Ich muss noch ein Drittes sagen, weshalb die heutige Debatte nicht leicht ist. Ich bin leider enttäuscht über das, was die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme vorgebracht hat. Sie bezieht sich und verweist uns auf relativ wenige aktuelle Daten hinein, und zu den Punkten 2 und 3 hat sie faktisch keine wirklich relevanten Aussagen zu treffen. Ich kündige jetzt schon an, damit ich es im Schlusswort nicht vergesse: Im Unterschied zu sonstigen Berichtsanträgen sieht sich meine Fraktion veranlasst, diesen Antrag zur Abstimmung zu stellen, weil wir wirklich noch einen soliden Bericht zu erwarten haben, der jetzt nicht gegeben ist.
Zur gegenwärtigen Situation in der Pflege einige Bemerkungen: Ich will zunächst, damit wir nicht wieder eine
Unterstellung von anderen Fraktionen zu hören bekommen, drei Positionen nennen, die ich immer genannt habe. Aber manches wird vergessen, deswegen muss ich das bewusst wiederholen.
Zum Ersten: Wir erkennen ausdrücklich an, dass in den letzten 15 Jahren im Pflegebereich, insbesondere was die Gebäudesubstanz und die Ausstattung betrifft, eine Menge erreicht wurde. Dafür sind wir dankbar.
Zum Zweiten – auch das muss redlicherweise gesagt werden: Die Mitte der neunziger Jahre eingeführte Pflegegesetzgebung hat zunächst zu einer Entlastung der Pflegebedürftigen und auch der Kommunen geführt. Das war durchaus positiv. Dass sich das jetzt weitgehend aufgebraucht hat, lässt uns daraus unsere Forderung ableiten, nämlich den Reformbedarf betreffend.
Zum Dritten: Wir sollten – ich sage das ausdrücklich – all den Tausenden engagierten Pflegekräften in diesem Land dankbar sein, denn es ist eine harte, aber notwendige und ehrenwerte Arbeit. Ich wünschte mir allerdings – dazu werde ich nachher noch etwas sagen –, dass dieses Engagement auch wesentlich stärker entlohnt und gewürdigt würde.
Lassen Sie mich allerdings dann auch auf ein paar Probleme aufmerksam machen, die wir durchaus kritisch zu sehen haben. Natürlich ist die Pflegeversicherung an einem Punkt angekommen, an dem sie sowohl hinsichtlich der Einnahmen- als auch der Ausgabensituation erheblicher Nachbesserungen bedarf. Dass die Pflegeversicherung in diese Situation gekommen ist, dafür gibt es viele Gründe, aber einen eben auch: dass sie nach wie vor als Lückenbüßer für artfremde Leistungen herangezogen wird und von daher die Kasse einfach nicht mehr stimmt.
Wir haben natürlich einen erheblichen Verdrängungswettbewerb zu kritisieren. Viele sagen, gerade auch im Sozialbereich sei Wettbewerb nötig. Hier wissen Sie, dass ich das bekanntermaßen ganz anders sehe, denn es hat zu mehr Bürokratie geführt und dazu, dass der Anteil der Fachkräfte – Frau Staatsministerin, wobei wir noch bei 70 % vor zehn Jahren waren – erheblich gesunken ist, nicht etwa, weil wir nicht genügend ausgebildet hätten, sondern einfach deshalb, weil der Finanzdruck die Pflegeeinrichtungsträger dazu nötigt, immer weiter mit den Löhnen herunterzugehen und sich außerhalb des Tarifs zu stellen.
Wir müssen auch deutlich sagen: Wir sind nicht ausreichend auf die Zukunft vorbereitet, was die Pflegeversicherung und die Pflege generell betrifft. Das meine ich nicht in erster Linie hinsichtlich der Bau- und Einrichtungssubstanz, sondern wir brauchen – das hatte bereits Ihr Vorvorgänger, darin waren wir uns einig, deutlich gemacht – einfach im System mehr Geld, denn es wird immer deutlicher: Der Bedarf nimmt zu und wir müssen davon ausgehen, dass er gegenwärtig nicht ausreichend untersetzt ist.
Zu den Positionen der Linksfraktion.PDS einige Bemerkungen, die an die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen anknüpfen, die kürzlich vom bundesweiten Runden Tisch „Pflege“ herausgegeben wurden. Lassen Sie mich das thesenhaft zusammenfassen.
