Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

Meine Damen und Herren, unter weiterer Bezugnahme auf meine gestrige Rede möchte ich in aller Kürze eines ergänzen. Mir ist es außerordentlich wichtig zu sagen, dass wir uns die Potenziale der Zivilgesellschaft bislang noch viel zu wenig nutzbar gemacht haben, auch im Zusammenhang damit, dass wir es hier mit Betroffenen zu tun haben, die hilfsbedürftig und weitgehend ausgegrenzt sind. Wir müssen an dieser Stelle daran arbeiten, gesamtgesellschaftliche Verantwortung im Zusammenhang mit dem Thema Hartz IV zu übernehmen und zu tragen.

Diese Aufgabe können Sie, meine Dame und meine Herren von der NPD-Fraktion, offensichtlich nicht lösen. Sie haben das Problem nicht erkannt.

(Widerspruch bei der NPD)

Sie haben das Problem nicht erkannt.

(Jürgen Gansel, NPD: Sie auch nicht, Sie sind doch in der Regierungsverantwortung!)

Meine Damen und Herren, ich will nun nicht weiter dazu ausführen, sondern mich auf das beziehen, was ich gestern vorgetragen habe. Hinzufügen möchte ich allerdings, dass die Geschäftsordnung des Hauses vorsieht, dass zusammenhängende Anträge oder Vorlagen nach Möglichkeit gebündelt vorgetragen und eingebracht werden sollen. Die Koalition hätte sich das bei Thema Hartz IV gewünscht.

(Holger Apfel, NPD: Das liegt nicht an uns!)

Dass es dazu nicht gekommen ist, haben wir nicht zu vertreten. Ich möchte allerdings mein Bedauern dazu ausdrücken. Ich verweise auf die Äußerungen, die Kollege Brangs gestern im Zusammenhang mit dem Thema hier abgegeben hat, und auf meine gestrige Rede.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Gibt es weiteren Redebedarf bei den Fraktionen? – Für die Fraktion der GRÜNEN Herr Dr. Gerstenberg.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns gestern im Sächsischen Landtag auf Antrag der Linksfraktion.PDS bereits mit dem Hartz-IV-Optimierungsgesetz sehr differenziert und sehr ausführlich, nahezu zwei Stunden lang, beschäftigt. Es ist mir unverständlich, wieso die NPD-Fraktion nicht daraufhin ihren Antrag von der Tagesordnung genommen hat.

(Gelächter bei der NPD)

Wenn es noch fraktionsintern Klärungsbedarf gibt, sollte er besser in einer Fraktionssitzung ausgetragen werden, statt uns im Plenum die Zeit zu stehlen. Wir werden uns deshalb, wie die anderen Oppositionsfraktionen, auch nicht an dieser Debatte beteiligen.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN – Widerspruch bei der NPD)

Gibt es weitere Redewünsche? – Das kann ich im Moment aus den anderen Fraktionen nicht erkennen. Dann die NPDFraktion, Herr Leichsenring.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor allem werte Gäste auf der Tribüne!

(Unruhe bei der CDU und der SPD)

Wenn man die Äußerungen von Dr. Gerstenberg gehört hat, könnte man sagen: Okay, da ist was dran!

(Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD, steht am Mikrofon.)

Herr Leichsenring, Moment bitte. Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, natürlich.

Herr Leichsenring, wissen Sie, dass die Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages untersagt, sich an die Besucher auf der Tribüne zu wenden?

Das ist mir bekannt. Wenn Sie sich immer an die Geschäftsordnung halten würden, hätten wir manchmal viel weniger Probleme in diesem Haus.

