Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

und das für einen aus meiner Sicht lausigen Lohn. Sie werden immer mehr dazu gezwungen, nicht das wirksamste, sondern das billigste Medikament für den Patienten zu verschreiben. Die Wartezeiten selbst für dringend notwendige Untersuchungen sind fast überall sehr lang geworden. Bei einer Magenspiegelung sind drei Wochen schon günstig. Da brauchen Sie Beziehungen, um diesen Termin zu bekommen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Jetzt sind wir bei der DDR!)

Das ist der Zustand, den wir in vielen Praxen in Sachsen, also nicht nur in diesem einen Ärztehaus, haben. Das ist Alltag in unserem Gesundheitswesen.

Ich finde es – Frau Lauterbach hat es vorhin schon angesprochen – dramatisch, was aus dem Traumjob an sich, nämlich Arzt zu sein, in diesem Land in den letzten Jahren gemacht worden ist, meine Damen und Herren.

Wir haben ein System geschaffen, das zu immer mehr Einschnitten in der Gesundheitsversorgung geführt hat und das die Ärzteschaft genau wie die Patienten vor gewaltige Probleme stellt und auf der anderen Seite dazu geführt hat, dass an der Brust dieses Gesundheitswesens 250 gesetzliche Krankenkassen, die alle im

Endeffekt dasselbe machen, wunderbar leben können. Das ist aus meiner Sicht eine Fehlentwicklung, die wir nicht weiter akzeptieren können.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS)

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhält das Wort. Frau Herrmann.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ärzte haben, bildlich gesprochen, das Skalpell mit der Trillerpfeife vertauscht und wir diskutieren über die Krise im Gesundheitswesen.

Ich möchte an dieser Stelle nicht in Abrede stellen, dass wir in unser Gesundheitssystem sehr viel Geld stecken. Da hat Herr Gerlach völlig Recht. Aber Untersuchungen haben auch gezeigt, dass es eine Diskrepanz zwischen dem Mitteleinsatz und den Ergebnissen im Gesundheitssystem gibt. Für uns kann es keine Option sein, etwas anderes als ein solidarisches System zu wollen, das Leistungen ohne Einschränkungen für alle Versicherten anbietet. Und doch gibt es einige Punkte, bei denen Reformbedarf dringend notwendig ist, zum Teil ja auch schon mit der Reform begonnen wurde. Auch im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung findet sich einiges dazu.

Die niedergelassenen Ärzte – das wurde hier schon gesagt – klagen über zu viel Schreibkram, der ihnen und ihren Mitabeitern zugemutet wird. Sie wissen oft zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht, was sie letzten Endes dafür bekommen. Das System der Budgetierung ist blind für lokale Besonderheiten, für die unterschiedliche Patientenzusammensetzung in der Stadt oder auf dem Land und für das unterschiedliche Alter, das Patienten auch in den einzelnen Regionen haben.

Die Ärzte in Sachsen, das ist wahr, haben sich sehr verantwortungsbewusst verhalten. Allerdings ist die Frage, ob der Ärztemangel, den wir hier im Lande zu beklagen haben, nicht auch ein Ausdruck für die Krise des Systems ist, denn es gibt viele Kliniken, in denen nicht mehr alle Stellen besetzt werden können, weil sie einfach niemanden finden, der dort arbeiten will. Wir wissen auch alle genau, dass die Zahl der niedergelassenen Ärzte zurückgeht und dass es in einigen Regionen in Sachsen schon zu einem Ärztemangel gekommen ist. Das Durchschnittsalter der niedergelassenen Ärzte in Sachsen liegt momentan bei 50,9 Jahren. Da können wir uns ausrechnen, was in Zukunft passieren wird. Ich denke, auch wenn Herr Gerlach unser Gesundheitssystem als ein gutes beschrieben hat, so haben wir doch mit Blick auf die Zukunft, mit Blick auf die Demografie, mit Blick auf die demnächst eintretende

Mehrwertsteuererhöhung, die das System weiter in die roten Zahlen treiben wird, dringenden Reformbedarf.

