Was mich bei diesen Debatten besonders aufgeregt hat, ist Folgendes und richtet sich an die Adresse des Kanzlers: Ich hörte und las aus seiner Feder oder aus seinem Mund oder von seinem Ghostwriter oder wie auch immer, dass jetzt nach dem alten „Basta-Prinzip“ nichts mehr zu ändern sei, denn wir wüssten ja gar nicht, wie das Gesetz wirke. Also, so viel, wie in der Politik möglich sein könnte – noch dazu seitens des Kanzlers –, habe ich mir nie zugetraut. Wer nicht einmal weiß, wie ein Gesetz wirkt, stellt sich dann hin und sagt: Wir werden einmal sehen, wie es wirkt.
Herr Kollege, das Thema ist Ihnen also nicht so wichtig, dass Sie aus dieser Regierung austreten? Wir haben sehr wohl gewusst, dass Sie sich der Stimme enthalten haben, weil Sie in der Regierung anders abgestimmt haben. Aber Sie sehen das Thema sonst immer als so wichtig an. Warum treten Sie dann aus diesen Regierungen nicht aus, wenn Sie das Thema nicht mittragen können?
Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Es gibt viele, viele Themen, bei denen meine Vertreter in diesen Koalitionen sehr viel im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ihrer Länder bewegen. Wenn sie nicht drin wären, wäre es noch weitaus schlimmer.
Ich will Ihnen nur eines sagen – und das gehört noch zur Beantwortung Ihrer Frage –: Während wir auch in den Regierungen alternative Vorschläge unterbreiten, sind Sie ein Chor, der lediglich kritisiert und keinerlei Vorschläge unterbreitet. Bestenfalls nennen Sie als Ursachen den hohen Anteil von Ausländern, die uns die Arbeitsplätze wegnehmen. Damit – das sage ich Ihnen – kommen Sie nicht durch.
Eines machen wir nicht, darauf können Sie sich gefasst machen: Wir lassen Ihnen diesen unsäglichen Populismus nicht durchgehen.
Besteht bei den anderen Fraktionen noch Redebedarf? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann hat die PDS jetzt das Schlusswort. Herr Bartl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lämmel nennt es Mottenkiste und Sprechblasen. Bei Herrn Kollegen Gerstenberg ist die Luft raus. Vielleicht werden Sie sich auch schon im Frühjahr gewaltig geirrt haben. Ich beziehe meine Informationen zum Glück nicht nur aus meinem Wahlkreisbüro. Ich beziehe sie nicht nur aus der Zeitung oder aus der Statistik oder aus Meinungsumfragen. Ich beziehe sie auch als Anwalt. Wenn Sie wüssten, wie viele Tausend bereitstehen, um Widersprüche einzulegen! Wenn Sie wüssten, wie viele bereitstehen, um Normenkontrollverfahren zu machen, wenn es irgendwie ginge! Wenn Sie wüssten, wie viele bei den Montagsdemos nicht mehr erscheinen, weil sie tatsächlich resigniert haben, ob der Ignoranz. Ob das auch hält, wenn sich die Lebenslage im Portemonnaie bemerkbar macht? Ob das auch hält, wenn sich das in den Familien im Konkreten, im Leben spürbar macht? Das werden wir noch sehen. Ich sehe die ganze Konstellation logischerweise nicht als Generalpolitiker wie ein Sprecher einer Partei.
Zum General habe ich es nicht ganz geschafft, Herr Hähle. Sie kamen ja bei der ABI auch nicht bis ins Zentralkomitee.
(Lachen bei der PDS – Heinz Eggert, CDU: Mach mal weiter! – Robert Clemen, CDU: Das war ein guter Anfang!)
Ich kann nur aus der Perspektive eines Verfassungsrechtlers, eines Juristen darauf aufmerksam machen, dass es Menschen gibt, die ich hier zitiert habe und die in herausgehobener Ebene, beim Bundesverwaltungsgericht, beim Katholikentag und dergleichen mehr, auf die Probleme en detail aufmerksam machen. Nun können Sie sagen: Das interessiert uns nicht. Wir setzen uns mit dem Hintern drauf. Wir haben genügend Zeit. Bevor die durch die Instanzen durch sind, sind vier bis fünf Jahre vergangen. Frühestens dann sind sie beim Bundesverfassungsgericht. Darauf – das sage ich Ihnen – spekulieren Sie, meine Damen und Herren der SPD und der CDU. Sie wissen, wie lang der Rechtsweg ist. Sie wissen sehr wohl – jedenfalls die von Ihnen, die tiefer hineinschauen und nicht nur Schlagzeilen lesen –, dass diese oder jene Norm nie im Leben hält, dass es nie im Leben Bestand hat, dass 331 Euro – das ist deutlich weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens und das ist der Mindeststandard für Armut nach euro
Sie hoffen einfach auf die natürliche Lösung. Sie hoffen auf die Resignation. Und Sie hoffen schlicht und ergreifend darauf, dass es lang genug dauert, bis sich der Protest artikuliert.
Das ist keine Demagogie. Das ist Juristerei. Das müssen Sie einfach mal nachlesen. Sie klären sowieso alles nur über die Familie.
Ein letzter Satz: Es gibt einen wunderschönen Beitrag im „Stern“ vom 21.10. Das ist nicht der rote Stern, sondern der normale „Stern“.
Der war überschrieben mit „Der Putsch von ganz oben. – Die Reformen zertrümmern das Land. Es wird kalt in Deutschland.“ Ich hätte Ihnen den gern insgesamt gebracht. Ich lege den vor allem Ihnen von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN ins Fach.
Darin steht: „Notwendige Reformen, die ohne Alternativen sind – das ist das Kanzlerwort. Diese Reden haben einen totalitären Charakter. Ein Verdacht – die Reformer argumentieren zu apodiktisch, weil sie genau wissen, dass sie mit dieser Politik so ziemlich alles zertrümmern, wofür die Soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland einst stand. Der soziale Staat sorgte dafür, dass die privaten Risiken Alter, Arbeitslosigkeit, Krankheit grundsätzlich kollektiv abgesichert wurden. Das ‚Modell Deutschland‘ nannte das voller Stolz der sozialdemokratische Kanzler Schmidt.“
– Ich war aber noch beim Komma. „Verteidigen also die CDU-, SPD-, CSU- und GRÜNENPolitiker ihre Reformphilosophie deshalb so vehement, weil sie wissen, dass sie einen Putsch von ganz oben machen?
Das ist unser Problem. Das ist unser Ansatz. Das werden Sie hinnehmen müssen, weil wir die sozialistische Alternative in diesem Parlament sind. Ende der Durchsage.
Das war das Schlusswort. Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen ab über die Drucksache 4/0086. Bei Zustimmung bitte ich um Ihr Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenstimmen? – Und die Stimmenthaltungen? – Bei keiner Stimmenthaltung und einer großen Anzahl von positiven Stimmen ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt. Damit ist die Drucksache 4/0086 nicht beschlossen. Meine Damen und Herren! Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet. Offensichtlich scheine ich jetzt die Rolle zu übernehmen, Ihnen mitzuteilen, dass die 3. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages beendet ist. Das Präsidium hat den Termin für die 4. Sitzung auf Donnerstag, den 9. Dezember 2004, festgelegt. Die Einladung und die Tagesordnung werden Ihnen rechtzeitig zugehen. Die Sitzung ist beendet. Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg. Machen Sie das Beste daraus.