Protokoll der Sitzung vom 22.04.2005

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was die Haltung der Sächsischen Staatsregierung anbetrifft, so gab es

starke Bemühungen, die Diskussion zur EU-Dienstleistungsrichtlinie relativ frühzeitig in Gang zu setzen; das trifft insbesondere für die Vorgänger-Staatsregierung zu. Angesichts der komplizierten Architektur und geringen Durchschaubarkeit des Richtlinienvorschlages war dies keinesfalls leicht. Deshalb hatte die Staatsregierung im vergangenen Herbst zu einer Informationsveranstaltung zum Richtlinienvorschlag eingeladen. Bereits im Vorfeld dazu wurden die Stellungnahmen der Kammern und Verbände eingeholt, um die entsprechenden Schwerpunkte diskutieren zu können.

Zudem findet die sächsische Position ihren Niederschlag in den vorliegenden Bundesratsbeschlüssen. Vor allem das Herkunftslandsprinzip, die eingeschränkte Kontrollbefugnis der Bestimmungsländer, die Forderung nach weiteren Ausnahmen vom Anwendungsbereich, die Auswirkungen der Richtlinie auf die Rechtsnormen der Mitgliedsstaaten, die Probleme im Zusammenhang mit der angestrebten umfassenden Verwaltungsvereinfachung sind Punkte, die frühzeitig als kritisch erkannt wurden und zu denen der Bundesrat einen entsprechenden Änderungsbeschluss gefasst hat.

Die in Sachsen von Verbänden, Kammern und Politikern aufgezeigten Kritikpunkte der EU-Dienstleistungsrichtlinie sind weitestgehend auch Gegenstand vorliegender bzw. laufender Untersuchungen zu den Auswirkungen der Richtlinie. So hat das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit in Nordrhein-Westfalen erst kürzlich die Ergebnisse einer Studie zur EU-Dienstleistungsrichtlinie veröffentlicht. Darin werden die einzelnen Regelungen der Richtlinie nochmals kritisch beleuchtet.

Neben dem für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr geltenden Herkunftslandsprinzip wird die Niederlassungsfreiheit problematisiert. Die Studie bestätigt damit die Annahme des Bundesrates, dass die gewollten Erleichterungen im Genehmigungsverfahren zum Teil große Auswirkungen auf die geltenden rechtlichen Bestimmungen der Mitgliedsstaaten haben werden. Allein die Tatsache, dass sich die Genehmigung grundsätzlich auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt, hätte angesichts der föderalen Struktur in Deutschland zur Folge, dass die für die erste Niederlassung örtlich zuständige Genehmigungsbehörde bundesweit die Niederlassung zulassen könnte.

Auch die in der EU-Dienstleistungsrichtlinie geregelte Pflicht der Mitgliedsstaaten zur Prüfung und Evaluierung nicht diskriminierender Beschränkungen am Maßstab der vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Kriterien bliebe hierzulande möglicherweise nicht ohne Auswirkungen. Diese Überprüfungspflicht erstreckt sich unter anderem auf die Beachtung festgesetzter Mindestund Höchstpreise und tangiert somit die Gebühren- und Honorarordnungen der freien Berufe.

Inzwischen hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ein Gutachten zur Thematik „Einheitlicher Ansprechpartner“, das im Zusammenhang mit der Niederlassungsfreiheit steht, sowie ein Gutachten zu den Chancen und Risiken für die Dienstleistungswirtschaft und den Arbeitsmarkt in Auftrag gegeben. Diese Untersuchung soll auch die Auswirkungen auf die einzelnen Dienstleistungszweige analysieren. Beide Studien sollen im Frühsommer 2005 der Öffentlichkeit vorliegen.

Darüber hinaus unterrichtete das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit am 12. April 2005 den Bundestag darüber, welche Änderungen die Bundesregierung zum Anwendungsbereich der Richtlinie und zum Herkunftslandsprinzip für erforderlich erachtet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Recht ist darauf hingewiesen: Die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist wesentlicher Bestandteil der Lissabon-Strategie. Die Beseitigung der Schranken im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr ist Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt. Auch im weiteren Verhandlungsprozess zur Dienstleistungsrichtlinie werden wir alle Bemühungen darauf richten, die Chancen sächsischer Unternehmen, Aufträge innerhalb der EU zu erhalten und auszuführen, zu verbessern.

Keinesfalls darf jedoch zugelassen werden, dass es dabei zu Verwerfungen im Bereich der Sozialversicherung, des Lohngefüges und der Qualitäts- und Umweltstandards kommt.

Diese Position, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir weiterhin deutlich zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Das war das Ende der allgemeinen Aussprache.

Wir kommen zu den Schlussworten. Die Redezeiten betragen für die NPD-Fraktion und für die Fraktionen von CDU und SPD gemeinsam jeweils 5 Minuten.

