Protokoll der Sitzung vom 07.10.2005

Nun ist allerdings immer das Problem für den Gesetzgeber, dass er das, was er in die Verfassung schreibt, irgendwo an der Verfassungswirklichkeit messen muss. Wir wissen alle gemeinsam: Wir hatten bisher im Freistaat Sachsen sieben Plebiszite dieser Art, was schon deutlich macht, dass es nicht inflationär vom anderen Gesetzgeber, dem Volk, genutzt wird, sondern relativ überlegt und sehr wohl auf Schwerpunkte, die größere Bevölkerungsgruppen betreffen, zugeschnitten. Von den sieben ist ein einziger, nämlich der zur Sparkassenproblematik – weiter will ich es nicht ausführen –, über diese hohe Hürde des Volksbegehrens von 450 000 hinausgekommen. Wir alle wissen, warum es darüber hinaus kam: weil wir etwa ein breites Netz an Sparkassen (damals) noch hatten und die im Prinzip ihre Logistik, ihre Räumlichkeiten und den sanften Druck gegenüber dem Kunden nutzen konnten, um das unterschreiben zu lassen. Na sicher, einfach, wer dorthin kam, sonst wäre es nicht passiert.

Bei allen anderen – Straßensammlungen usw. –, die wir momentan haben, ist es nie gelungen, so sensibel wie das Thema auch war – Klassenteiler etc. –, die 450 000 Unterschriften zu bringen.

Was jetzt die FDP will – ich meine wirklich wie Kollege Schiemann –, das ist der falsche Adressat. Über die Änderung des Quorums des anderen Gesetzgebers zu entscheiden, des anderen neben uns, des anderen gleichberechtigten, das kann nicht Sache der Staatsregierung sein, sondern das ist sehr wohl Sache des Parlaments.

(Beifall der Abg. Regina Schulz, Linksfraktion.PDS, Martin Dulig, SPD, und Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Es gehört sich, dass ein solcher Antrag – und dann am besten als Gesetz – als Gesetzentwurf ins Parlament kommt. Wir hätten gern unseren Gesetzentwurf vom 28.01.2004, Drucksache 3/10151, mit der FDP, mit allen anderen – meinethalben auch ganz allein durch die FDP – einreichen lassen, wenn uns das die Zweidrittelmehrheit

bringt. Das ist mir, das ist uns völlig wurst. Das Angebot steht weiter.

Das Problem ist letzten Endes – wenn das die Zweidrittelmehrheit in der Werbung bringt, soll es denn sein –, Kollege Schiemann, wir sind jetzt nicht mehr, sage ich einmal, im Bereich der Freiwilligkeitsphase. Die Frage ist nämlich die, nachdem der Sächsische Verfassungsgerichtshof mit seinem Urteil vom 21. Juli 2002 noch einmal klargezogen hat, dass es zwei gleichberechtigte Gesetzgeber im Freistaat Sachsen gibt: Der eine ist der Landtag und der andere ist das Volk. Dann stehen wir schon vor der Frage, ob es gleichberechtigt ist, wenn im Landtag quasi einfache Mehrheiten etc. pp. reichen, um ein Gesetz anzunehmen, sprich mehr als die Hälfte von 124, und woanders brauche ich im Prinzip bei einem solchen Quorum inzwischen Quoten, die beim allerbesten Willen doch nicht damit kleingeredet werden können, dass ich sage, wir haben 3,5 Millionen Wähler.

Wie will ich denn 3,5 Millionen Wähler hinter ein spezielles Anliegen, das ich in ein Gesetz fassen soll, bekommen? Die Frage ist, ob die Hürde 450 000 nicht unter dem Aspekt zu hoch ist, wenn der Verfassungsgerichtshof sagt: Ihr habt als anderer Gesetzgeber zu respektieren, dass der Gesetzgeber Volk gleiche Möglichkeiten haben muss, ein Gesetz einzubringen.

Nun sage ich, das Quorum ist 1 : 7; von sieben ist einer durchgekommen. Da ist das Problem schon, dass wir, wenn es eng auf eng kommt und es eine Initiative gibt, die dann einmal klagt, durchaus in Schwierigkeiten kommen könnten, die 450 000 zu rechtfertigen. Das ist ja im Prinzip in anderen Ländern längst erkannt worden. Das ist doch nicht vom Himmel gefallen.

