließend geregelt.

(Volker Bandmann, CDU: Wichtig ist, dass wir die Stasi gestürzt haben! – Zurufe des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion, und von der CDU)

Herr Bandmann, dass Sie dafür sind, ist mir völlig klar. Sie bedrohen noch immer sächsische Kunstschätze in skandalöser Art und Weise. DIE LINKE wird weiter dafür eintreten, dass der Freistaat gegenüber den vor mehr als 90 Jahren abgedankten Wettinern keineswegs einknickt. Dass Sie, Herr Bandmann, dem Sturz gewissermaßen nachweinen, kann ich nachvollziehen. Dafür hat aber hier im Land niemand Verständnis.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Leider gibt es in der kulturpolitischen „Chronique Skandalese“ Themen, die noch wesentlich länger auf die längst überfällige Lösung warten. Vor mittlerweile fünf Jahren haben die NS-Opferverbände ihre Mitarbeit in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten eingestellt. Sie demonstrierten mit diesem spektakulären Schritt ihre große und völlig berechtigte Unzufriedenheit mit der sächsischen Gedenkstättenpolitik. Anfangs hatte die Staatsministerin bekanntlich geglaubt, die NS-Opferverbände wieder zur Mitarbeit in der Stiftung gewinnen zu können, ohne das Stiftungsgesetz ändern zu müssen. Eine Satzungsänderung wurde als ausreichend erachtet. Inzwischen ist dort zum Glück umgedacht worden, denn dieses Vorhaben ist gründlich gescheitert. Den NS-Opferverbänden reichte eine Satzungsänderung nicht. Der Arbeitskreis der betroffenen Opferverbände der Zeit 1933 bis 1945 hat unmissverständlich dargestellt, dass nur eine Neufassung des Stiftungsgesetzes die Glaubwürdigkeit des Parlaments und der Landesregierung in Sachsen in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und insbesondere mit der NPD stärken würde.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Jedwede Relativierung, Verharmlosung oder gar Nivellierung der Verbrechen des Nationalsozialismus durch die Gleichsetzung mit dem nach dem Ende des „Dritten Reiches“ begangenen Unrecht im Zuge der Stiftungstätigkeit muss endlich ausgeschlossen werden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die staatlich dominierte Erinnerungskultur, wie sie in der bisherigen Struktur des Stiftungsrates angelegt ist, muss zugunsten einer größeren Selbstverantwortung der betroffenen Verbände zurückgenommen werden. Die erinnerungspolitischen Defizite, die der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, in seiner bewegenden Gedenkrede im Sächsischen Landtag am 27. Januar 2008 konstatiert hat, lassen sich nur im gleichberechtigten Dialog mit den NS-Opferverbänden beheben.

DIE LINKE im Sächsischen Landtag teilt die langjährige Kritik der NS-Opferverbände völlig. Um den erinnerungspolitischen Dauerskandal auszuräumen, muss die Tätigkeit der Stiftung endlich auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden. Zwar hat die Staatsministerin die Notwendigkeit eines Änderungsgesetzes selbst eingeräumt – wir haben es gerade gehört –; den Worten sind jedoch aus unserer Sicht in den letzten Jahren keine wirklich relevanten Taten gefolgt. Nur durch eine Änderung der Konstruktion mit der Stiftung im Sinne der NSOpferverbände kann die Arbeitsfähigkeit der Stiftung wiederhergestellt werden.

Davon scheinen wir allerdings weiter entfernt denn je zu sein. Allein der Personalvorschlag für den neuen Geschäftsführer der Stiftung ist Provokation und Skandal zugleich. Die eigene Qualifikation des Mannes besteht in seinem richtigen Parteibuch, nämlich dem der CDU. Mit diesem Personalvorschlag würde die staatlich dominierte Erinnerungskultur in Sachsen weiter gestärkt werden und sich die Waagschale, von der Dr. Salomon Korn als Vizepräsident des Zentralrats der Juden gesprochen hat, noch weiter zuungunsten der NS-Opferverbände neigen. DIE LINKE wird sich weiterhin mit aller Kraft gegen diese drohende Fehlentwicklung stemmen.

In unserem Landtagswahlprogramm fordern wir daher in einem eigenständigen Abschnitt die Novellierung des Gedenkstättengesetzes, um die Mitwirkung der NSOpferverbände in den Stiftungsgremien endlich wieder zu ermöglichen.

DIE LINKE erkennt im Übrigen durchaus an, dass Frau Dr. Stange in vielen Feldern das aufgriff und erledigte, was die beiden schon genannten Vorgänger angefangen und liegen gelassen hatten. Sie hat sich sehr für die Belange der sächsischen Kultur eingesetzt und dabei deutlich mehr Fortune und Durchschlagskraft als ihre unmittelbare Amtsvorgängerin an den Tag gelegt.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Auch sie konnte allerdings das interne Kräfteungleichgewicht zwischen der großen CDU und der kleinen SPD nicht aushebeln. Der Schwanz vermag eben nicht mit dem Hund zu wedeln.

Nichtsdestotrotz würdigt die Linksfraktion, dass sich im Bereich Kunst und Kultur der Koalitionsvertrag nicht nur in wohltuender Weise von den meisten anderen Passagen der Koalitionsvereinbarung unterschied – er wurde im Gegensatz zu den meisten Ankündigungen im Wesentlichen auch erfüllt. Das ist unstrittig Ihr Verdienst, Frau Dr. Stange.