Protokoll der Sitzung vom 17.03.2006

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es mit Ihren Worten zu sagen: Was hier zynisch und pervers ist in diesem Lande, Herr Gansel, das haben Sie gerade gezeigt.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN – Jürgen Gansel, NPD: Die Jugend ins Ausland zu treiben!)

Sowohl das Handwerk als auch die Industrie haben die fehlenden Kompetenzen bei Schulabgängern bemängelt und fordern nicht erst seit gestern, die Ausbildungsreife der Jugendlichen in Sachsen zu verbessern. Fragt man Unternehmer, so wird oft beklagt, dass viele Jugendliche nicht oder nur bedingt ausbildungsfähig sind. Das liegt nicht allein an den Anforderungen der Unternehmen, die natürlich steigen. So sagte ein Steinbruchunternehmer, dass früher der, der nichts konnte, zum Steinbruch kam, was aber jetzt schon lange nicht mehr so ist, da durch die steigenden Qualitätsanforderungen auch höhere Anforderungen an die Ausbildungswilligen gestellt werden müssen. Aber es sind oftmals die ganz einfachen Dinge, an denen es fehlt. Zirka 25 % der Jugendlichen, die die Schule verlassen, können nicht ausreichend schreiben, lesen oder rechnen.

Frau Werner, jetzt den Unternehmen den schwarzen Peter zuzuschieben und sie als Reparaturbetriebe heranzuziehen, ist wohl zu einfach.

(Beifall bei der FDP)

Es ist auch nicht verwunderlich, dass eine Reihe von Ausbildungsplätzen gar nicht oder nur sehr schwer aufgrund der mangelnden Qualifikation besetzt wird. Trotz hoher Arbeitslosigkeit und teilweisem Einstellungsstopp der Unternehmen geben 16 % der Unternehmer an, derzeit die offenen Stellen teilweise nicht besetzen zu können, und das in einer Phase der wirtschaftlichen Stagnation.

Unternehmen legen bei Ausbildungsplatzbewerbern Wert darauf, dass die Jugendlichen über die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen verfügen. Hier ist Schule gefragt und auch eine Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft gefordert. Die ersten Initiativen dazu wurden bereits in der Stellungnahme genannt. Eine wachsende Bedeutung auf dem sächsischen Ausbildungsmarkt haben aber ebenso gutes Allgemeinwissen, Teamfähigkeit, Zuverlässigkeit sowie Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft. Die Zahlen aus der DIHKStudie wurden von Herrn Pietzsch bereits genannt. An erster Stelle stehen Zuverlässigkeit, Teamfähigkeit und Leistungsbereitschaft.

Ausbildungsreife ist also nicht nur Fachwissen, bei dem natürlich die Schule Ansprechpartner für die Wirtschaft ist, sondern das sind eben auch die persönlichen Kompetenzen, bei denen wir alle gefragt sind. Gefragt, diese eben genannten Eigenschaften zu vermitteln, sind Schule, Elternhaus und Gesellschaft. Fleiß und Leistungsbereitschaft sind keine Tugenden der „ewig Gestrigen“, sondern zukunftsnotwendige Kompetenzen.

(Beifall bei der FDP)

Wir alle wissen, dass die Motivation zur Leistung im Beruf wichtig ist. Aber oftmals wird durch die Gesellschaft der Eindruck vermittelt, Leistung lohne sich nicht. Aussagen, dass man als junger Mensch so oder so keine Lehrstelle findet und als Beweis dafür der Bericht über einen Einser-Absolventen mit 100 gescheiterten Bewerbungen, geben unseren Jugendlichen nicht die notwendige Hoffnung. Dies alles trägt nicht dazu bei, dass die jungen Menschen ihr tatsächliches Leistungspotenzial ausschöpfen. Das endet leider für viele in einer sozialen Randlage.

Aufgabe von uns allen, von Schule, Eltern, Wirtschaft und Politik, ist es, Leistungsbereitschaft zu fördern, und zwar Leistung, die bewertet wird, und Aufgabenfelder in einer zeitigen praktischen Berufsorientierung aufzuzeigen, bei denen sich Jugendliche beweisen können. Nur wer weiß, was er kann, wird auch wissen, wohin er will!

