Gerade die hier in Rede stehenden Artikel drücken die ursprüngliche Geisteshaltung des Verfassungsgebers aus.
Den Müttern und Vätern unserer Verfassung kam es darauf an, das demokratische Fundament des Freistaates Sachsen nach zwei erlebten Diktaturen neu aufzubauen, und gleichzeitig sollte die Absage an totalitäre Systeme durch die Abfolge bzw. Gesamtschau in den Artikeln 114 bis 119 deutlich zum Ausdruck kommen. Es wäre also verfehlt, solche Bezüge in unserer Verfassung zu streichen, die unmittelbare geschichtliche Erfahrungen vieler Menschen in unserem Lande widerspiegeln.
Nun muss man zum Artikel 119 eingestehen, dass eine Überprüfung nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz nur noch bis Ende 2006 möglich ist. Aber noch ist das Jahr 2006 nicht vorüber. Deshalb ist die Vorschrift noch nicht überholt.
Zum Artikel 118 drängt sich mir – und ich glaube, auch einigen anderen hier im Saal – der Verdacht auf, dass ein aktueller Fall mittels einer Verfassungsänderung zu den Akten gelegt werden soll.
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wenn Sie mich meinen, gehen Sie zum Verfassungsgericht! Ich habe den Ausschuss aufgefordert, Abgeordnetenanklage zu erheben!)
Der Landesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Herr Beleites, hat in der Ausschussanhörung am 31. Januar 2005 – wie ich finde: treffend – ausgeführt, dass in der Verfassung auch die Opferperspektive verankert bleiben muss. Dem kann ich nur zustimmen.
Ich möchte noch einmal auf die Systematik unserer Verfassung zurückkommen. Dass Übergangs- und Schlussbestimmungen nicht einfach nur befristete oder überholte Vorschriften enthalten, zeigt ein Blick in das Grundgesetz. Niemand – außer vielleicht der NPD – würde den Artikel 139 des Grundgesetzes, die Entnazifizierungsvorschriften, einfach streichen, nur weil er praktisch keinen Anwendungsbereich mehr hat.
Auch der Artikel 140 Grundgesetz, der auf wichtige Vorschriften zur Religions- und Glaubensfreiheit in der Weimarer Verfassung verweist, wird nicht einfach gestrichen oder verschoben, weil er im falschen Kapitel steht.
Übergangs- und Schlussbestimmungen sind mit dem übrigen Verfassungsrecht völlig gleichrangig. An ihrem Inhalt und an ihrer Aussagekraft ändert sich nichts, wenn sie nur eine andere Artikelnummer bekommen.
Das allgemeine Widerstandsrecht im Artikel 114 oder auch die Staatszielbestimmung im Artikel 117 gewinnen in ihrem Regelungsgehalt nichts dazu, wenn sie ein paar Seiten früher in der Verfassung stehen.
So weit zur Argumentation, meine Damen und Herren. Ich glaube, die Frage, ob eine Verfassungsänderung wie von der Linksfraktion.PDS vorgeschlagen notwendig ist, ist eindeutig negativ zu beantworten. Meine Fraktion wird dem Gesetzesvorhaben nicht folgen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim Festakt zur Vorstellung der Sächsischen Verfassung am 27. Mai 1992 äußerte der damalige und heutige Landtagspräsident Erich Iltgen unter anderem Folgendes: „Schließlich beschäftigen sich Artikel 118 und 119 mit Verantwortungsträgern des alten Systems. Künftig soll nicht im öffentlichen Dienst, im Landtag oder in der Staatsregierung sein, wer gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder sich für den Staatssicherheitsdienst betätigt hat.“
Aus diesen Worten geht glasklar hervor, dass der damalige sächsische Verfassungsgeber den Menschen in Sachsen ehemalige Stasileute als Beamte, Abgeordnete oder Mitglieder der Staatsregierung nicht zumuten wollte. Oder besser gesagt: Er konnte es nicht. Denn unter dem Eindruck der Befreiung von 40 Jahren SED und Stasiterror erwartete sicher eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung eine klare Abgrenzung gegenüber den Denunzianten und Schergen des alten Systems.
Es handelt sich somit bei den Artikeln 118 und 119 der Sächsischen Verfassung um Verfassungsbestimmungen, die nach dem Sturz der SED-Diktatur geradezu unvermeidbar waren. Nicht irgendwelche Sonderinteressen führten damals zur Aufnahme dieser Artikel in die Verfassung, sondern die Erkenntnis, dass sie für die Stabilität im wiedervereinigten Deutschland unabdingbar waren.
Selbstverständlich handelt es sich um Übergangsbestimmungen. Denn sie können natürlich höchstens so lange wirksam bleiben, bis der letzte ehemalige Stasiangehörige das Zeitliche gesegnet hat oder zumindest so betagt ist, dass er kein Amt mehr anstrebt. Aber ist denn dieser Zeitpunkt heute schon erreicht? Nein, mitnichten, das wissen wir alle.
Ein Stasioffizier, der 1990 35 Jahre alt war und unter Umständen große Verantwortung im Stasiunrechtssystem trug, ist heute erst 51 Jahre alt, also durchaus jung genug für ein politisches Amt. Und sehr viele Stasiopfer stehen heute ebenfalls noch in der Mitte des Lebens und müssen mit den physischen und anderen Nachwirkungen der Stasiverbrechen fertig werden, ob es sich nun um Bespitzelung, berufliche Behinderung, Ausbildungsverbot oder Einkerkerung und körperliche Misshandlung handelte.
Wir sind mittendrin in jener Übergangsphase, in der die Artikel 118 und 119 der Sächsischen Verfassung nicht nur Sinn machen, sondern noch hoch aktuell und unbedingt notwendig sind, um den Rechtsfrieden im Land zu bewahren.
