Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Unabhängig davon, dass es dem einen oder anderen hier Grusel über den Rücken jagen würde, mit einigen hier anwesenden Herren in einer Volks- und Abstammungsgemeinschaft verhaftet zu werden,
muss ich doch einmal deutlich sagen: Was einer modernen Zeit und einem modernen Staat angemessen ist, ist Verfassungspatriotismus. Das sind die Werte, auf die wir uns alle einigen, und zwar unabhängig von der Blutsabstammung. Das ist seit der Feudalherrschaft abgeschafft. Sie versuchen das wieder zu beleben. Wer weiß, welcher Minderwertigkeitskomplex sich dahinter verbirgt. Es hat jedenfalls mal dazu geführt,
dass viele Verbrechen, Verstöße gegen allgemein gültige, seien es christliche oder solidarische Werte gewesen, relativiert worden sind. Man hat gesagt, es ist ja ein Deutscher, da kann es nicht so schlimm gewesen sein. Das ist ein ganz gefährlicher Weg, den Sie vorschlagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Herr Prof. Porsch, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man sollte es ja Herrn Gansels Sache sein lassen, wenn er Unsinn verzapft, der sich weitgehend von selbst ad absurdum führt, zumal, wenn er in sich noch so widersprüchlich ist, wie das, was er hier gerade geliefert hat. Aber gestatten Sie mir trotzdem zwei, drei Sätze dazu.
Sie können in jedem Wörterbuch nachsehen, Herr Gansel. „Volk“ meint etwas Ganzes, „Volk“ meint nicht etwas, was – –
(Dr. Johannes Müller, NPD: Herr Porsch, sehen Sie mal hier nach! – Der Abgeordnete hält ein kleines Buch hoch.)
Ja, bei Ihnen! – „Bevölkerung“ meint die Differenzierungen, die in diesem Ganzen vorhanden sind: Differenzierung aufgrund sozialer Herkunft, Differenzierung aufgrund des Geschlechts, Differenzierung aufgrund von Wohnort, von Lebenserfahrung und dergleichen.
Wenn Sie meinen, Volksherrschaft würde sich in Volksabstimmungen sozusagen konstituieren, dann haben Sie Ihren inneren Widerspruch, denn bei Volksabstimmungen gibt es Mehrheiten und Minderheiten. Wer ist denn nun das Volk, die Mehrheit oder die Minderheit?
In allen theoretischen Kontexten Ihres Konzepts – nehmen Sie zum Beispiel Wilhelm Wundt, um einen ganz bekannten und relativ Unverdächtigen zu nennen – wird „Volk“ als etwas Einheitliches definiert, dem Merkmale zukommen, die nur für dieses Volk gelten, und die Diffe
renzierung sagt uns, dass in keinem einzelnen Teil des Volkes das, was das Volk als Ganzes ausmacht, zum Ausdruck kommt.
Das heißt dann aber für die politische Herrschaft, dass das, was Volk und Volksherrschaft sind, nicht durch Abstimmungen zutage treten kann, sondern sich immer wieder – auch das finden Sie in den theoretischen Werken – nur im charismatischen Führer, der in sich alle guten Eigenschaften des Volkes vereint, darstellen kann. Wenn Sie von Volksherrschaft sprechen und sie gegen die Bevölkerungsherrschaft setzen, dann wollen Sie das Führerprinzip und nicht das Demokratieprinzip.
Denn die Demokratie ist in sich differenziert und Wahlen und Abstimmungen bringen diese Differenzierung zum Ausdruck, und dann einigt man sich darauf, dass man der Mehrheit folgt. Das ist ein praktisches Prinzip. Aber Ihr Prinzip ist ein völlig undemokratisches
und Sie entlarven sich, wenn Sie Volksherrschaft gegen Bevölkerungsherrschaft stellen, immer wieder, dass Sie den Führer wollen und nicht die Demokratie.
(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der SPD und den GRÜNEN – Uwe Leichsenring, NPD: Dann sind die Schweizer aber auch Nazis!)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben zwar vereinbart, dass wir auf Anträge der NPD hin nicht in ein großes Palaver eintreten, –
(Alexander Delle, NPD: Das ist Ihr Demokratieverständnis, Herr Hähle! Schön, dass Sie es endlich zugeben!)
aber wenn hier irgendwelcher abstruser Blödsinn in die Welt gesetzt wird, dann sehen sich die Fraktionsvorsitzenden gehalten, etwas zu entgegnen.
Die NPD hat gesagt, sie wolle ein demokratisches Sachsen. Sie berufen sich auf das Grundgesetz. Das widerspricht allem, was in Ihren eigenen Machwerken immer wieder veröffentlicht wird. Sie wollen ja diesen demokratischen Staat überhaupt nicht, den Sie in dieser Debatte beschwören. Sie wollen auch die Volksabstimmung nicht wirklich.
Noch einmal zu der Aussage von Herrn Leichsenring, die er gestern gemacht hat: „Das System hat keine Fehler, das System ist der Fehler.“
Er wollte sich herausreden, er meine damit das Wirtschaftssystem. Aber ich habe noch einmal nachgeschaut. In der „Deutschen Stimme“ vom August 1999 sagt Herr Leichsenring: „Die Bonner Republik ist längst zur hässlichen Karikatur auf einen deutschen Staat geworden. Das System hat keinen Fehler, das System ist der Fehler.“
Nun will ich noch auf den Parteiideologen Jürgen Schwab verweisen, der in der Juli-Ausgabe der „Deutschen Stimme“ 2003 unter der Überschrift „Volksgemeinschaft und der Parlamentarismus“ den fundamentalen Gegensatz zwischen der parlamentarischen Demokratie und der Volksgemeinschaft aufgezeigt hat. Er schreibt: „Der Parlamentarismus diente dem alliierten Sieger dazu, eine am Gemeinwohl des Staatsvolkes orientierte Regierungspolitik bei Besiegten präventiv zu verhindern. Das Parlament ist Instrument der internationalen Oligarchie, der Ort für die Erfüllungspolitik nationsvergessener Angehöriger der westlichen Wertegemeinschaft und mit dem Sturz“ – hören Sie zu! – „der amerikanischen Weltherrschaft wird auch die Demokratie, die keine Volkssouveränität kennt, endlich verschwinden.“
Oder ich verweise auf ein Thesenpapier der Jungen Nationaldemokraten vom Juli 1998: „In einer vollständig entwickelten nationalen Gemeinschaft unserer Volksgemeinschaft sind Eliten eine Notwendigkeit.“
(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Na, da haben sie doch keine! – Gegenruf des Abg. Holger Apfel, NPD)
„Nach einem für sinnvolles politisches Wirken angemessenen Zeitraum hat sich die Führungselite aus der Volksgemeinschaft heraus zu erneuern. Es darf nicht sein, dass mit der Führungsverantwortung beauftragte Eliten sich von den nicht mit der Führung beauftragten ausgesprochenen Gegnern in ihrer Arbeit systembedingt behindern lassen.“
So versteht die NPD Demokratie, Volksgemeinschaft oder die Mitbestimmung des Volkes über Wahlen und Abstimmungen.
„Das allgemeine Wahlrecht ist noch kein Ausdruck wirklicher und vollkommener Demokratien“, heißt es woanders.
„Im Rahmen der Gesamtgesellschaft bietet das Wahlrecht keine wirkliche Entscheidungsmöglichkeit. Es hat lediglich bestätigenden Inhalt.“
Das zeigt all das, was im Widerspruch zu dem steht, was Sie heute hier zum Ausdruck bringen wollten.
Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. – Dann Herr Staatsminister Mackenroth, bitte.