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Hahn.

Frau Kollegin Schütz, ich habe sehr aufmerksam zugehört. Ich würde Sie gern fragen: Welchen konkreten Vorschlag zur Verbesserung der Situation hat die FDP-Fraktion – außer der Einführung eines Gütesiegels?

Ich denke, der Vorschlag mit dem Gütesiegel, den die FDP hier eingebracht hat, zeigt sehr deutlich, dass wir an den Kooperationen mit der Wirtschaft interessiert sind, dass wir auch die vermehrte praktische Berufsorientierung und dort natürlich ganz konkret die einzelnen Kooperationen, die bereits mit den Unternehmen bestehen, unterstützen und diese erweitern wollen.

(Beifall bei der FDP)

In diesem Sinn werden wir den Antrag der Koalitionsfraktionen unterstützen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Möchte sich aus den Fraktionen noch jemand zur Debatte melden? – Von der Fraktion der GRÜNEN Herr Weichert.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der sächsischen Wirtschaft fehlt es an Fachkräften. Das ist heute schon in Teilbereichen der Fall und wird als Problem in den geburtenschwachen Jahrgängen ab 2008 alle Bereiche treffen. Das Thema haben wir bereits heute Früh in der Aktuellen Debatte angesprochen.

Wir wissen es alle: Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, mit den zur Verfügung stehenden Fachkräften

steht und fällt die Produktivität der Wirtschaft. Heute können die meisten Betriebe noch aus einem Überangebot von Ausbildungswilligen auswählen. Das ist sehr bald vorbei.

Meine Damen und Herren! Neben dem persönlichen Schicksal ist jede abgebrochene Ausbildung als eine volkswirtschaftliche Fehlinvestition zu bezeichnen. Daher kommen wir nicht umhin, zum einen die Qualität der schulischen und vorschulischen Bildung in Sachsen zu verbessern, um den jungen Menschen eine bessere berufliche Perspektive zu eröffnen, und zum anderen alles dafür zu tun, den Jugendlichen die richtige Entscheidung in der Berufswahl zu erleichtern.

Der Antrag der FDP-Fraktion geht unseres Erachtens genau in die richtige Richtung. Er ist nicht perfekt, Herr Dr. Hahn, aber es ist die richtige Richtung.

Ich habe mir die Ausschreibung der Thüringer zu ihrem Qualitätssiegel „Berufswahlfreundliche Schule“ angeschaut, auf die die Antragstellerin verweist. An den dort vorgegebenen Bewertungskriterien – Einordnung der Berufswahlvorbereitung in das schulische Gesamtkonzept, Unterricht und Berufswahlvorbereitung, Praktikum und Lernortwechsel, Kooperation sowie die Förderung der individuellen Berufswahlentscheidung und deren Ergebnisse – sollten sich auch die sächsischen Schulen messen lassen. Zustimmen kann ich auch dem Thüringer Weg, die bessere Berufsorientierung der Schulen zunächst in der Form eines wissenschaftlich begleiteten Wettbewerbs zu fördern.

Ziel muss es sein, eine verbindliche Qualität der Berufswahlvorbereitung an den Schulen zu sichern und einen entsprechenden Entwicklungsprozess an den sächsischen Schulen zu beschleunigen.

Ich glaube, dass man die sächsische Wirtschaft, die Kammern und Verbände nicht erst auffordern muss, sich an der Entwicklung des Siegels zu beteiligen und diesen Prozess zu begleiten. Aufseiten der Wirtschaft ist das Interesse groß, Bewerbungen von Jugendlichen zu bekommen, die einerseits bereits wissen, was sie wollen, und denen andererseits bekannt ist, welche Qualitäten sie mitbringen oder sich aneignen müssen.

In diesem Sinne unterstützen wir den vorgelegten Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der FDP)

Von den Fraktionen sind vorerst keine weiteren Redner gemeldet. Herr Staatsminister Flath, Sie erhalten das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Das Gespräch mit den Verbänden und Organisationen der Wirtschaft ist mir als Kultusminister außerordentlich wichtig. Es geht darum, Anregungen aus der Wirtschaft aufzugreifen; gleichzeitig soll deutlich werden, was Schulen zur weiteren Verbesserung der Ausbildungsreife in Angriff nehmen.

