Protokoll der Sitzung vom 15.07.2005

Zur Verdeutlichung ziehe ich das Beispiel der Umsatzentwicklung der sächsischen Optiker in den Jahren 2003 und 2004 – das entspricht den Punkten 27 und 28 Ihrer Anfrage – heran. Der Mitteldeutsche Augenoptikerverband verzeichnete zum 30.09.2004 einen Umsatzrückgang von 48 % im Vergleich zum Vorjahr.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wenn ich mit diesen Ausführungen fertig bin. – Das ist unbestritten eine enorme Zahl. Die Optiker müssen diese erst einmal verkraften. Aber ist deshalb die Zahl der Kurz- oder Weitsichtigen in Sachsen um 48 % zurückgegangen? Es handelt sich doch wohl eher um eine Verlagerung der Nachfrage. Im Zuge der Diskussionen im Jahr 2003 um die Reform dürften sehr viele Versicherte ihre Brillenanschaffung einfach noch in das Jahr 2003 vorverlagert haben. Uns liegen

dazu keine Umsatzvergleiche zwischen 2002 und 2003 vor. Allerdings ist mit gesundem Menschenverstand davon auszugehen, dass sich auch die Umsätze der Optiker wieder auf ein normales Maß einpegeln dürften. Dass dabei Durststrecken zu überwinden sind, bleibt davon unbenommen. Leider – und das streitet keiner ab – trägt das Risiko jeder Unternehmer selber. – Jetzt bitte die Frage.

Bitte, Herr Prof. Porsch.

Frau Kollegin, Sie haben uns jetzt schon mehrfach in Ihrem Redebeitrag vorgeworfen, wir würden eine endgültige Bilanz – und die sehr negativ – ziehen, was die Gesundheitsreform betrifft, und wir hätten das Scheitern konstatiert. Ist Ihnen entgangen, dass unsere Große Anfrage nicht den Titel trägt „Scheitern der so genannten Gesundheitsreform“, sondern „Bisherige Ergebnisse der so genannten Gesundheitsreform in Sachsen“? Diese haben wir abgefragt. Darauf haben wir eine Antwort gekriegt und dann haben wir festgestellt: Die bisherigen Ergebnisse sind nicht besonders gut – mal sehen, wie es weitergeht.

Sehen Sie, Herr Prof. Porsch, das unterscheidet uns: Sie interpretieren die Ergebnisse dieser Anfrage negativ – das hat Ihr Kollege Wehner ja hier dargestellt –, wir entnehmen diesen Antworten ganz deutlich die positive Richtung. Wir müssen den Menschen auch verdeutlichen, dass die ersten positiven Ergebnisse da sind, dass sie aber auch eine Eigenverantwortung haben. Die Eigenverantwortung, das ist das, was in das Bewusstsein jedes einzelnen Menschen getragen werden muss. Dabei mitzuwirken ist wichtig

(Beifall des Staatsministers Geert Mackenroth)

und das wäre eine seriöse Politik, die Sie aber leider mit diesem Entschließungsantrag, zu dem ich auch noch kommen werde, hier nicht in Ansätzen aufweisen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)

Bei allen Reformbestrebungen dürfen wir nicht vergessen, dass die medizinische Versorgung und das Gesamtsystem, über das wir hier sprechen, im Grunde genommen eine Planwirtschaft darstellen. Der Arzt als Freiberufler wird zunehmend in seinem medizinischen Handeln beschnitten und reglementiert – das stimmt allerdings –, spätestens dann, wenn er ab 2007 nach Regelleistungsvolumina abrechnen soll. An dieser Stelle müssen wir im laufenden Reformprozess darauf achten, dass der Arztberuf trotz einer De-facto-Planwirtschaft attraktiv genug bleibt

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

und dass nicht etwa derzeit praktizierende Ärzte aus ihrer Freiberuflichkeit gedrängt werden.

Wir müssen uns vor Augen halten, dass sämtliche mit Gesundheit befassten Gruppen zu Reformen bereit sind. Ein gutes Beispiel ist das „Bündnis Gesundheit 2000“ hier im Freistaat Sachsen, dem insgesamt 32 verschiedene Vereinigungen angehören, beispielsweise die Säch

sische Landesärztekammer, der Sächsische Apothekerverband, der Sächsische Heilbäderverband, der Sächsische Hausärzteverband und der Sächsische Pflegerat, um nur einige stellvertretend zu nennen. Gemeinsam mit diesen Gruppen sollten wir den Reformprozess weiter gestalten.