An den Kliniken ist die Situation zum Teil problematisch, auch das wissen Sie. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie zu den Bereitschaftsdiensten wurde in Sachsen nicht umgesetzt, sie wurde für ein Jahr ausgesetzt. Es besteht schon der Verdacht, dass hier auf Zeit gespielt wird. Die EU-Kommission hat ja schon einen neuen Vorschlag erarbeitet, der zwischen aktiven und inaktiven Bereitschaftsdiensten unterscheidet. Das wollen die Ärzte natürlich nicht hinnehmen, denn sollten Bereitschaftsdienste nicht als Arbeitszeit anerkannt werden, würde die Überlastung der Krankenhausärzte weitergehen wie bisher.

Ein weiterer Punkt für Kliniken sind die Fallpauschalen. Diese belasten vor allem Uni-Kliniken, die mit schwierigeren Fällen konfrontiert sind und deshalb mit den Fallpauschalen nicht ausreichen.

Wir leisten uns in Deutschland zum großen Teil eine doppelte Facharztstruktur mit niedergelassenen Ärzten und Klinikärzten. Darin liegt ein großes Einsparpotenzial, was auch Herr Lauterbach in einem Interview gesagt hat. Dann könnte es nämlich aufhören, dass Krankenhausfachärzte Patienten stationär in Kliniken aufnehmen, nur um sie behandeln zu können.

Jetzt ist aber erstmalig die Kassenärztliche Vereinigung selbst ins Kreuzfeuer der Kritik der Ärzte geraten. Die Krankenkassen haben keinen Einfluss auf die Anzahl und die Verteilung ihrer Vertragspartner, die Ärzte, wie es in anderen europäischen Ländern üblich ist. Sie rechnen auch die mit den Ärzten erbrachten Leistungen nicht direkt ab. Die für die ärztlichen Leistungen vorgesehenen Beträge werden stattdessen pauschal an die Kassenärztliche Vereinigung übergeben, die die Gelder dann unter den niedergelassenen Ärzten verteilt. Das ist ein bürokratisches Regelgestrüpp, das an Intransparenz und Kompliziertheit wirklich nicht zu überbieten ist. Die Folgen dieses Verteilungsproblems spüren die Ärzte, und sie zeigen jetzt ihren Unmut in Form von Streiks und fordern endlich selbst die Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Das Thema Gesundheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, mobilisiert die ganze Gesellschaft. Bürgerinnen und Bürger wünschen sich, dass Durchwurstelei und Trixerei im Gesundheitssystem ein Ende haben. Es gibt Visionen – ich habe schon darauf hingewiesen –, die wir in Zukunft schneller umsetzen müssen, sonst droht hier der Kollaps.

Noch ganz kurz. Im Anschluss an die familienpolitische Debatte gestern möchte ich ein Beispiel nennen. Wenn eine Mutter mit drei Kindern, von denen nur eines krank ist, stundenlang beim Kinderarzt warten muss, bis sie an der Reihe ist, dann ist das nicht familienfreundlich, und das hat auch etwas mit unserem Gesundheitssystem zu tun.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und der FDP)

Das war die erste Runde in der Diskussion der Fraktionen. Gibt es von der Linksfraktion.PDS noch Diskussionswünsche? – Herr Abg. Dr. Pellmann, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gerlach, Sie geruhten darüber zu orakeln, welchen Sinn denn diese Debatte hätte. Ich will Ihnen eines sagen. Wenn ich Ihrer Aussage oder Ihrer Schlussfolgerung Glauben schenken soll, dann könnten wir künftig auf jegliche Aktuelle Debatten verzichten. Das will sicher niemand.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Zum Thema selbst. Ich denke, alle im Hause stimmen darin überein, dass die Proteste durchaus nötig sind, da sie aus einer bestimmten Notlage des Systems heraus resultieren. Sie resultieren auch daraus, meine sehr verehrten Damen und Herren – ich habe das schon vor Jahren angekündigt –, dass die mit großem Pomp angekündigte Gesundheitsreform ab 2004 gescheitert ist. Wir können es nicht anders deutlich machen. Sie ist gescheitert. Es sind 23 Milliarden Euro eingespart worden, das stimmt. Aber 20 Milliarden Euro gingen allein auf Kosten der gesetzlich Krankenversicherten. Da können Sie sich dann überlegen, wo die Gewinne erwirtschaftet worden sind. Wir wissen es ja.