Ich will noch einmal auf das eingehen, was Herr Dr. Gerstenberg gesagt hat. Er ist ja nicht irgendwer in seiner Fraktion, sondern parlamentarischer Geschäftsführer. Er weiß ganz genau, dass es in der Linksfraktion.PDS einen Beschluss gibt, dass Anträge der NPD-Fraktion und der Linksfraktion.PDS nicht gemeinsam behandelt werden sollen. Die Linkspartei.PDS ist nämlich die Partei, mit der Sie alle unter eine Decke gekrochen sind. Sie können sich nicht hier hinstellen und sich aufregen, dass die Anträge nicht zusammen behandelt wurden. Unsere Bemühungen gehen immer dahin zusammenzulegen. Das haben wir mit der FDP-Fraktion beweisen wollen. Das ist am Präsidium gescheitert. Wir werden das morgen noch einmal sehen, wenn der FDP-Antrag gemeinsam mit dem NPD-Antrag zur Sprache kommt. Uns das vorzuwerfen geht voll am Thema vorbei, Dr. Gerstenberg. Gerade Sie müssten es in Ihrer Fraktion am allerbesten wissen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Prof. Schneider, Sie sagen, wir hätten das Problem nicht erkannt. Das Problem haben wir alle im Hause erkannt, dass nämlich etwas faul ist im Staate Dänemark. Aber wir wollen nicht vergessen, Herr Prof. Schneider, dass es Ihre

Wirtschaftsordnung ist, die Sie hier aufgebaut haben und die dafür verantwortlich ist, dass es Millionen Arbeitslose gibt. Hätten wir diese Arbeitslosen nicht, bräuchten wir uns über Hartz IV überhaupt nicht unterhalten. Also versuchen Sie nicht abzulenken, anderen die Schuld zuzuschieben, es ist genau die Wirtschaftsordnung, die sich die etablierten Parteien in Sachsen, in Deutschland geben wollten.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Welche Wirtschaftsordnung wollen Sie denn?)

Die Problematik jetzt auf andere abzuschieben ist nicht sehr seriös, Herr Prof. Schneider.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Erklären Sie uns doch Ihre Wirtschaftsordnung!)

Die Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hat festgestellt, dass im August 2005 1,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren in Deutschland in Bedarfsgemeinschaften leben. 1,5 Millionen Kinder! Die Bundesagentur sagt in ihrer Statistik, dass bis März 2006 weitere 290 000 Kinder dazugekommen sind. Das heißt, im März 2006 lebten bereits knapp 1,8 Millionen Kinder bis 15 Jahre in Bedarfsgemeinschaften. Die UN-Konvention geht bei Kindern von einem Alter bis zu 18 Jahren aus. Wenn wir die bis 18-Jährigen und die, die Leistungen nach SGB XII bekommen, noch dazunehmen, sind wir schon bei 2,2 Millionen Kindern auf Sozialhilfeniveau. Das heißt auf Deutsch, dass unter anderem Ihre Hartz-Gesetzgebung dafür gesorgt hat, dass sich die Kinderarmut seit 2004 in Deutschland verdoppelt hat. Dann brauchen Sie sich nicht hier hinzustellen und mit dem Finger auf andere zu zeigen – es ist Ihre Politik von da bis da, alle gemeinsam, weil Sie alle irgendwo in Landesparlamenten oder Bund Verantwortung tragen. Wir alle kennen die Auswirkungen von Kinderarmut, was Schulabschluss und Studium, was Gesundheit, was die Teilnahme an kulturellem und sozialem Leben betrifft und was ein ausgeglichenes und entwicklungsförderndes Familienleben angeht.

Dann hört man manchmal – es ist schon leiser geworden – Stimmen, die von einer reichen Gesellschaft sprechen, dass wir in einem reichen Land leben. Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, wie Sie von den etablierten Parteien Reichtum definieren. Heißt Reichtum für Sie, dass niemand verhungern muss und niemand unter der Brücke schläft, obwohl es auch das gibt? Geht es um Leben oder um Überleben? Sagen Sie bitte den Bürgern in ihrer BRD, was Sie vorhaben!

(Volker Bandmann, CDU: Da ist wieder die Sprache der SED!)

Mit SED habe ich ganz bestimmt nichts am Hut. Da bin ich tausendprozentig sicher.

Der paritätische Wohlfahrtsverband warnt vor der mittlerweile schon diskutierten Abschaffung der befristeten Zuschläge für Arbeitslose, die von Arbeitslosengeld I in ALG II wechseln. Das sind noch einmal 400 000, die davon betroffen sein werden. Ich muss präzisieren:

400 000 direkt Betroffene. Mit den Angehörigen sind es insgesamt 700 000, davon 200 000 Kinder.