Im Übrigen lassen Sie mich etwas bemerken. Als wir als Parlamentarier eingeladen waren, mit dem Gesundheitsbündnis 2000 ins Gespräch zu kommen, waren Sie von der PDS nicht vertreten und können demzufolge auch nicht wissen, was ich Ihnen jetzt sage, was das Bündnis berichtet hat, nämlich: Wir sollten auch in Zukunft auf das Bewusstsein drängen, dass Gesundheit in erster Linie eine Eigenverantwortung darstellt,

(Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Helma Orosz)

die der mündige Bürger wahrnehmen muss.

Weiter wird vom Bündnis 2000 im Freistaat vorgeschlagen: Es sollte eine Einteilung der Finanzierung der medizinischen Leistungen in Basisleistungen und Zusatzleistungen erfolgen. Für Basisleistungen sollten die gesetzlichen Krankenversicherungen in der Finanzierung zuständig sein, für Zusatzleistungen die Patienten. Dass man diese Basisleistung dringend fachlich festlegen muss, dazu ist das Bündnis 2000 bereit. Es sagt auch, das können aber nur die Fachexperten. Ich denke, dort haben Fachleute gesprochen, die diese Notwendigkeit des Reformprozesses genauso mittragen.

Abschließend zu meinen Ausführungen – der Kollege Gerlach setzt gleich fort, und zu Ihrem Entschließungsantrag spreche ich später – möchte ich noch einmal sagen: Wir danken für die Beantwortung dieser Großen Anfrage. Wir sehen, dass Probleme da sind, dass auch Belastungen gekommen sind, aber eines muss jedem Bürger klar werden: Gesundheit ist ein hohes Gut. Dafür trägt er Verantwortung. Die Gesellschaft trägt zu einem Netz bei und dieses Netz – wie am Beispiel Bündnis Gesundheit 2000 – ist bereit, daran mitzuwirken, so wie unsere Fraktion auch.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Gerlach, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir einmal einen Auszug der Mitschrift der 2. Aktuellen Debatte vom Februar 2005 mitgebracht. Die war vor genau 112 Tagen. Dort habe ich elf Punkte zur Problematik Gesundheitsreform genannt und diese sind eigentlich fast alle weiter aktuell. Ich könnte das noch einmal zu Protokoll geben und wäre fertig. Aber da die Große Anfrage so viele Einzeldaten behandelt, denke ich, wäre es unfair, das so einfach und lapidar hier abzutun. Wenn ich in das hineinschaue, was mit viel Fleiß zusammengetragen wurde, muss ich sagen, es ist nichts prinzipiell Neues seit Februar. Was hat sich gegenüber meinen elf Punkten geändert?

Aus zwei Gesundheitszentren sind inzwischen 13 geworden. – Der schon sicher geglaubte Beginn beim Brustkrebsscreening ist wegen Datenschutz- und melderechtlicher Bedenken noch nicht zum Laufen gekommen. – Der Vorsorgegedanke scheint allerdings besser zu greifen, als ich das im Februar eingeschätzt habe.

Wo hatte ich keinen Informationsgewinn innerhalb dieser 112 Tage? Mir ist nach wie vor kein Patient bekannt geworden, der aus finanziellen Gründen nicht zum Arzt gehen darf. Ich hatte damals einen kleinen Disput mit Frau Kipping in dieser Aktuellen Debatte.

Aber ich kannte ganz viele Leute – um auch auf das einzugehen, was Sie, Herr Wehner, im zweiten Teil Ihrer Rede gesagt haben, und auch im Hinblick auf Ihren etwas verklärten Entschließungsantrag über das ach so schwere System der Gesundheitsvorsorge; das ist im Punkt 1 oder 2 – vor reichlich 15 Jahren, die deshalb keine Medikamente bekommen haben, weil der zuständige Kreis- oder Bezirksarzt ihr Medikament für ihre seltene Krankheit, was ein Importmedikament war, nicht genehmigt hatte. Da gab es überhaupt nichts. Das war klassische Zwei-Klassen-Medizin.

(Staatsministerin Helma Orosz: Genau!)

Das haben wir im Februar schon diskutiert, ich will das nicht vertiefen.

Zu den umfangreichen Daten und dem Abbau der gesetzlichen Krankenversicherungsüberschuldung, zum Bonussystem, zu integrierten Versorgungen und Ähnlichem hat meine Kollegin bereits gesprochen.