Zum Ersten – darin sind wir uns auch in vielem einig: Der Anspruch auf selbstbestimmtes, würdevolles Leben im Alter muss und sollte immer wieder der Hauptanspruch sein.
Das Zweite – hiervon sind wir noch weit entfernt, auch im inneren Bereich selbst: Unsere Bestrebungen müssen darauf gerichtet sein, auch in diesem Bereich den Menschen die Möglichkeit von Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, denn eines wissen wir: Gerade auch in den stationären Einrichtungen ist oft viel zu wenig die Möglichkeit gegeben, dass Menschen wieder mehr zur Selbstständigkeit gelangen und der Prozess nicht automatisch abwärts geht.
Zu drittens: Wir brauchen eine Anhebung der Pflegequalität, das heißt natürlich nicht nur stärkere finanzielle Unterstützung und Ausstattung. Mit einem muss aber hier Schluss sein, das will ich deutlich sagen: Der Fachkräfteanteil muss deutlich erhöht werden und es muss zu tarifbezahlter Pflegeleistung zurückgekehrt werden.
Wir leiten daraus die Forderung ab, dass wir einen branchenspezifischen Mindestlohn im Pflegebereich brauchen.
Ich denke, das ist unerlässlich, und zwar nicht nur dort, aber auch dort. Solange wir viermal mehr für eine Autoreparaturstunde zu zahlen haben als für eine Pflegestunde, ist in diesem Land etwas nicht in Ordnung.
Viertens. Es muss Schluss damit sein, dass Pflege in erster Linie nach den Marktgesetzen funktioniert. Das kann nicht weiter so sein. Wir haben es mit Menschen zu tun, die Würde im Alter verdienen. Da kann es nicht in erster Linie darum gehen, ob sich das rechnet. Deshalb bleiben wir bei unserer Position, dass die klassische Privatisierung im Pflegebereich nicht der Königsweg ist. Wir können ihn nicht unterstützen, denn private Pflegeunternehmen müssen – wenn ich an Konzerne denke, dann sowieso – von ihrem Grundsatz her Gewinn machen; manche sagen auch Profit dazu. Der wird privat angeeig
net, während er bei anderen Trägern bitte schön im Kreislauf bleibt. Das ist eine Grundposition, an der wir weiterhin festhalten.
Ich will der Vollständigkeit halber sagen, dass wir mit Ihnen vollständig übereinstimmen, dass ambulant vor stationär gehen muss. Aber wie sieht es aus? Wie lange können wir diese Forderung durchhalten? Junge Menschen in unserem Land wandern nach wie vor ab und müssen ihre Eltern aufgrund der Suche nach dem Arbeitsplatz zurücklassen. Hierüber sind wir gezwungen, weiter nachzudenken.
Lassen Sie mich, wie ich das immer tue, abschließend noch drei Hausaufgaben nennen, die ich der Staatsregierung mit auf den Weg geben würde.
Erstens. Frau Staatsministerin, Sie kennen meine Forderung, aber sie ist noch nicht ausreichend berücksichtigt worden, deswegen erneuere ich sie: Wir brauchen eine gründliche Analyse der Situation. Da genügt es eben nicht, nur nach Kamenz zu verweisen, zumal auch diese Daten nicht aktuell sind, sondern wir müssen hier möglicherweise für Sachsen wissenschaftliche Untersuchungen mitbegleitend einschalten. Erst aus der Analyse können Entscheidungen erwachsen.
Zweitens. Ich weiß doch, wie lange wir gestritten haben. Sie sind der Meinung, die Bedarfsplanung sei nicht Sache des Landes, sondern der Kommunen. Genau das sehe ich nach wie vor anders. Denn was ist passiert? Auch die Linksfraktion.PDS ist selbstverständlich für eine Kommunalisierung in diesen Bereichen. Aber wir sind nicht für eine Kommunalisierung nach bisherigem sächsischem Vorbild, denn Kommunalisierung im Kommunalbereich heißt im Freistaat Sachsen: Die Kommunen haben die Leistung zu erbringen, einen entsprechenden finanziellen Ausgleich erhalten sie nicht. Der Landeswohlfahrtsverband, der inzwischen anders heißt, lässt als herausragendes Beispiel grüßen. Wir sind der Auffassung, die Bedarfsplanung kann nicht allein von den Kommunen geleistet werden – im Laufe der Legislaturperiode werden wir zur Novellierung der entsprechenden Gesetze auffordern –, sondern sie muss selbstverständlich auch vom Freistaat mit gesteuert werden.