Herr Leichsenring, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Einbringungsrede zu dem Antrag habe ich mich dafür ausgesprochen, dass wir uns intensiver mit der Dienstleistungsrichtlinie der EU beschäftigen sollten. In der Lage, in der wir uns jetzt befinden, mutet man uns zu, Spielball und Standörtchen in einer – dem Namen nach europäischen – Chaoswirtschaft zu werden. Ich sage „dem Namen nach“, weil niemand weiß, wo die Grenzen in 10, 15, 20 oder 30 Jahren verlaufen werden. Die Türkei ist ein Stichwort; das wird erst der Türöffner für andere sein. Dies muss man immer im Auge behalten, wenn man die EU-Dienstleistungsrichtlinie beurteilen will. Die Verwirklichung dieser Richtlinie, auch in etwas abgeschwächter Form, wird fatale Folgen für Sachsen haben. Trotz anders lautender Ankündigung werden zahlreiche sächsische Unternehmen aufgrund von Sozialdumping und Verdrängungswettbewerb den Bach runtergehen. Hunderttausende von Arbeitsplätzen werden verloren gehen oder sozial stark heruntergestuft werden. Das Herkunftslandsprinzip wird eine effektive Wirtschaftsaufsicht faktisch außer Kraft setzen. Herr Morlok hat es schon angesprochen: Das Herkunftslandsprinzip gilt im Prinzip nur auf drei Gebieten: Bauwirtschaft, Fassadenreinigung und in Teilen der Schifffahrt. Damit ist es also nicht so weit her. Um die Einhaltung des EU-Gewerberechts zu kontrollieren, wird Deutschland wie auch die anderen Mitgliedsstaaten von der EU sozusagen unter Zwangsverwaltung gestellt.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Herren halblinks, bitte!

Das gesamte Gewerberecht muss umgekrempelt werden. Neue Vorschriften dürfen nur mit Zustimmung von Brüssel geschaffen werden. Schon im Entwurfsstadium sind geplante Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Brüssel vorzulegen. Zitat: „Binnen drei Monaten nach der Mitteilung prüft die Kommission die Vereinbarkeit dieser neuen Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht und entscheidet, gegebenenfalls den betroffenen Mitgliedsstaat aufzufordern, diese nicht zu erlassen oder zu beseitigen.“ Die in der Richtlinie vorgesehenen Verbote erstrecken sich auf sämtliche Verwaltungsebenen und verstoßen gegen das im EG-Vertrag verankerte Subsidiaritätsprinzip. Die Richtlinie wird insofern nicht nur zu Firmenpleiten und Arbeitslosigkeit, sondern auch zu einem Demokratieabbau führen. Wir werden noch weniger Einfluss haben. Bereits jetzt werden 80 % aller Wirtschaftsgesetze nicht mehr in Deutschland, sondern in Brüssel gemacht. Die Richtlinie wird dazu führen, dass das noch schlimmer wird.

Jeder, der in Sachsen Verantwortung trägt, also auch jeder von uns, muss sich die Frage vorlegen, ob er dies will und ob er dies verantworten kann. Wir haben heute den Antrag gestellt, die Staatsregierung möge uns regelmäßig auf dem Laufenden halten und prüfen, ob die Dienstleistungsrichtlinie geltendem Recht entspricht. Nicht mehr und nicht weniger haben wir beantragt.

Wer selbst einem solchen Antrag nicht mehr zustimmen kann – ich weiß nicht, ob ich es sagen soll; ich sage es doch –, der sollte prüfen lassen, ob er nicht behandlungsbedürftig ist. Das ist meine ehrliche Meinung.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der NPD)

Das zweite Schlusswort hält der Vertreter der Koalition, Herr Petzold.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Morlok, eine kurze Antwort: Für die Kontrolle der Unternehmen vor Ort – das betrifft sowohl die nationalen als auch die ausländischen – wären die lokalen Behörden zuständig, das heißt am Ort der Leistung wird auch die Kontrolle erbracht. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir treten für die Öffnung des Marktes für Dienstleistungen für fairen Wettbewerb ein. Unsere sächsischen Bürger und Dienstleister sind uns so wichtig, dass wir die Staatsregierung darum bitten, sich aktiv in diesen Prozess einzubringen.

Mit den von uns vorgeschlagenen Korrekturen kann und muss die Richtlinie sozialen, ökologischen und Qualitätsanforderungen entsprechen. Damit meinen wir auch die Einhaltung von Mindeststandards. Ich glaube, da haben unsere Bürger und Unternehmen eine faire Chance. Deutschland muss bei der Beratung der Richtlinie seine Interessen kraftvoll vertreten und berechtigten Schutz verlangen. Wir ermutigen die Staatsregierung, dies bei der Bundesregierung einzufordern; denn diese ist direkter Partner der EU.

