Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Eines der Hauptziele des 1863 in Leipzig gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins war nämlich genau die Forderung nach sozialer und wirtschaftlicher Gleichberechtigung der Arbeitnehmerschaft, und –

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Erinnern Sie sich noch daran!)

lieber Prof. Porsch, jetzt wird es ganz hart für Sie –: Die heutige Mitbestimmung ist nichts anderes als das, was 1863 Sozialdemokraten erstritten haben.

(Beifall bei der SPD – Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS: Die CDA hat das gemacht!)

Dazu gab es eine Reihe von bedeutenden Sozialdemokraten, die auch hier im Parlament, im Sächsischen Landtag, tätig waren. Das war nicht nur Karl Arndt, das war vor allem natürlich August Bebel. Sie haben sich mit ganzer Kraft – Herr Lichdi, da waren Sie noch flüssig – für die Gleichberechtigung von Arbeitnehmern eingesetzt.

Genau diese Forderung, die Sozialdemokraten im Vorläufer des Betriebsverfassungsgesetzes, nämlich im Betriebsrätegesetz 1920, verankert haben – ich schränke gern ein, dass die Mitbestimmung im Betriebrätegesetz nicht die Qualität hat, die wir uns vorgestellt haben –, ist der Grund, warum wir überhaupt betriebliche Mitbestimmung in diesem Land haben.

Sehr interessant ist, dass dieser Gedanke der betrieblichen Mitbestimmung auch weite Kreise der Unternehmer erfasst hat. Bereits 1951 gab es einen Aufsichtsratsvorsitzenden der Volkswagen AG. Der führte damals 1951 aus – und ich denke, daran sollte man sich immer wieder erinnern –: Den Wert eines Unternehmens machen nicht die Gebäude und die Maschinen und auch nicht seine Banknoten aus. Wertvoll in einem Unternehmen sind nur die Menschen, die dafür arbeiten, und der Geist, in dem sie es tun.

(Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD: Hört, hört!)

Deshalb, glaube ich, ist das Thema Mitbestimmung auch ein europäisches Thema. Es ist ein europäisches Thema, weil es aus meiner Sicht ein Kernelement der Wirtschafts- und Sozialkunde und des Wirtschafts- und Sozialmodells in Europa sein sollte.

(Beifall der Abg. Regina Schulz, Linksfraktion.PDS)

Mitbestimmung ist ein Erfolgsmodell sowohl ökonomisch als auch sozial. Sie ist eine Blaupause sowohl für die Zukunft der europäischen Unternehmen als auch für die europäische Gesellschaft. Deshalb sage ich von dieser Stelle aus, dass lebendige Arbeit Vorrang vor totem Kapital haben muss. Die Rechte von anonymen Kapitalgebern als Eigentümer sind einzuschränken. Das Ziel muss sein, dass wir einen Vorrang für Unternehmen finden, in denen Menschen nicht allein wegen der Geldvermehrung angestellt werden.

Auch die Rechte der Einzelnen am Arbeitsplatz können unterschiedlich organisiert werden. Das ist richtig. Dazu gibt es sicherlich unterschiedliche Ansätze. Man könnte darüber nachdenken, ob man sie in eigenen sozialen Prozessen organisiert. Das ist vollkommen in Ordnung. Aber sie ersetzen keinen Betriebsrat und auch keinen Aufsichtsrat. Insofern sind Eigenverantwortung und Selbststeuerung richtig. Aber wir brauchen auch gesetzliche Grundlagen.

Aus meiner Sicht liegt das größte Versagen, das wir gegenwärtig in der Wirtschaftsdoktrin haben, darin, dass den Menschen eben nicht das Gefühl vermittelt wird, dass sie in Sicherheit leben können und ein nützliches und anerkanntes Mitglied der Gesellschaft sind. Gerade aus diesem Grund ist es auch wichtig, dass wir das Thema Mitbestimmung so betrachten, dass die Menschen die Chance haben zu einer echten Teilhabe. Denn in Unternehmen wie in der Gesellschaft, in denen Menschlichkeit und Mitbestimmung, Teilhabe und Lernen ein zentrales Anliegen sind, fühlen sich – davon bin ich fest überzeugt – die Menschen in diesen Unternehmen nicht als unnützer Faktor.

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Es kann natürlich jeder dazu beitragen, dass genau diese Politik Einzug hält. Mitbestimmung, dabei bleibe ich, ist ein hochmodernes Konzept, das auf der Idee der Freiheit, der Eigenverantwortung und der Gleichberechtigung beruht.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Richtig!)

