Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis Ende dieses Jahres werden in Sachsen 332 Einrichtungen der stationären Altenhilfe saniert und neu errichtet sein. Das entspricht 22 000 Plätzen. Dafür wurden 1,5 Milliarden Euro investiert. Mit diesen Investitionen hat sich die Situation der Altenhilfe in Sachsen in den zurückliegenden 15 Jahren erheblich verbessert.
Nach der Studie des Deutschen Institutes für Menschenrechte, DIMR, wurden 2003 in der gesamten Bundesrepublik schätzungsweise 384 000 Pflegebedürftige nicht ausreichend ernährt, etwa 440 000 Pflegebedürftige ungenügend vor Wundliegen geschützt und rund 213 000 Pflegebedürftige mit Inkontinenz – das ist eine Blasenschwäche – nicht angemessen versorgt. Beide Aussagen sind wahr, wobei die lokale Wahrheit – wie immer – irgendwo dazwischen liegt.
In der Studie des DIMR 2006 ist Sachsen im Bundesvergleich recht gut weggekommen. Schwerpunktmängel sind hierbei nicht die direkte Vorenthaltung von Leistungen wie Waschen, Ernähren usw., sondern mehr technische Dinge. Es sind Mängel in der Pflegeplanung, der Pflegedokumentation und bei Pflegestandards.
Wir von der sächsischen SPD denken, dass wir bundeseinheitliche Standards für eine menschenwürdige Versorgung in der Pflege brauchen. Deshalb wollen wir, dass innerhalb des Föderalismuskonzeptes – der Reform – das diskutierte Heimrecht in Bundeskompetenz bleibt. Das fordern auch die meisten Fachpolitikerinnen und die überwiegende Anzahl der Sachverständigen seit der Anhörung zur Föderalismusreform im Deutschen Bundestag. Damit erhoffen wir uns einen wesentlichen Beitrag
zur Qualitätssicherung in ganz Deutschland. Gleiche Lebensbedingungen heißt für uns gleiche Pflegebedingungen.
Was sind die aktuellen Bausteine im Pflegebereich in Sachsen? Der erste Altenpflegekongress hat stattgefunden und wird derzeit ausgewertet. Der Altenhilferahmenplan, den wir im Antrag fordern, ist in Arbeit, wobei die kommunalen Daten derzeit eingearbeitet werden. Die in unserem Antrag aufgeführten Punkte deuten auf das hin, was uns in der weiteren Planung wichtig ist. Pflegende wünschen sich mehr Informationen, weniger Bürokratie, schnellere Bearbeitungszeiten und individuelle Angebote.
Die Koalition arbeitet zurzeit an der Bündelung von Konzepten für den Bedarf an alternativen Wohnformen, um die Umsetzung solcher Wohnkonzepte zu unterstützen. Ausführlich ist das im Bericht der Staatsregierung zum beschlossenen Koalitionsantrag „Altersgerechtes Wohnen in Sachsen“, Drucksache 4/5597, dargestellt. Details kann ich mir hier ersparen.
Bei solchen Konzepten kann und muss es auch um Geld gehen. Das werden wir in den Haushaltsberatungen klären. Eines möchte ich verdeutlichen: Wir schaffen viele Wohnmöglichkeiten, die sehr schick und gut zum Wohnen gestaltet sind, meistens für Singles, aber sie sind oft für das Wohnen im betagten Alter, wo uns zum Beispiel das Treppensteigen zur Barriere wird, nicht geeignet. Wenn wir es schaffen, beides miteinander zu kombinieren, haben wir aus meiner Sicht bereits wichtige Schritte zum Abbau von Pflegeengpässen in der Zukunft geschaffen, die wir heute noch vorfinden.
Auch in der Pflege lautet das große Schlagwort „ambulant vor stationär“. Über die Rolle der Familien in der Pflege hat mein Kollege soeben ausführlich gesprochen. Der besondere Hilfebedarf bei Demenzkranken und deren Familien wird ein Schwerpunkt im neuen Gesetzentwurf der Koalition in Berlin sein.