Lassen Sie mich das Problem nicht nur auf Bundesebene diskutieren. Wir haben im Land selbst eine Verantwortung und können nicht ständig nur nach Berlin schauen. Deshalb möchte ich ein paar Bemerkungen zu dem Bereich der beiden Universitätskliniken machen, bei denen die Landesverantwortung unstrittig ist. Vergegenwärtigen wir uns aber, dass es in den letzten Jahrzehnten viele Versuche gegeben hat, diese Landesverantwortung immer mehr zurückzufahren! Das fing an – keiner der Minister, die heute dafür zuständig sind, ist damals dafür verantwortlich gewesen, sie waren nämlich noch keine Minister – mit der Verleihung eines neuen Rechtsstatus der Universitätskliniken, sodass die Staatsregierung –diese Aufgabe hat sie allerdings – heute weitgehend nur noch die Rechtsaufsicht hat.

Das ging weiter mit Privatisierungsdebatten, Verkaufsdebatten, die noch nicht abgeschlossen sind. Ich kenne die Dinge hautnah von der Leipziger Universitätsklinik. Glauben Sie ja nicht, dass dieses Hin und Her die Ärzte und insbesondere auch das nichtärztliche Personal an den Kliniken nicht immer wieder verunsichert! Das muss man deutlich sagen. Das heißt, wir haben durch dieses ganze Hin und Her, durch dieses Hickhack heute einen Tarifwirrwarr an den Universitätskliniken, das dann nach dem Prinzip: „Teile und herrsche!“ offensichtlich gewünscht wird, denn heute streiken die Ärzte, morgen streikt das andere Personal, und es soll ja nicht möglicherweise eine Solidarität entstehen.

Aber ich fordere ausdrücklich auf: Wenn wir auch an den Universitätskliniken wieder vorankommen wollen, dann müssen wir genau diese Solidarität einfordern. Es gibt für all das – ich könnte es weiter ausfächern – Ursachen, die ich hier deutlich benennen will. In unser Gesundheitswesen – wer wüsste dies nicht? – fließt sehr viel Geld hinein. Aber es ist krank, einfach deshalb, weil die Ökonomisierung immer weiter fortschreitet, weil mehr und mehr – da können Sie diskutieren, wie Sie wollen – Gesundheit zur Ware wird, weil der Rotstift darüber regiert.

Was es dann besonders deutlich macht in den Universitätskliniken, ist die Einführung der DRGs. Das ist das klassische Beispiel für den Ökonomisierungsdruck, wie wir ihn haben.

Das Zweite ist der Ärztemangel, der auch hausgemacht ist. Er führt eben zu längeren Arbeitszeiten, die schon nicht mehr hinnehmbar sind, und zu erheblichen Gehaltseinbußen, da noch und noch Überstunden geleistet werden, die nicht vergütet werden. Genau das lässt sich nicht weiter aufrechterhalten und hier muss geändert werden.

(Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS)

Das Dritte ist, dass das nichtärztliche Personal – früher durften wir noch Krankenschwester sagen, das ist schon abgeschafft worden; ich will als Beispiel nur die Leipziger Universitätsklinik nennen – immer mehr abgebaut worden ist. 500 sind in den letzten Jahren entlassen worden.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Aus all den Gründen möchte ich Ihnen sagen, bleibt es dabei: Ich habe mein Wahlkreisbüro in einem Ärztehaus in Leipzig, und die Menschen kommen auch deshalb gern zu mir, weil ich der einzige Doktor im Haus bin, der keine Praxisgebühr kassiert.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Möchte die CDUFraktion noch einmal sprechen? – Frau Nicolaus, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Zastrow, auf jeden Fall wissen wir, dass Sie ab und zu Fernsehen schauen und dass Sie diverse Rückschlüsse auf das Gesamtsystem ziehen; dass Sie wahrscheinlich irgendwie erkrankt sind, Gott sei dank aber nicht so, dass Sie ins Krankenhaus kommen mussten. Wenn das nämlich der Fall gewesen wäre, dann hätten Sie hier mit Sicherheit anders gesprochen, denn gerade der Freistaat Sachsen hat eine vorbildliche Struktur befördert.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ach?!)

