Protokoll der Sitzung vom 11.05.2006

Fortsetzung Tagesordnungspunkt 1

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, komme ich auf den Tagesordnungspunkt 1, Punkt 2, zurück.

Ich hatte bereits angekündigt, dass ich noch einmal das Protokoll auswerten lasse. Es liegt mir nunmehr vor und ich möchte Ihnen folgende Erklärung abgeben:

Die Auswertung des Protokolls der heutigen 2. Aktuellen Debatte zum Thema „Alle Jahre wieder – Linke Gewalt am 1. Mai“ hat gezeigt, dass der Abgeordnete der NPDFraktion Herr Leichsenring auf einen Zwischenruf des Abg. Herrn Prof. Dr. Porsch, Linksfraktion.PDS, die Ordnung des Sächsischen Landtages in besonders schwerer Weise verletzt hat. Ich lese Ihnen die entsprechende Passage aus dem Protokoll vor:

„Uwe Leichsenring, NPD: Da werden die Verdächtigen mit dem Hubschrauber in Guantanamo-Light-Version nach Karlsruhe geflogen – mit Kapuze, Hand- und Fußfesseln. Wenn Sie jeden linksextremistischen Täter so abführen wollten, dann müssten wir noch einen vierten, fünften und sechsten Hubschrauber holen bzw. müssten wir an solchen Tagen Sonderzüge einsetzen.“ Im Protokoll ist ein Zwischenruf von Prof. Dr. Peter Porsch vermerkt, der besagt: “Es gab schon mal Sonderzüge – mit Zügen kennt ihr euch ja aus!“. Herr Leichsenring antwortet darauf: „Ja, ja, manchmal wünscht man sie sich wieder, wenn ich manche so sehe.“

(Antje Hermenau, GRÜNE: Unglaublich!)

Mit seiner Äußerung hat sich Herr Prof. Porsch auf die Sonderzüge aus der Zeit des Nationalsozialismus bezogen,

(Holger Apfel, NPD: Das hat er nicht dazugesagt!)

mit denen die Menschen in die Internierungs- und Konzentrationslager gebracht wurden.

Die unmittelbar danach getroffene Äußerung von Herrn Leichsenring „Ja, ja, manchmal wünscht man sie sich wieder, wenn ich manche so sehe“ nahm hierauf direkt Bezug.

Aufgrund der besonderen Schwere dieses Verstoßes gegen die Ordnung des Sächsischen Landtages und der damit zum Ausdruck gebrachten Volksverhetzung schließe ich den Abg. Herrn Leichsenring gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung für die nächsten drei Sitzungen des Sächsischen Landtages aus. Damit verbunden ist gemäß § 95 Abs. 4 der Geschäftsordnung gleichzeitig ein Ausschluss von den Ausschusssitzungen während dieser Zeit. Ich ersetze damit den von mir erteilten Ordnungsruf. Ferner fordere ich Sie, Herr Leichsenring, jetzt auf, gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung den Saal unverzüglich zu verlassen. – Darüber gibt es keine Aussprache.

(Starker Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP, und den GRÜNEN – Holger Apfel, NPD, meldet Redebedarf an.)

Das ist keine Abstimmung gewesen.

(Holger Apfel, NPD: Ich möchte eine persönliche Erklärung abgeben!)

Sie können am Ende des Tages eine persönliche Erklärung zur Abstimmung geben.

(Holger Apfel, NPD: Das ist ein unglaublicher Akt, eine unglaubliche Gesinnungsdiktatur …!)

Ich entziehe Ihnen jetzt das Wort. Entscheidungen des Präsidenten werden nicht öffentlich verhandelt und bedürfen auch keiner sonstigen Aufforderung.

(Starker Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Die NPD-Fraktion verlässt geschlossen den Sitzungssaal. – Holger Apfel, NPD: Keine Frage, wir kommen wieder, um Prof. Porsch vor das Gericht zu ziehen!)

Meine Damen und Herren! Wir treten wieder in unsere Tagesordnung ein. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 3

Anpassung des haushaltsrechtlichen Investitionsbegriffes an die neuen Herausforderungen der modernen Wissens- und Informationsgesellschaft

Drucksache 4/3781 Antrag der Linksfraktion.PDS, mit Stellungnahme der Staatsregierung

(Unruhe)

Dürfte ich um etwas Ruhe bitten.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS, meldet Redebedarf an.)

