Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

Aus diesem Grund werden wir diesem Antrag nicht zustimmen können.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Die Fraktion der GRÜNEN, bitte; Herr Abg. Lichdi.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Linksfraktion.PDS hat zu Anfang dieser Legislaturperiode ein Gesetz eingebracht, das die Übergangsbestimmungen der Sächsischen Verfassung einer Prüfung unterzieht. Danach sollen unter anderem Abgeordnete und Beschäftigte im öffentlichen Dienst nunmehr auch dann tragbar sein, wenn sie offiziell oder inoffiziell für das MfS tätig waren, sofern sie nicht gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben.

Genau da fängt bei mir bereits das Problem an, wenn ich das Vorblatt lese. Darin ist nämlich die Rede von so genannten informellen Mitarbeitern. Jedes Mal, wenn ich im Radio diesen Blödsinn höre, bekomme ich schon die Krise. Für mich ist diese mangelnde Sorgfalt in gewisser Weise auch bezeichnend. Dies zeigt eben auch, wie auch Ihr Vortrag heute – nicht der von Herrn Bartl, aber von anderen Mitgliedern Ihrer Fraktion mit ihren Zwischenrufen –, diese gewisse Schludrigkeit und Oberflächlichkeit, die Sie gegenüber dem Leid der Opfer des SED-Regimes an den Tag legen, und es bestätigt uns in unserem Willen – den wir zugegebenermaßen bereits vorher hatten –, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.

Die Linksfraktion.PDS hat – ähnlich wie mit ihrem Namenswandel, der bei der Einbringung noch „PDS“ lautete – einen Wandel im Laufe des parlamentarischen Verfahrens vollzogen. Sollte der ursprüngliche Gesetzentwurf die Untragbarkeit von Abgeordneten und im öffentlichen Dienst Beschäftigten, die für die Stasi tätig

waren und deren Verhalten deshalb untragbar erschien, frühzeitig beenden, so hat sie diese Möglichkeit der Entfernung aus dem Amt nun auf Anfang 2007 verschoben. Ich sage ausdrücklich: Dies erscheint überlegenswert, da zu diesem Zeitpunkt auch die Möglichkeit der Überprüfung nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz ausläuft.

Allerdings ist es schon pikant, dass dieser Gesetzentwurf zu einem Zeitpunkt kommt, zu dem der Bewertungsausschuss – und nun auch der Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten – dem Landtag empfehlen wird, eine Abgeordnetenanklage gegen den Vorsitzenden der einreichenden Fraktion zu erheben.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Vielleicht haben sie es gar nicht empfohlen!)

Aus politischer Sicht, wenn man es mit der Vergangenheitsbewältigung ernst meint, wahrlich kein guter Zeitpunkt für eine Streichung der diesbezüglichen Verfassungsartikel.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist eine Lüge!)

Sehr geehrter Herr Prof. Porsch! Liebe, sehr verehrte Mitglieder der PDS-Fraktion! Ich stehe nicht an zu sagen, dass ich mich freue, dass Sie jetzt Abstand davon genommen haben, auch den Artikel 116 zu ändern. Sie merken, dass ich versuche, Ihnen differenziert gerecht zu werden. Dafür möchte ich Ihnen ausdrücklich unseren Respekt zollen.

Nichtsdestotrotz bleibt natürlich die ganze Diktion dieses Antrages darauf gerichtet, eine Vergangenheitsinterpretation, die Sie nie geteilt haben, nun im Nachhinein mit juristisch feinsinnig ziselierten Argumenten zu entsorgen, und dazu wollen wir unsere Hand nicht reichen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte aber trotzdem auch inhaltlich auf die Frage eingehen, die Sie vorschlagen: eine Entkoppelung der Regierungsmitgliedschaft und des Landtagsmandats.

(Widerspruch des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Herr Porsch, ich versuche doch auch, ganz ruhig zu sprechen.

Wir haben durchaus Sympathie für das Ziel, dass ein Minister kein Landtagsabgeordnetenmandat innehaben soll.

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Danke. – Allerdings glauben wir nicht, dass Ihr Gesetzgebungsvorschlag dort juristisch ausreichend ist. Ich darf Ihnen berichten – auch wenn es Sie vielleicht nicht so brennend interessiert –, dass wir dies auf einem Bundesparteitag verabschiedet haben, dass wir das wollten, dass wir Gutachten eingeholt haben und dass das Ergebnis leider war: Es geht rechtlich nicht oder ist ganz schwierig.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: In Hamburg geht es doch!)

Ja, jetzt kommt wieder die Hamburger Geschichte. Hamburg hat – erstens – ein Teilzeitparlament und – zweitens – ist es ein Stadtstaat, und da sind die Verhältnisse anders.

(Beifall bei den GRÜNEN – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Aber doch nicht verfassungsrechtlich!)