Wir werden im Rahmen der Möglichkeiten und nur bedingten Zuständigkeiten an solchen Konzepten mitarbeiten. Die bessere Vernetzung und Pflegeberatung sind uns besonders wichtig. In einer Studie wird festgestellt, dass Unkenntnis eine wesentliche Rolle für die Nichtinanspruchnahme vorhandener Angebote spielt. Das muss sich dringend ändern. Hierbei erwarten wir eine deutliche Verbesserung durch die von uns gewollten Kooperationen und Vernetzungen. Ich weiß, dass im zuständigen Ministerium fleißig daran gearbeitet wird.
Eine Neuordnung der Altenpflegeausbildungsfinanzierung ist dringend notwendig. Dabei halten wir das in Sachsen gefundene System für nachahmenswert, auch wenn die Justierschrauben bei der Austarierung der verschiedenen Interessen – was zum Beispiel die Zahl der Auszubildenden betrifft – möglicherweise noch nicht optimal eingestellt waren.
Die zu Pflegenden sind zunehmend Menschen mit Behinderungen. Das ist eine ganz neue Herausforderung. Hier müssen wir uns erst schrittweise vortasten, um neue
Konzepte zu erproben und uns diesen Konzepten zu nähern. Wir wissen, dass zu pflegende Behinderte oftmals betreuungsintensive Pflegebedürftige sind.
Die selbstverständliche Verantwortung der verschiedenen Generationen füreinander ist unsere eigentliche politische Herausforderung. Daran haben wir in den Köpfen der Menschen zu arbeiten. Wenn wir das wenigstens im Ansatz schaffen, brauchen wir solche Worte wie „Geiz ist geil!“ nicht mehr.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Die humanistische Qualität einer Gesellschaft beurteilt man nicht zuletzt danach, wie sie mit ihrer Jugend und ihren Alten umzugehen weiß. Die Pflege von Angehörigen ist ein wichtiger Teil unserer Daseinsfürsorge. Somit trägt unsere Gesellschaft dafür eine elementare Verantwortung.
Es soll nun darüber diskutiert werden, eine Pflegezeit – ähnlich wie eine Elternzeit – einzuführen. Der Sozialverband Deutschlands hat sich zu einem Pflegeleitgesetz bereits Gedanken gemacht, greift die schwierige Situation erwerbstätiger Personen auf und unterstützt grundsätzlich die ambulante vor der stationären Hilfe.
Das Alter als Lebensabschnitt nimmt heute zirka ein Drittel unserer Gesamtlebenszeit ein. Diese Zeit ist zum einen durch eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geprägt, weil ältere Menschen meist länger aktiv und gesund sind. Zum anderen bedeutet es auch, dass es eine Lebensphase geben wird, in der die Seniorinnen und Senioren Hilfe und Pflege benötigen.
Der Idealfall dafür ist sicherlich die Hilfe durch die und in der Familie. Die im Antrag dazu angegebenen 70 % der Betroffenen sind sicherlich nicht zu hoch gegriffen. Aber können das Familien unter den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen auch tatsächlich leisten? Ich denke da nur an die sich permanent verschlechternden Einkommenssituationen der privaten Haushalte oder an die hohe Quote der Auspendler, die ihre Arbeit im Westen Deutschlands suchen und damit auch oft ihren Lebensmittelpunkt dahin verlagern müssen.
Natürlich ist es erstrebenswert, dass pflegebedürftige Menschen in ihrer gewohnten Umgebung in der Obhut ihrer Angehörigen und mit der erforderlichen Hilfe ihren Lebensabend verbringen können. Das Problem ist kein zukünftiges. Wir leben mitten darin, und die Interessengruppe wird rasant größer.
Welchen grundsätzlichen Konsequenzen müssen wir nun Rechnung tragen, um eine Pflegezeit ähnlich der Elternzeit einführen und umsetzen zu können?
Die pflegenden Angehörigen brauchen eine weitgehende Arbeitsplatzgarantie, das heißt: Kündigungsschutz während der Pflegezeit. Um zu vermeiden, dass Pflegepersonen unterhalb des Existenzminimums leben, müssen diese wenigstens eine Grundsicherung beziehen dürfen. Dazu gehört, dass sozialversicherungspflichtige Fragen gesetzlich zu regeln sind. Die Pflegeperson muss in die Arbeitslosenversicherung einbezogen werden. Die Übernahme der Beiträge müsste dann durch den Bund mit Steuermitteln erfolgen. Entscheidend ist auch die Aufrechterhaltung des Krankenversicherungsschutzes zum Beispiel durch eine Familienversicherung. Die Altersversicherung der Pflegenden hat bereits mit dem § 44 SGB XI eine Aufwertung erfahren. Diese Regelungen sind umfassend anzupassen.