Herr Dr. Hahn.

Frau Präsidentin, es tut mir Leid. Es hat soeben einen weiteren Zwischenfall gegeben, von dem ich denke, dass – a) – der Landtag ihn zur Kenntnis bekommen muss und dass – b) – dann auch entsprechende Maßnahmen ergriffen werden müssen. Beim Herausgehen der NPD-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende, Herr Apfel, gerufen: „Keine Sorge! Wir

kommen wieder, um Herrn Porsch zu richten!“ Wenn das der Umgang hier in diesem Parlament ist, dann ist das mehr als schäbig. Ich denke, auch das muss entsprechend geahndet werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Da die Fraktion den Saal verlassen hat, möchte ich im Moment darauf nicht reagieren. Ich nehme an, dass wir die Möglichkeit haben, uns im Präsidium dazu zu verständigen.

Meine Damen und Herren! Es fällt einfach außerordentlich schwer, aus solchen unglaublichen Vorgängen wieder zur Tagesordnung überzugehen. Aufgerufen ist Tagesordnungspunkt 3, Drucksache 4/3781, Anpassung des haushaltsrechtlichen Investitionsbegriffes an die neuen Herausforderungen der modernen Wissens- und Informationsgesellschaft. Die Fraktionen können Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: Linksfraktion.PDS, CDU-Fraktion, SPD-Fraktion, NPD-Fraktion, FDPFraktion, GRÜNE-Fraktion und die Staatsregierung.

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist es schwer, nach diesen Ausfällen zur Tagesordnung überzugehen; ich möchte es trotzdem einmal versuchen.

Gerade jetzt ist es für mich möglich zu sagen, dass der vorliegende Antrag der Linksfraktion.PDS ein Ziel verfolgt, welches bei allen Fraktionen und Parteien, die jetzt hier im Plenarsaal sind, im Konsens steht. Ich denke, dass es auch inhaltlich Übereinstimmung gibt.

Unisono wird seit Jahren das verlangt, was Gegenstand des Antrages meiner Fraktion ist: Wir wollen, dass viel mehr als bisher in Bildung und Forschung investiert wird. Wir als Linkspartei verfolgen dabei weiter die Intention unseres ersten alternativen Doppelhaushalts für die Jahre 2001/2002. Damals wie heute ist unser Motto: Bildung statt Beton!

Zu Beginn dieser Debatte möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen, dass wir seitdem immer einen ausgeglichenen alternativen Haushaltsansatz vorgelegt haben. Wir sind dabei immer ohne eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung ausgekommen. Dies, meine Damen und Herren, soll auch so bleiben.

Meine Damen und Herren! Wer mehr in Bildung investieren will, der stößt über kurz oder lang an haushaltsrechtliche Grenzen. Dies gilt auch für einen Haushalt unter dem Motto „Bildung statt Beton!“. Dies, meine Damen und Herren, muss sich ändern. Die Zeit, dass Zukunftsinvestitionen in Bildung an gesetzlichen Definitionen scheitern, muss ein Ende haben.

Aus diesem Grund schlagen wir vor, dass Sachsen die Initiative ergreift, um die entsprechenden Haushaltsgrundsatzgesetze so zu ändern, dass der alte Investitionsbegriff ausgeweitet wird. Es muss neu geprüft und festge

schrieben werden, welche Ausgaben für Bildung und Forschung künftig den Investitionen zugerechnet werden können. Damit, meine Damen und Herren, befinden wir uns zum Beispiel in einer Linie mit dem neuen Vorsitzenden der SPD, Kurt Beck. Er stellte anlässlich der Eröffnung der SPD-Programmdebatte fest, dass wir alle mit dem Dogma aufräumen müssten, eine Investition sei nur dann eine Investition, wenn sie einigen Privatleuten Gewinn bringe. Das müsse sich ändern, wenn wir den Herausforderungen der Wissensgesellschaft gerecht werden wollten.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind ebenfalls auf diesem zukunftsweisenden Gleis. Fritz Kuhn hat es am 31. März in der Zeitschrift „Wirtschaft und Markt“ untermauert: „Ein Problem“, so sagt er, „ist der Investitionsbegriff, der den Verwendungen zugrunde liegt. Er ist klassisch alt, aber untauglich. Das führt dazu, dass man in Beton investieren darf, aber nicht in Köpfe, weil Köpfe haushaltsrechtlich als konsumtive Ausgaben gelten.“