Drittens. Ich gehöre nicht zu denen, die bei jeder Pressemeldung aufschreien, wenn irgendein Missstand in einem Heim entdeckt wurde, aber auch wir sollten mehr die Möglichkeit der Qualitätskontrolle in der Pflege schaffen. Die gegenwärtigen Möglichkeiten reichen nicht aus.
Als Allerletztes möchte ich sagen – das habe ich mir wirklich bis zum Schluss aufgehoben –, dass wir einen Großteil der Probleme damit lösen können, dass wir auch in der Pflegeversicherung eine solidarische Bürgerversicherung einführen.
Ich bin mal gespannt, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, wie Sie aus diesem
Konflikt herauskommen wollen. Die SPD hat uns, nachdem wir es ihr seit einem Jahrzehnt ins Stammbuch geschrieben haben, nun in ihrem Wahlprogramm versprochen, auch für eine Bürgerversicherung zu sein. Die CDU will nach wie vor eine Kopfpauschale. Ich will nicht unbedingt an diesen Debatten teilnehmen, aber das Resultat hätte ich schon gern gehört. Wir stimmen all dem zu, da haben Sie unsere Unterstützung, wenn Sie so wie wir eine solidarische Bürgerversicherung auch in der Pflege anstreben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pellmann, natürlich möchten Sie nicht direkt an der Diskussion teilnehmen, aber ein bisschen mit dem Finger drin herumrühren würden Sie schon ganz gern. Das war schon sehr deutlich und es ist ja auch Ihr gutes Recht als Opposition. Das will ich Ihnen gern zubilligen.
Sie haben gesagt, das System braucht mehr Geld. Da haben Sie Recht. Ich möchte auch damit anfangen. Die Reform auf der Bundesebene, die Sie angemahnt haben, sollte bereits Anfang 2004 beginnen. Hier hat die SPD mit ihrem Koalitionspartner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach der Gesundheitsreform und nach Hartz IV zurückgezogen, weil man politisch eingeschätzt hat, dass die Zumutbarkeitsgrenze mit den beiden großen Reformen bereits erreicht war und das, weil neues Geld im System gebraucht wurde, eine solche Reform finanzielle Aufwendungen, die der Staat nicht mehr tragen kann, erfordert hätte und deshalb vorher gut diskutiert werden will. Die SPD ist dafür von den verschiedensten Seiten heftig kritisiert worden, aber das war der Grund und daraus folgt die Situation, die wir jetzt haben.
Die Bilanz der sozialen Pflegeversicherung fällt aus meiner Sicht folgendermaßen aus: Sie wurde 1995 als so genannte fünfte Säule in der Sozialversicherung eingeführt. Vor zehn Jahren erhielten pflegebedürftige Menschen das erste Mal Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung, seit dem 1. April 1995 für die häusliche Pflege und ein Jahr später dann auch bei der stationären Pflege. Ziel war es, die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen zu verbessern und zu garantieren. Alte und pflegebedürftige Menschen sollten möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben führen können. – Sie sind auf diese Problematik eingegangen. – Durch die Einführung der Pflegeversicherung wurde die pflegebedingte Sozialabhängigkeit erheblich verringert und die Sozialhilfeträger wurden finanziell enorm entlastet. Heute wird in Deutschland Sozialhilfe zusätzlich zur Pflegeversicherung nur noch bei 5 % der Menschen in ambulanter Pflege und bei 25 % in stationärer Pflege gezahlt.
Das Fazit der Pflegeversicherung ist positiv. Pflege hat sich als eigenständiges Thema in der Gesellschaft etabliert und ist längst kein Randthema mehr. Mehr als
zwei Millionen Menschen erhalten derzeit Leistungen, davon 1,37 Millionen im ambulanten und 0,67 Millionen im stationären Bereich. Hier ist die Tendenz allerdings stark steigend. Das geht aus der Antwort der Staatsregierung hervor.
Auch für die Pflegepersonen haben sich die Bedingungen gewaltig verbessert. Sie haben das teilweise erwähnt und teilweise auch kritisiert, also dass sie eigentlich noch mehr und Besseres brauchten. Auch wenn gerade hier noch viel Entlastung – das sehe ich ebenfalls so – im Hinblick auf Fortbildung nötig ist, ist eine Stärkung der Pflege im häuslichen Bereich erfolgt.
Auch die Pflegeinfrastruktur ist verbessert worden. Das haben Sie gesagt. Das hat Ihre Kollegin vor drei Jahren mit den vielen Milliarden genannt. Das muss ich nicht alles extra noch einmal aufführen.