Schon aus diesem Grund denken wir Nationaldemokraten nicht daran, den vorliegenden, aus unserer Sicht sittenwidrigen Antrag der zuerst zur PDS und dann zur Linkspartei mutierten SED zuzustimmen. Diese Partei hielt 40 Jahre lang eine Gewalt- und Willkürherrschaft in diesem Land aufrecht, die ihresgleichen sucht. Diese SED/PDS blieb bis kurz vor der Wende stalinistisch, meine Damen und Herren. Vergessen wir das nicht!
Noch 1986 wurde zum Beispiel der Glasnost-Perestroika-Bericht Gorbatschows zum XXVII. Parteitag der KPdSU in der DDR verboten.
Während in der Sowjetunion der endgültige Bruch mit dem Stalinismus eingeleitet wurde, klammerte sich die SED/PDS geradezu daran und verbot sogar die Verbreitung der Schriften des inzwischen geläuterten Generalsekretärs des Zentralkomitees der KPdSU. Heute, wenige Jahre nach dem Scheitern ihrer stalinistischen Unrechtspolitik, maßt sich die Linkspartei an, die Sächsische Verfassung so ändern zu wollen, dass ihre damaligen Menschenpeiniger vom Dienst heute Beamte, Landtagsabgeordnete und Regierungsmitglieder im Freistaat werden können.
Im Jahr 2006 haben wir in der Tat andere Probleme, mit denen wir uns herumschlagen müssen. Wenn es ehemaligen informellen Mitarbeitern und Berufsspitzeln der Staatssicherheit erlaubt werden soll, in den Parlamenten über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit herumzuschwadronieren und herumzuheucheln, dann müssen wir uns fragen, ob wir 1989 umsonst auf die Straße gegangen sind.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird Sie nicht weiter wundern: Auch die FDP wird diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
(Beifall bei der FDP und der CDU – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Das wundert uns wirklich nicht!)
Meine Damen und Herren, die hier zur Diskussion gestellten Regelungen, insbesondere in den Artikeln 118 und 119 der Sächsischen Verfassung, sind – es ist schon mehrmals gesagt worden – aufgrund schlimmer Erfahrungen in diese Verfassung gekommen, Erfahrungen, die die Menschen hier in Sachsen machen mussten und auf die die meisten jedenfalls sehr gern verzichtet hätten.
Diese Regelungen selbst waren Ausdruck des Willens, eine Diktatur zu überwinden und eine Demokratie dauerhaft und sicher zu gründen, die den Menschen Schutz gibt, Sicherheit, Zukunft und vor allem eins: Freiheit.
Die Regelungen waren und sind auch weiter sinnvoll. Sie zeugen vom Willen des Verfassungsgebers und der überwältigenden Mehrheit der sächsischen Bevölkerung, eben nicht in Diktatur zurückzufallen und auch nicht zuzulassen, dass diejenigen, die der Diktatur Vorschub geleistet, ihr gedient, andere bespitzelt und Freiheitsrechte beschädigt haben, öffentliche Funktionen an herausgehobener Stelle oder politische Verantwortung wahrnehmen.
Meine Damen und Herren! Der Respekt vor den Opfern der SED-Diktatur wie auch vor denen jeder Gewaltherrschaft verbietet uns, diesen Gesetzesantrag hier anzunehmen.
Insbesondere, lassen Sie mich das auch sagen, fällt natürlich auf, dass zum wiederholten Male gerade von der Linksfraktion.PDS der Versuch unternommen wird, die Verfassung in diesen Regelungen, die politische Bekenntnisse zur Demokratie enthalten, abzuändern. Meine Damen und Herren, Sie werden auf Dauer die Geschichte hier nicht neu ordnen können. Sie werden auch die Verfassung in dieser Weise nicht neu ordnen können. Herr Kollege Bartl, weder Verhältnismäßigkeitsprinzipien noch Zeitablauf zwingen uns dazu, die Verfassung in der gewünschten Weise abzuändern.
Nein, wenn es den Artikel 119 gibt, so ist – Sie haben es angesprochen – in einer umfangreichen Rechtsprechung den Bedürfnissen nach Verhältnismäßigkeit, nach Anpassung, auch nach Abwägung im Hinblick auf den Zeitablauf von 16, 17 Jahren seit der Wende durch Rechtsprechung Rechnung getragen worden, und dem kann weiterhin durch Rechtsprechung Rechnung getragen werden.
Es wird wahrscheinlich so sein, dass solche Regelungen wie Artikel 119 der Verfassung irgendwann an Aktualität – was die Eingriffsmöglichkeit anbelangt – verlieren
werden. Aber als Zeugnis und Bekenntnis des sächsischen Verfassungsgebers zur freiheitlichen Demokratie, als Bekenntnis zu einer Absage gegen Diktatur, einer Absage an Menschenverachtung, hat dieser Artikel dann immer noch seinen politischen und verfassungspolitischen Wert. Diesen wollen wir erhalten wissen, meine Damen und Herren.
Wir halten auch nichts davon, jetzt in der Verfassungsdiskussion eine Ausweitung der Möglichkeiten vorzunehmen, in das Mandat durch die Einführung eines Begriffes des Machtmissbrauchs, von dem keiner weiß, wie er aussehen soll, einzugreifen. Nein, für uns richten sich die Artikel 118 und 119 gegen Gewaltherrschaft, gegen die Verletzung der Menschenrechte, gegen die Unterstützung von Diktatur – und nicht nur gegen Fehlverhalten, wie immer man es definieren mag. Es geht hier um die Prinzipien, die Fundamente der Verfassung und der Werte, die dahinter stehen.