Ist denn das ein Ausdruck der ehrlichen und ergebnisoffenen Auseinandersetzung mit dem Problem? – Wohl nicht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin vielleicht anders als mein Kollege Heinz Eggert, der das emotionaler herübergebracht hat, an diese Sache herangegangen, aber eines muss ich noch feststellen: Das System der Stasi und die Wirkungen auf die Menschen sind weiter feststellbar, auch wenn 15 Jahre vergangen sind. Das ist nicht allein meine Meinung. Ich möchte deshalb mit einem Zitat aus einem Buch von Hans-Joachim Maaz, einem bekannten Psychologen und Psychotherapeuten, schließen. Das Buch hat den Titel: „Der Gefühlsstau“. Ich mute Ihnen jetzt ein längeres Zitat zu, aber ich denke, das ist nötig, um zu untermauern, dass es eben nicht 15 Jahre her ist, sondern dass es noch mindestens eine Generation braucht, bis diese Nachwirkungen überwunden sind.
In diesem Buch heißt es: Der Einzelne sei in der DDR einem enormen psychischen Druck ausgesetzt gewesen, der ein umfassendes System autoritärer Unterwerfung erzeugt hat. Durch die reale Angst vor Bestrafung sei er noch verstärkt worden. Die Bedrohung durch eine allgegenwärtige Bespitzelung habe den Druck ins Irrationale gesteigert. Die DDR-Menschen hätten ihn entweder an andere weitergegeben oder gegen sich selbst gewendet – gesundheitsschädlich, psychisch deformierend und zerstörerisch. Die anhaltende Wucht dieser Mechanismen sei enorm. „Wer nie erlebt hat,“ so schreibt Maaz, „was es heißt, wenn alles vorgeschrieben ist, was man sehen, hören, denken, sprechen, fühlen und tun darf, wird kaum erahnen, was das SED-Regime in den Körpern und Seelen derer angerichtet hat, die ihm unterworfen waren. Die Wirkungen lähmen vermutlich über mehrere Generationen auch Kinder und Kindeskinder.“
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich diese ausführliche Debatte heute in der öffentlichen Sitzung entwickelt hat, möchte ich Ihnen zumindest in drei Punkten noch einmal einige Dinge darlegen. Es sind zum Teil Wiederholungen aus der gestrigen Abendsitzung, und ich möchte an das anschließen, was Frau Windisch gerade zitiert hat.
Hier eine abstrakte Diskussion über Verfahren zu führen ist völlig falsch. Es geht um eine Frage der IM-Tätigkeit, und ich glaube, man kann diese Diskussion nur im historischen Zusammenhang verstehen. Man kann sie nur verstehen, wenn man sich das allgegenwärtige Spitzelsystem der Stasi wieder vergegenwärtigt, dieses menschenverachtendste und widerlichste Element der Repression in der Ex-DDR und das verhassteste dazu, das deshalb auch zu einem Symbol wurde. Die Besetzung der Stasi-Zentralen ist heute noch ein zentrales Symbol der friedlichen Revolution des Herbstes 1989.
Vor diesem Hintergrund hat es in der 1. Legislaturperiode bei der Sächsischen Verfassung Diskussionen um den Artikel 118 gegeben, und André Hahn hat einen Exkurs in die Entstehung dieses Verfassungsartikels geboten. Er hat gezeigt, dass unsere Fraktion damals abgewogen hat. Da gab es keine Rache und kein Verfolgen, sondern eine Abwägung, ob dieser Artikel das richtige Mittel ist. Im Ergebnis dieser Abwägung haben BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN dem Artikel 118 wie der gesamten Sächsischen Verfassung zugestimmt.
Dieser Artikel steht uns heute noch als Handlungsgrundlage zur Verfügung, und auf ihm baut eine Reihe von rechtlichen Grundlagen auf. Auf der Grundlage dieses Verfassungsartikels handeln wir, und – ich sage es hier noch einmal ganz kurz, auch aus der Sicht unserer Fraktion – das sind wir den Opfern schuldig.
Das sind wir den Menschen schuldig, die bespitzelt und verfolgt wurden, deren berufliche Entwicklung getroffen wurde und deren Familien zerstört wurden, die in Haft geworfen und misshandelt wurden.
Frau Windisch hat gerade mit dem Zitat aus dem Buch von Hans-Joachim Maaz angedeutet, welche traumatischen Erfahrungen sich daran knüpfen.
Der zweite Punkt, zu dem ich ganz kurz sprechen möchte, ist der Vorwurf, was hier passieren würde, wären parteipolitische und wahltaktische Instrumentalisierungen. Ich möchte im Namen unserer Fraktion, im Namen meines Kollegen Johannes Lichdi und – ich vermute – auch im Namen aller anderen Bewertungsausschussmitglieder auf das Energischste zurückweisen, dass der Wahltermin bei der Wahl unserer Sitzungen und der Wahl unseres Tempos irgendeine Rolle gespielt hätte.