Das gesellschaftliche Interesse, Pflege und Erwerbstätigkeit zu vereinbaren, muss sich bei der Alterssicherung widerspiegeln. Pflegezeit ist deshalb als Versicherungspflichtzeit anzuerkennen. Die Beitragszahlung für die gesetzliche Rentenversicherung muss demzufolge auch aus Steuermitteln finanziert werden. Die Pflegezeit kann genutzt werden zur Pflege der Angehörigen, zur Organisation einer professionellen Pflege, aber auch zur Sterbebegleitung. Dazu brauchen private Pflegepersonen nicht zuletzt auch eine angemessene fachliche Wissens- und Könnensvermittlung, um zum Beispiel Demenzkranken richtig helfen, mit ihnen richtig umgehen zu können. Ein Pflegezeitgesetz muss deshalb Bestandteil einer umfassenden Reform der Pflegeversicherung sein, die auch den Ausbildungssektor einbezieht.
Wir als Linksfraktion werden für dieses Konzept werben und uns für die Umsetzung stark machen. – Zur Pflegeinfrastruktur wird Herr Wehner nähere Ausführungen machen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz im Gegensatz zu vielen Verlautbarungen der Etablierten ist es ganz offensichtlich um die Altenpflege vielfach nicht gut bestellt. Was das für viele alte Menschen und ihre Pflegesituation konkret bedeuten kann, ging vor wenigen Tagen aus einer Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte hervor, wonach 348 000 alte Menschen in Deutschland nicht ausreichend mit Nahrung und Trinken versorgt würden. Das sei ein Drittel der Pflegebedürftigen, die in Heimen lebten oder von Pflegediensten betreut würden. Sogar fast die Hälfte der Betreuten, rund 440 000 Menschen, läge wund und hätte Druckgeschwüre.
Angesichts dieser erheblichen Mängel kommt die vorerwähnte Studie zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland keine flächendeckende und menschenwürdige Grundversorgung Pflegebedürftiger gebe. Die Mängel beträfen so
viele Personen und so wesentliche Bereiche, dass man davon ausgehen könne, dass sie strukturbedingt seien, und für die Struktur sei der Staat zuständig, also der Staat, der seit Jahrzehnten durch eine verfehlte Politik gesteuert wird.
Was in vielleicht 20 Jahren in einem dann schon lange bankrotten Staat im Pflegebereich droht, mag man sich gar nicht ausmalen. Auch Sachsen kann hier sicher nicht isoliert betrachtet werden. Insofern stellt sich ein schaler Nachgeschmack ein, wenn in den Anträgen der Altparteien Allgemeinplätze abgesondert werden wie: neue Wohn- und Lebensformen, weiterer Ausbau der Betreuungs- und Pflegeangebote, besonderer Hilfebedarf bei Demenzkranken und schließlich die Zauberworte Kooperation und Vernetzung. Dies zeigt nur, dass man viel zu spät darüber nachdenkt, wie die Folgen der Vergreisung in den Griff zu bekommen sind.
Jetzt dämmert es wohl selbst manchem etablierten Endglied der Informationskette, was es bedeutet, in einem so genannten Entleerungsraum zu wohnen, aus dem die Jungen fortziehen und in dem die Alten zurückbleiben. Nicht nur, dass es aufgrund des von den derzeitigen Machthabern zu verantwortenden Bevölkerungszusammenbruchs zu wenige Steuer- und Rentenbeitragszahler geben wird – niemand weiß, wie in wenigen Jahrzehnten die Versorgung der stark ansteigenden Zahlen der Pflegefälle finanziert und bewerkstelligt werden kann.
Es zeigt sich aber auch, dass nicht alles nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten bewertet werden darf, denn zuallererst muss es um das Wohlergehen unserer betagten Mitbürger gehen. Keiner von ihnen soll das Gefühl haben, an den Rand der Gesellschaft gedrängt und vergessen zu werden. Senioren sollen sich in der Gemeinschaft wohl fühlen und ihren Lebensabend in Würde beschließen können. Dementsprechend sind wir der Meinung, dass jemand, der in Jahrzehnten der Arbeit alles gegeben hat, auch ein Recht darauf hat.