Dass dieser Ansatz mittlerweile auch von der großen Koalition, von der Bundespolitik, getragen wird, belegt ein Zitat. Das kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen: „Über den wirtschaftlichen Erfolg eines Betriebes oder Unternehmens entscheiden maßgeblich die Mitarbeiter. Im Betrieb der Zukunft sind Eigenständigkeit, selbstständige Entscheidungskompetenz, Kreativität der Mitarbeiter sowie differenzierte Arbeitsmöglichkeiten gefordert. Die Beteiligung des Betriebsrates sowie kürzere und prozessbegleitende Mitbestimmungsverfahren gehören dazu“, und jetzt kommt es: „Partnerschaftliche Betriebsverfassung heißt für uns: Konflikte werden nicht verwischt, sondern in sachgerechter Art und Weise vor Ort

gelöst. Der Betriebsrat als Interessenvertreter der Arbeitnehmer im Betrieb ist und bleibt ein wichtiges Instrument.“ – Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Aufruf zu den Betriebsratswahlen 2006.

(Regina Schulz, Linksfraktion.PDS: Da hat sie nicht ganz Unrecht!)

An dieser Stelle freue ich mich natürlich – und die SPD-Landtagsfraktion auch –, dass wir dieses klare Bekenntnis der Bundeskanzlerin zur Mitbestimmung haben; denn hier wird noch einmal deutlich, dass sie sich nachdrücklich dafür einsetzen wird, dass die Initiativen, die notwendig sind, um Betriebsräte zu initiieren und betriebliche Mitbestimmung zu realisieren, von der Bundeskanzlerin dieser Republik mitgetragen werden. Deutlich wird in diesem Zitat auch, dass es nicht nur um den nationalen Kontext geht, sondern auch um den europäischen. Für die SPD – das, denke ich, ist keine Neuheit, die ich Ihnen hier mitgebe – war und ist Mitbestimmung ein wichtiger Standortvorteil, und wir müssen alles dazu beitragen, damit sie erhalten bleibt und nachhaltig gestärkt wird.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Dann können Sie ja unserem Antrag folgen!)

Genau aus diesem Grund hat die rot-grüne Bundesregierung eine Kommission eingesetzt, die bis 2006 Vorschläge für eine moderne europäische Weiterentwicklung der deutschen Unternehmensmitbestimmung erarbeiten soll. Auch dazu gibt es ein Zitat – nämlich desjenigen, der dies verantwortlich mitinitiiert bzw. den Vorsitz hat: Das ist Kurt Biedenkopf, der ehemalige Ministerpräsident dieses Landes. Er sagt: „Die Mitbestimmung im Unternehmen ist ein Kernbestandteil der sozialen Marktwirtschaft und der deutschen Unternehmenskultur.“ Von einer Abschaffung und Reduzierung der Arbeitnehmermitsprache ist in der Kommission nicht die Rede.“ Deswegen sind wir froh, dass es mittlerweile so weit ist. Insofern begrüßt die SPD-Landtagsfraktion diese Initiative, und sie wird die Ergebnisse dieser Kommission – denn dafür ist sie eingerichtet worden – natürlich auch für die aktuelle Politik in Sachsen nutzen.

Es gibt jedoch ein weiteres Problem beim Thema Mitbestimmung. Wenn die aktuellen Prognosen zutreffen, werden in naher Zukunft vier Fünftel der Arbeiten nur aus Tätigkeiten bestehen, bei denen die Daten der alleinige Rohstoff und das Werkzeug sowie das Resultat werden. Im Wandel von Arbeits- und Wissensgesellschaft wird das Wissen immer mehr zum wichtigen Rohstoff dieser Unternehmen. Dieser Strukturwandel gelingt nach meiner Auffassung nur dann, wenn ein Wissensträger – nämlich der Mensch – diesen Wandel akzeptiert und ihn vor allem mitgestalten und mitbestimmen kann.

Diese neue Wertschöpfungskette und der schnelle Austausch dieser Informationen stellen natürlich auch wachsende Anforderungen an die Beschäftigten und erfordern vor allem Eigenverantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten. Genau dazu trägt die Mitbestimmung einen

wesentlichen Teil bei. Insofern ist es nach meiner Auffassung so, dass in der zukünftigen Wissensgesellschaft die Unternehmen eben nicht gegen oder ohne die Beschäftigten auskommen können, sondern es werden nur die Unternehmen erfolgreich sein, die menschliche Talente fördern, sie weiterentwickeln, sie nutzen und am gesellschaftlichen bzw. unternehmerischen Leben im Betrieb teilhaben lassen. Auch ökonomische Erfolge müssen, wenn sie vorhanden sind, gemeinsam erstritten werden.