Völlig d’accord sind wir ebenso mit Frau Koch-Mehrin von der FDP. Sie forderte im EU-Parlament, einen Teil der Agrarsubventionen in ein Zukunftsprogramm für Bildung umzuwandeln. Etwas Ähnliches beschloss die FDP-Bundestagsfraktion am 15. Februar dieses Jahres. Unter dem Titel „Frühkindliche Bildung und Betreuung zum politischen Schwerpunkt machen!“ hat sie sich eindeutig dafür ausgesprochen, dass Investitionen in Bildung verstärkt werden müssen.

Aber was soll’s, meine Damen und Herren? Nur zu gern wird davon gesprochen, wie wichtig Investitionen in Bildung sind. Wir als Linkspartei wollen mit unserem Antrag erreichen, dass den Worten endlich Taten folgen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, können wir dem Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so, wie er vorliegt, nicht zustimmen. Wir beantragen deshalb, über diesen Änderungsantrag als Ergänzung zu unserem Antrag abzustimmen.

Wir als Linksfraktion wissen sehr genau, dass es ohne eine haushaltsrechtliche Revolution nicht möglich sein wird, solche Zukunftsinvestitionen von denen zu unterscheiden, die rein konsumtiven Zwecken dienen.

Meine Fraktion ist weit davon entfernt, den heute real existierenden Schul- und Wissenschaftsbereich so, wie er ist, als tragfähige Zukunftsinvestition anzusehen. Dafür fehlt es nicht nur an notwendigen Reformen an Schulen, Hochschulen und Universitäten; denn von einer Bildungsreform, die Bildung auch als Zukunftspotenzial, als die Grundlage des künftigen Wohlstandes unserer Gesellschaft, eben als Innovationsfeld des 21. Jahrhunderts begreift, sind wir weit entfernt.

Darüber hinaus fehlen gesamtgesellschaftliche Vorstellungen, wie die künftige Gesellschaft wirtschaftlich und sozial aussehen soll. Es geht um die Zukunft des Landes. Darüber, meine Damen und Herren, müssen wir diskutieren. Das ist natürlich nicht einfach, sind die Sachverhalte

doch kompliziert und komplex. Wir müssen aber über die Inhalte, die Rahmenbedingungen und die Finanzierung sprechen und schließlich entscheiden.

Wir könnten in diesem Punkt dem Vorschlag des Deutschen Städte- und Gemeindebundes folgen, zum Beispiel die Einnahmen aus der so genannten Reichensteuer komplett für Investitionen in Bildung und Wissenschaft zu verwenden. Folgen können wir auch der Vorstellung aus dem CDU-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2005, aus dem ich zitieren möchte:

„Die jährlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung sollen um eine Milliarde Euro erhöht werden. Dies wird durch den Abbau von Subventionen finanziert. Von 2010 an muss Deutschland einen Anteil von 3 % des Bruttosozialproduktes in Forschung und Bildung investieren.“

Meine Damen und Herren, nehmen wir einmal an, die Politiker von CDU, FDP, GRÜNEN und von der KurtBeck-SPD meinen das, was sie verkünden, auch. Nehmen wir weiter an, sie hätten den Mut, sich in dieser Sache mit den Bürokraten und Ideologen auseinander zu setzen, die die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik seit Jahr und Tag beherrschen. Nehmen wir an, sie würden sich dazu durchringen, die Welt wieder mit klaren Augen zu sehen. Dann müsste doch ein Wandel möglich sein. Warum sollen die öffentlichen Ausgaben für Bildung und Erziehung, für Ausbildung und Forschung weiterhin als Luxus gelten? Sie sind kein Luxus, und sie sind auch kein Konsum; sie sind eine notwendige Investition.