Für Sachsen noch einmal die Zahlen: Im Sonderinvestitionsprogramm wurden 334 Pflegeeinrichtungen neu gebaut oder saniert und bis Ende 2003 785 Millionen Euro investiert. In Sachsen haben wir zurzeit 40 000 Plätze in 564 Alten- und Altenpflegeheimen und 1 600 Plätze für teilstationäre Pflege sowie 1 400 Plätze in der Kurzzeitpflege.
Die demografische Entwicklung in unserem Land weist einen deutlichen Anstieg des Anteils der älteren Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung aus. Das wissen inzwischen alle. Die Lebenserwartung von Frauen und Männern steigt erfreulicherweise kontinuierlich. Prognosen gehen davon aus, dass sich bis zum Jahre 2050 die Zahl der Menschen über 80 Jahre von jetzt 3,2 Millionen auf 9,1 Millionen fast verdreifacht. Das bedeutet aber auch, es wird tendenziell mehr pflegebedürftige Menschen geben.
Hier in Sachsen stellt sich das Problem noch verstärkt dar, sind wir doch das Bundesland mit dem geringsten Anteil an jungen Menschen – 11,9 % unter 15 Jahren – und dem höchsten Prozentsatz älterer Menschen – 19,3 % über 65 Jahre. Bereits heute ist die Zahl der Leistungsempfänger so groß wie ursprünglich erst für 2010 gedacht bei nahezu gleich gebliebenen Beitragssätzen.
Ein weiteres Problem ist der Geburtenrückgang. Es wird immer weniger Menschen geben, die in die Sozialversicherung einzahlen. Gleichzeitig schwindet damit eine wichtige Grundlage für die häusliche familiäre Pflege.
In Zahlen gegossen heißt das: Seit 1999 sind die laufenden Ausgaben höher als die Beitragseinnahmen. 2004 lagen die Ausgaben bereits 820 Millionen Euro über den Einnahmen. Während die Pflegeversicherung Ende 1998 noch über Reserven von 5,5 Milliarden Euro verfügte, werden Ende 2005 nur noch drei Milliarden Euro vorhanden sein. Die Defizite der Pflegeversicherung summieren sich auf bislang 2,5 Milliarden Euro. Bei dieser Entwicklung ist zu befürchten, dass die Rücklagen bald aufgebraucht sein werden.
Ziel von SPD und CDU ist es, die Finanzierung der Pflegeversicherung langfristig auf eine stabile und solidarische Grundlage zu stellen. Ein offenes Geheimnis,
Herr Dr. Pellmann, sind natürlich die verschiedenen Vorstellungen der beiden Bundesparteien, die entweder das Prinzip der Bürgerversicherung oder eine komplette Kapitaldeckung bevorzugen. Kein Geheimnis sind die gemeinsamen Ziele der Koalition hier in Sachsen. Uns geht es darum, Menschen im Alter die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, sie nicht an den Rand zu drängen. Es gilt, den pflegebedürftigen Menschen ein Leben in ihrer vertrauten Umgebung zu ermöglichen.
Sie haben das Stichwort „Hilfe zur Selbsthilfe“ gebracht. Wir sind der Meinung, dass wir Pflegebedürftigkeit verhindern müssen, wo und wie wir es nur können. Sie ist nicht unabänderlich, sondern lässt sich hinausschieben; sie lässt sich wahrscheinlich nicht immer komplett vermeiden. Mehr Gesundheitsförderung und Prävention können dazu beitragen, Pflegebedürftigkeit bei vielen Menschen hinauszuzögern. Dazu ist eine stärkere Differenzierung und Orientierung der Angebote im Pflegebereich am individuellen Bedarf notwendig. Genau hier liegt eine große Herausforderung für ein Miteinander des Gesundheits- und des Pflegebereichs. Die Schnittstellen müssen besser aufeinander abgestimmt werden, wobei Reha vor Pflege und aktivierender Pflege gilt.
Auch das Nebeneinander von professioneller und ehrenamtlicher Pflege werden wir erhalten. Das ehrenamtliche Engagement in der Pflege wird weiterhin ein wichtiges Fundament darstellen. Noch stellen Familien den weitaus größten Pflegedienst dar. Aber auch hier muss der Staat Rahmenbedingungen schaffen. Das könnten sein:
Entlastung durch ambulante Angebote (Kurzzeit-, Tagesbetreuung, Angebote für demenzkranke Menschen usw.)