Aber eines – und das möchte ich an dieser Stelle, da wir beim Thema Mitbestimmung sind, sagen – ist aus meiner Sicht klar: Wir können, wenn wir über die Zukunft sprechen, nicht gleichzeitig die Auffassung vertreten, dass das Zukunftsmodell einer solchen Gesellschaft und einer solchen Mitbestimmungsvariante amerikanische Arbeitsbeziehungen sind. Eine europäische industrielle Wissensgesellschaft braucht Kooperationen. Sie braucht verlässliche Netzwerke und vor allem stabile Arbeitsbeziehungen und mehr Qualifikation.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Das spricht alles für unseren Antrag!)

Dies ist genau die Chance, die wir haben, um uns gegenüber Amerika und dem asiatischen Markt durchsetzen zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Landtag! Es gibt einige unter uns, und es gibt einige außerhalb dieses Hauses, die sich vehement gegen die Mitbestimmung wehren. Sie sind der Auffassung, dass Verfügungsrechte wieder ungeteilt wahrgenommen werden müssten und die Herrschaft der Unternehmer allein ausgeübt werden sollte, ohne rechtliche Verpflichtung und ohne Rechenschaft abzulegen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Herr Westerwelle zum Beispiel!)

Eine Abschaffung bzw. Verminderung der Mitbestimmung würde genau die Botschaft an die Beschäftigten aussenden, die wir nicht haben wollen. Diese Botschaft würde nämlich lauten: Wir trauen euch als Arbeitnehmer in den Unternehmen nicht zu, dass ihr am Erfolg teilhaben könnt und dass ihr vor allem auch etwas dazu beitragen könnt, dass eure eigene Existenz gesichert wird. Eine solche Botschaft, davon bin ich fest überzeugt, wäre in hohem Maße kontraproduktiv und würde sicher nicht dazu beitragen, dass die Motivation und die Produktivität zunehmen würden.

Nun kommen wir – nachdem ich einige grundsätzliche Ausführungen machen durfte – zum Antrag der Linksfraktion.PDS.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Zustimmen! – Beifall des Abg. Sebastian Scheel, Linksfraktion.PDS)

Ich nutze natürlich die Möglichkeit, ein wenig Aufklärungsarbeit zu leisten, gerade auch für die jüngeren Kollegen unter uns.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, Linksfraktion.PDS)

Unternehmensmitbestimmung ist ein ur-sozialdemokratisches Anliegen, und ich persönlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion.PDS, werde es nicht zulassen, dass Sie hier die Mär verbreiten, als seien Sie die wahren Gewerkschaftsvertreter und würden mit Ihrer Politik dazu beitragen, dass sich in diesem Land etwas für die Arbeitnehmerrechte verändern wird.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Es gibt immer noch die SPD, das garantiere ich Ihnen!

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Aber nicht mehr lange! – Heiterkeit bei der Linksfraktion.PDS)

Noch lange genug, Sie werden sich wundern! Schauen Sie sich einmal das Durchschnittsalter Ihrer Mitglieder an!

Das heißt, in unserer Fraktion wird es einen großen Teil Kolleginnen und Kollegen geben, die den Aufruf des DGB unterstützen, nämlich den Aufruf zu mehr Mitbestimmung und zum Mitbestimmungsdialog. Allerdings müssen wir den Antrag der Linksfraktion auch aus inneren Gründen ablehnen, das werden Sie kaum glauben.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Herr Hähle hat es gesagt!)

Am Ende gibt es natürlich eine Koalition, und dazu stehen wir auch. All das, was wir in den vergangenen anderthalb Jahren erfolgreich gemeistert haben, liegt daran, dass wir in der Lage sind, Kompromisse zu finden.

(Beifall bei der CDU – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Was war denn das?)

Das heißt also – das sage ich Ihnen ganz deutlich –, wir brauchen keinen Preis für Mitbestimmung. Ich brauche keinen Pokal für die Mitbestimmung eines Unternehmens im Schrank. Wir brauchen auch keine Konkurrenzveranstaltung zum DGB.

(Zuruf von der Linksfraktion.PDS)

Deshalb brauchen wir es ja nicht. Deswegen sage ich Ihnen, warum wir Ihren Antrag ablehnen. Aber das, was wir uns im Punkt 2, in dem es um das klare Bekenntnis zur Mitbestimmung und die Umsetzung geht, um die Frage, wie man das umsetzen und wissenschaftlich nutzen kann, eventuell hätten vorstellen können, wäre, dass wir dies durchaus auch in der Koalition mittragen können und wollen. – Es ist anders ausgegangen; die Spielregeln sind bekannt.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)