Vorbildlich! Es ist so gut wie alles – bis auf Pirna – neu saniert oder neu errichtet worden, und dafür dürfen und können wir dankbar sein.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Wir streben in diesem Bereich der Krankenhäuser einen Drittelmix private Krankenhäuser, ein Drittel öffentliche und ein Drittel in freier Trägerschaft an. Darauf möchte ich noch einmal reflektieren.

Man kann nicht einfach sagen, man spaziert mal in ein Ärztehaus hinein, und da waren vielleicht der Fahrstuhl oder die Räumlichkeiten nicht ganz so schön. Es gibt auch im niedergelassenen Bereich tolle Beispiele dafür, wie gut ausgebaut das System ist.

Ich will aber an dieser Stelle nicht versäumen, darüber zu sprechen, dass viele Dinge in eine andere Richtung gebracht werden müssen, was die Finanzierung betrifft.

Um auf den Ärztestreik zurückzukommen: Was den stationären Bereich betrifft, müssen wir, wenn diese Bereitschaftsrichtlinie umgesetzt wird, auch darüber sprechen, wo die Ärzte herkommen. Wir haben momentan schon zu wenige Ärzte – ob im stationären oder im niedergelassenen Bereich. Die Ärzte gehen weg, das ist richtig. Wir bilden genügend Ärzte aus – sie absolvieren auch ihre Abschlüsse hier in Sachsen; dafür haben wir unsere Universitäten. Wo gehen sie denn hin – zum Beispiel nach Norwegen. Aber es ist nicht so, dass sie dort mehr Geld bekommen, die Bedingungen sind nur anders.

Warum sind die Bedingungen in Norwegen denn anders? Weil man in Norwegen ein oder zwei Jahre auf eine Operation wartet. Es werden zumeist nur Notoperationen durchgeführt. Ein Anästhesist hat zum Beispiel drei OP-Säle zu überwachen – das ist alles in Deutschland undenkbar. Man muss das in Gänze betrachten. Das ist für mich keine Frage des Glaubens, sondern eine Frage der Ressourcen. Wir können Deutschland in Gänze betrachten, aber wir müssen auch das Gesamtsystem in Europa betrachten. Wo gehen unsere Ressourcen denn am Ende hin? Wenn wir die Ärzte hier halten und das norwegische System anwenden würden und unsere Patienten dann auch zwei Jahre auf eine Operation warten müssten, dann würde hier der Volksaufstand geprobt werden. Ich will diese Verhältnisse nicht, aber es gehört zu dieser Diskussion, darüber zu sprechen.

Es ist angeprangert worden, das Land sollte handeln. Das Land hat auch gehandelt, was zum Beispiel den niedergelassenen Bereich betrifft. Die Krankenhaussituation habe ich bereits dargestellt – noch ein Wort dazu: Wir haben hier schon eine Bettenreduktion durchgeführt – das ist Gott sei Dank so passiert –, denn ansonsten müssten wir sofort neue Krankenhäuser schließen. Andere Bundesländer stehen vor dieser Entscheidung.

Noch einmal zum niedergelassenen Bereich. Die Sozialministerin hat die Landeskrankenkassen dazu

gebracht, dass eigene Honorarabschlüsse mit den jeweils niedergelassenen Ärzten gemacht worden sind. Das ist sehr löblich, weil dadurch bestimmte Probleme entschärft worden sind. Es gab auch Beispiele von ambulanten chirurgischen Praxen, die fast vor dem Ruin standen. Dort gab es auch noch einmal extra Vertragsabschlüsse, die in die Richtung gehen, die wir wollen: ambulant vor stationär. Manche Operationen müssen eben nicht im stationären Bereich durchgeführt werden, sie können im ambulanten Bereich durchgeführt werden.