Durchaus! Wir als Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN meinen, dass es durchaus an der Zeit ist zu diskutieren, wie es mit der Aufarbeitung der Vergangenheit mit dem SED-Regime in Zukunft weitergehen soll. Viele in diesem Hause haben vielleicht schon diesen neuen, sehr beeindruckenden Film, der hoffentlich eine gewisse Wende in der filmischen Auseinandersetzung mit dem DDR-Regime einleitet, gesehen. Andererseits haben wir die Ereignisse von Berlin-Hohenschönhausen und eine Art und Weise, wie Mitglieder der ISOR an die Öffentlichkeit treten. Auch die Verflechtungen in Leipzig, die jetzt in der Zeitung gestanden haben – das muss ich Ihnen offen sagen –, schaffen bei mir und meiner Fraktion jedenfalls kein Zutrauen zu einer ehrlichen Aufarbeitung in der gesamten PDS.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden daher dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, da wir ihn für wenig konstruktiv, rechtlich in mehreren Punkten für bedenklich und – gestatten Sie mir dies – für symbolisch falsch halten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Herr Bartl, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Schiemann, ich gebe ohne weiteres und ganz unumwunden zu, dass man zur Änderung der Verfassung Ihre Auffassung haben kann, dass sie quasi eine Art ehernes Prinzip ist und nur in allergrößter Not geändert werden soll. Man kann aber auch die Auffassung haben, dass wir im 21. Jahrhundert leben und eine Verfassung die Verfassungswirklichkeit regelmäßig aktuell abbilden muss. Das ist ein verfassungspolitischer Ansatz. Dieser kann unterschiedlich sein, und man muss ihn doch nicht von vornherein denunzieren.

Man kann ihn nicht mit dem Hinweis auf die Schlichtheit Ihres Ansatzes denunzieren, Herr Schowtka: Sie haben der Verfassung nicht zugestimmt, also dürfen Sie keinen Antrag zur Änderung der Verfassung einbringen. Kollege Schimpff hat der Verfassung auch nicht zugestimmt und war drei Wahlperioden lang Vorsitzender des Verfassungs- und Rechtsausschusses – von Ihrer Fraktion nominiert.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Hören Sie noch die Glocken? Das ist doch unvorstellbar, welchen Schrott Sie hier erzählen, das kann ich nicht anders sagen. Den Ordnungsruf nehme ich dann auch entgegen. Das ist doch unter allem Niveau! Es ist doch das freie Recht eines jeden Parlamentariers, der nur seinem Gewissen unterliegt, sich zur Verfassung zu verhalten. Es wäre doch schlimm, wenn wir in diesem Landtag wieder fünf, sechs oder sieben Fraktionen hätten, die zur Verfassung keine differenzierten Auffassungen haben. Das kann man doch nicht permanent desavouieren und sagen: Ihr dürft in den nächsten 40 Jahren keinen Antrag zur Änderung bringen!

Dann sage ich noch etwas, und dies sage ich mit einigermaßen Betroffenheit, Kollege Schiemann: Die meisten Änderungen am Grundgesetz – inzwischen sind es weit über 60; über 60 Mal sind seit 1949 Änderungen ins Grundgesetz eingefügt worden – sind in der Zeit von 1966 bis 1969, während der großen Koalition unter Vorsitz von Kiesinger, bekennendes und aktives Mitglied der NSDAP, gemacht worden. Ein Funktionsträger der NSDAP war dann Bundeskanzler!

Vor zwei Jahren hat Ihre Partei – Kollege Schiemann, das müssen Sie sich gefallen lassen; Sie haben vorhin auch draufgehalten – Filbinger in die Bundesversammlung delegiert, –

(Dr. Fritz, Hähle, CDU: Nicht zum ersten Mal!)

Nicht zum ersten Mal! Jawohl, genauso!

Filbinger, der als Richter noch nach dem 8. Mai 1945 Erschießungen von Soldaten wegen Desertion angewiesen hat.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Das ist überhaupt nicht bewiesen!)

Das ist sogar rechtlich festgestellt.

Und dann stellen Sie sich hier hin und verlangen, dass Leute, die in der DDR systemnah waren, nie mehr für ein Parlament kandidieren dürfen. Herrn Petzold sehe ich das nach. Er hat generell ein Problem, etwas zu verdrängen. Aber es ist für mich völlig unerträglich, dass wir hier im Landtag Abgeordnete haben, die vom Pult aus zugerufen bekommen: „Und Sie, Herr Menzel, haben sich noch nie von Adolf Hitler distanziert!“ und daraufhin rufen: „Warum sollte ich auch?“

(Zurufe von der NPD)

Schauen Sie doch ins Protokoll! – Das ist doch herrlich. Ich höre kein Wort in diese Richtung.

Herr Hähle, Sie kommen doch nicht darum herum: Der Artikel 118 bezieht sich in Ihrem Denkansatz – deshalb ist er im Kern ganz klar ideologisch – nur auf Menschen, die in der DDR in irgendeiner Form aus Ihrer Sicht systemnah gewesen sind.

(Zurufe der Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP, und Marko Schiemann, CDU)

Wo und wann haben Sie auch nur im Ansatz die Anstrengung unternommen, im Bewertungsausschuss die Biografie von anderen Leuten auf eine eventuelle Unvereinbarkeit mit dem Mandat zu hinterfragen?

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Das betraf Stasileute im Westen!)

Ja, wann denn? Wann haben Sie jemals versucht, so etwas zu hinterfragen?

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Das ist jahrelang geschehen!)

In dieser Gesetzesvorlage sind die unterschiedlichsten Bestimmungen enthalten. Sie, Kollege Schiemann, haben es sich ganz einfach gemacht. Sie haben sich auf drei Normengruppen konzentriert: auf den Artikel 118, auf den Artikel 119, auf Ihr Lieblingsspielfeld: Abgeordnetenanklage und Überprüfung für die Einstellung in den öffentlichen Dienst. Dabei nehmen Sie überhaupt nicht zur Kenntnis, dass es in der Bevölkerung, die der Verfassung unterliegt und deren Verfassung es nach der Präambel sein soll, inzwischen doch sehr unterschiedliche Auffassungen gibt.

Ich erinnere nur an die Problematik Ingo Steuer. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass sich inzwischen Gauweiler und andere Leute melden und sagen: Also, Herrschaften, ihr müsst doch irgendwann einmal bereit sein, anzufangen über Verhältnismäßigkeit nachzudenken!