Protokoll der Sitzung vom 23.06.2006

Es kommt auch gar nicht darauf an, was die Fraktion der GRÜNEN weiß, sondern darauf, welche Kriterien und Anhaltspunkte wir als Politiker und Politikerinnern für notwendig halten, um zu handeln. Da meine ich schon, dass wir ausreichende Anhaltspunkte dafür haben, die uns veranlassen sollten, die Frage der Krebserkrankungen möglichst zuverlässig, unabhängig und glaubwürdig wissenschaftlich zu klären. Wir meinen, dass sowohl unsere Kenntnisse von den Emissionen des Stahlwerks, von den Immissionen im Boden und auch von den Krebshäufigkeitszahlen eine Klärung dringend notwendig machen. Wir haben diese Anhaltspunkte in der Begründung unseres Antrags im Einzelnen aufgeführt.

Kommen wir zunächst zu den Emissionen. Wir wissen aus dem Munde des Staatsministers Tillich und des Sprechers des RP Dresden, Felber, dass die Dioxinemissionen noch vor acht Jahren um das Zehnfache höher waren. Wer es mir nicht glaubt, möge nachlesen: Drucksache 4/3187, eine Anfrage der Linksfraktion.PDS, gebe ich gern zu. Wir wissen auch, dass diese Emissionen allein am Schornstein gemessen werden und die Anwohnerinnen und Anwohner vermuten, dass noch mehr Dioxin über das Dach der Schmelzhalle entweicht.

Nach dem Emissionsbericht 2004 kann berechnet werden, dass die Dioxinemissionen von Feralpi noch 2004 1 % der

gesamten Dioxinemissionen Deutschlands ausmachten. Meine Damen und Herren, da Sie mir so aufmerksam zuhören, wiederhole ich diesen Satz: Nach dem Emissionsbericht 2004 kann berechnet werden, dass Feralpi 2004 1 % der gesamten Dioxinemissionen Deutschlands emittiert hat.

Ich habe mich schon letztes Mal gewundert, dass mir da niemand vehement widersprochen hat. Ich nehme das so zur Kenntnis, dass Herr Staatsminister mir darin zustimmt. Schließlich kennen wir die langjährige Duldung der rechtswidrigen Grenzwertüberschreitung durch die sächsischen Behörden. Das war Thema vor zwei Monaten.

Kommen wir zu den Immissionen, also zu der Dioxinverunreinigung im Boden. Ich erinnere an die dritte Studie der Bund-Länder-Kommission Dioxin von 1998, die in Riesa – ich zitiere – „deutliche Belastungswerte“ gefunden hat. Wenn nun die Stadt Riesa durch drei Bodenproben des TÜV belegen möchte, dass keine Bodenverunreinigungen bestehen, so ist das nicht möglich. Herr Tillich selbst hat auf eine Anfrage geantwortet, dass ein paar Bodenproben nicht repräsentativ und damit nicht aussagekräftig seien. Trotzdem wird in der Riesaer Öffentlichkeit mit diesen Zahlen hantiert.

Kommen wir zu den Krebsstatistiken. Mir sind drei fachkundige Aussagen bekannt, die wir in der Begründung aufgeführt haben. Erstens die Zusammenstellung des Klinikums Riesa-Großenhain vom 7. März 2006: Die Zusammenstellung beruht auf Daten des Tumorzentrums Dresden sowie des Gemeinsamen Krebsregisters. Sie betrachtet die Häufigkeit verschiedener Krebsneuerkrankungen in den Jahren 2001 bis 2003 für den Landkreis, für den Regierungsbezirk Dresden und für Sachsen insgesamt. Danach sind im Landkreis Krebserkrankungen der Lippe, der männlichen Atmungsorgane und der Harnorgane höher als in Vergleichsgebieten. Ich sage Ihnen aber auch, Krebserkrankungen der Verdauungsorgane oder Leukämie bei Männern fallen nach dieser Studie niedriger aus. Insgesamt sollen die Krebserkrankungen nach dieser Auswertung unter dem sächsischen Durchschnitt liegen.