Alles, was dem dient, ist natürlich zu begrüßen, wie zum Beispiel die Maßnahmen eines Altenhilferahmenplanes zur Optimierung der Pflegeinfrastruktur. Nur ausreichen wird dies nicht, denn durch die systembedingte Automatisierung der Gesellschaft und die damit verbundene Zunahme von Ein-Personen-Haushalten sowie die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit wird die Altenpflege vor gewaltige Aufgaben gestellt. Letztlich kann nur die Rückkehr zur Familie als gesellschaftliche Standardlebensform und damit verbunden die Pflege unserer alten Mitbürger innerhalb der Familie die Probleme lösen.
Auch wenn die Verantwortung für den Zusammenbruch der Sozialsysteme einzig und allein bei den regierenden Demokraten liegt, so ist doch dem Ansinnen zuzustimmen, die familiäre Altenpflege durch Anerkennung der Pflegezeit zu fördern, wie dies schon mit der Elternzeit geschieht. Den vorliegenden Anträgen stimmen wir daher ausdrücklich zu. Herzlich willkommen in der Volksgemeinschaft!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! An den Kollegen der NPD: Vorwärts zurück in die Vergangenheit, anderes fällt Ihnen nicht ein – nichts Innovatives, nichts Neues!
Nach einer heute schon mehrfach genannten Studie – ich freue mich, dass wir da in der Datenbasis gleich sind – des Deutschen Instituts für Menschenrechte mit dem Titel „Soziale Menschenrechte älterer Personen in der Pflege“ gibt es in Deutschland tatsächlich Anlass zur Sorge.
Insgesamt gibt es in Deutschland zirka fünf Millionen hilfs- und pflegebedürftige Menschen, knapp zwei Millionen davon sind im gesetzlichen Sinne als pflegebedürftig einzuschätzen. Die Zahlen der nicht ausreichenden Ernährung, des Wundliegens und der inkontinenten Pflegebedürftigen sind heute bereits genannt worden.
Der Autor dieser Studie geht dabei in Deutschland von strukturellen Problemen aus. Auch wenn die Ergebnisse der Studie unterschiedlich diskutiert werden, so ist doch eines klar: Es besteht dringender Handlungsbedarf. Bereits die jetzige Situation ist unbefriedigend. Gerade die Demenzkranken werden nur ungenügend im Bereich der gesetzlichen Pflege berücksichtigt. Das Hospizwesen ist ausbaufähig, und Kinderhospize sind kein Tabuthema.
Der demografische Wandel wird uns vor riesige Probleme stellen. Allen pflegebedürftigen Menschen eine menschenwürdige Pflege zukommen zu lassen ist eine große Herausforderung. Wie in der Stellungnahme des SMS richtig bemerkt wurde, müssen wir jetzt das vor uns Liegende vorbereiten. Wir müssen dazu einerseits die Qualität und andererseits natürlich auch die Quantität der Angebote sicherstellen. Wir werden in Zukunft mehr Geld und Zeit für die Pflege unserer älteren Mitmenschen benötigen, und ich möchte betonen: Eine Pflege unterhalb des Mindestnotwendigen kann und darf es dabei nicht geben.
Wir unterstützen insgesamt den Antrag der Koalition zur Pflegeinfrastruktur. Auch wenn er vorerst keine konkreten Handlungsoptionen aufzeigt, so ist er doch ein wichtiges Signal, dass wir die kommenden Herausforderungen im Bereich der Pflege ernst nehmen.
Darüber hinaus erwarte ich allerdings von der Sächsischen Staatsregierung, dass sie auf Bundesebene eine Vorreiterrolle im Bereich der Pflege einnehmen wird, denn schließlich sind wir schon jetzt das „älteste Bundesland“ in Deutschland. Wir brauchen dazu kreative Ideen. Eine ist – das gebe ich unumwunden zu – die Pflegezeit ähnlich einer Elternzeit. Ich finde diese Idee dem Grunde nach interessant und habe meiner Fraktion empfohlen, diesem Antrag zuzustimmen. Wichtig ist nur, dass man
sich dabei über die Details einig wird. Ohne eine zeitliche Begrenzung dieser Pflegezeit wird es nicht gehen.