Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

Herr Lehmann, es bildet sich eine Minischlange.

Bitte sehr.

Herr Lehmann, Sie haben gerade von Arbeitsplätzen gesprochen, auf die Sie unter keinen Umständen – Sie haben dieses „keinen“ sehr betont – verzichten wollen. Heißt das, dass das Arbeitsplätze sind, auf die Sie unter keinen Umständen und unabhängig von den Folgen, die die Einrichtung dieser Arbeitsplätze haben könnte, verzichten wollen, also auf Deutsch gesagt „auf Teufel komm raus“?

Nein. Herr Kollege, Sie wissen doch, dass wir in einem wirtschaftlichen Wettbewerb mit den anderen neuen Bundesländern wie auch mit den Ländern auf der westlichen Seite unseres Landes stehen. Der Bau eines modernen Kraftwerkes hilft uns nicht nur bei den Jobs, sondern auch bei der Wertschöpfung und bei der Reputation Sachsens im internationalen Wettbewerb. Ich denke, all das in der Summe gibt uns die Berechtigung zu sagen: Wir wollen das und wir wollen auf keinen Fall darauf verzichten!

(Volker Bandmann, CDU: Mehr Licht, weniger Lichdi!)

Wer gegen den Neubau des modernsten Braunkohlekraftwerkes ist, der lehnt auch die bereits heute großtechnisch machbaren Schritte zur Reduzierung der CO2-Emission ab. Wollten Sie, Herr Lichdi, den Ausstieg aus der CO2Emission wirklich konsequent betreiben, müssten Sie Ihre kategorische Ablehnung der Kernenergie neu bedenken.

(Beifall bei der CDU)

Das ist natürlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu erwarten.

Vor einigen Tagen hatte die Hochschule Zittau gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zu einem Forum eingeladen, auf dem energiepolitische Fragen eine wichtige Rolle spielten. Teilnehmer waren überwiegend Wissenschaftler, Ingenieure und Kommunalpolitiker. Grüne Abgeordnete habe ich dort leider nicht gesehen, Herr Lichdi. Die Experten ließen keinen Zweifel daran, dass man alle noch so kleinen Schritte gehen sollte, um die Effektivität der Nutzenergieerzeugung und -verwendung zu steigern. Wie ich schon sagte, sind technologische Riesenschritte gegenwärtig nicht zu erwarten. Man sollte sich auch nicht dem Irrglauben hingeben, dass sich mit Aktionismus – auch nicht mit grünem – die sich vollziehende Klimaveränderung aufhalten ließe.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Was wir heute beobachten, ist ein Teil des zyklischen Klimawandels, der so alt ist wie die Menschheit selbst und auf den sich die Menschen zu allen Zeiten einstellen mussten. Dieser natürliche Wandel wird nun mit einem nicht exakt bezifferbaren Maß von den angesammelten Umweltsünden des Industriezeitalters überlagert. Diese

Sünden kann man bereuen, man kann sie aber nicht ad hoc heilen. Wir müssen aber alles tun, um klimaverändernde Emissionen zu verringern.

Es ist doch ebenso dringlich, Strategien zur Anpassung an diesen unaufhaltsamen Prozess zu entwickeln. Herr Lichdi, darin bin ich mit Ihnen einig. Wir müssen schauen, wie solche Unwetter, wie wir sie jetzt gesehen haben, in Zukunft möglichst wenig Schaden anrichten. Ein weltweites Desaster herbeizureden, wie es Herr Lichdi immer wieder versucht, ist weder hilfreich noch sachgerecht.

Was von Ihnen mit Ihrem langatmig begründeten Antrag übrig bleibt, ist der destruktive Bodensatz. Sie versuchen, die unbestrittene Verantwortung für den Schutz des globalen Klimas, die sich übrigens auch in den Programmen aller modernen Parteien finden lässt, zu instrumentalisieren, um reale Chancen für die sächsische Wirtschaft, für die Wirtschaft in der Oberlausitz zu verhindern. Das ist ebenso unpatriotisch wie wissenschaftlich fragwürdig. Darum lehnen wir Ihren Antrag in allen drei Punkten ab.

