Eine kurze Replik auf das, was Frau Lauterbauch von der Linksfraktion.PDS gesagt hat. Sie haben eine Menge Beispiele gebracht und ich denke, dass das auch Beispiele sind, die Sie irgendwo real nachweisen können. Aber wenn Sie so pauschal sagen: „Die Ärzte haben alle 40 % Papierkriegarbeit“ – so haben Sie es genannt – „zu machen“, dann müssen Sie mir erst einmal nachweisen, dass das bei allen so ist. Ich weiß, dass es mehr geworden ist. Es ist nicht nur mehr geworden, weil wir es verlangt haben, sondern auch, weil es die Menschen verlangt haben und weil wir gesagt haben: Wir wollen eine höhere Qualität, wir wollen dass das nachprüfbar ist, und zwar nicht nur im Pflegebereich, sondern auch hier.
Wenn es nachprüfbar sein soll, dann muss es aufgeschrieben werden, muss es dokumentiert werden. Diesen Spagat konnte bisher noch niemand lösen. Auf der einen Seite haben wir den Anspruch und sagen: Es muss alles nachprüfbar sein, weil sofort jemand kommt und sagt: „Du, du!“ und „Da hast du etwas falsch gemacht.“ Die Ärzte haben gar keine andere Chance, als sich in Schreibarbeit zu flüchten und das alles zu dokumentieren, um nachweisen zu können, dass sie alles richtig gemacht haben.
Ja. – Diesen Spagat einfach nur in den Raum zu stellen und zu sagen: „Die machen nur 40 % Schreibarbeit und sind jetzt sozusagen die Bösen“, so einfach ist das nicht. Das ist nicht nur eine politische Forderung, sondern das kommt auch aus der Patientenschaft. Ich habe dafür noch keine rechte Lösung, aber mir ist es zu einfach, wie Sie es formuliert haben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute zum wiederholten Mal eine Debatte zu den Missständen im Gesundheitswesen. Zum wiederholten Mal! Ich denke, das verwundert auch nicht, denn seit Jahren verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit und damit verbunden auch die Rahmenbedingungen für die Patientenversorgung.
Worüber reden wir? – Wir reden über eine anwachsende Bürokratie, eine zunehmende Reglementierung und Rationierung sowie eine Unterfinanzierung und aus meiner Sicht, weil ich selbst als Arzt betroffen bin, über eine permanente Diffamierung des Berufsstandes wegen weniger schwarzer Schafe. Das ist eine Sache, die immer wieder durch die Medien geht, die die Ärzteschaft massiv ärgert und die auch von der Ärzteschaft kritisiert wird. In dem Zusammenhang ist es auch kein Wunder, denke ich, dass es zunehmend an Nachwuchs im Bereich der Ärzteschaft mangelt.
Wo sind denn außerdem die Erfolge der bisherigen Reformbemühungen, der neuen Versorgungsformen der Disease-Management-Programme, der diagnoseorientierten Fallpauschalen in den Krankenhäusern? – Diese Erfolge kann ich nicht erkennen. Der neueste Coup, der vielleicht das Fass zum Überlaufen gebracht hat, ist das Arzneimittelversorgungswirtschaftlichkeitsgesetz. Damit ist es jetzt passiert, dass der Ton sowohl auf der Straße wie auch in der Ärzteschaft – in der standesmäßig organisierten Ärzteschaft – rauer wird. Ich sehe den Grund dafür – das muss ich ganz deutlich sagen – vor allen Dingen darin, dass die Entscheidungen an den Standesvertretern vorbei getroffen werden.
Dass dies kein Einfall von mir oder meiner Fraktion, der NPD, ist, kann ich mit dem folgenden Zitat belegen: „Die Hauptursache dafür ist die große Unkenntnis, mit der die rechtlichen Regelungen, zum Teil unter bewusstem Ausschluss der ärztlichen Sachverständigen, entwickelt wurden.“ So steht es nachzulesen für alle Fraktionen in der Resolution von Sächsischer Landesärztekammer und KVS, Kassenärztlicher Vereinigung Sachsen, vom 8. März dieses Jahres.
Wovon reden wir? In den Kliniken von chronischer Unterbesetzung, die auch noch verstärkt wird durch den Druck auf Privatisierung. Als Beispiel: Mein Landkreis hatte zur Wende sechs Krankenhäuser, alle staatlich, jetzt haben wir zwei, alle privat. Ein Privater ist natürlich ganz besonders daran interessiert, wirtschaftlich zu arbeiten. Damit wird auch die Personalstärke, die den größten Ausgabenfaktor darstellt, so weit wie möglich heruntergedrückt. Wir reden über Dienstbedingungen, mit denen sicherlich kaum jemand hier tauschen möchte, mit Klinikdiensten von 30 oder mehr Stunden, von einer als Hoffnungsschimmer mal im Raum stehenden EU-Arbeitszeitrichtlinie, die aber nur Makulatur ist, wenn das In-Kraft-Setzen immer wieder hinausgeschoben wird. Dass sich dann die Ärzteschaft irgendwo verschaukelt vorkommt, ist aus meiner Sicht völlig normal und legitim.
Aber wir reden auch im niedergelassenen Bereich über zunehmend gegängelte Freiberufler, die durch Bürokratie, Budgetierung, die Finanzeintreibung für die Krankenkassen immer mehr in die Enge getrieben werden.