Zweitens die Mitteilung des Gemeinsamen Krebsregisters vom 24. April 2006: Diese Mitteilung geht aus dem Schreiben des Landrates vom 31.05.2006 an die Oberbürgermeisterin von Riesa hervor, das unserer Fraktion vorliegt. Sie betrifft den Zeitraum von 1995 bis 2004 und vergleicht die Stadt Riesa, den Landkreis und Sachsen. Ich zitiere: „In Riesa sind im betrachteten Zeitraum 2 028 Krebsneuerkrankungen aufgetreten.“ Das bedeutet, verglichen mit dem Landkreis, eine um 10 % erhöhte Erkrankungsrate und fächert sich auf in 13 % bei Männern und 6 % bei Frauen.

Ich zitiere weiter: „… verglichen mit Sachsen insgesamt eine um 1 % niedrigere Erkrankungsrate … Im gleichen Zeitraum sind 37 Leberkrebsneuerkrankungen aufgetreten.“ Das bedeutet eine um 26 % (Landkreis) bzw. um

5 % (Sachsen) höhere Erkrankungsrate gegenüber den Vergleichsgebieten.

Die Bewertung: „Betrachtet man einzelne Krebsarten, ergeben sich signifikant höhere Erkrankungsraten beim Kehlkopfkrebs, beim Prostatakrebs und beim Morbus Hodgkin; allerdings jeweils nur gegenüber einem Vergleichsgebiet. Andererseits hat Riesa bei einigen Lokalisationen niedrigere Raten, zum Teil sind sie signifikanter als erwartet, wie zum Beispiel bei der Gallenblase, bei Leukämie, beim Eierstock oder beim Hoden.“ Das Resümee: Insgesamt erscheint die Häufigkeit der Krebserkrankungen in der Stadt Riesa nicht auffällig.

Drittens liegt uns eine Zusammenstellung des Statistischen Landesamtes Kamenz über die Häufigkeit behandelter Krebserkrankungen im Zeitraum von 1996 bis 2004 vom 11. Mai 2006 vor. Die Statistik ist zugegebenermaßen sehr schwer zu lesen. Ich habe einmal die Krankheiten zusammengestellt, bei denen in allen fünf Jahren von 2000 bis 2004 in der Stadt Riesa mehr Krebserkrankungen als im Landkreis und in Sachsen aufgetreten sind. Es handelt sich um Krebserkrankungen der Leber, der Atmungsorgane und der Brustdrüse. Wer sich ernsthaft mit der Sachlage befassen möchte, findet diese Statistik seit mehreren Wochen auf unserer Homepage.

Meine Damen und Herren! Wer mit zugehört hat, wird erkennen, dass ich nicht nur die Anhaltspunkte für signifikant höhere, sondern auch für niedrigere Krebsraten genannt habe. Gerade diese Widersprüchlichkeit zeigt aber, dass die Frage signifikant erhöhter Krebserkrankungen nicht geklärt ist. Die Studien sind teilweise nicht miteinander vergleichbar oder überhaupt für Aussagen nicht geeignet. Dies gilt insbesondere für die Auswertung des Klinikums Riesa-Großenhain – mein erstes Beispiel –, denn dort geht die Belastungssituation in der Stadt Riesa in der Mitteilung der Zahlen des gesamten Landkreises völlig unter. Die Beschränkung der Betrachtung auf die Jahre 2001 bis 2003 kann auch keine zuverlässigen Ergebnisse liefern.

Aufhorchen lassen sollte uns dagegen die Mitteilung des Gemeinsamen Krebsregisters, nach der die Leberkrebsrate in Riesa um 26 % gegenüber dem Landkreis und Sachsen erhöht ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer die bekannten Daten und Fakten unvoreingenommen zur Kenntnis nimmt, wird erkennen, dass wir handeln müssen, um eine verbindliche Klärung des Sachverhalts herbeizuführen. Eine solche Klärung bedarf einer genauen Erhebung der Immissionslage. Die verschleiernden Äußerungen und Pseudountersuchungen, die bisher von offiziellen Stellen unternommen wurden, reichen nicht aus. Diese genaue Erhebung muss mit genaueren Krebsstatistiken wohnortgenau korreliert werden.