(Beifall bei der CDU)

Für die Linksfraktion.PDS spricht Frau Dr. Runge.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht wäre es, bevor wir in eine allgemeine klimaschutz- und energiepolitische Debatte kommen, geboten, zunächst wieder zum Antrag der GRÜNEN zurückzukommen. Sie verlangen nämlich in Ihrem Antrag, verehrter Herr Lichdi, dass sich die Staatsregierung zum Klimaschutz und zu einer weiteren Begrenzung der Erderwärmung bekennt. Ich denke, dieses Bekenntnis ist nachzulesen und wir werden es rasch erhalten.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Im dritten Punkt wollen Sie nun allerdings Taten sehen, indem Sie die Staatsregierung auffordern, Verhandlungen mit Vattenfall aufzunehmen, um den Neubau in Boxberg abzuwenden, wie es so schön heißt. Die Staatsregierung könnte sicherlich diesen Neubau unter bestimmten Voraussetzungen verhindern. Allerdings müsste sie dann gegen die bestehende europäische Binnenmarktverordnung mit Niederlassungs- und Investitionsfreiheit, sofern Gesetze hier vor Ort eingehalten werden, intervenieren und man träfe sich – wie jüngst Herr Methling in Mecklenburg-Vorpommern mit den Energiewerken Nord – vor Gericht.

Wenn sich Vattenfall Europe als größtes ostdeutsches Unternehmen entschließt, vier Milliarden Euro insgesamt in neue Kraftwerke in Boxberg und in zwei Steinkohlekraftwerke in Hamburg, in Offshore-Windparks und in den Ausbau der Netze zu investieren, dann stehen nicht nur Gewinne des Unternehmens in Aussicht, sondern eben auch ein Stück mehr an Versorgungssicherheit, Arbeitsplätze, Ausbildung für junge Leute und Einkommen. Vor allem traf Vattenfall die endgültige Investitionsentschei

dung erst nach dem Energiegipfel bei der Bundeskanzlerin, und Frau Merkel hat eine weitere Privilegierung von Braunkohlekraftwerksbetreibern bei der Zuteilung von CO2-Emissionszertifikaten zugesagt.

Im Nationalen Allokationsplan II soll für die neu zu bauenden klimaschädlichen Kohlekraftwerke ein fast doppelt so hoher Grenzwert wie für die umweltfreundlichen Gaskraftwerke gelten, und das ist der eigentliche energiepolitische und klimapolitische Skandal. Zu kritisieren ist nicht die Investitionsentscheidung von Vattenfall, sondern die bundesdeutsche Energiepolitik, die in Berlin gemacht wird und von der die Kanzlerin selbst jüngst auf dem BDI-Kongress sagte und einschätzte, die deutsche Energiepolitik sei zurzeit planlos. Eine größere Selbstkritik kann sie gegenüber der von ihr verfolgten Politik gar nicht äußern.

Das Thema Energieversorgungssicherheit ist wie nie zuvor in den Fokus der Politik geraten. Kriege um Öl und Erdgas, exorbitante Preissteigerungen an den Weltmärkten und nicht zuletzt die außenpolitische Strategie Russlands, Energie als politische Waffe einzusetzen, zwingen zu einem energiepolitischen Kurs, der Deutschland in der Energieversorgung vom Ausland unabhängiger machen muss. Mental ist damit eine stärkere Rückbesinnung auf einheimische Energieträger verbunden, und da dominiert nun einmal in Deutschland die Braunkohle.