Angela Merkel geäußert wurde, dass die Praxisgebühr auf 20 Euro erhöht werden sollte, ist eine Frechheit.
Ich komme noch einmal zurück zum Arzneimittelversorgungswirtschaftlichkeitsgesetz mit seinem aberwitzigen Bonus-Malus-System. Das führt nur zu einer Rationierung der Versorgung und zur Gefährdung der Arzt-Patienten-Beziehung. Hier ist nur Wirtschaftlichkeitsdenken und nicht die Qualität der Versorgung gefragt.
Einige Bemerkungen zum Bonus-Malus-System: Wenn man ein Generikum nutzt, also ein Medikament, das ein Nachbau des Originalpräparates ist, dann ist das sicher billiger. Aber zur Zulassung eines Generikums ist es nur notwendig, dass es bei 75 % der Versuchsgruppe eine Bioverfügbarkeit von 0,8 bis 1,25 erreicht. Das heißt, ein Viertel der Leute kann unter Umständen mit dem Medikament nicht genauso gut wie mit dem Originalpräparat behandelt werden. Dieser Sachverhalt wird von der Standesvertretung, aber nicht von einem Bürokraten oder Finanzwirtschaftler erkannt.
Ein weiteres Problem ist, dass man in den Kliniken die Originalpräparate meist zum Nulltarif erhält und diese Medikamente dann vom Hausarzt weiter verordnet werden sollen. Wie macht man dann dem Patienten klar, dass er jetzt etwas anderes bekommt?
Meine Damen und Herren! Das zeigt typische liberal-kapitalistische Denkfehler. Den alten Arzt mit ethisch-humanistischer Prägung gibt es in einem rein monetären System nicht mehr.
Frau Dr. Marianne Koch, Ärztin und Präsidentin der Deutschen Schmerzliga, antwortete in der ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“ am letzten Dienstag auf die Frage, warum Ärzte immer weniger Zeit haben, sich um den Patienten zu kümmern, ziemlich genervt, das läge an unserem – Zitat – „bescheuerten Gesundheitssystem“. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, „bescheuertes Gesundheitssystem“ trifft den Nagel aus meiner Sicht ziemlich genau auf den Kopf.
Ich muss mich schon fragen, was eigentlich in den letzten Jahren passiert ist, dass es in diesem Land nur noch mit unserem Gesundheitssystem unzufriedene
Ich will Ihnen das System an einem kleinen Erlebnis schildern, das ich letzte Woche hatte. Ich bin seit langer Zeit wieder einmal im Ärztehaus Blasewitz gewesen. Dieses Ärztehaus liegt am „Blauen Wunder“. Einige von Ihnen, zumindest die Dresdner, werden es vielleicht kennen.
Herr Zastrow, woher nehmen Sie denn Ihre tolle Aussage, dass alle – das war eindeutig Ihre Aussage – unzufrieden sind mit diesem Gesundheitssystem? Das hätte ich gern gewusst. Kommt das auch von „Maischberger“ oder woher kommt es sonst?
Ich muss meine Aussage relativieren. Wahrscheinlich betrifft es nicht alle, das stimmt, aber ich denke, die Mehrzahl, und zwar eindeutig die Mehrzahl. Ich will Ihnen das gleich an einem Beispiel erklären. Denn ich denke, dann sieht man das Dilemma in unserem Gesundheitswesen.
Wenn Sie in dieses Ärztehaus in Blasewitz gehen, dann grinst Sie die DDR aus jeder Ecke an. Das Haus hat sogar schon einen Fahrstuhl. Zu DDR-Zeiten war das sicher hochmodern. Sie kennen diese Fahrstühle. Wenn Sie hineingehen, bekommen Sie erst einmal einen Schreck, weil der Fahrstuhl 20 cm durchsackt. Dann sind Sie glücklich, weil er sich fängt und Sie unter ganz üblen Tönen irgendwie in die dritte Etage hochbefördert.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich, Frau Orosz: Wenn ich an den einen oder anderen Krankenkassenpalast – auch hier in Sachsen – denke, dann behaupte ich, dass es keine Krankenkasse gibt, in der unter den Bedingungen
gearbeitet wird, wie sie die Ärztinnen, Ärzte und Krankenschwestern in diesem Ärztehaus Blasewitz haben.
Das ist die Realität in unserem Gesundheitswesen. Reich hat unser Gesundheitswesen diejenigen gemacht, die den Mangel verwalten: die Krankenkassen. Arm hat es die Patienten gemacht. Arm hat es am Ende auch die Ärztinnen und Ärzte gemacht, meine Damen und Herren.
Wenn Sie weiter durch dieses Haus gehen, dann – davon konnte ich mich als Betroffener in der vorigen Woche überzeugen – finden Sie an fast allen Türen Zettel. Auf den Zetteln steht sinngemäß, ganz billig kopiert: „Wegen Überlastung“ – ich weiß nicht ganz genau, ob das Wort Überlastung stimmt, aber sinngemäß war es so – „sind zurzeit mit Ausnahme von Notfällen keine Patienten-Neuaufnahmen möglich.“ Auf den Gängen sehen Sie Leute, die nicht vor den Praxistüren sitzen, sondern stehen, weil alle Sitzplätze längst besetzt sind.
Die Ärztinnen und Ärzte und die Schwestern arbeiten in diesem Ärztehaus von früh – zeitiger, als ich zum Beispiel mit der Arbeit beginne – bis spät – länger, als wir hier tagen – im Akkord