Ein bewährtes Kernelement der Arbeit unserer Schulen, insbesondere der Mittelschulen, ist die Leistungsorientierung. Wir haben in Sachsen zentrale Prüfungen als wesentliches Instrument der Qualitätssicherung. Mathematik, Deutsch und Englisch sowie im Realschulbildungsgang eine Naturwissenschaft sind Prüfungsfächer, an denen in Sachsen kein Absolvent der Mittelschule vorbeikommt.

Orientierungsarbeiten ermöglichen Schülern und Lehrern gleichermaßen, den objektiv erreichten Leistungsstand kennen zu lernen und darauf entsprechend zu reagieren – und dies in aller Regel Jahre vor einer Abschlussprüfung.

Die neuen Lehrpläne setzen ihren Schwerpunkt auf grundlegende Fähigkeiten, Wissenserwerb, Kompetenzentwicklung und Werteorientierung. Neben Methoden und Problemlösungskompetenz spielt dabei die Sozialkompetenz eine wichtige Rolle. Dass wir mit den sächsischen Schulen auf dem richtigen Weg sind, verdeutlicht das sehr gute Ergebnis im Rahmen des innerdeutschen PisaVergleiches.

Zur Ausbildungsreife gehört natürlich auch das Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge und Anforderungen. Ökonomische Bildung und praxisorientierter Unterricht haben besonders im Rahmen des neuen Profilkonzepts der Mittelschule an Bedeutung gewonnen – WTH heißt das neue Fach.

Die Berufsorientierung ist systematischer Bestandteil schulischer Bildung. Wir wollen damit das Bewusstsein für die Anforderungen der Berufsausbildung und der Arbeitswelt in den Schulen stärken, Schüler mit Berufsfeldern bekannt machen und den Praxisbezug schulischer Ausbildung erhöhen. Die Anforderungen in der Ausbildung sowie im Berufs- und Arbeitsleben sind sehr hoch und in den letzten Jahren, wie wir alle wissen, gestiegen; denn die Chance unseres Landes liegt in hochwertigen Produkten. Deshalb nehme ich die Klagen zur Ausbildungsreife unserer Absolventen sehr ernst; doch eine pauschale Kritik ist wiederum auch nicht angezeigt.

Wir werden in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, Schüler fit für die Arbeitswelt von morgen zu machen. Das gute Abschneiden bei „Pisa“ ist kein Grund, uns zurückzulehnen, sondern es ist uns Motivation, in der kontinuierlichen Entwicklung von Unterrichts- und Schulqualität fortzufahren.

Wir wollen die Chancen insbesondere leistungsschwächerer Schüler gezielter fördern, die individuelle Förderung insgesamt verstärken. Dabei geht es uns auch um eine Kultur der Anerkennung. Das scheint mir ganz wichtig gerade bei Schülerinnen und Schülern, die diese zu Hause wenig oder gar nicht erfahren. Ganz so, wie von Ihnen, meine Damen und Herren, gefordert wurde, die Elternhäuser zu schonen, kann ich Ihnen nicht folgen. Mir scheint die Anzahl der Familien und Haushalte, in denen es zu Hause auch keine Anerkennung gibt, ständig zuzunehmen.

Zu dieser Kultur der Anerkennung gehört – damit komme ich wieder auf die Schulen zu sprechen –, dass wir die

Leistungsfähigkeit unserer Schulen wertschätzen und die engagierte und nicht immer einfache Arbeit unserer Lehrerinnen und Lehrer gesellschaftlich anerkennen.

Die Zusammenarbeit von Schulen und Unternehmen kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Sie vermittelt neue Einblicke in die Arbeit des Anderen, stärkt das Verständnis für Schwierigkeiten und Bedürfnisse und dient nicht zuletzt der Fachkräftesicherung für unsere heimische Wirtschaft.