Wenn Sie, Herr Lichdi und die GRÜNEN, gegen Atomkraft sind – was wir auch teilen –, zumindest für einen geordneten Ausstieg aus der Atomkraft eintreten, wenn Sie weiterhin gegen die Braunkohleenergiewirtschaft und Kohlewirtschaft insgesamt sind, dann frage ich mich schon, wie der hiesige Energiebedarf gedeckt werden kann,

(Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Da fällt uns noch viel ein!)

denn alle zur Verfügung stehenden alternativen Energietechnologien inklusive der erneuerbaren können die konventionellen Energieträger noch nicht substituieren.

(Beifall des Abg. Dr. Martin Gillo, CDU)

In Wahrheit sind Sie, verehrte Grüne, doch auch gegen die Wind- und Wasserkraft. Oder hat sich inzwischen Ihre Einstellung hierzu geändert?

(Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Differenziert!)

Was bleibt dann noch übrig?

Wir werden es in den nächsten vier Jahrzehnten mit einem Energiemix bzw. mit der Koexistenz von konventionellen fossilen Energieträgern und Erneuerbaren Energien zu tun haben. Sprechen wir in der Politik doch nicht immer nur darüber, was verhindert werden kann, sondern darüber, wie durch veränderte politische Rahmenbedingungen erreicht werden kann, den Erneuerbaren Energien und anderen alternativen Energietechnologien als einem zukunftsfähigen Wachstumsmarkt zum Durchbruch zu

verhelfen – und das mit dem Effekt, dass mehr Arbeitsplätze als in der konventionellen Braunkohlewirtschaft entstehen können; denn die 100 neuen Arbeitsplätze, die mit dem Neubau in Boxberg in Aussicht gestellt worden sind, sind tatsächlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein und werden das Arbeitsmarktproblem in der Lausitz nicht lösen.

Dennoch vermittelt die Investitionsentscheidung von Vattenfall den dort lebenden Menschen, die mit der Braunkohlewirtschaft groß und alt geworden sind, Hoffnung und auch weitgehende Identifizierung. Ich konnte das in einer Diskussion zu diesem Thema vor Ort in Hoyerswerda selbst erleben.

Die zentrale Frage für mich besteht darin, wie die strukturschwache Region Lausitz zu einer Referenzregion für die Koexistenz von Braunkohlewirtschaft und alternativer Energiewirtschaft werden kann. Hierzu müsste die Forschung auf Speichertechniken und auf die Integration der Erneuerbaren Energien in vorhandene Netze konzentriert werden. Zum Beispiel gibt es große Chancen zur Energiegewinnung aus Biomasse wie Energieholz. Dieses kann auf zusammenhängenden Kippenflächen angepflanzt werden, wie es jetzt im Tagebau Welzow-Süd auf 170 ha geschieht. Nur, das Gebiet Welzow-Süd liegt auf dem Territorium des Landes Brandenburg. Ebenso können auch Biokraftstoffe gewonnen werden.

In dieser Hinsicht machen uns die Schweden etwas vor. Nebenbei bemerkt: nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch dahin gehend, wie der Wohlfahrtsstaat Standortvorteil in einer globalisierten Welt sein kann. Bis 2020 will Schweden die völlige Abkehr vom Erdöl erreichen. Wir sind in Deutschland von solchen ehrgeizigen Zielen meilenweit entfernt. Nicht nur das Hickhack um die Besteuerung von Biokraftstoffen in der großen Koalition zeigt das, sondern auch der bei der Bundeskanzlerin stattgefundene Energiegipfel.

Für die anstehenden Investitionen in neue Kraftwerke durch die vier großen Monopolisten hat die Kanzlerin weit gehende Zugeständnisse bei der Vergabe von CO2Zertifikaten gemacht, was innerhalb von 14 Jahren einer indirekten Subventionssumme von 1,75 Milliarden Euro gleichkommt. Kurzfristig gedacht, Frau Merkel! Mittel- und langfristig wird diese Ungleichbehandlung gegenüber den Gasturbinenkraftwerken gerügt, bestraft und letztlich auch kostensteigernd auf die Energiepreise in Deutschland wirken. Um mit den Erneuerbaren Energien weiter voranzukommen, brauchen wir ein regeneratives Wärmegesetz; denn das EEG ist vor allem auf den Strombereich ausgerichtet.