Das heißt, wenn Sie weiter hier walten können, wie Sie wollen, dann steigt die Quote der Menschen auf Sozialhilfeniveau auf 9,7 % in diesem Land. Das heißt, jeder Zehnte ist arm und – was noch viel schlimmer ist – die Armutsquote unter Kindern wird 15,9 % betragen. Jedes sechste Kind ist arm und muss auf Sozialhilfeniveau mit allen Folgen leben, die sich daraus ergeben.

Ich frage mich dann, wie Sie immer von Ihren Erfolgen auf wirtschaftlichem Gebiet sprechen können. Es ist ein einziges Armutszeugnis, meine Damen und Herren. Deswegen finden wir auch Ihre Arroganz so unerträglich. Natürlich kann man nicht alles zu 100 % richtig machen, aber man muss auch einmal dazu stehen, dass man Fehler gemacht hat, und versuchen, diese Fehler zu korrigieren, und nicht immer alles gutheißen und mit Fingern auf andere zeigen.

Sie fabrizieren immer mehr Kinder in Armut und spalten das Volk in Arm und Reich.

Die soziale Ungleichheit ist ja mit Hartz IV gewachsen. Das sagt nicht nur meine Fraktion, sondern das sagen auch wissenschaftliche Studien, zum Beispiel von der Hans-Böckler-Stiftung, die die Studie veröffentlicht hat. Ich erspare mir ein langes Zitat daraus. Ich denke aber, Sie alle kennen diese Studie. Diese Studie widerlegt eindrücklich die gepflegte Mär vom Missbrauch.

(Unruhe bei den Fraktionen)

Meine Damen und Herren, ich möchte um etwas mehr Ruhe bitten.

(Stefan Brangs, SPD: Das hatten wir schon gestern!)

Nein, das hatten wir gestern noch nicht. Sie werden noch sehr oft hören, Herr Brangs, dass Ihre Politik zum Scheitern verurteilt ist. Das sage ich Ihnen meinetwegen in jeder Landtagssitzung neu, wenn Sie es brauchen, ehe Sie es begreifen.

(Karl Nolle, SPD: Mit Ihrer Hakenkreuzfahne werden Sie die Armut nicht beseitigen!)

Kamerad Nolle! Was sollen diese Zwischenrufe?

Es wird immer wieder vom Missbrauch von Leistungen gesprochen. Es wird davon gesprochen, dass 20 bis 30 % der Leistungen unkorrekt ausgegeben werden, weil diese erschlichen sind. Dr. Hahn, Frau Dombois, Herr Dr. Müller und ich waren kürzlich von der ARGE Sächsische Schweiz und Weißeritzkreis eingeladen. Wir hatten dort ein kleines Forum, bei dem man mal etwas hinter die

Kulissen schauen konnte. Da erfährt man dann, es gibt gar keine Statistiken darüber, wie viel Gelder zu viel ausgezahlt und zurückgefordert werden. Darüber gibt es einfach keine Statistiken, sodass man spekulieren muss, was hier an Missbrauch tatsächlich vorhanden ist. Das zu benutzen, um alle Menschen, die leider Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen, unter Generalverdacht zu stellen – das machen Sie mit Ihren Plänen zur Kürzung –, geht dann am Thema vorbei.

Nein, meine Damen und Herren, die Realität ist doch eine ganz andere. Die wirklich einkommensschwachen Menschen haben ihre Belastungsgrenze längst überschritten. Deswegen sagt die NPD: Wer bei sozial Schwachen kürzt, hat den Blick auf die sozialen Realitäten verloren. Da ist nichts mehr zu kürzen. Und da ist auch kein Mangel an Motivation, eine Arbeit aufzunehmen, es ist schlicht und einfach der Mangel an Arbeitsplätzen. Deswegen lehnen wir eine Bestrafung der Arbeitslosen ab. Die betroffenen Arbeitslosen sollen nicht durch Ihre Unfähigkeit, ordentliche Rahmenbedingungen zu schaffen, bluten. Schaffen Sie Arbeitsplätze, anstatt Leistungen zu kürzen! Solange das nicht geschehen ist, verbietet sich eine Bestrafung der Arbeitslosen. Deswegen bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)