Den Antrag der NPD-Fraktion werden wir ablehnen. Flüchtiges Lesen erlaubt den Schluss, er ginge zumindest in dieselbe Richtung. Bei genauerem Hinsehen kommt man schnell zu einem anderen Ergebnis. Mit Ihrem Antrag wollen Sie eine Endlosdiskussion über die europäische Dienstleistungsrichtlinie vom Zaun brechen und diese auf unbestimmte Zeit blockieren oder letztlich verhindern. Wir können das Rad aber nicht zurückdrehen.

Ziel der Koalition ist es im Gegensatz dazu, über die Staatsregierung intensiv an der Überarbeitung der Dienstleistungsrichtlinie mitzuwirken. Dies drängt, da im April der zuständige Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz den Bericht vorlegt und das Europäische Parlament bereits im Juni die 1. Lesung durchführt. Daher zielt unser Antrag darauf ab, sich aktiv in diesen Prozess einzubringen und damit die Interessen unserer sächsischen Menschen und Unternehmen am besten zu vertreten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung.

Ich stelle als Erstes den Antrag der Fraktion der NPD, Drucksache 4/1126, zur Abstimmung. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Keine. Bei einigen ProStimmen ist dieser Antrag mit übergroßer Mehrheit abgelehnt worden.

Ich stelle zum Zweiten den Antrag der Fraktionen CDU und SPD, Drucksache 4/1222, zur Abstimmung. Mehrere Abgeordnete, so Herr Abg. Kosel, wünschen punktweise Abstimmung. Es sind sechs Punkte.

Ich rufe Punkt 1 auf. Wer diesem Punkt zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenstimmen! – Stimmenthaltungen? – Bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist dieser Punkt mit großer Mehrheit angenommen worden.

Ich rufe Punkt 2 auf. Die Pro-Stimmen! – Die Gegenstimmen! – Einige Gegenstimmen. Die Stimmenthaltungen! – Einige Stimmenthaltungen. Der Punkt ist mit übergroßer Mehrheit angenommen worden.

Ich rufe Punkt 3 auf. Die Pro-Stimmen! – Die Gegenstimmen! – Die Stimmenthaltungen! – Gleiches Stimmverhalten wie soeben. Der Punkt ist mit großer Mehrheit angenommen worden.

Ich rufe Punkt 4 auf. Die Pro-Stimmen! – Die Gegenstimmen! – Die Stimmenthaltungen! – In etwa gleiches Stimmverhalten. Der Punkt ist mit großer Mehrheit angenommen worden.

Wer ist für Punkt 5? – Die Gegenstimmen! – Die Stimmenthaltungen! – Es hat sich wiederholt. Der Punkt ist mit großer Mehrheit angenommen worden.

Die Pro-Stimmen für Punkt 6! – Die Gegenstimmen! – Die Stimmenthaltungen! – Die Zahl der Pro-Stimmen hat zugenommen. Es gab einige Stimmenthaltungen.

Meine Damen und Herren! Ich stelle den Gesamtantrag, Drucksache 4/1222, zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzei

chen. – Die Gegenstimmen! – Einige Gegenstimmen. Die Stimmenthaltungen! – Eine größere Anzahl von Stimmenthaltungen. Der Antrag ist aber mit übergroßer Mehrheit angenommen worden.

Damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgearbeitet.

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 6

Frühförderungsverordnung des Freistaates Sachsen

Drucksache 4/1213, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: die GRÜNEN als Einreicher, dann CDU, PDS, SPD, NPD, FDP und die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich eröffne die erste Runde mit der Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Herrmann.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon in der Haushaltsdebatte angekündigt, dass wir zum Thema Frühförderung einen Antrag stellen würden. Dieser liegt Ihnen jetzt vor. Knapp vier Jahre nach In-Kraft-Treten des SGB IX und knapp zwei Jahre nach In-Kraft-Treten der Frühförderungsverordnung des Bundes gibt es in Sachsen noch keine Vereinbarung zur Regelung der Komplexleistung Frühförderung, wie sie das Gesetz vorschreibt.

Worum geht es dabei? Frühförderung in Deutschland ist der Oberbegriff für Hilfeangebote verschiedener Art, die in Anspruch genommen werden können, wenn Eltern sich hinsichtlich der Entwicklung ihres Kindes Sorgen machen, wenn eine Entwicklungsbeeinträchtigung oder Behinderung des Kindes vorliegt. Frühförderung wendet sich an Eltern, deren Kinder in einem Alter vom Säugling bis zum Schulalter sind. Sie will insbesondere dann helfen, wenn kleine Kinder hinsichtlich ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung Unterstützung benötigen.