Wir haben deshalb unsere Schulen nach dem neuen Schulgesetz zur Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft verpflichtet. Diese Zusammenarbeit muss auch zur Berufsorientierung genutzt werden, um Wachstumsbranchen in Sachsen und zukunftsorientierte Ausbildungsberufe noch bekannter zu machen.

Übrigens, Frau Bonk – jetzt ist sie schon auf die Tribüne davongeflattert –, es ist immer so ein Suchen nach dem Haar in der Suppe. Sie sagten, ein Praktikum sei gut – zwei Praktika sind Ihre Forderung –; diese ist doch längst erfüllt. In den Schulen ist es so: Ein Praktikum ist verpflichtend und ein zweites freiwillig. Nun können Sie gern sagen, das sollte auch noch Pflicht werden; aber wir wollen uns erst einmal Mühe geben, damit das funktioniert, was wir uns vorgenommen haben.

So sind obligatorische Betriebspraktika eine Chance für Unternehmen, geeignete Schüler kennen zu lernen und mit Blick auf den Fachkräftebedarf für das eigene Unternehmen zu interessieren. Aus der Vielzahl der Aktivitäten zur Berufsorientierung möchte ich hier nur einige Beispiele nennen. Es gibt in Sachsen über 80 Schülerfirmen in den Schulen, die Realisierung von Wirtschaftsplanspielen, die Aktivitäten der Landesarbeitsgemeinschaft Schule und Wirtschaft oder die mittelfristig flächendeckende Einführung des Berufswahlpasses als Instrument zur Systematisierung und Dokumentation der Aktivitäten jedes Schülers im Rahmen der Berufsorientierung.

In diesem Jahr – deshalb sind wir heute mit dieser Debatte sehr aktuell – führen wir die „Woche der offenen Unternehmen“ erstmals landesweit durch. Ich möchte meinem Kollegen Jurk und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Wirtschaftsministerium ausdrücklich danken, dass wir in einer guten Zusammenarbeit dazu übergegangen sind, diese „Woche der offenen Unternehmen“ in ganz Sachsen durchzuführen. Ich lese auch in der Zeitung: mit unterschiedlichem Erfolg. Das ist immer so, aber ich denke, das ist der richtige Weg, und wir werden das gemeinsam vorantreiben. Vor allem in Regionen, in denen Schülerinnen und Schüler bisher diese Informationsmöglichkeiten wenig genutzt haben, wollen wir es im nächsten Jahr gemeinsam besser machen.

Der Antrag der FDP-Fraktion zur Einführung eines Qualitätssiegels für Berufsorientierung zur Unterstützung des Prozesses der Berufsorientierung ordnet sich im Sinne der Qualitätssicherung in die vom Kultusministerium initiierten Maßnahmen ein. Seit geraumer Zeit werden Gespräche über die Möglichkeiten des Einsatzes eines Gütesiegels für die Berufsorientierung mit den Vertretern

der kommunalen Spitzenverbände, der Kammern und der Arbeitskreise Schule und Wirtschaft geführt. Diese zeigen, dass ein solches Siegel prinzipiell als sinnvolles Instrument für Schule betrachtet wird.

Es bedurfte also keineswegs der sehr einseitigen negativen Darstellung, um das zu begründen, sondern ich meine – und das will ich erfreut feststellen –, hier sind wir auf einem guten gemeinsamen Weg.

Ich will noch einige Bemerkungen zur Debatte machen. Ich möchte mich dafür bedanken – auch dafür, dass es doch am Freitag vor dem Mittag möglich ist – und ausdrücklich loben, dass wir uns alle bewusst sind, welch wichtiges Thema es ist: dass wir auf der einen Seite den jungen Leuten Hilfe zuteil werden lassen und auf der anderen Seite dem wirtschaftlichen Anliegen Rechnung tragen, dass wir in wenigen Jahren tatsächlich mit großen Problemen von Fachkräftemangel zu kämpfen haben werden.

Deshalb auch die Sichtweise von Herrn Pietzsch und Herrn Pecher, die jetzt einmal mehr auf die Wirtschaft abzielten. Ich erkenne das an.