Herr Wehner, Sie haben erwähnt, dass die Ausgaben für die Ärzte zurückgegangen sind. Natürlich, wir haben uns dem europäischen Wert, wie oft Menschen zum Arzt gehen, langsam, wirklich nur ganz langsam angenähert. Was positiv aus unserer Sicht ist – das ist wohl im Teil IV die erste Frage –: Die Facharztbesuche sind deutlich mehr zurückgegangen als die Hausarztbesuche. Das heißt, es hat sich das eingestellt, was politisch gewollt war. Darauf lege ich Wert.

Wenn Sie sagen, per 1.7. muss das mehr gezahlt werden und dann kommen noch einmal 0,85 Prozentpunkte hinzu und die Rentner müssen auch, ohne dass sich an den Leistungen etwas geändert hat, jetzt plötzlich etwas mehr bezahlen: Wahrscheinlich ist es so, dass sich vom 30.06. zum 01.07. nichts Wesentliches innerhalb dieses einen Tages geändert hat. Aber wenn Sie die Leistungen des Gesundheitssystems nehmen, dann frage ich Sie: Wer bezahlt denn am Ende den gesamten technischen Fortschritt, der sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat und von dem wir alle partizipieren?

Ich denke mit Hochachtung daran, mit welchen Apparaten ich in der Radiologie zu DDR-Zeiten arbeiten musste und welche Apparate den Patienten heute zur Verfügung stehen, die mit deutlich geringeren Nebenwirkungen Krebsbehandlungen ermöglichen. Das kostet alles Geld und das widerspiegelt sich alles dann irgendwann an einem Stichtag in solchen Erhöhungen der Zuzahlungen und ähnlichen Mechanismen, die in das Gesundheitsmodernisierungsgesetz eingefügt wurden. Es greift

also zu kurz zu sagen: Da ist am 01.07. nichts passiert und trotzdem müssen alle zahlen!

Ein weiterer wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht, dass nicht nur bei den Verantwortlichen im Gesundheitswesen das Gesundheitsbewusstsein gestiegen ist. Gesundheit ist wieder dabei – ich sage es ganz vorsichtig –, ein wahrnehmbarer Wert zu werden.

Natürlich – und das war auch so ein Disput mit Frau Kipping beim letzten Mal – gibt es seit vielen Jahren amerikanische und andere Studien, die ganz klar belegen, dass in den sozialschwachen Kreisen eher an der Gesundheit als an anderen Dingen gespart wird. Diese Studien gibt es. Dann geht man natürlich auch weniger zum Arzt. Aber selbst mit üppig gefülltem Füllhorn bleiben diese Unterschiede. Sie sind dann nur kleiner, sie verschwinden nicht.

Ein Beispiel aus der Zahnmedizin. Zähne werden ja nicht dadurch öfter geputzt, weil die Zahnpasta umsonst ist. Das ist eine Frage der Mundhygiene. Das ist eine Frage des Lebensstils. Das ist eine Frage der Erziehung. Und die ist natürlich wieder unterschiedlich ausgeprägt in verschiedenen sozialen Standards. Das weiß ich auch. Unterschiede in diesem Bereich lassen sich nach meiner festen Überzeugung mit viel Geld, mit wirklich viel Geld verringern, aber niemals beseitigen. Sie werden bestehen bleiben.

Genau darauf zielt das Präventionsgesetz ab. Obwohl es schon fest eingeplant war, ist es jetzt erst einmal weg. Sie wissen, es ist im Bundesrat verschwunden. Es wird in dieser Legislatur – ich gehe davon aus, dass wir im Herbst Wahlen haben werden – nicht wieder kommen. Ich vermute, dass es wahrscheinlich irgendwann im Frühjahr oder Sommer kommenden Jahres für eine nächste Beschlussfassung reif ist. Obwohl es erst einmal auf Eis gelegt ist, greifen trotzdem diese Dinge, die im Präventionsgesetz vorgesehen waren.

Wir haben Programme gegen das Zu-Dick-Sein, man kann auch vornehm Adipositas sagen. Wir haben Programme gegen Rauchen und viele weitere gesundheitsschädigende Verhaltensweisen. Es greift also schon eine Menge, obwohl das Gesetz als solches leider nicht gekommen ist.

Ich möchte noch eine andere gute Seite des neuen Gesetzes hervorheben. Das ist die Patientenbeteiligung. Es wurde auch darauf eingegangen. Ich denke, dass die Patientenbeteiligung, so wie sie jetzt geregelt ist, ein Meilenstein in der Weiterentwicklung des Gesundheitssystems ist. Es ist wichtig für Qualität und Zielgenauigkeit weiterer Maßnahmen, aber auch zur Förderung der Transparenz dieses sehr komplexen Systems.