Ich sage Ihnen ganz offen: Ich weiß nicht, welches Forschungsdesign an dieser Stelle das geeignetste wäre. Das sollten wir aber der Entscheidung des Sozialministeriums überlassen. Ich denke, dass Sie unserem Antrag, den ich

ohne alle Polemik vorgetragen habe, guten Herzens zustimmen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Herr Krauß, Sie sprechen für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wichtigste stelle ich an den Anfang meiner Rede: Wir werden den Antrag der GRÜNEN ablehnen. Die Begründung dafür haben die GRÜNEN selbst in ihren Antrag geschrieben und diese uns somit frei Haus geliefert.

In der Antragsbegründung führen die GRÜNEN aus, dass es genügend Untersuchungen gebe, die allesamt besagen, dass es in Riesa kein erhöhtes Krebsrisiko gibt. Es sind drei Untersuchungen an der Zahl. Herr Lichdi hat sie zum Teil vorgetragen.

Als erste Quelle zitieren Sie eine Zusammenstellung des Klinikums Riesa-Großenhain. Ich zitiere: „Insgesamt liegen die Krebserkrankungen nach dieser Auswertung im Landkreis Riesa-Großenhain unter dem sächsischen Durchschnitt.“

Die zweite Quelle, die die GRÜNEN aufführen, ist die Mitteilung des Gemeinsamen Krebsregisters. Die Erkrankungsrate liegt nach dieser Mitteilung um 1 % niedriger als im sächsischen Durchschnitt. Ich zitiere: „Insgesamt erscheint die Krebserkrankungshäufigkeit in der Stadt Riesa nicht auffällig.“

Als dritte Quelle verweisen Sie auf die Angaben des Statistischen Landesamtes. Aus den dort angegebenen Zahlen kann nicht abgeleitet werden, dass das Krebsrisiko in Riesa höher als andernorts ist.

Wenn drei Studien besagen – die Sie alle in der Begründung Ihres Antrages erwähnen –, dass das Risiko in Riesa nicht höher ist als andernorts, was soll dann eine vierte Untersuchung? Offensichtlich wollen Sie so lange etwas untersuchen, bis Ihnen das Ergebnis in den Kram passt. Nehmen Sie doch endlich zur Kenntnis: An Krebs erkranken die Menschen in Riesa nicht öfter als an anderen Orten in Sachsen.

Ich habe das Gefühl, dass die GRÜNEN mit solchen Anträgen ihre Daseinsberechtigung herbeischreiben wollen. Wenn schon solche sinnlosen Anträge eingebracht werden, dann muss die Existenzangst riesengroß sein.

(Zurufe von den GRÜNEN)

In den letzten 30 Jahren ist in Deutschland auf dem Gebiet des Umweltschutzes viel passiert – in den vergangenen 16 Jahren auch im Osten Deutschlands. Deswegen sind die GRÜNEN auch überflüssig. Das lässt sich auch am Beispiel der Dioxine verdeutlichen. Das Bundesumweltamt veröffentlicht regelmäßig Berichte zur Dioxinbelastung in Deutschland. Diese Belastung ist in den letzten Jahren stark und stetig zurückgegangen.

Meine Damen und Herren der GRÜNEN! Nehmen Sie bitte die Wirklichkeit zur Kenntnis, auch was den Bereich Dioxin betrifft. Es ist kein Wunder, wenn der Umweltschutz durch grünes Gutmenschentum in Verruf gerät.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Anträge wie diese lassen die Menschen am Sinn der Umweltschutzpolitik zweifeln.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Das ist doch Mottenkiste!)