Allerdings möchte ich heute klarstellen, dass einer extensiven Erweiterung des Braunkohleabbaus Grenzen gesetzt werden müssen, denn Vattenfall hat ein Gutachten bei der Prognos AG in Auftrag gegeben, um auszuloten, was diesbezüglich in der Lausitz alles noch möglich wäre. Und siehe da: In dem Gutachten wird für weitere 66 Jahre die Möglichkeit für die Braunkohlewirtschaft dargestellt.

Das würde aber bedeuten, dass weitere 3,9 Milliarden Tonnen Braunkohle in dieser Region abgebaut werden müssten.

Würden diese Pläne Wirklichkeit, müssten weitere 54 Ortschaften ganz und neun teilweise den Baggern weichen – eine Horrorvision! Der Erhalt von Dörfern und Ortschaften im sorbischen Siedlungsgebiet muss Priorität haben. Wir sind nicht gegen die Braunkohlewirtschaft, aber wir verlangen von der Staatsregierung, dass die Ortsumfahrungen präferiert werden; denn schon jetzt versucht Vattenfall, sich die Flächen planungsrechtlich zu sichern. Es besteht kein Zweifel, dass die zunehmende Versteppung der Lausitz nicht nur dem globalen Klimawandel geschuldet ist, sondern auch mit der Absenkung des Grundwasserspiegels infolge der Tagebaue zusammenhängt. Über die Trinkwasserversorgung Berlins, die mit der Wasserführung der Spree zusammenhängt, wollen wir schon gar nicht sprechen.

Der Genehmigungsantrag für den Neubau in Boxberg liegt zurzeit aus. Widersprüche und Einwände gegen den Bau können vorgebracht werden. Aber wenn sich die von Umsiedlung betroffenen Menschen und vor allem die Sorben rechtlich bzw. öffentlich wirksam nicht dagegen wehren, sehe ich kaum eine Chance, den Neubau zu verhindern.

Im Unterschied zu Ihnen, verehrte GRÜNE, wollen wir nicht über die Köpfe der betroffenen Menschen politisch entscheiden und agieren, sondern mit ihnen. Das haben wir auch in einem etwas anders gelagerten Fall – mit Heuersdorf – so gehalten, wo die Mehrheit der Linksfraktion den rechtlichen und öffentlichen Widerstand der Dorfbevölkerung gegen die Devastierung des Ortes politisch unterstützt hat.

Den Punkten 1 und 2 Ihres Antrages können wir zustimmen, weil dort nur Bekenntnisse abgefordert werden. Für den Punkt 3 empfehle ich meiner Fraktion, da es zu dieser Problematik unterschiedliche Auffassungen von Abgeordneten meiner Fraktion gibt, sich entweder der Stimme zu enthalten oder mit Nein zu stimmen.

Nicht den Neubau in Boxberg erhebe ich zur klima- und energiepolitischen Gretchenfrage, wie Sie, Herr Lichdi – tatsächlich handelt es sich um eine komplexere Fragestellung, bei der es natürliche Zielkonflikte gibt, und man muss sich dann bitte schön in der Hierarchie von bestimmten Wertvorstellungen entscheiden –, sondern die von der Bundespolitik gesetzten energiepolitischen Rahmenbedingungen sind für mich der entscheidende Kritikpunkt, um für Erneuerbaren Energien mit dem nötigen Drive in der Energiewende voranzukommen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Danke schön. – Herr Gerlach, Sie haben die Ehre, für die SPD zu sprechen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde das Fußballergebnis nicht bekannt geben, denn es gehört nicht zu meiner Rede.

(Oh! bei der SPD und der CDU)

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