Das aus Betroffenheit – und das ist wichtig – erworbene Fachwissen vieler Patientinnen und Patienten ist wertvoll und kann eingebracht werden. Durch den Ausbau der Patientenrechte, Beteiligungs- und Informationsmöglichkeiten usw. sollen Patientinnen und Patienten zu einem gleichberechtigten Partner im Gesundheitswesen werden.

Wir haben das Amt einer Patientenbeauftragten geschaffen. Bei ihr gehen sehr viele Anfragen ein und der Zuspruch bzw. die Zufriedenheit sind relativ hoch, was die Arbeit dieser Frau betrifft. Es gibt eine Patientenbeteiligungsverordnung. Diese regelt bisher für vier Organisa

tionen den Zutritt zum gemeinsamen Bundesausschuss. Davon sollen wiederum mindestens 50 % Betroffene sein.

Diese vier Organisationen sind der Deutsche Behindertenrat, DBR, der 40 Mitgliedsverbände hat und etwa 6,5 Millionen Menschen mit Behinderungen vertritt. Das ist nicht wenig. Die zweite Organisation ist die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenberatungsstellen, BAGP, die 13 unabhängige Patientenberatungsstellen vertritt. Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. vertritt etwa 100 000 örtliche Selbsthilfegruppen. Als Letztes seien genannt die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.; sie vertritt die 16 Länderverbraucherzentralen und 22 weitere Verbände.

Ich denke, dieses dahinter stehende Potenzial der Verbände, die natürlich nicht alle mit am Tisch sitzen können – jedoch ihre Vertreter –, ist ein echtes Positivium in diesem Verfahren; Sie haben es fairerweise in Ihrem Beitrag erwähnt.

Ein letzter Punkt zu den Ergebnissen zu dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz – ich beziehe mich auf III.12, in dem Sie nach der Vergütung gefragt haben. Sie haben zumindest erwähnt, Herr Wehner – das ist fair –, die Staatsregierung habe sich bemüht. Danach haben Sie jedoch eine eigene Interpretation zur Problematik der Ostund Westhonorare gebracht. Was Sie nicht erwähnt haben, ist, dass die Westhonorare wesentlich durch Privatpatienten mitgestaltet werden, bei denen der Anteil deutlich höher ist als im Westen, was sich natürlich auf die Honorare auswirkt.

Interessant war eine Bemerkung für mich, die vollkommen PDS-untypisch war. Wenn Sie erwähnen, dass zum Beispiel ein Orthopäde Ost – ich habe die Zahl nicht mitgeschrieben – nur etwa 195 000 Euro Honorar gegenüber einem Orthopäden im Westen hat, der ein Honorar von über 200 000 Euro bekommt, hätte ich eigentlich von Ihnen als PDS erwartet, dass Sie ein klares Votum abgeben und sagen: Dann müssen die Westhonorare gesenkt werden – was Sie in der Wirtschaft ja immer ganz schnell fordern.

(Widerspruch der Abg. Andrea Roth, PDS)

Moment, Sie können gern nachfragen; Sie wissen, dass ich Nachfragen gern zulasse. – Sie haben keinen Ton gesagt, wie Sie das ausgeglichen hätten. Sie haben auch die Werte nicht genannt. Im GMG steht, dass die Osthonorare – das ist noch nicht allzu viel – bis 2006 um 3,8 % steigen sollen und dies mit einer geringfügigen Absenkung der Vergütung bei vertragsärztlicher Tätigkeit im Westen um 0,6 % erkauft wird. Wenn wir also hier solche Angleichungen vornehmen, dann müssen wir die Debatte exakt führen und fragen: Wie soll das Ganze passieren? – Ich habe nichts dagegen, dass unsere Ärzte in ähnlicher Form vergütet werden wie die Ärzte im Westen.

Auf der anderen Seite kann ich es gut aushalten. Wenn es im normalen Lohnbereich ebenfalls nach wie vor diesen Unterschied gibt, warum soll er dann hier aufgehoben werden? Damit dies noch einmal klar ist: Mein politisches Ziel ist es, die Unterschiede aufzuheben. Ich habe gestern bei der Rentenangleichung bereits gesagt: Ich halte es für kurzfristig nicht machbar und sehe im Moment auch noch nicht die großen Menschenmassen, die

bereit wären, durch eigenen Verzicht andere ein Stück weiter nach oben kommen zu lassen. Das ist das große Problem, das wir in der gesamtdeutschen Diskussion haben; und es ist äußerst diffizil zu handhaben.