Sie wissen selbst, wie absurd dieser Vorwurf ist. Ich habe im Bewertungsausschuss bereits gesagt, was ich hier noch einmal wiederhole: Wenn dieses Thema 15 Jahre nach der friedlichen Revolution noch jemanden mobilisiert, dann sind es höchstens die alten Garden, die die PDS bilden. Sie wissen sehr genau – und Herr Bartl hat ausführlich darüber gesprochen –, dass wir vor einer Jahresfrist stehen.
Es ist diese Jahresfrist, die den Bewertungsausschuss bewogen hat, mit Sondersitzungen in der Sommerpause zumindest den Versuch zu machen, die Vorgabe des Verfassungsgerichtshofes einzuhalten. Es wird nach meiner Einschätzung ein Versuch bleiben, denn wir konnten erst handeln, als die Unterlagen der BirthlerBehörde vorlagen. Diesen Rechtsstreit würde ich gern weiterführen. Ich hätte den Juristen Klaus Bartl erleben mögen, wenn der Bewertungsausschuss des Sächsischen Landtags auf der Grundlage von Presseberichten und Hörensagen angefangen hätte, seine Bewertung zu treffen.
Kollege Bartl, Sie müssten wenigstens einmal merken, wie Sie sich in Ihrem Wortschwall widersprechen.
Herr Dr. Gerstenberg, ist Ihnen bekannt, dass der Landtag auf der Grundlage einer Bürgerzuschrift eine Abgeordnetenanklage erhoben hat?
Das war mir nicht bekannt. Ich spreche jetzt über den Fall, den ich im Bewertungsausschuss untersucht und behandelt habe.
(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD, und der FDP – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)
Ich bin überzeugt, dass die Frage der Stasi-Mitarbeit für eine parteipolitische Instrumentalisierung so ungeeignet ist wie kaum eine zweite.
Der Vorwurf der IM-Tätigkeit kann Abgeordnete aller Parteien treffen und die deutsche Geschichte zeigt, dass dies schon in weitem Maße geschehen ist. Ich sage auch hier noch einmal: Respekt der CDU-Fraktion, die mit dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Herbert Goliasch einen Fall in ihren eigenen Reihen hatte und eine kritische Distanz dazu gefunden hat.
Heute und hier wurde von Kollegen Hahn und Kollegen Bartl das Feindbild der anderen Fraktionen an die Wand gemalt. Ich glaube, dieses Feindbild wird einzig und
Dieser Versuch ist bekannt. Ich halte ihn für politisch unsittlich in einer Frage, in der es auf die freie Gewissensentscheidung aller Abgeordneten ankommt.
Ich sage auch noch einmal, was ich gestern ausführte: Die PDS will sich nach eigenem Bekunden zu einer modernen Linkspartei auf den Weg gemacht haben. Dazu gehört nach meiner Einschätzung ein differenzierter und souveräner Umgang mit der eigenen Geschichte.
(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Was wollen Sie denn?)
Der Zwischenruf kommt gerade recht. Was wir erwarten würden, ist nicht etwa, wie vorhin geäußert, eine bedingungslose Unterordnung unter unsere Wertmaßstäbe.
Was wir einzig und allein erwarten, ist eine Unterordnung unter die Wertmaßstäbe der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit, und das auch dann, wenn es einen Menschen aus den eigenen Reihen betrifft.
Ich muss auch noch einmal etwas zu dem absurden Vorwurf sagen, den Cornelia Ernst als Landesvorsitzende in einer Presseerklärung erhoben hat, dass jetzt die „StasiKeule“ von den anderen Fraktionen erhoben wurde. In der gleichen Presseerklärung wurde die NPD-Keule hochgehalten.
Ich frage Sie, werte Kolleginnen und Kollegen aus der Linksfraktion.PDS: Merken Sie eigentlich, was Sie tun? Sie versuchen mit Ihrem hohen Stimmenanteil hier im Sächsischen Landtag, der mehr als ein Drittel umfasst, frei gewählte Abgeordnete der anderen Fraktionen in Haft zu nehmen, sie zu zwingen, gegen ihre Überzeugung und gegen ihr Gewissen zu stimmen, nur weil die NPD eventuell genauso stimmen könnte.
Das werden wir nicht mitmachen. Wir haben uns gestern Abend entschlossen, den Antrag auf Einleitung eines Verfahrens auf Abgeordnetenanklage zu unterstützen. Die Abgeordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN machen ihr Abstimmungsverhalten nicht von den Positionen und dem Verhalten von Neonazis abhängig – ich sage es Ihnen einmal ganz praktisch –, Sie tun das doch eigentlich auch nicht. Ziehen Sie denn Ihre Anträge zurück, wenn Ihnen einzig und allein noch die NPD zustimmt?
Hat etwa in Chemnitz die Sozialdezernentin der Linkspartei.PDS Heidemarie Lüth ihre Wahl nicht angenommen, weil sie mit den Stimmen der Republikaner gewählt wurde?
Nichts dergleichen geschieht. Deshalb empfinde ich das Schwingen der Nazi-Keule in diesem Fall als zutiefst verlogen.