Das ist traurig, denn ein vernünftiger Umweltschutz war nötig und bleibt nötig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können in diesem Haus nicht ständig über Arbeitsplätze diskutieren, wenn Anträge von Linksfraktion.PDS, NPD und GRÜNEN eingebracht werden, die aus jedem Unternehmer einen potenziellen Straftäter machen.

(Beifall bei der CDU – Alexander Delle, NPD: Schaffen Sie doch die Arbeitsplätze!)

Die Unternehmer schaffen Arbeitsplätze! In einem solchen Klima, wie es hier vorherrscht – auch bei den Sozialisten auf der rechten Seite –, kann die Wirtschaft nicht gedeihen.

(Zuruf von der Linksfraktion.PDS)

In Riesa arbeitet ein Unternehmen, das über 400 Menschen Lohn und Brot gibt. Sie wollen diesem Unternehmen Steine in den Weg werfen, obwohl sich das Unternehmen um den Umweltschutz bemüht hat und immer noch bemüht und auch bemühen muss.

Mit dem Antrag der GRÜNEN soll das Klima in Riesa vergiftet werden. Die CDU-Fraktion macht es nicht mit, dass die Menschen in Riesa verunsichert werden. Wir machen es nicht mit, dass über 400 Stahlwerker an der Politik zweifeln, weil es Abgeordnete in diesem Landtag gibt, die sich nicht um deren Arbeitsplätze scheren.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Wir machen das nicht mit und werden deshalb Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Lauterbach, Sie sprechen für die Linksfraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Die Bundeskanzlerin bezeichnete kürzlich ein Problem nicht als Quadratur des Kreises, sondern als Verkugelung des Würfels. Das erinnert mich an Riesa und das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaft und Gesundheit.

Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist ein Schritt in die richtige Richtung und kann zur Lösung der Probleme in Riesa beitragen. Spätestens seit dem Dioxinunfall vom 10. Juli 1976 im italienischen Seveso –

also vor fast genau 30 Jahren – ist die Weltöffentlichkeit wachsamer geworden. Das sollten wir auch sein.

Der Dioxinausstoß bei Feralpi in Riesa und Umgebung darf weder über- noch unterschätzt werden. Wir unterstützen deshalb den Antrag prinzipiell. Es seien jedoch einige Anmerkungen dazu gestattet.

Natürlich ist es ein Spagat, den wir Politiker hierbei leisten müssen. Mit einem Fuß stehen wir auf den ökonomischen Erfordernissen der Wirtschaft, mit dem anderen auf der Forderung, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger nicht blinder Profitgier zu opfern.

In der Presse stand in den letzten Jahren oft der Vorwurf, wir als Landtag hätten in den letzten 15 Jahren nur tatenlos zugesehen. Andererseits wird ein Drohbild von Arbeitsplatzabbau oder gar Betriebsschließung gezeichnet. Sicher, Arbeitsplätze sind wichtig für die Region Riesa. Das sollten wir nicht vergessen. Müssen wir uns aber erpressen lassen? Müssen wir uns immer neuen Ausreden und Ausflüchten beugen, Sonderregelungen schaffen und faule Kompromisse eingehen, damit Unternehmen nicht ihren Profit in die erforderlichen Filteranlagen investieren müssen?

Mit der Antwort des Herrn Staatsministers Tillich heute Mittag in der Fragestunde ist eine konsequentere Arbeit des Staatsministeriums und des Regierungspräsidiums bereits bei der Bescheiderteilung angezeigt. Kontrollen, begleitende Messungen, Androhungen bei Ordnungswidrigkeiten bis hin zur Stilllegung sind positive Eckpunkte, die im Bedarfsfall auch umgesetzt werden müssen. Wissenschaftliche Studien können diese Umsetzung erleichtern, subjektive Ermessensspielräume einschränken und klare Forderungen an die Wirtschaft geben. Die jetzt vorliegenden Studien und Statistiken beinhalten noch zu wenig verwertbares Material. Die Krebsstatistik des Statistischen Landesamtes Kamenz ging auf diese detaillierten Probleme bisher nicht umfassend ein.