Der Thüringer Landtag hat im vergangenen Jahr – Entschuldigung, es sind schon fast zwei Jahre her – am 4. Dezember 2003 das Quorum für ein Volksbegehren in dessen Verfassung, das seinerzeit 14 vom Hundert war – also noch ein Prozent unter unserem lag –, herabgesetzt auf acht vom Hundert. Thüringen hat eben in Erkenntnis der Tatsache, dass die Hürde im Volksbegehren 15 vom Hundert bzw. dort 14 vom Hundert zu hoch ist, sie heruntergesetzt auf acht vom Hundert. Nicht anders ist es, nebenbei bemerkt, auch in Schleswig-Holstein gemacht worden, wo im Prinzip auf fünf vom Hundert herabgesetzt worden ist, was nicht unbedingt akzeptiert werden muss. Aber wenn man es macht, muss man beim Volksentscheid mit einer höheren Quote hinein. Da bin ich dann gern bereit, über die 25 % beim Volksentscheid zu reden.

Ja, gut, das ist dann immer noch praktikabler als die 450 000 hier. 15 vom Hundert ist, wenn ich den gleichberechtigten Gesetzgeber an meiner Seite akzeptieren will, nicht durchsetzbar, nicht durchhaltbar und entspricht insofern nach unserer Auffassung nicht der verfassungsrechtlichen Vorgabe, was den Herrn Präsidenten auch dazu bewogen hat, das Parlament in dieser Frage aufzufordern, sich irgendwie zu bewegen.

Kollege Schiemann, ein letztes Wort. Es wäre schön, wir hätten Sie im Bundestag. Dann hätten wir vielleicht nur ein Drittel oder ein Viertel oder ein Fünftel von den vielen Änderungen des Grundgesetzes. Sie liegen wohl inzwischen seit 1945 bei 70. Da brauchen wir nur fix das Luftfahrtgesetz zu ändern, dann ändern wir auch wieder die Verfassung. So statisch geht es mit Verfassungen in der Bundesrepublik Deutschland wahrlich nicht zu und gleich gar nicht, wenn es um nicht mehr und nicht weniger geht, als über die Rechtsstellung dessen zu entscheiden, von dem wir unser Mandat haben.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Für die SPDFraktion der Abg. Bräunig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist meiner Fraktion und mir eine besondere Freude zu sehen, mit welcher Aufmerksamkeit die FDP-Fraktion den Koalitionsvertrag liest und daraus Anregungen für eine gute Politik bezieht. Ein besseres Qualitätssiegel für unseren Koalitionsvertrag können Sie uns gar nicht geben. Herzlichen Dank!

Leider haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, mit Ihrem Antrag – und das ist auch in den beiden vorhergehenden Redebeiträgen so rübergekommen – die Marschroute verfehlt. Denn der Koalitionsvertrag gibt vor, dass die Koalitionspartner prüfen mögen, und das ist eben nicht automatisch eine Aufforderung an die Staatsanwaltschaft, Entschuldigung,

(Allgemeine Heiterkeit)

an die Staatsregierung. In diesem Falle sehen wir den Prüfauftrag vorrangig den Koalitionsfraktionen zugewiesen. Die Koalitionsfraktionen werden in Umsetzung der Koalitionsvereinbarung auch die Notwendigkeit von Quorenanpassungen beraten.

(Beifall des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Diese Vorgehensweise ist auch logisch, denn Vorschläge bzw. Initiativen zu Verfassungsänderungen sollten üblicherweise aus der Mitte des Parlaments kommen und nicht vonseiten der Exekutive.

(Zuruf des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Wir werden also die Aufgaben nicht einfach auf die Staatsregierung abwälzen, sondern auf dem Wege der eigenen parlamentarischen Arbeit die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns prüfen.

Ich bitte Sie weiterhin zu akzeptieren, dass zunächst die Mehrheitsfraktionen dieses Hauses mit den notwendigen – –

Herr Bräunig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte schön.

Herr Morlok, FDPFraktion.

Herr Bräunig, liegen Ihnen denn Erkenntnisse vor, wie lange der Beratungs- und Abstimmungsprozess innerhalb der Koalitionsfraktionen dauern wird, bis uns hier im Hause ein Ergebnis vorliegen wird?

(Marko Schiemann, CDU: Das verraten wir nicht!)

Ich werde noch dazu Stellung nehmen.

Ich bitte Sie zu akzeptieren, dass zunächst die Mehrheitsfraktionen dieses Hauses mit den notwendigen Erörterungen beginnen und erst danach gegebenenfalls an die anderen demokratischen Fraktionen herantreten werden, eben um für die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu werben.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang, gerade die erwartungshungrige FDP-Fraktion darauf hinzuweisen, dass der Koalitionsvertrag ein Programm für die gesamte Legislaturperiode ist.

(Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS, steht am Mikrofon.)

Es gibt weitere – –

Es liegt folglich in der Natur der Sache, dass solche Vorhaben nicht im Hauruckverfahren umgesetzt werden, sondern ihren angemessenen parlamentarischen Vorlauf benötigen.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage, Herr Bräunig?

Ich lasse keine weiteren Zwischenfragen zu.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS)

Gerade bei verfassungsändernden Initiativen verbieten sich sämtliche Schnellschüsse. Das sind wir, glaube ich, unserer Verfassung auch schuldig. Ich gehe davon aus, dass das bisher in diesem Hause auch immer Konsens gewesen ist.

Ich möchte auch noch eines unmissverständlich klarstellen. Wir lassen uns nicht künstlich unter Druck setzen, von niemandem. Zu Ihrer Beruhigung sei vielleicht angemerkt: Die Legislaturperiode ist gerade mal ein Jahr alt. Sie haben also noch genügend Zeit, eine angeblich schleppende Umsetzung des Koalitionsvertrages zu späteren Zeitpunkten zu rügen.

Auch wenn wir Ihren Antrag heute ablehnen, möchten wir Ihnen – und da spreche ich alle demokratischen Oppositionsfraktionen an – zusichern, dass wir bis zum Ende des kommenden Jahres innerhalb der Koalition zu einer Entscheidung kommen wollen.

Ich möchte die Gelegenheit trotzdem noch nutzen, um die Grundposition meiner Fraktion in dieser Frage deutlich zu machen. Der Landtag hat sich ja bereits in seiner letzten Legislaturperiode mit der Frage befasst, ob die in unserer Verfassung enthaltenen Elemente der direkten Demokratie im Lichte der demografischen Entwicklung nicht den geänderten Verhältnissen in unserem Land angepasst werden sollten. Die SPD-Fraktion hat damals erklärt, dass eine derartige Verfassungsänderung als eine systemgerechte Modifizierung und Weiterentwicklung im Sinne unserer Verfassungstradition verstanden werden muss.

An dieser Position hat sich auch nichts geändert. Wir Sozialdemokraten stehen zu den Elementen der direkten Demokratie in unserer Verfassung und sind wegen der bisherigen – und leider weiterhin bestehenden – Bevölkerungsabnahme von der Notwendigkeit einer maßvollen Anpassung der Quoren überzeugt – eine Notwendigkeit, die in anderen Bundesländern – Herr Bartl hatte es angesprochen –, beispielsweise in Thüringen und SachsenAnhalt, längst im parteiübergreifenden Konsens zu entsprechenden Verfassungsänderungen geführt hat. In diesem Sinne gehe ich davon aus, dass wir bei aller Skepsis, die noch bei Teilen unseres Koalitionspartners vorherrscht, mit unseren Argumenten überzeugen und den richtigen Schritt zu mehr direkter Demokratie vollziehen werden – und das noch in dieser Legislaturperiode.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Für die NPDFraktion spricht Herr Dr. Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bereits gestern in der Europa-Debatte klar gemacht, dass wir als NPD-Fraktion eine Stärkung der Volksgesetzgebung befürworten würden.

Damit hängt natürlich ganz eng zusammen, dass man die Quoren eigentlich senken müsste, denn die Quoren sind zu hoch. Doch leider ist davon im FDP-Antrag nichts zu merken. Das, was hier vorliegt, ist nichts anderes als ein Auskunftsbegehren an die Staatsregierung – im Grunde nichts anderes, als es der Antrag der CDU-/SPD-Koalition im vorigen Tagesordnungspunkt war. Nur ist hier der Adressat komplett falsch; denn für die Gesetzgebung ist die Exekutive nicht zuständig, sondern die Legislative. Aus diesem Grund wäre von den selbsternannten Profis in der Politik eigentlich zu erwarten gewesen, dass man uns einen Gesetzentwurf vorlegt, der auf die Änderung der Verfassung abzielt. Aber davon ist nichts zu sehen, und so ist dieser Antrag für uns auch schwer zustimmungsfähig, obwohl wir eigentlich das Grundanliegen, das zu erkennen ist, schon unterstützen würden.

Ich denke, man sollte sich noch einmal darüber Gedanken machen, wie man zu einem Gesetzentwurf kommt. Das, was hier vorliegt, ist jedenfalls dürftig. Deswegen werden wir uns der Stimme enthalten.